Das im Dezember vom neuen argentinischen Präsidenten vorgelegte Gesetzespaket sollte gestern im Parlament verabschiedet werden. Doch dann kam alles anders.
Im Parlament hat die Regierungspartei La Libertad Avanza (LLA), die Freiheit schreitet voran, keine Mehrheit. Und zunächst schien dieser Plan zu gelingen. Die Abgeordneten stimmten für die Ausrufung einer Notstands-Situation und erteilten Javier Milei weitreichende Kompetenzen, zunächst für ein Jahr. Ausgenommen sind dabei Steuern, Gesundheit und Renten. Doch dann kam alles anders. Die Opposition stellte sich beinhart und sprach von einer „zivilen Diktatur“ und selbst die dialogbereiten Abgeordneten des konservativen Parteienbündnisses PRO ärgerten sich über die Kompromissunfähigkeit der Regierung.
Am Dienstagabend wurde die Sitzung im Parlament aufgehoben und die Debatte in die Ausschüsse zurückverwiesen. „Eine Niederlage“, schrieben die konservativen Medien, und auf der Straße wurde gefeiert.
Paket schon deutlich geschrumpft
Dabei war bereits im Januar das radikale Konzept Mileis deutlich zusammengeschrumpft. Von den 664 Artikeln seines Omnibus-Gesetzes waren nur noch die Hälfte übrig geblieben. So hatten die Dialogbereiten das Fiskalpaket komplett rausgeworfen und vertagt. Strittige Punkte waren aber weiterhin die hohen Abgaben des Agrobusiness´ (retenciones), das 15 % auf seine Exporte in den Staatssäckel abführen soll, auf Sojamehl und Sojaöl 33 % statt der bisherigen 31 Prozent.
Die Großbauern unterstützen zwar den neoliberalen Milei, meinen aber, dass die Sparmaßnahmen andere treffen sollen. Die Gouverneure hielten Milei auch nicht mehr die Stange, sie fürchten, dass sich diese Abgaben negativ auf die regionale Wirtschaft auswirken würden. Außerdem hatte ihnen der Präsident offen gedroht, den Geldhahn abzudrehen.
Die Liste der 40 zu privatisierenden Staatsbetriebe war zusammengestrichen worden. YPF etwa, auf das der Emir von Katar und sein Mann vor Ort, der Ex-Präsident Mauricio Macri, ein Auge geworfen haben, sollte nun nicht angetastet werden. ARSAT, Nucleoeléctrica und die Banco Nación sollten nur zum Teil den Besitzer wechseln. Die Fluglinie Aerolíneas Argentinas, die Post, die Eisenbahn und die staatlichen Medien sollten zu 100 Prozent veräußert werden. Das war die Vorlage, auf die man sich irgendwie geeinigt hatte.
Auch das Wahlrecht soll (vorerst) nicht angetastet werden. Milei wollte, nach US-Vorbild, praktisch ein Zwei-Parteien-System einführen und die Vorwahlen abschaffen. Korrekturen wurden bei den Fischereirechten und der Forstwirtschaft vorgenommen. Die Lobbyverbände hatten sich durchsetzen können. Den Rentnern ging es da schlechter. Zwar musste Milei auch hier bei der Indexierung (Anpassung an die Inflation) zurückstecken, aber auf jeden Fall müssen die Ruhegeldbezieher mit einem Einbrechen ihrer Kaufkraft rechnen. Allerdings konnte verhindert werden, dass sich Milei die Reserven der staatlichen Rentenversicherung ANSES einfach einverleiben kann, wie er es in seinem Gesetz geplant hatte.
Abstriche musste auch die Sicherheitsministerin Patricia Bullrich machen. Ihre Ermächtigungen für neue Repressionsmaßnahmen fanden keinen Anklang. Statt drei Personen müssen künftig nur Versammlungen über 30 bei der Polizei um Genehmigung nachsuchen, auch die zivilrechtliche Haftbarmachung bei Demonstrationen wurde eingeschränkt.
Ziviler Widerstand erwacht
Letzte Woche noch hatte es gut für die Freiheit von Milei ausgesehen. Um ein Zeichen zu setzen, hatten die Abgeordneten grundsätzlich für sein Reform-Paket gestimmt, allerdings war es nicht um die konkreten Artikel gegangen, sondern mehr um eine unverbindliche Willenserklärung.
Man verkaufte das in der Öffentlichkeit als „Sieg“. Denn inzwischen ist die zivile Gesellschaft aufgewacht und beginnt mit Widerstand. Der Gewerkschaftsdachverband CGT hatte am 24. Januar mit einem ansehnlichen Generalstreik das Land lahmgelegt, in den Stadtvierteln organisieren sich die Bürgerversammlungen – allerdings findet sich dort (bisher) nur die politische Opposition zusammen. Jüngste Meinungsumfragen ergaben, dass zehn Prozent von Mileis Wählerschaft gemerkt haben, dass er nicht dem politischen Establishment („casta“) an den Kragen will, sondern dem einfachen Volk, den Lohnabhängigen und den Sozialhilfeempfängern. Tendenz steigend.
Bisher ist dieser Unmut noch nicht zur Wut geworden, noch warten viele ab und sagen, man müsse der Regierung Zeit geben. Aber schon in wenigen Tagen wird der Nahverkehr zweieinhalb mal teurer, und das ist nur der Anfang, geplant ist, dass er ohne Subventionen funktionieren soll. Wer das bezahlen soll, steht in den Sternen. Und auch die Krankenversicherungen werden nicht mehr gedeckelt und haben sich fast verdoppelt, von einem Monat auf den anderen. Bei Wasser und Strom sollen die nächsten Rechnungen ebenfalls um mindestens 100 Prozent steigen.
Zwar ist allen Beobachtern der argentinischen Realität klar, dass es Reformen geben muss, zum Beispiel die Einführung eines x mal versprochenen zentralen Sozial-Registers, um Hilfszahlungen nicht von undurchsichtigen Gruppen und lokalen Parteifürsten abhängig zu machen, sondern in einen Rechtsanspruch zu verwandeln und zu verhindern, dass diese Unterstützung nach politischem Wohlverhalten ausgezahlt wird. Also: Wer nicht an bestimmten Demos teilnimmt, bekommt auch kein Geld.
Milei hingegen würde am Liebsten die Armen komplett abschaffen. Seit Wochen schon klagen die Volksküchen über das Ausbleiben der Nahrungsmittellieferungen. Vor dem Sozialministerium bildete sich eine kilometerlange Schlange, hungernde Menschen mit leeren Töpfen. Noch werden keine Plünderungen gemeldet, die sozialen Gruppen überreden die Supermärkte, „freiwillig“ Nahrungsmittel an die Volksküchen abzugeben. Wie lange das gutgeht, ist ungewiss, da jeden Tag mehr Menschen in der Straße schlafen, Leute die offensichtlich an Unterernährung leiden. Und das passiert in einem Land, dessen Agrarproduktion 400 Millionen Menschen ernähren kann, das Zehnfache der eigenen Bevölkerung.
Milei an der Klagemauer
Milei nahm an der Debatte im Parlament nicht teil, sondern flog lieber nach Israel, wo er verkündete, dass er seine Botschaft nach Jerusalem verlegen will. Das wollte der frühere brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro auch einmal, ist aber an seinem Außenministerium gescheitert. Milei will zum Judentum konvertieren und umgibt sich demonstrativ mit Rabbinern. Aber die öffentliche Meinung, nicht nur im eigenen Land, sondern auch im Subkontinent, hat er gegen sich.
Von Tel Aviv fährt er nach Italien weiter, wo er Giulia Meloni seine Aufwartung machen will. Auch ein Treffen mit Papst Franziskus steht auf seinem Programm – worüber es geht, wurde nicht bekannt gegeben, aber das Verhältnis ist mehr als schlecht. Die Priester in den Slums hatten offen Wahlkampf gegen ihn gemacht und organisieren Widerstand gegen seine Politik des Hungers.
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Ich bin gespannt wie es in Argentinien weiter geht. Das das Land seit Jahren selbst durch die jeweiligen Regierungen in diesen wirtschaftlichen Abgrund trieb ist Geschichte aber ob es mit diesem Präsidenten dort herauskommt ist für mich mehr als fraglich.
Allerdings welche Personen wären denn dazu in der Lage?
Ich wünsche den Menschen in Argentinien, das tatsächlich endlich eine Regierung sich bildet die die reichen Ressourcen und Möglichkeiten gerecht für das argentinische Volk verteilt, Macri und Milei sind es wohl nicht!
Der ‘Anarchokapitalist’ mag ja scheitern, aber niemals die Zocker die für oder gegen ihn wetten.
Der bzw DIE Leidtragende Bevölkerung zahlt die Zeche.
Egal wo man sich auf dieser Welt befindet, den Zockern muss Einhalt geboten werden.