Agrarimporte aus der Ukraine sorgen für Zoff

Protestierende polnische Bauern entleeren Waggons mit ukrainischem Getreide. Screenshot von YouTube-Video

Billig-Konkurrenz für heimische Bauern und offenbar ungewöhnliche Schadstoff-Belastungen – die Marktöffnung für Agrarimporte aus der Ukraine stellt die EU vor erhebliche Probleme. Der ukrainische Agrarsektor wird inzwischen von export-orientierten Agrar-Holdings dominiert.

 

Die EU hatte als Reaktion auf Russlands Angriff schon im Juni 2022 ukrainischen Unternehmen einen weitgehend freien Zugang zu ihrem Markt gewährt. Dies war nicht ganz uneigennützig. Ukrainische Unternehmen wie der Staat sollten zusätzliche Einnahmen generieren können, um so westliche Hilfszahlungen möglichst gering zu halten. Dem ukrainischen Agrarsektor, der 2022 für rund 60% der Exporte sorgte, sollten in der EU und über die EU neue Absatzwege eröffnet werden, nachdem durch Kriegshandlungen der Seeweg durch das Schwarze Meer zunächst blockiert war.

Ein Großteil des ukrainischen Agrargüter-Exports erfolgt seit dem Sommer 2022 daher auf dem Landweg in die nahe EU, speziell in deren östliche Mitgliedsländer. Das sog. Schwarz-Meer-Getreideabkommen vom Juli 2022, mit dem die Verschiffung des ukrainischen Getreides wieder vorübergehend möglich war, änderte daran wenig. Polen z. B., das 2021 gerade einmal 3100 Tonnen Weizen aus der Ukraine bezogen hatte, registrierte 2022 mit 532.000 Tonnen eine drastische Steigerung. wobei viele Bauern der Meinung sind, dass die offiziellen Zahlen nicht die wahre Importmenge wiedergeben.

Nach dem Preisanstieg unmittelbar nach Kriegsbeginn sanken trotz gestiegener Produktionskosten die Ankaufspreise für Weizen durch die EU-Marktöffnung 2022 und 2023 schnell, am stärksten in den grenznahen Wojewodschaften. Daran änderte auch ein von Polen gemeinsam mit Ungarn und der Slowakei im April 23 verhängtes Embargo wenig, denn auch das für den Transit bestimmte Getreide landete vielfach auf dem polnischen Markt. In der Wojewodschaft Vorkarpaten z. B. verminderte sich der durchschnittliche Ankaufspreis für eine Tonne Weizen vom Dezember 2021 zum Dezember 2023 von 1160 Zloty auf 650 Zloty.  Auch Mais, Raps, Weichobst, Zucker, Geflügel und Honig. werden seit dem Juni 2022 in großen Mengen aus der Ukraine in die EU geliefert.

Begründet hatten die drei Länder ihr Embargo auch mit EU-Normen überschreitenden Schadstoff-Belastungen des ukrainischen Getreides. Slowakische Kontrolleure hatten Rückstände des in der EU verbotenen Insektizids Chlorporyfos gefunden. Als Zweifel an der Seriosität der Kontrolle aufgekommen waren, schalteten die Slowaken ein unabhängiges dänisches Labor ein, das den Chlorporyfos-Fund bestätigte. Auch polnische Stellen hatten nach eigenen Angaben frühzeitig Meldungen an das EU-Warnsystem für Lebens- und Futtermittel-Überwachung (RASFF) gegeben, dort aber keine Reaktionen ausgelöst.

Im September 2023 legte die Höchste Kontrollkammer Polens (NIK) einen Bericht vor, in dem sie das nationalkonservativ geführte Landwirtschaftsministerium wegen Verletzung der Aufsichtspflicht heftig kritisierte. Unter Berufung auf Untersuchungen des Hauptamtes für Lebensmittelkontrolle (GLW) berichtete die NIK, dass in 73 Proben ukrainischen Getreides in 17 Fällen Salmonellen, in weiteren 17 Fällen eine unzulässige Pestizid-Belastung, in 11 Fällen GMO-Spuren und in 6 Fällen Mikotoksyne entdeckt wurden. Die deutsche Regierung hatte demgegenüber noch im Juni 2023 erklärt, dass ukrainische Agrarprodukte im Hinblick auf Pflanzenschutzmittel-Rückstände “keine Auffälligkeiten” zeigen. .

Die Embargo-Entscheidung der drei Länder wurde von der für den Außenhandel eigentlich zuständigen EU zwar heftig kritisiert. Die EU-Wettbewerbsbehörde konstatierte dann aber doch eine “Marktverzerrung” durch die Importe aus der Ukraine. Polen, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien wurden im Mai 2023 Importbeschränkungen für Getreide, Mais, Raps und Sonnenblumen zugestanden und 56 Mio. zur Unterstützung bedrängter Bauern zur Verfügung gestellt. Nur als Transitware sollten Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine die betroffenen Länder erreichen. Doch bereits im September 2023 hob die EU die Beschränkungen auf. Die “Marktverzerrungen” seien beseitigt. Polen, Ungarn und die Slowakei widersetzten sich und bekundeten ihren Willen zur Aufrechterhaltung der Einfuhrbeschränkungen. Die Praxis jedoch war und ist kaum überschaubar.

Auch deutsche Bauern werden im “gemeinsamen Agrarmarkt” die ausgeprägte Konkurrenzfähigkeit des ukrainischen Agrarsektors zunehmend zu spüren bekommen

Derweil richteten sich Bauern-Proteste in den östlichen EU-Ländern wie die ihrer Kollegen im Westen zwar auch gegen die aus ihrer Sicht inakzeptablen Bewirtschaftungsauflagen der EU. Jedoch sehen viele von ihnen in den Agrarimporten aus der Ukraine das größere Problem. Bauernprotest in Polen hat dabei traditionell ein hohes Radikalisierungs-Potential. Schon in den letzten Tagen kam es neben Straßenblockaden zu “wilden Entladungen” von Bahn-Waggons. Nach gewaltsamer Öffnung der Entladevorrichtungen landete tonnenweise Raps und Mais aus der Ukraine zwischen den Gleisen. Die Kiewer Regierung protestierte, Polen sei nur Transitland gewesen.

Polens Premier Donald Tusk erklärte letzte Woche die Verkehrswege und die Grenzübergänge Richtung Ukraine überraschend zur “kritischen Infrastruktur”, was Polizei und Sondereinsatzkräften weitergehende Kompetenzen verschafft. In Reaktion darauf riefen die Bauern zu einer Demonstration am 27.2. in Warschau auf. an der sich dann 10.000 (liberale Stadtverwaltung) bis 50.000 (Organisatoren) Bauern zu Fuß beteiligten. Die Fahrt mit Traktoren in die Innenstadt war verboten worden.

Die EU hat Ende Januar 2024 erklärt, dass sie an dem Freihandel mit der Ukraine ohne Zölle und Kontingentierungen festhalten wird. Nur bei Geflügel, Eiern und Zucker soll der Import auf dem Niveau der Jahre 2022/23 gedeckelt werden. Absehbar ist, dass man zwecks Entlastung des Agrarmarkts der ukrainischen Nachbarländer mehr ukrainische Agrargüter nach Westeuropa schleusen will. Deutschland führte vor Kriegsbeginn vor allem Mais und Raps aus der Ukraine ein, Brotgetreide spielte so gut wie keine Rolle. Das verändert sich zur Zeit offenbar.

Das Portal agrarheute.com berichtete im August 2023, dass von Januar bis Mai letzten Jahres 49.950 Tonnen Weizen aus der Ukraine importiert wurden. Die Überschrift “Flutet Getreide aus der Ukraine jetzt den deutschen Markt?” war bewusst überzeichnend, denn im Artikel selbst glaubte man klarstellen zu müssen, dass bei 22 Mio. Tonnen Eigenproduktion Importe aus der Ukraine für Deutschland kein Problem sind. In einem Artikel vom 22.1.2024 musste das Portal dann aber doch auch für Deutschland “Getreidepreise fallen 2024 weiter” konstatieren und den Einfluss der ukrainischen Konkurrenz einräumen. .

Deutsche Bauern werden im “gemeinsamen Agrarmarkt” die ausgeprägte Konkurrenzfähigkeit des ukrainischen Agrarsektors zunehmend zu spüren bekommen. Bei rund 40% der Einwohnerzahl verfügt die Ukraine auch ohne die von Russland kontrollierten Gebiete mit ca. 27 Mio. Hektar über eine fast 2,5mal so große Ackerfläche wie Deutschland. Die Schwarz-Erde-Böden der Ukraine sind besonders ertragreich. Deren Bewirtschaftung erfolgt großflächig unter Einsatz umfangreicher Agrochemie.

Der ukrainische Agrarsektor wird inzwischen von export-orientierten Agrar-Holdings dominiert, die jeweils über mehrere hunderttausend Hektar gekauften oder gepachteten Ackerlands verfügen. Die Entscheidungsgewalt in diesen Holdings, die häufig in EU-Steueroasen wie Zypern und Luxemburg registriert sind, haben einheimische Oligarchen und westliche Finanzinvestoren. Die Marktöffnung der EU verschafft den Holdings profitable Absatzmöglichkeiten direkt vor der Haustür. Wer wird da noch an den Hunger in Afrika denken?

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6 Kommentare

  1. So wurde und wird Politik betrieben, da kommen ‘unscheinbar’ ein paar Delegationen und verhandeln über Investitionen, die gezeigten ‘Zahlen’ ermutigen die sogenannten legitimierten Verantwortlichen…

    Jetzt schwenke ich zu der Marktwirtschaft und das der Markt alles ‘regelt’. Hier wird seit Jahren eine Dummheit nach der anderen Dummheit betrieben, alle nehmen diese Lügen hin, ohne auch im Ansatz zu fragen:
    Wie so etwas geschehen kann?
    Es liegt in der allgemeinen Verdummung an dem System Marktwirtschaft, da diese niemals existierte, sondern auf dessen Narrativ bestand.

    Ein gutes Beispiel liefert Peter Frey auf seinem Blog zum Thema ‘CO²’. Eine verarsche nach bester psychologischen Manipulationen, mit gelieferten Experten und ihren Halbwahrheiten!
    Die Pointe vom Artikel besteht darin, das die goldene Milliarde aus ihrem ‘narrativen Tiefschlaf’ erwacht.
    Warum hört man keine Solidarität außerhalb der goldenen Milliarde?
    Weil diese wissen, das der koloniale Status am ersaufen ist.

  2. Wir werden das kontaminierte ukrainische Getreide, nicht zu vergessen auch das verschossene abgereicherte Uran darin noch fressen müssen. Nennt sich “Ukrainehilfe”.

  3. Nun, die Getreidepreise fallen bei uns, während Getreideprodukte wie Brot und Kuchen seit zwei Jahren ihren Preis verdoppelten. Dann werden wohl die in der Verarbeitung Arbeitenden jetzt mehr als doppelt so viel verdienen? Oder die Energie, bestimmt die Energie, klar. Oder was weiß ich? Aber auf keinen Fall, dass die Handelskonzerne oder die industriellen Lebensmittelproduzenten uns ausplündern. Im Leben nicht.

    Die Meldung meiner Regierung, dass es keine belasteten Lebensmittel aus der Ukraine gibt, erinnern mich an die Versicherungen, die mir eine andere deutsche Regierung nach Tschernobyl gab: kein Problem in Sicht! Aber ich erinnere mich, dass die böse war. Und das werde ich nicht von meiner jetzigen sagen. Das ist Delegimitierung des Staates und damit verboten.

    1. Ich kann deinen Einwand verstehen, aber man sollte nicht vergessen, dass in den Jahren 2021/22 der Mindestlohn um 28% gestiegen ist. Das dürfte sich auch in den Bereichen Handel und Logistik und Lebensmittelindustrie direkt oder indirekt ausgewirkt haben. Insgesamt sind beim Lebensmittelhandel die Gewinnmargen vergleichsweise niedrig. Beim einzelnen Artikel wird teilweise mit Zehntel-Cent oder Hunderstel-Cent kalkuliert. Die Masse macht es.

      Generell gilt natürlich weder Aldi noch REWE stehen in Konkurrenz zur Heilsarmee.

  4. Wen wundert es, dass Großinvestoren sich alles unter den Nagel reißen, was Profite abwirft? Am Ende, sollten die Profite sinken, wird alles wieder verhökert. Doch dann ist es ausgepresst und wird nicht mal mehr die Beschäftigten ernähren, geschweige denn Hungernde, um die es nur in Propagandareden ging. Dann werden ukrainische Schwarzerdengebiete ähnlich verwüstet sein, wie Monokultur Zonen überall auf der Welt. Und alles nur, weil der Profit stimmen muss. Da geht man halt über Leichen für. So ist die Großinvestor-Branche gestrickt. Mit Interesse der örtlichen Bevölkerung hat das gar nichts zu tun, die hat sich gefälligst als Kanonenfutter bereitzustellen und dafür zu sorgen, dass die Macht für die Großinvestoren erhalten bleibt. Im Grunde ist es wieder ganz einfach. An die nationalistisch verseuchten Ukrainer gerichtet: Der Feind ist nicht Russland, der Feind ist auf Euren Äckern und hat diese Euch bereits geraubt. Und er wird Euch weiter Euer Leben rauben, wenn Ihr das weiter zulässt und Euch von diesen Heuschrecken weiter in den Krieg treiben lasst. Beendet den Krieg und werft die Schmarotzer aus Eurem Land.

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