Israel und die EU

Itamar Ben Gvir. Bild: CC BY-SA-3.0/ דוד דנברגאיתמר בן גביר

Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir wollte bei einem in Israel ausgerichteten Empfang der EU eine Rede halten. Die europäischen Botschafter haben sich dagegengestellt. Warum?

Die EU sollte diese Woche bei einem von ihr im Rahmen des “Europa-Tages” ausgerichteten Empfang befeiert werden. Aber die Botschafter der Mitgliedsstaaten haben beschlossen, die offizielle Zermonie abzusagen; es sollen keine Reden gehalten werden, nur das vorgesehene Kulturprogramm wird dem breiten Publikum dargeboten werden. Der Beschluss der Botschafter nahm sich drastisch aus – gemessen daran, dass er in der Sphäre der Diplomatie gefasst worden ist, darf er nachgerade als Eklat apostrophiert werden. Was war geschehen?

Nun, als israelischer Vertreter bei dem Empfang sollte Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, faschistisch-rassistischer Kahane-Anhänger, entsandt werden. Mit ihm und den Anschauungen, die er vertritt, wollten die europäischen Diplomaten nichts zu schaffen haben. Man sei nicht daran interessiert, “jemandem, dessen Werte denen der EU widersprechen, eine Bühne zu geben”, hieß es. Alle Botschafter (mit Ausnahme der polnischen und ungarischen Repräsentanten) haben sich der Teilnahme Ben-Gvirs am Empfang widersetzt. Um den Skandal nach Möglichkeit abzuwenden schlug man vor, die Veranstaltung um einige Tage zu verschieben, damit Israel Zeit habe, einen anderen Vertreter zu schicken. Man hatte schon im Vorfeld Bitten an den israelischen Premierminister gerichtet, einen anderen Vertreter zu schicken, um die sich anbahnende diplomatische Krise zu vermeiden.

Aber Netanjahu hielt sich bedeckt. Es war klar, dass er seinen Polizeiminister nicht zwingen kann, auf die Teilnahme am Event zu verzichten. Und dieser insistierte darauf, beim Empfang zu erscheinen und bei dieser Gelegenheit sogar eine Rede zu halten. Ben-Gvir selbst reagierte auch auf die seitens der EU getroffenen Maßnahmen mit den Worten: “Schade, dass die Europäische Union, die vorgibt, die Werte der Demokratie und des Multikulturalismus zu vertreten, ein undiplomatisches Ewdwverbot praktiziert. Freunde sind auch imstande, Kritik zu äußern, und wahre Freunde sind imstande, eine solche zu hören.”

Es ist nichts als purer Zynismus, wenn ein Ben-Gvir von Demokratie und kultureller Toleranz redet. Man möchte nachgerade in Lachen ausbrechen bei solchem “aufgeklärten” Geschwafel aus dem Mundes diese Mannes. Was bedeutet also diese Burleske? Wie hat man es zu verstehen, dass ein so erfahrener Politiker wie Benjamin Netanjahu, der sich im Bereich der Diplomatie stets gewandt zu bewegen verstand, es zulassen konnte, dass eine dermaßen fehlgeleitet und provokant anmutende Entscheidung gefällt bzw. goutiert werde?

Die praktische Antwort darauf ist denkbar trivial: Er hat keine andere Wahl. Netanjahu ist von seinen Koalitionspartnern vollkommen abhängig; nahezu jeder von ihnen vermag seine Regierung zu Fall zu bringen. Und da er sich bewusst entschieden hatte, diese rechtsradikale Koalition zu bilden, war von Anbeginn klar, dass er erpressbar wird und durch seine “natürlichen Verbündeten” permanent eingeschüchtert werden kann. Denn Netanjahu – das darf man nicht vergessen – geht es in allererster Linie darum, seine eigenen Interessen im gegen ihn laufenden Korruptionsprozess zu verfolgen, mithin seine eigenen Belange über die der staatlichen Raison zu stellen. Das hat ihn ja zur “Justizreform” bewegt, die Israel in ein unbeschreibliches Chaos gestürzt hat; das war auch der Grund für seine Bereitschaft, seine (in den USA geschulte) rechtsliberale Gesinnung zugunsten der Verbindung mit den ihn dominierenden Klerikalfaschisten zu “verraten”.

Was nun Itamar Ben-Gvir anbelangt, darf man sich über nichts wundern. Die israelische Presse pflegt ihn zuweilen als “Flegel” zu titulieren. Von selbst versteht sich, dass man keinen Flegel zum Regierungsmitglied, gar zum Minister, erheben sollte. Aber Ben-Gvir ist mehr als nur ein Flegel – er ist ein rassistischer Faschist, der seinen ideologischen Ziehvater Meir Kahane, der seinerzeit wegen seiner nazistisch sich ausnehmenden Ideologie aus der Knesset ausgestoßen wurde, bis zum heutigen Tag verehrt. Er ist darüber hinaus als Polizeiminister mit einer Macht ausgestattet, die viel zivilgesellschaftliches Unheil anrichten könnte (und bereits anrichtet, wenn man bedenkt, wie wenig die Bekämpfung der mörderischen Kriminalität in den arabischen Lebenswelten Israels gerade unter ihm praktiziert wird; er gehört gewiss zu jenen Juden in Israel, die denken, dass sich die Araber ruhig gegenseitig töten sollen – “was geht uns das an?”).

Wenn es nach ihm ginge, würde die Gewalt im Westjordanland wieder eskalieren, damit Israel endlich wieder zuschlagen und gegebenenfalls “kurzen Prozess” machen kann. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Unverfrorenheit er, der nicht in der Armee gedient hat, sich herausnimmt, Belange der militärischen Sicherheit und der gewaltgestählten “Regierbarkeit” öffentlich parolenhaft herauszuposaunen. Er ist gewiss ein Schwätzer, aber ein gefährlicher Schwätzer. Er benimmt sich flegelhaft, aber das Flegelhafte ist nicht das Bedrohliche an ihm. Vor allem aber manifestiert sich in seiner Person ein getreues Abbild dessen, was die politische Herrschaft im heutigen Israel ausmacht.

Gewiss, er wird von Israels parlamentarischer, vor allem aber außerparlamentarischer Opposition verachtet, zuweilen auch “lächerlich” gemacht. Man darf aber nicht vergessen: Durch seine Nominierung zum Minister ist der Kahanismus in Israel wieder legitimiert worden. Das ehemals Aussätzige ist zum normalen Fundus der israelischen Politik avanciert. Er ist nicht nur aus Gründen des politischen Zwangs als Vertreter Israels bei der EU-Feier eingesetzt worden, sondern nicht minder auch deshalb, weil Ben-Gvir inzwischen einen integralen Bestandteil des politisch Akzeptablen in Israel darstellt.

Es ist zu begrüßen, dass die EU sich rigoros gegen Ben-Gvirs Auftritt beim Empfang gestellt hat. In Israel gilt es schon seit Jahren als Erbteil der Linken, sich den Druck “von außen” gegen Israels Politik herbeizuwünschen. So besehen, war es erfrischend (und durchaus auch von einer gewissen Schadenfreude durchwirkt), diesen demonstrativen Akt der europäischen Diplomatie erleben zu dürfen.

Eine Frage sei gleichwohl gestattet: Wenn nicht Itamar Ben-Gvir als Vertreter Israels bei der EU-Feier eingesetzt worden wäre, sondern ein Regierungspolitiker mit moderateren Anschauungen – in welcher Hinsicht wäre das offizielle Israel samt seiner ungestört betriebenen Okkupationsbarbarei mit den vorgeblichen Werten der EU vereinbar gewesen? Und wenn die Besatzungsrealität den EU-Werten nicht widerspricht, ist es nicht ein lediglich gradueller Unterschied, ob Ben-Gvir oder ein geschliffener Diplomat Israel beim EU-Festtag vertritt?

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18 Kommentare

  1. Verstehe ich das jetzt richtig, das die EU Administration eine Veranstaltung in Israel macht und darüber entscheidet welcher Regierungsvertreter der israelischen Regierung daran teilnehmen darf?
    Ernsthaft? Könnte von Frau Baerbock stammen, diese Idee.

    1. Der Punkt des Autors ist eigentlich eher, dass die EU scheint’s mit der Besatzungspolitik kein Problem hat, aber Leute nicht auftreten sehen möchte, die zu offenherzig in dieser Mentalität sprechen.

      Typischer Effekt von Haltungspolitik. Man darf Schlimmes tun und auch zulassen, muss dabei aber wegsehen bzw. darf nicht offen darüber reden.

      Um die israelische Regierung dann nicht komisch aussehen zu lassen, darf einfach niemand reden.

      Das kam vermutlich unvorhergesehen. Ich denke auch eher, dass bei zukünftigen Europa-Tagen das ganze womöglich nur stattfinden darf, wenn es nach dem Gusto der Regierungsmitglieder läuft.

  2. Keine Frage, dass das ein Faschist ist, aber was stört die EU daran?

    Wer vom Banderismus nicht reden will, möge vom Kahanismus schweigen. Meine besten Wünsche sind bei den Israelis, die den rechtsextremen Alptraum beenden wollen, ungeachtet der Blindheit vieler gegenüber den Kernursachen wie der die politische Kultur vergiftenden Okkupation. Aber die EU, die ein brutal gewalttätiges, repressives und kriminelles Regime in Kiew mit allen Mitteln unterstützt, ist die letzte Institution, die sich moralisch über die ihnen geistesverwandten Kahanisten aufregen kann.

    1. Da haben Sie Recht. Andererseits, und da kann man von diesem Minister halten was man will, über die Teilnahme von wem auch immer, und erst recht einem Regierungsmitglied, in Israel, entscheidet mit Sicherheit nicht die EU.
      Wie moralisch diese EU Truppe ist kann man in der UA besichtigen, und wie integer sie ist kann man an VdL, Borell, Michel beobachten. Die EU verspielt für mich gerade jegliche moralische Legitimation von irgendjemandem etwas zu fordern.

      1. Da stimme ich aus vollem Herzen zu. Es ist die Unverschämtheit des gesamten wertewestlichen Packs, als übergeordnete Instanz zu posieren. Über Neger, Gelbe und Russen sowieso, und Juden aus Gewohnheit.

    2. Richtig A²!!
      Der letzte Schrei von AM der brdgmbh zu Südafrika
      „If someone were to supply weapons to the aggressor, it would be the opposite of ending the war,” Baerbock said, referring to the Russia-Ukraine conflict.“

    3. Moral ist in den Himmel unerreichbarer Transzendentalien projezierter Schatten menschlicher Umgangsformen.
      Es ist bürgerliche Weltsicht; daher unfähig die Wirklichkeit zu begreifen.
      Der Marxist guckt auf Interessen.
      Döland protegiert auswärtigen Faschismus weil es sich Vorteile ausrechnet. 1) Welche? 2)Stimmt das?

      Werte sind von der Ökonomie in die politische Philosophie eingewanderte Migranten (ca 1800). Wer Werte sagt will betrügen.
      Faschismus ist nicht deswegen falsch weil Schlimmes passieret sondern weil er antisoziale Weltsicht hat.
      Banderisten wie Kahanisten wähnen sich als bessere Menschen die den Planeten (und uns) erlösen.
      ZB durch Ausrotten der Gegner.

      1. „Banderisten wie Kahanisten wähnen sich als bessere Menschen die den Planeten (und uns) erlösen.
        ZB durch Ausrotten der Gegner.“
        Das unterscheidet sie nicht von US-, NATO- und EU-Exzeptionalisten und Neocons.

        1. Schön wenn Sie es erkannt haben. Leider macht das eine Unrecht das andere nicht besser.
          Es hat was mit Staat machen zu tun und Geldvermehrung als Selbstzweck.
          Letztlich mit Affen die ihre eigene Horde zur Krönung des Affentums erhöhen.
          Idealisten haben Werte, Religioten haben Götter.
          Das Privateigentum trennt Habende von Nichthabenden. Es ist über die Sache vermitteltes Verhältnis zwischen Menschen. Das Kapital will die alleinige Weltherrschaft.
          Eine Weltsicht ist Filter zwischen Welt und Modell.
          Treibt Neocons ein Trieb im Inneren oder sind sie Diener eines Äußeren?

  3. Eine EU, die bedingungslos die islamische Migration fördert und fordert, hat natürlich Schwierigkeiten mit einem Juden, der (soweit aus dem Text ersichtlich) vermutlich mit diesem Vorgehensmodell hadert.

    Amüsant an der Stelle der Bericht aus der FAZ, „Muslime fordern Wahlrecht für Bremer ohne deutschen Pass“, 11.05.2023, 13:49

    Also, viel Erfolg und viel Spaß.

    1. Das ist doch Dummschwatz und Pegidahetze. Wenn in den letzten Jahren mehr Flüchtlinge und sonstige Migranten aus islamischen Ländern gekommen sind, lag das an den Aggresssionskriegen und dem Sanktionsterror gegen diese Länder, nicht am Glauben ihrer Einwohner. Gerade aus Syrien und Libanon kamen auch nicht wenige Christen, ebenso aus Schwarzafrika.

      Derzeit kommen die meisten und überdies heftig privilegierten Migranten aus der Ukraine.

    2. Ahem, es geht in obigem Artikel aber mit keinem Wort um Moslems. Vielleicht sollten Sie ihn wirklich behutsam lesen und nicht von vornweg lospoltern, dass andere Leute noch viel schlimmer sind. Das ändert nämlich nichts an der Tatsache, dass der geschilderte Typ ein äußerst unangenehmer Zeitgenosse ist.

    3. Es ist Ihnen aber klar, dass, wenn die Ideologie von Ben-Gvir und seiner Gesinnungsfreunde politische Praxis wird, die Migration von Muslimen (und auch von Christen) aus dem Nahen Osten deutlich zunehmen wird? Es könnte sogar wieder einen grossen Krieg geben, schliesslich erstreckt sich das „biblische Israel“ bis zum Euphrat….

  4. Das Projekt Israel mit einer „Religion aus unterschiedlichen Herkunftsländer“ offenbart, das dieses Projekt gescheitert ist. Die Initiatoren dessen beweisen das auch in ihren Heimatländer, das diese ‚Ideologie‘ am Ende ist.
    Diese angeblich legitimierte EU wird selbst von sehr fragwürdigen Darstellern repräsentiert und diese fordern etwas von anderen… Herr Gott lass Hirn regnen…

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