500 Milliarden von Putin für katalanische Unabhängigkeitsbewegung?

Carles Puigdemont bei der Erklärung, den Unabhängigkeitsprozess auszusetzen, am 10. Oktober 2017 im katalonischen Parlament. Bild: Generalitat de Catalunya

Angeblich soll Russland der katalanischen Regierung unter Carles Puigdemont viel Geld zur Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen von Spanien angeboten haben, um über Katalonien als „Trojanisches Pferd“ die gesamte EU zu destabilisieren. Auch die alte absurde Geschichte, wonach Putin 10.000 Soldaten zur Unterstützung habe beisteuern wollen, wird neu aufgekocht. Deutsche Medien spielen bei der Posse eine bedeutsame Rolle.

„Putins europäische Hintertür?“ titelte die „Tagesschau“ am Montag in Bezug auf „katalanische Separatisten“. Beschworen wurden „neue Ermittlungen“, die angeblich (wieder einmal) die „engen Kontakte der katalanischen Separatisten zu Moskau“ zeigen sollen. Man bezieht sich auf „eine Gerichtsakte“, die „dem SWR und internationalen Partnern“ vorliege. Auch der „Focus“ greift das Thema auf und fragt zunächst. ob es sich um ein „Trojanisches Pferd“ von Putin handelt, um dann schon im Titel Katalonien ins „Zentrum russischer Machenschaften“ zu rücken.

Mit dem internationalen Partner ist unter anderem die Zeitung El Periódico gemeint, die Anschuldigungen gegen die ehemalige katalanische Regierung unter Carles Puigdemont (wieder einmal) groß herausstellt. Getitelt wird, dass ein Richter die „Ermittlungen gegen eine russische Verschwörung“ im Unabhängigkeitsprozess im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums von 2017 vorantreibe. Die demokratische Abstimmung hatte Spanien bekanntlich mit einer „militärähnlichen Operation“ zu unterdrücken versucht, wie auch internationale Beobachter resümiert hatten.

Gemeint ist mit dem Richter der Ermittlungsrichter Joaquín Aguirre, der nach Angaben der Tagesschau in seinem „neuen Ermittlungsbericht“ detailliert darlege, „wie eng die Kontakte zwischen Moskau und den Separatisten“ gewesen sein sollen. Er will „neue Erkenntnisse zu Verbindungen“ zwischen „Personen russischer, deutscher und italienischer Nationalität“ haben, von denen „einige diplomatische Posten innehatten“. Aguirre durfte sich sogar am späten Montag in den Tagesthemen selbst äußern und vom „direkten russischen Einfluss auf den Prozess der Unabhängigkeit Kataloniens“ sprechen. Es sei darum gegangen, zunächst die „spanische Demokratie zu destabilisieren, um dann eine Hintertüre zu öffnen, um alle liberalen Demokratien des westlichen Europas zu infiltrieren“, trägt er dick auf. Die Recherchen sollen den Verdacht „stützen“, wird in dem Beitrag behauptet.

Es wird darin allerdings sofort so krude, dass man sich ernsthaft fragen darf, ob da irgendetwas recherchiert wurde oder ob einfach spanische Vorwürfe veröffentlicht wurden. In den Tagesthemen wird von „Chatprotokollen“ aus dem angeblichen „inneren Zirkel“ des damaligen katalanischen Carles Puigdemont gesprochen. Es fällt schon auf, dass niemand benannt wird. In den Chats komme der „Wille zum Ausdruck“, dass „die Separatisten mit Geld aus Russland ein spanisch-französisches Pipeline-Projekt stoppen wollten, das Europa unabhängiger von russischem Gas machen sollte“. Resümiert wird: „Spanien sollte in die Knie gezwungen werden.“

Warum wurde die geplante Erdgasleitung von Spanien nach Frankreich gestoppt?

Gemeint ist, wie auch die Tageschau schon berichtet hatte, „die geplante Erdgasleitung von Spanien nach Frankreich (MIDCAT)“. Was im Beitrag angeführt wird, ist aber so hanebüchener Unfug, dass einem die Haare zu Berge stehen. Bestenfalls hätte sich Spanien über MIDCAT selbst in die Knie gezwungen. Das einst von der EU als „prioritär“ eingestufte Projekt, eine Pipeline über die Pyrenäen zu bauen, war 2013 zwischen Spanien und Frankreich vereinbart worden. Allerdings wurde das Projekt 2019 von Spanien und Frankreich beerdigt, nachdem es schon 2017 in Madrid und Paris auf Eis gelegt worden war. Das hätten die Journalisten sogar im eigenen Archiv der Tagesschau nachlesen können. Da steht: „In Spanien ist die Röhre bis Hostalric 106 Kilometer südlich der Grenze fertig, in Frankreich fehlen etwa 120 Kilometer. Das Projekt war 2017 wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit abgebrochen worden.“

Eine halbe Milliarde Euro war aber schon in dem unsinnigen Projekt versenkt worden, doch weder wurde die Röhre weiter bis zur Grenze, noch der Anschluss über den „South Transit Eastern Pyrenees“ (STEP) ans französische Netz in Barbaira verlegt. Aber nicht Putin oder „Separatisten“ in Katalonien hatten für das Ende des Projekts gesorgt, sondern spanische und französische Genehmigungsbehörden. Das ist allseits bekannt, und das hatte auch die ARD berichtet. Die Behörden hatten mit einer mangelnden Notwendigkeit bei gleichzeitig hohen Kosten für ein Projekt argumentiert.

Erst mit dem Krieg in der Ukraine wurde wieder über das Projekt debattiert. Die Debatte war aus Deutschland angeschoben worden. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte plötzlich erklärt: „Die Pipeline würde einen massiven Beitrag zur Entspannung der Versorgungslage leisten.” Das war allerdings auch Humbug, denn die Kapazität der Röhre wäre so klein gewesen, dass sich Aufwand und Kosten im Verhältnis zum Ertrag und den ökologische Schäden wahrlich nicht gelohnt hätten. Nur die bescheidene Kapazität von 7,5 Milliarden Kubikmeter Gas sollten pro Jahr durch die Pipeline fließen. Nord Stream 1 transportierte jährlich 55 Milliarden Kubikmeter. Der französische Präsident Emmanuel Macron fürchtete zudem den starken Widerstand gegen das Projekt in Frankreich und sagte deshalb: „Wir brauchen keine neuen Gasverbindungen in Europa.“ Er hatte sogar in Bezug auf Spanien Recht, da die bestehenden Pipelines nicht einmal annähernd ausgelastet waren

Schließlich hatte man sich später auf ein größeres Projekt geeinigt, das angeblich für Wasserstoff geeignet sein soll. Die geplante Pipeline soll nun H2Med heißen. Sie soll unter dem Mittelmeer Barcelona und Marseille verlaufen. https://www.telepolis.de/features/Wasserstoff-Pipeline-H2Med-Etikettenschwindel-7373248.html Dabei ist durchsichtig, dass es auch dabei um Flüssiggas geht, das mit Schiffen angeliefert wird. Wie über MIDCAT soll darüber die größte Regasifizierungsanlage Europas mit dem europäischen Gasnetz verbunden werden, die im Hafen in der katalanischen Metropole Barcelona steht.

Was die angebliche Steigerung der Unabhängigkeit vom russischen Gas angeht, hat man es auch mit einem schlechten Witz zu tun. Denn die wurde über die absurde spanischen Politik gegenüber Algerien sogar noch verstärkt. Denn der einstige Gas-Hauptlieferant Spaniens hat seine Liefermengen deutlich reduziert, zwischenzeitlich sogar gedroht, Spanien den Gashahn ganz abzudrehen. Das Land hatte sich voll auf die Seite des Konkurrenten Marokko und dessen Annektierungsplänen in der Westsahara gestellt.

Dazu ist auch bekannt, das wurde auf Overton auch schon herausgearbeitet, dass es Europa bisher jedenfalls nicht darum ging, die Abhängigkeit von Russland-Gas zu beenden. Die EU ist inzwischen größter Abnehmer von russischem Flüssiggas (LNG). Mehr als die Hälfte des gesamten russischen LNG wird von der EU importiert. Und weil Madrid es sich mit Algerien verscherzt hat, steht Spanien weltweit hinter China auf dem zweiten Rang als Abnehmer des russischen LNG.

Ein unabhängiges Katalonien sollte angeblich nach russischen Plänen „eine digitale Steueroase für Kryptowährungen“

Dieser Ausflug zeigt, wie hanebüchen die benutzte Argumentation ist, die keiner Plausibilitätsprüfung standhält. Aber es geht noch besser. Da wird doch tatsächlich behauptet, Russland habe die Katalanen mit „500 Milliarden US-Dollar“ in ihrem Unabhängigkeitskampf unterstützen wollen. Bezogen wird sich auf ein Dokument, das „Nikolay Sadovnikov, ein Agent des russischen Außenministeriums“, den Beratern von Puigdemont als „als Sicherheit“ übergeben haben soll. Im Bild zeigt die Zeitung „El Debate“ einen angeblichen Schuldschein über diesen Betrag mit dem Briefkopf der Schweizer Großbank UBS. Sie bezieht sich ebenfalls auf den Richter Aguirre und dazu auf die paramilitärische Guardia Civil, die seit Jahren im Rahmen der Operation “Volhov” (Wolchow) ermittelt. Sie ist schon mit dem Namen ins Fettnäpfchen getreten und zeigte damit, wo man sie politisch verorten darf. Sie bezieht sich nämlich auf die Nazi-Geschichte. Es geht um die Schlacht der faschistischen deutschen Truppen in Russland, an der spanische Unterstützer der „Blauen Division” beteiligt waren, die der Diktator Franco beigesteuert hatte.

Doch sogar El Debate weist auf die „extrem schlechte Druckqualität“ des Dokuments hin, auf die „stratosphärisch“ hohe Summe und auf Fehler in der Rechtschreibung und Grammatik. Mit Bezug auf die Ermittler schreibt sogar diese Zeitung, dass man es vermutlich mit einem „gefälschten Dokument“ zu tun habe. Es dürfte sich um einen „Schuldschein ohne jegliche Geldmittel“ gehandelt haben, wird erklärt. Doch statt die ganzen Vorwürfe angesichts dieser Fakten zu hinterfragen, wird fabuliert, es handele sich um „eine Täuschung, die Puigdemont dazu dienen sollte“, eine von dem angeblichen russischen Abgesandten auferlegte Bedingung zu erfüllen. Demnach soll ein unabhängiges Katalonien, was auch die Tagesschau angeführt hat, „eine digitale Steueroase für Kryptowährungen“ werden.

Das klingt genauso an den Haaren herbeigezogen, wie die 10.000 Soldaten, die Russland angeblich habe nach Katalonien schicken wollen. Das wurde schon vor vier Jahren in die internationale Öffentlichkeit geworfen. Beweise wurden dafür nie vorgelegt, aber die Diskreditierung darüber vorangetrieben. Der deutlichste Hinweis, dass es sich dabei mit größter Wahrscheinlichkeit um eine reine Erfindung handelt, ist die Realität: Kein einziger Soldat ist in den Unabhängigkeitsbestrebungen aufgetaucht, kein Schuss ist gefallen, keine Bombe wurde gezündet.

Nach sieben Ermittlungsjahren und Prozessen, in denen Politiker und Aktivisten schon wegen einem angeblichen Aufstand zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden, Puigdemont und andere noch immer im Exil sind, sollte man auch davon ausgehen können, dass die Geldflüsse ausgiebig untersucht wurden. Im großen Prozess gegen die Katalanen tauchte von Geld aus Russland jedenfalls auch nicht auf.

„Schmutziger Krieg“ gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung

Die Frage ist auch, wer hier vermutlich ein Dokument gefälscht hat. Bekannt ist, dass der „internationale Partner“ des SWR schon mit Fälschungen aufgefallen ist. So hatte El Periódico 2017 eine Fake-Warnung angeblich des US-Geheimdienstes CIA abgedruckt, die ebenfalls große Fehler aufwies, wie der Wikileaks-Gründer Julian Assange deutlich gemacht hatte. Behauptet worden war, der CIA habe vor Anschlägen gewarnt. Schon vor dem Referendum 2017 sollte damit die katalanische Regierung unter Puigdemont in Misskredit gebracht werden. Anschläge fanden auch statt, doch bekannt sind darin die Verwicklungen spanischer Geheimdienste. Jede wirkliche Untersuchung wurde bisher erfolgreich verhindert.

Der Ex-Polizeikommissars José Manuel Villarejo, Drahtzieher in den „Kloaken“, hatte zu den Anschlägen kurz vor dem Referendum 2017 erklärt, das man “Katalonien einen Schrecken einjagen” wollte. Es gab 16 Todesopfer gab. Nun fällt auf, dass der Nationale Gerichtshof schon die Beweise vernichten will, womit eine wirkliche Aufklärung vollständig unmöglich gemacht würde. Das wollen die Opfer der Anschläge verhindern, die weiter eine unabhängige und internationale Aufklärung fordern.

Doch zurück zur „Russland-Verschwörung“. Es ist bekannt, dass in spanischen „Kloaken“, wie der tiefe Staat hier genannt wird, gerne schwere falsche Anschuldigungen gegen Katalanen und politische Gegner wie die spanische Linkspartei Podemos produziert werden. Vorwürfe reichten von Korruption bis zur illegalen Finanzierung. Auch „Star-Journalisten“ spielten dabei eine entscheidende Rolle, die den Dreck aus den Kloaken in die Öffentlichkeit spülen, obwohl sie zum Teil genau wussten, dass es sich dabei um Erfindungen handelte, wie gegen den ehemaligen Podemos-Chef Pablo Iglesias.

Erst kürzlich wurden wieder zahlreiche Dokumente über die Schmutzkampagne veröffentlicht, die im Rahmen der „Operación Catalunya“ ans Licht kamen. Die wurde aus dem spanischen Innenministerium geführt. Sogar spanische Medien sprechen dabei von einem „schmutzigen Krieg“ gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Der ehemalige rechte Innenminister Jorge Fernández Díaz muss sich schon vor Gericht für die Vorgänge verantworten und nun wird auch gegen den Oberstaatsanwalt in Katalonien Martín Rodríguez Soler ermittelt.

Dieser kleine Ausflug zeigt, wie in Spanien gerne mit reinen Erfindungen hantiert und angeklagt wird, um Gegner zu diskreditieren oder auch hinter Gitter zu bringen. Die neuen Vorwürfe von angeblichen Verbindungen der Puigdemont-Regierung zu Russland oder sogar zu Rechtsextremen stinken sehr nach den Kloaken. So spricht Josep Lluis Alay davon, dass der Richter einen „Phantasiefall“ schaffe. Der Mann weiß, von was er spricht. Der Büroleiter von Puigdemont in Barcelona war schon wegen angeblicher Russland-Verbindungen sogar zu einem Agenten des russischen Geheimdienstes gestempelt worden.

In einem Interview mit dem Autor stellte er heraus, woher die abstrusen Anschuldigungen kamen. Auf seinem Handy hatte die Guardia Civil ein von ihm verfasstes Dokument gefunden, dass seine Beziehungen zu russischen Geheimdiensten wie dem SFB belegen sollten. Tatsächlich handelte es sich aber um die Übersetzung eines Buchs über ein russisches Spionagepaar, das 20 Jahre lang in den USA lebte und sich als amerikanische Staatsbürger ausgab. „Die Geschichte ist so bekannt, dass sechs Staffeln einer US-Fernsehserie darüber liefen“, erklärte er im Interview. Man bezog sich aufdie erste Seite meiner Übersetzung!“ fügte er an. Das sollte der „Beweis“ sein, „dass ich ein SFB-Agent bin, ein Agent Putins also“. Für ihn war das „absolut lächerlich“. Tatsächlich wurde das Verfahren zu dieser Frage gegen ihn eingestellt, wie sogar die große Tageszeitung El País berichtete.

Alay mit angeblichen Geheimbericht. Es ging um die erste Seite eines übersetzten bekannten Romans. Bild: Ralf Streck

Im Hintergrund geht es um das Amnestiegesetz für Katalanen

Doch der „juristische Krieg“ (lawfare), wie auch hochrangige Juristen in Spanien das Vorgehen nennen, geht allerdings auch gegen ihn weiter. Doch es bleibt immer etwas hängen und dieser Vorgang schwebt im Hintergrund der neuen phantasievollen Anschuldigungen über die angebliche Russland-Verschwörung und auch die Vorgehensweise ähnelt der gegen Alay sehr. Für den ist auch erstaunlich, dass sich ein Richter in einem solchen Verfahren öffentlich im Fernsehen auftritt, weshalb die Verteidigung schon angekündigt hat, einen Befangenheitsantrag gegen den Richter zu stellen.

Es ist auch sehr durchsichtig, warum Aguirre nun einen neuen Vorwurf gegen Puigdemont aufbauen will: Hochverrat. Denn im Hintergrund steht das Amnestiegesetz für die Katalanen, wogegen die spanische Rechte, welche die Justiz dominiert, Sturm läuft und auch vor massivem Krawall nicht zurückschreckt. Die postfranquistische Volkspartei (PP) und ihr ultrarechter Partner VOX hatten am Sonntag nach Polizeiangaben erneut etwa 45.000 Menschen in Madrid mobilisiert, um gegen das Gesetz zu protestieren, über das am Dienstag im Kongress abgestimmt wurde. Wochenlang hatten sie zu Blockaden von Parteizentralen der Sozialdemokraten (PSOE) aufgerufen, bei denen es zum Teil zu Krawallen kam.

Der PP-Chef Alberto Núñez Feijóo hatte die Bevölkerung erneut aufgerufen, gegen das Gesetz und gegen die Regierung von Pedro Sánchez „zu rebellieren“. https://www.elnacional.cat/es/politica/feijoo-grita-rajoy-rebelion-psoe-junts-elogios-garcia-castellon_1151351_102.html Der Oppositionsführer forderte einen „Sturm der Würde“. Seine Partei hatte zwar die Wahlen gewonnen, aber bekam keine Mehrheit für die die Regierungsbildung, da außer VOX niemand die PP und Feijóo unterstützen wollte. https://overton-magazin.de/top-story/rechte-ultras-in-spanien-bei-regierungsbildung-gescheitert/ Er will weiter die Regierung des Sozialdemokraten stürzen, die auf viele und politisch unterschiedliche Unterstützer angewiesen ist. Ausgerechnet mit den offenen Anhängern der Franco-Diktatur will er das Land „demokratisch retten“. Die Amnestie verstoße nach Ansicht von PP und VOX gegen die Verfassung. Dabei gäbe es ohne eine Amnestie für die Verbrechen der Franco-Diktatur beide Parteien nicht. Sogar Massenmorde, Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit wurden im Übergang zur Demokratie amnestiert. Die PP war von Franco-Regierungsmitgliedern gegründet worden und VOX ist eine Rechtsabspaltung.

So bemühte Feijóo sogar einen angeblichen „Terrorismus“ der Katalanen. Mit Blick auf den lange beendeten Kampf der baskischen Untergrundorganisation ETA sagte er, Sánchez unterscheide zwischen einem „guten und schlechten Terrorismus“. Die PP-Regionalpräsidentin in Madrid Isabel Díaz Ayuso dankte ausdrücklich dem Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón für seine Vorwürfe, der das „Gesetz durchsetzen“ wolle und dafür „von der Regierung verachtet wird“. Da Terrorismus aus dem Amnestiegesetz ausgenommen worden war, kam García-Castellón gut sechs Jahre nach den Vorgängen um das Referendum plötzlich mit Terrorismusvorwürfen. Dabei ist bekannt, dass in Katalonien kein Schuss fiel, keine Bomben gezündet wurden. Massenproteste blieben, mit wenigen Ausnahmen, friedlich, anders als das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Bewegung.

Auch Terrorismus wurde den Katalanen in bisherigen Prozessen nie vorgeworfen. Sogar eine angebliche Rebellion konnte nicht bewiesen werden. Für Aufruhr-Vorwürfe sahen weder Gerichte in Deutschland, Belgien, der Schweiz oder Großbritannien Hinweise, für die katalanische Politiker und Aktivisten zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden. Auslieferungen von katalanischen Exilpolitikern, wie dem ehemaligen Regierungschef Carles Puigdemont, wurden deshalb verweigert. Belgien zweifelt zudem an einer fairen Justiz in Spanien.

Das Vorgehen dieses Richters ist genauso durchsichtig, wie das Vorgehen von Aguirre mit seinen neuen Hochverrats-Vorwürfen. Beide Tatbestände sind aus dem Amnestiegesetz ausgenommen. Da die Puigdemont-Partei „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) aber Druck macht, den erfundenen Terrorismus einzubeziehen, setzt Aguirre mit der Russland-Verschwörung und dem Hochverrat nach. Darüber soll die Rückkehr von Puigdemont aus dem Exil zu verhindert werden. García-Castellón steht der PP sehr nahe und wurde von der Partei großgemacht. Er ist bekannt dafür, Korruptionsermittlungen gegen die PP-Anführer genauso zu behindern wie Ermittlungen gegen die Kloaken.

Während Korruption den Katalanen vorgeworfen wird, ist die PP rechtskräftig wegen ihres „effizienten Systems institutioneller Korruption“ verurteilt worden. Dieser Richter war auch in konstruierte Vorwürfe gegen Podemos verwickelt. Nach Ansicht von vielen begeht der Richter Amtsmissbrauch, wie auch am Dienstag im Parlament deutlich wurde. Der ehemalige renommierte Richter am Obersten Gerichtshof José Antonio Martín Pallín spricht aus, was viele denken. García-Castellón „dürfte nicht in der spanischen Justiz tätig sein“.

Angesichts der Winkelzüge der Rechten und ihrer Richter, wollte die Puigdemont-Partei erneut Nachbesserungen am Amnestiegesetz vornehmen, bevor man ihm zustimmen könne. Letztlich haben sich die Sozialdemokraten aber verweigert, weshalb JxCat wie erwartet gegen das Amnestie-Gesetz in dieser Form gestimmt hat. Es weise „viele Löcher auf, dass der amtsmissbrauchenden Justiz“ erlaube, das Gesetz zu umgehen. Die Sprecherin im Kongress Míriam Nogueras warf Sánchez und der Sozialdemokratie zudem vor, die Repression nicht wirklich beenden zu wollen. Da die Sánchez-Partei nicht bereit war, den Änderungsanträgen zuzustimmen, wurde das Gesetz abgelehnt, das nun zurück in die Kommission geht. Es bleibt ein Monat, um eine Lösung zu finden, sonst dürfte es eng für die Sánchez-Regierung werden, die auch die JxCat-Stimmen zum Haushalt benötigt.

Erst kürzlich scheiterte ein anderes Gesetz daran, dass die von Sánchez erniedrigte und aus der Regierung geschasste Podemos ihm nicht zustimmen wollte, da darüber Renten gekürzt worden wären. Es ist klar, dass das Regieren für Sánchez in seiner Patchwork-Regierung nun viel schwieriger ist. Auch Podemos ist nicht mehr bereit, wie in vier Jahren zuvor, einfach alle Vorhaben der PSOE abzunicken. Deshalb könnte seine Regierung tatsächlich schon bald fallen, wenn es keine Lösung gibt, um den Torpedos aus der Justiz auszuweichen. JxCat hat stets klargestellt, dass es Unterstützung für Sánchez nur gibt, wenn die Abmachungen zur Regierungsbildung eingehalten werden. Dazu gehört eben die umfassende Amnestie.

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19 Kommentare

  1. “Die EU ist inzwischen größter Abnehmer von russischem Flüssiggas (LNG). Mehr als die Hälfte des gesamten russischen LNG wird von der EU importiert.”

    Und das wird auch so bleiben, da die Regierung Biden in den USA den Ausbau der Exportkapazitäten von LNG begrenzen will. Von wegen, wir befreien uns aus der Abhängigkeit von Putin dank der großartigen USA.

    Ansonsten liest sich es sich wie ein Bericht aus dem europäischen Irrenhaus unserer Eliten mit allen möglichen Schnapsideen und Wahnvorstellungen.

  2. Man könnte ja annehmen,das Staatsoberhaupt sei noch immer ein gewisser Francisco Franco.
    Zumindest der Ton und die Methoden sind gleich geblieben…

  3. Kann man sowas mit der spanischen Öffentlichkeit wirklich machen? Ich meine, in Deutschland, ja, da geht das. Pisa attestiert uns periodisch den Sinkflug unserer intellektuellen Leistungsfähigkeit bei den Schülern. Bertelsmann, Springer und das Fernsehen aller Eigentumsformen haben seit langem an der Deformation der Erwachsenen gearbeitet und das alles trägt Früchte. Aber das Maß der geistigen Erosion, dass die spanischen Presssituierten bei ihren Rezipienten erwarten, muss auch beeindruckend sein.

  4. Nun verlangt ja Spanien die Auslieferung Puigdemonts, aber weder Deutschland noch Belgien sind dieser Aufforderung nachgekommen. Sie unterstellen der spanischen Justiz also ein Fehlurteil. Da hätte man vom ARD, dem Staatsfernsehen, doch wenigstens Anflüge von Zweifel erwarten können oder wenigstens einen kritischen Satz. Die ganze Nummer ist ein einziger Quatsch, wie Herr Streck sehr überzeugend nachweist. Aber an manchen Stellen ist der Quatsch so auffällig, dass er auch weniger Informierten hätte auffallen müssen.

    Aber man brauchte offenbar unbedingt eine Story über Putin. Und man bot der spanischen Justiz die Möglichkeit, die Katalanen in Verruf zu bringen. Die spielte dann mit.

    Hier bleiben die Faktenfinder ausgeschaltet.

  5. Danke Herr Streck, für die ausführliche Beschreibung der Hintergründe dieses Bullshits, den auch die ARD-TS kritiklos, wenn auch unter Auslassung der absurdesten Details verbreitet. Mit ihrem Artikel wollte die TS wohl mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen – erstens den Erzbösewicht Putin als solchen vorzuführen, zweitens die katalanische Unabhängigkeitsbefürworter zu verunglimpfen, drittens der aktuellen spanischen Regierung einen Tritt ans Schienbein zu versetzen.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass es der TS-Redaktion nicht klar ist, dass sie da Bullshit verbreitet – aber es ist ja zu einem guten Zweck… Es ist zu beobachten, wie immer dicker aufgetragen, immer grosszügiger mit Fakten umgegangen wird. Es wird aber auch immer schwieriger die Realität mit der Politik der deutschen Regierung in Einklang zu bringen. Dazu kommt, dass gewisse Leute ein ausgeprägtes Machtgefühl entwickelt haben müssen, wenn sie sehen wie aus gleichsam regierungsamtlichen Kleindemos, einigermassen eigenständige Grossveranstaltungen werden, auf denen vage ‘gegen Rechts aufgestanden’ wird. Irgendwie ist man gegen die Rechte, spezifisch die AFD, aber nichts Konkretes weiss man nicht. Wo hat man das schon gesehen? Hunderttausende, die ohne konkrete Forderung durch die Strassen ziehen, manchmal begleitet vom einen oder anderen Regierungsmitglied. Gleichzeitig wüten Kriege in der Ukraine und in Palästina, je mit indirekter deutscher Beteiligung, wogegen die Protestierenden offenkundig nichts haben.

    Diese Unbedarftheit ermuntert die Mainstream-Redaktionen wohl, weitere Holzscheite aufzulegen und sei es eben völliger Bullshit wie im Fall der herbeifantasierten Koalition zwischen Russland und Katalonien.

  6. Ach, du Sch…..! Das ist ja noch schlechter als damals der angebliche irakische Uran-Ankauf in Niger! Und darauf fallen unsere “Qualitätsjournalisten” herein?

  7. Da hätte unser ach so unabhängiges und objektives Faktencheckportal correctiv endlich mal was zu tun, anstatt IMs heranzuzüchten, die soziale Medien nach Fakenews durchforsten sollen. Aber ich gebe zu, ich träume gerade, sie würden wirklich Fakten checken. Entschuldigt, war nur ein Gedankenexperiment. (Ironie Ende)
    P.S. Relotius lässt grüßen.

  8. Wie so etwas geht – ein Land auseinandernehmen – hat der Westen doch mit der Bundesrepublik Jugoslawien vorgeführt. Ganz demokratisch gemäß der berühmten Rules-Based-Order.

  9. Wie lächerlich sind dann die 50 Milliarden Hilfsgelder seitens der EU an die Ukraine. Bin mal gespannt darauf wann der erste EU Politiker sagt: Wussten sie nicht, das Russland uns dazu gezwungen hat?

  10. Ich kann dir Einschätzung der deutschen Medien
    als “peinlich” und “lächerlich” nicht teilen.
    das ist gefährlich und hat System.

  11. Wahnsinn, wie die Medien in D wieder einmal willfähriges,
    hochmotiviertes, stramm linientreues
    Propagandainstrument geworden sind.
    Man kann nur noch Ekel empfinden.

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