Spanische Regierung setzt auf Widersprüche im katalanischen Unabhängigkeitslager

Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez und der katalanische Präsident Pere AragonèsBild: Pool Moncloa/Borja Puig de la Bellacasa

Über die zentralen Streitpunkte, wie das Selbstbestimmungsrecht und die Amnestie, will Spanien in einem „Dialog“ mit Katalonien erst gar nicht verhandeln.

Die Katalanen haben an ihrem Nationalfeiertag (Diada) am 11. September erneut mit einer eindrücklichen Demonstration ihr Selbstbestimmungsrecht und eine Amnestie gefordert, sowie vor dem beginnenden Dialog mit Spanien auf die Einheit der politischen Parteien gedrängt.  Doch den Willen von 400.000 Menschen, der größten Demonstration in Europa seit Ausbruch der Covid-Pandemie, hat die politische Klasse in Katalonien augenscheinlich überhört. Dass der unverbindliche Dialog, der schon vor mehr als eineinhalb Jahren beginnen sollte, nun nur unter sehr schlechten Vorzeichen beginnen würde, hatte Krass & Konkret schon aufgezeigt.

Doch es kam vor dem Treffen am Mittwoch in der katalanischen Metropole Barcelona noch schlimmer, als ohnehin zu befürchten war. Dass die Widersprüche im katalanischen Unabhängigkeitslager nicht mit den Wahlen überwunden waren, bei denen sich 52 Prozent hinter ein Unabhängigkeitsprojekt gestellt haben, wurde schon benannt. Obwohl sich die Parteien doch erneut zu einer gemeinsamen Regierung zusammengerauft hatten, waren die Widersprüche nicht beseitigt. Die unterschiedlichen Vorstellungen, wie man den Zielen näherkommt, sind nun vor dem „Dialog“ wieder aufgebrochen. Von Verhandlung zur Lösung des Konflikts mit Katalonien will die selbsternannte „progressivste“ Regierung Spanien ohnehin nicht sprechen. Die Regierung unter Pedro Sánchez spricht deshalb auch nur von einem Dialog um zur „Normalität“ zurückzukehren.

Die antikapitalistische CUP sollte ohnehin nicht am Dialog teilnehmen, weil sie nicht Teil der Regierungskoalition ist. Dabei hatte sie einen großen Beitrag dazu geleistet hatte, dass die überhaupt zustande kam.  Ohne die Stimmen der linksradikalen basisorientierten Koalition hätte die Regierung ohnehin keine Mehrheit. Eine CUP-Beteiligung wäre also angesagt gewesen, um die ganze Breite des Bündnisses zu vertreten. Widersprüche brachen vor dem Dialog aber vor allem zwischen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und der Partei des katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont auf, die sich weiter auch einen Kampf um den Führungsanspruch leisten.

„Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) hält wenig von dem Dialog mit den Sozialdemokraten in Madrid. Sie setzt auch darauf, wie die Basis vergangene Woche auf den Straßen deutlich gemacht hat, Druck aufzubauen, um in einseitigen Schritten die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien zu erreichen. Trotz allem hatten CUP und JxCat dem katalanische Regierungschef Pere Aragonès (ERC) zwei Jahre Zeit eingeräumt, um den Verhandlungsweg auszuloten. Von dieser Zeit ist nun ein halbes Jahr schon nutzlos verstrichen. Der Konflikt zwischen ERC und JxCat eskaliert nun daran, dass Aragonès die Teilnehmer nicht akzeptiert hat, die JxCat in den Dialog schicken wollte.

Das hat erneut massive Gräben in der Regierungskoalition aufbrechen lassen und sogar im ERC-Lager für Empörung gesorgt. Die ehemalige ERC-Abgeordnete Pilar Rahola hält den Vorgang für „unerklärlich“. Für die bekannte Journalistin ist diese Ablehnung „nicht zu rechtfertigen“.  Auch sie geht davon aus, dass der Dialog zu nichts führt und nur die „Dominanz“ aus den letzten 300 Jahren fortschreiben soll. Aragonès hatte die Ablehnung damit begründet, dass drei der vier JxCat-Kandidaten keine Mitglieder der Regierung seien. Man wolle aber einen Dialog zwischen der katalanischen und spanischen Regierung führen, meinte er. Denn Aragonès und seine ERC versuchen den Dialog, der nach den Vereinbarungen mit den Sozialdemokraten längst in einer fortgeschrittenen Phase sein sollte, gegenüber der Basis als eine Art Verhandlung zur Konfliktlösung auf Augenhöhe zu verkaufen. Dafür hatte die ERC den spanischen Regierungschef Sánchez auf den Regierungssessel gehoben und stützt ihn nun schon seit mehr als eineinhalb Jahre, obwohl er auf politischer und sozialer Ebene kaum Zugeständnisse macht.

Es war aber Pedro Sánchez, der als Regierungschef für seine angebliche Teilnahme an dem Dialog ein Veto gegen den ehemaligen Regierungssprecher und Mitglied der Puigdemont-Regierung Jordi Turull und gegen Jordi Sànchez, den ehemaligen Präsidenten der großen zivilgesellschaftlichen Organisation Katalanischer Nationalkongress (ANC), eingelegt hatte. Es ist der ANC, der federführend hinter den großen Demonstrationen steht. Der spanische Regierungschef wollte nicht auf Bildern mit ehemaligen politischen Gefangenen zusammenkommen, die er auf massiven nationalen und internationalen Druck „begnadigen“ musste, was aber nur eine Erlassung der Reststrafe auf Bewährung ist.

Unverbindlichkeit als Programm

Tatsächlich nahm er am Dialog nicht teil, dem auch JxCat wegen des Vetos gegen seine Delegation fernblieb. Letztlich hat der spanische Regierungschef die Verhandlungsdelegationen nur begrüßt, sich aber vor dem Treffen bilateral mit Aragonès getroffen. Er setzte sich dann aber ab, um sich mit seinem ehemaligen Gesundheitsminister und Präsidentschaftskandidaten bei den vergangenen katalanischen Wahlen in einem Café zu unterhalten, statt den Dialog anzuführen.  Er überließ die unverbindlichen Gespräche, die damit auch kein Dialog auf Augenhöhe waren, seiner Abordnung.

Die Ergebnisse sind entsprechend ernüchternd. Unverbindlicher hätte das Treffen kaum auseinandergehen können. Festgestellt wurde danach gemeinsam nur, dass man bei den Positionen „sehr weit auseinander“ liegt. Man blieb sogar so unverbindlich, dass keinerlei weitere Vereinbarungen getroffen wurden, weder über inhaltliche Punkte, nicht einmal ein Zeitrahmen wurde gesetzt, stellt auch die spanische Internet-Zeitung eldiaro.es fest.  Es wurde nicht einmal vereinbart, wann das nächste Treffen stattfinden soll. Vor Weihnachten hofft man in der ERC.

Da war sogar das erste Dialog-Treffen im Februar 2020 noch ergiebiger. Damals saß tatsächlich der spanische Regierungschef Sánchez mit dem damaligen Regierungschef Quim Torra zum Gespräch an einem Tisch. Dabei wurde zudem vereinbart, sich in Zukunft monatlich zu treffen, um über die strittigen Fragen kontinuierlich debattieren zu können.  Das geschah dann aber nie. Der Sozialdemokrat Sánchez führte dafür stets die Covid-Pandemie an. Nun wolle man „ohne Eile. aber ohne Pause“ und damit ohne jeden Zeitplan debattieren. Das richte sich auch gegen die Vereinbarungen, welche die ERC der CUP und JxCat geschlossen hatte.

Sánchez hat dagegen gleich rote Linien vor den zentralen Fragen eingezogen hat, über welche die Katalanen vor allem sprechen wollen: der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, wozu ein verbindliches Referendum nach Vorbild Schottlands vereinbart werden soll, und ein Ende der Repression über eine Amnestie, um die mehr als 3000 noch laufenden Strafverfahren zu beenden, wie es der Europarat auch gefordert hatte. „Weder ein Referendum noch eine Amnestie sind für uns möglich“, erklärte Sánchez.  Beides sei von seiner Regierung auch nicht gewollt, „weil die Gesellschaft nicht noch mehr Risse und Brüche erleiden“ dürfe.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob es keine Risse und Brüche erzeugt, wenn gleichzeitig mit dem Treffen in Barcelona der frühere Parlamentspräsident wegen „Ungehorsam“ vor den Obersten Gerichtshof gezerrt wird, der ebenfalls für die ERC am Dialog teilnimmt, weil er Debatten im Parlament zugelassen hat.  Dass man weiter die Terrorismuskeule gegen 13 Mitglieder der Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) schwingt und sie dafür vor ein Madrider Sondergericht stellt, gehört offenbar für Sánchez auch nicht in diese Kategorie. Bekannt ist, dass die Anschuldigungen hanebüchen sind.  Mit dem Ministerium für Staatsanwaltschaft legt die Regierung auch gegen zwei Freisprüche der CDR-Aktivistin Tamara Carrasco Widerspruch ein, der ursprünglich wegen Autobahnblockaden auch Terrorismus vorgeworfen worden war.

Entspannung und Dialog sehen wahrlich anders aus. Es sieht auch angesichts der roten Linien nicht danach aus, dass Sánchez wirklich etwas verhandeln will. Unklar ist, welche Abkommen er schließen will, denn davon zeigte er sich überzeugt. Damit kann er bestenfalls einige Zugeständnisse bei Autonomierechten oder Finanzierung meinen. Dagegen ist klar, dass er auf Zeit zu schinden versucht, um möglichst lange an der Macht zu bleiben. Schließlich ist seine Regierung auf die Stimmen der ERC in Madrid angewiesen, um wichtige Gesetze oder seinen nächsten Haushalt durch das Parlament zu bringen. Die ERC braucht ihrerseits, um Aragonès ebenfalls so lange wie möglich auf dem Präsidentensessel zu halten, den Dialog. Dabei hat Sánchez das Ziel schon ausgeschlossen, dass sich Aragonès mit einem Referendum gesetzt hat.

Als wichtiger Nebeneffekt erreicht Madrid darüber aber die Spaltung und die Schwächung der Bewegung. Es müssen wohl die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Bewegungen sein, die in Katalonien wieder das Heft in die Hand nehmen, um ihre politischen Vertreter dazu zu bringen, den unsinnigen Machtkampf aufzugeben und sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Das ist schon als Plan B sinnvoll, falls wie erwartet die Verhandlungen scheitern, beziehungsweise als Druckmittel, um darin vielleicht doch etwas Substanzielles herauszuholen.

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