„Sie können entscheiden, in wie vielen Zügen sie Schachmatt sind“

Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Screenshot von der heutigen Liveübertragung

Obwohl das Europaparlaments die Immunität des katalanischen Exilpräsidenten Puigdemont aufgehoben hat, werde es nie zu einer Auslieferung kommen, ist dessen Verteidiger überzeugt

Im Europaparlament sind viele davon überzeugt, dass der spanische Nationalismus nur eine Schlacht gewonnen hat, aber insgesamt verlieren wird. „Sie können entscheiden, in wie vielen Zügen sie Schachmatt sind“, erklärte der Puigdemont-Anwalt Gonzalo Boye selbstbewusst. Er ist davon überzeugt, dass der katalanische Exilpräsident Carles Puigdemont und seine beiden ehemaligen Minister Clara Ponsatí und Toni Comín niemals aus dem belgischen Exil an Spanien ausgeliefert werden. Darauf hofft aber die spanische Regierung, da das Europaparlament dem spanischen Antrag zugestimmt hat, den drei Katalanen die Immunität zu entziehen.

Das Ergebnis war angesichts des massiven Drucks aus Spanien und der Vorentscheidung im Rechtsauschuss zu erwarten. Schon die hatte zu scharfen Reaktionen geführt, worüber Buchkomplizen ausführlich berichtet und auf die Unregelmäßigkeiten aufmerksam gemacht hatte. Abgeordnete aus ganz Europa heben hervor, dass es nur eine Zustimmung von knapp 58 % gab. So twittert der französische Abgeordnete der Fraktion der Grünen Roccu Garoby, dass nur 400 Abgeordnete für den spanischen Antrag gestimmt haben. Üblicherweise seien es „600 – 650“.

Tatsächlich wurden dem Kroaten Valter Flego und dem Portugiesen Nuno Melo die Immunität am gleichen Tag mit einer Zustimmung von 95% aberkannt. „Die spanische ‚Justiz‘ hat gewonnen, doch der Kampf für die Freiheit und die Selbstbestimmung gehen weiter“, meint Garoby. Seine Fraktion hatte sich einstimmig für ein Nein ausgesprochen. Auch andere Parlamentarier der Grünen meinen, dass man es mit einem „Angriff auf die Demokratie und die Meinungsfreiheit“ zu tun hat. Sie heben aber hervor, dass 248 Parlamentarier dem Druck standgehalten und die Demokratie verteidigt hätten.

Puigdemont, der von einer „politischen Verfolgung“ spricht, hat inzwischen eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angekündigt, „um den Schaden an der europäischen Demokratie zu reparieren“, die seiner Ansicht nach verloren hat. Wegen der Unregelmäßigkeiten werden der Klage gute Erfolgschancen eingeräumt. Schließlich musste sogar der Rechtsausschuss seine getroffene Entscheidung ausbessern. Ponsatí war ein Vorwurf gemacht worden, den Spanien nicht gegen sie erhebt. Das, so meinen Experten, sei unmöglich. Das Verfahren im Ausschuss hätte damit neu beginnen müssen. Zu erinnern sei auch daran, dass Puigdemont, Ponsatí und Comín ihre Sitze im Parlament ebenfalls erst vor dem EuGH erstreiten mussten, da der frühere Parlamentspräsident sie ihnen schon verweigert hatte.

„Gefährlicher Präzedenzfall“

„Ein Parlament, das nicht einmal seine eigenen Mitglieder vor politischer Verfolgung schützt, kann die Pforten dicht machen“, ist Martin Sonneborn über den Vorgang entsetzt. Der Europaparlamentarier von „Die Partei“ erklärte: „Die konservativen Parteien zerstören die EU“, zu denen er ausdrücklich auch die Sozialdemokraten und Liberalen zählt, die sich in der Frage mit den Rechtsparteien bis ganz am rechten Rand verbündet haben.

Die Linksfraktion im Parlament spricht von einem „gefährlichen Präzedenzfall“, da das Europaparlament seine, „Mitglieder der politischen Verfolgung eines Mitgliedstaates“ ausliefert. Für die Französin Manon Aubry hat „das Parlament einen Freibrief zur Verfolgung politischer Gegner“ vergeben. Sie verwies zudem darauf, dass die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit „kein Verbrechen ist“.

Auch der spanische Antikapitalist Miguel Urban hat mit Nein gestimmt, um „demokratische Grundrechte“ zu verteidigen. Urban weist darauf hin, dass man sich in Spanien keine großen Hoffnungen zu machen brauche, da über die Auslieferung der drei Katalanen „die belgische Justiz entscheiden muss und es sieht nicht danach aus, dass die dafür ist“.

Tatsächlich ist in Belgien im Fall Lluis Puig bereits eine Vorentscheidung gefallen, die vom Europaparlament ignoriert wurde. Das harsche Urteil gegen das spanische Auslieferungsersuchen des ehemaligen katalanischen Kultusministers ist längst rechtskräftig. ( Und darin wird klargestellt, dass Puig in Spanien kaum ein faires Verfahren erwartet hätte. Zudem missachte Spanien zentrale Rechtsgrundsätze, auf die auch die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen stets verweist und die Freiheit der katalanischen politischen Gefangenen fordert.

Wie die Arbeitsgruppe stellten auch die Brüsseler Richter fest, dass der Oberste Gerichtshof in Madrid nicht für die Katalanen zuständig ist. Doch dort wurde das Verfahren geführt, zu dem Mitstreiter von Puigdemont zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden. Missachtet wurden damit das Recht auf einen gesetzlichen Richter in Katalonien und zudem wurde das Berufungsrecht ausgehebelt. Der Oberste Gerichtshof in Madrid ist nämlich damit gleichzeitig die erste und letzte Instanz. Da die Fälle praktisch gleich sind, ist sehr unwahrscheinlich, dass im Fall Puigdemont, Ponsatí und Comín anders entschieden wird.

Das weiß auch Richter Pablo Llarena. Der hat sich deshalb seinerseits von seinem Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen mit sieben Fragen an den EuGH gewandt.  Ausgerechnet der Mann, der immer wieder vor Gerichten in halb Europa wegen seiner Erfindungen in absurden Europäischen Haftbefehlen abgewatscht wurde, will nun klären, ob die Entscheidung zu Puig in Belgien mit europäischem Recht vereinbar ist.

Puigdemont-Anwalt Boye freut sich schon darauf. Man habe seit „zwei Jahren darauf gewartet“, erklärte er. Immer wieder hatte Llarena gedroht, vor den EuGH zu ziehen. Im Jahr 2018 wollte er Urteil aus Deutschlands anfechten, da auch das Oberlandesgericht Schleswig Puigdemont nicht wegen der absurden Vorwürfe einer Rebellion oder eines Aufruhrs an Spanien ausgeliefert hat. Getan hat er das nie, weil auch er seine Aussichten gering eingeschätzt werden. Es scheint sich um eine Flucht nach vorne zu handeln. Die Frage für viele ist jetzt, ob er damit Spanien noch schneller Matt setzt.

Konfikt in der Regierungskoaltion verschärft sich

Offensichtlich ist, dass sich die Lage der spanischen Linksregierung, die diesen Namen nicht verdient, weiter zugespitzt hat, in der es längst zu einer Zerreißprobe kommt. Auch Demonstrationsverbote am Frauenkampftag haben die Widersprüche weiter zugespitzt. Die Vorgänge heute könnten die Tropfen sein, die das Fass zum Überlaufen bringen. Offiziell begrüßt die Regierung unter Pedro Sánchez die Entscheidung im Europaparlament und spricht sogar von einer „Stärkung des Rechtsstaats“ und der „spanischen Justiz“.

Doch dessen Sozialdemokraten (PSOE) sprechen dabei nur für sich. Denn der Koalitionspartner Unidas Podemos (UP) hat mit der Linken dagegen gestimmt, den Katalanen die Immunität zu entziehen. Deren Sprecher Pablo Echenique versteht nicht, wie die PSOE sich in der Frage mit der rechtsextremen VOX verbünden konnte. Zwar spreche Sánchez stets davon, den Konflikt nicht vor Gerichten, sondern im Dialog beilegen zu wollen, real passiert aber genau das Gegenteil.

Inzwischen droht auch die katalanische ERC, der PSOE-UP-Minderheitsregierung die Unterstützung zu entziehen. Nur mit ihren Stimmen konnte Sánchez Regierungschef werden und seinen Haushalt beschließen. Dass auch dem ERC-Chef heute der begrenzte Freigang wieder entzogen wurde, wird die ERC in ihrer Absicht bestärken. Ohnehin, so hatte der EuGH auch entschieden, genießt auch Oriol Junqueras Immunität.  Spanien hat sich bisher seine Freilassung aber verweigert, damit er seinen Sitz im Europaparlament einnehmen kann.

Zurück ins Gefängnis muss nun auch wieder der ehemalige Außenminister Raül Romeva. Seine Vorhersagen im Buchkomplizen-Gespräch haben sich bestätigt. „Es soll verhindert werden, dass wir Politik machen“, ist er überzeugt.

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