Kiew eskaliert Konflikt mit dem Einsatz einer türkischen Kampfdrohne

Türkische Kampfdrohne BT2 in der Ukraine. Bild: Ukrainisches Verteidigungsministerium

Nach der ukrainischen Regierung war der offen mit einem Video provokativ demonstrierte Drohnenangriff rechtens, Russland reagiert noch zurückhaltend. Aber das Verhalten von Kiew muss die politischen Unterstützer beunruhigen.

Am Dienstag hat das ukrainische Verteidigungsministerium ein Video veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie eine türkische Kampfdrohne TB2 angeblich mit einer Lenkbombe eine 122-mm-D-30-Haubitze der prorussischen Separatisten bei Granitne beschossen hat. Ob dabei Menschen getötet wurden, ist nicht bekannt, man sieht drei Personen nach dem Einschlag davonlaufen. Die Zeitung Istwestia schreibt, man sehe, dass die Bombe in einigen Metern entfernt eingeschlagen sei und offenbar die Haubitze nicht zerstört hat. Damit wäre der Präzisionsangriff gescheitert.

Der ukrainische Generalstab behauptet, die Drohne habe die Demarkationslinie nicht überflogen, gleichwohl ist der Einsatz nicht vom Waffenstillstandsabkommen gedeckt. Demonstriert wird damit, dass Kiew auch ganz offen die Minsker Vereinbarungen nicht erfüllen will. Ukrainische und separatistische Truppen beschießen die jeweils andere Seite auch mit Artilleriesystemen, was immer wieder zu Toten, auch zur Tötung von Zivilisten, führt.

Aus dem Video des ulrainischen Verteidigungsministeriums

Was Kiew mit dem ersten Einsatz der türkischen Kampfdrohne bezweckt, ist nicht ganz klar. Bislang wurden die Kampfdrohnen nur zur Überwachung und als Drohung eingesetzt, indem man sie die Demarkationslinie entlang fliegen ließ. Offensichtlich geht es nicht nur um die Ausschaltung eines Artilleriesystems, durch das angeblich ein ukrainischer Soldaten getötet und ein weiter verletzt wurde. Man habe über die OSZE einen Waffenstillstand gefordert. Nachdem man keine Antwort erhalten habe, wurde die Haubitze zerstört, um eine Feuereinstellung zu erzwingen.

Es geht wohl auch nicht nur um eine Abschreckung der separatistischen Milizen der „Volksrepubliken“, sondern vermutlich um eine gewollte Eskalation der Lage, um die westlichen Mächte hinter sich zu bringen, aber vielleicht auch um innenpolitisch von Problemen abzulenken. So schwappt nicht nur eine Covid-Welle über die Ukraine, in Umfragen ist nicht mehr Selenskijs Partei führend, sondern „Europäische Solidarität“ (früher auch Block Petro Poroschenko) – Parteichef ist wieder der frühere Präsident Poroschenko. Der ukrainische Präsident Selenskij war zwar u.a. deswegen gewählt worden, weil er eine friedliche Lösung des Konflikts versprochen hatte, aber er hat sich nach und nach zu einem Falken entwickelt, der den Konflikt instrumentalisiert, aber auch gefährlich zündelt. Nach Iswestia sind aber auf ukrainischer Seite keine Zeichen für eine militärische Konfrontation zu beobachten.

Dass die Ukraine türkische Kampfdrohnen dafür erworben hat, könnte auch dazu dienen, dass Russland sich zurückhält, aber auch die Nato (die Ukraine verfügt auch über selbstgebaute Kampfdrohnen). Schon lange pokert der türkische Präsident Erdogan zwischen Russland und der Nato. Die sich selbst als „Wertegemeinschaft“ ausgebende Nato will die Türkei trotz aller völkerrechtswidrigen militärischen Interventionen in Syrien, im Irak oder in Libyen und trotz des Erwerbs des russischen Luftabwehrsystems S-400 wegen seiner geopolitischen Lage nicht verlieren. Ähnlich ist es für Moskau, das trotz des direkten Konflikts mit der Türkei in Syrien und trotz der Lieferungen etwa der Kampfdrohnen an Aserbeidschan und die Ukraine nicht wirklich mehr einschreitet. Schon wegen der Verbindung zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer und als Riegel zwischen den arabischen Ländern und Europa kommt der Türkei eine überragende geopolitische Stellung zu.

Nach der Waffenstillstandsvereinbarung dürfen Drohnen nur von der OSZE im Konfliktgebiet geflogen werden

Die OSZE-Überwachungsmission SMM berichtet von 435 Waffenstillstandsverletzungen, darunter 86 Explosionen, in der Donezk-Region und von 20 in der Luhansk-Region am 26. Oktober, der Einsatz der Kampfdrohne wird aber nicht erwähnt. Es sei über von der Regierung kontrolliertem Territorium bei Chernenko eine nicht von der SMM stammende Drohne in nordöstliche Richtung fliegend gesehen worden. Hervorgehoben wird, dass im Juli 2020 zur Verstärkung des Waffenstillstandsabkommens der Einsatz von Flugzeugen verboten wurde. SMM-Überwachungsdrohnen seien auch über dem von der Regierung kontrolliertem Gebiet mehrfach in Jam-Angriffen geraten, bei einer Minidrohne habe man das Signal verloren.

Für die Bundesregierung reagierte  Andrea Sasse, die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, sehr zurückhaltend und moniert nur allgemein „einen Anstieg an Waffenstillstandsverletzungen“ in den letzten Wochen. Alle Seiten würden Drohnen einsetzen,  „was laut Minsker Vereinbarung allein der OSZE vorbehalten ist“. Man ruft „alle Seiten umgehend zur Deeskalation auf“.

Die Bild titelt wie üblich reißerisch: „Kreml wütet nach Einsatz von Erdogan-Drohnen“. Und sie widerspricht der Bundesregierung, der OSZE und dem erweiterten Waffenstillstandsvertrag, indem sie durch Zitate von „Experten“ falsch behauptet, der Einsatz von Drohnen sei nicht verboten. Der Drohnenangriff wird offenbar akzeptiert, es wird so getan, als würde die Ukraine keine Artillerie gegen die „Volksrepubliken“ einsetzen, dafür wird die russische Gefahr von dem Experten beschworen, die dies als „Provokation“ betrachte: „Der Osteuropa-Spezialist warnt: Putin könnte seinen Stellvertreter-Milizen in der Ostukraine befehlen, ‚ihr Feuer auf ukrainische Stellungen zu intensivieren‘ oder weitere ‚hybride Methoden wie zum Beispiel Cyber-Angriffe‘ nutzen, um sich für den bislang einmaligen Drohnen-Einsatz zu rächen.“

Damit schließt sich Bild der ukrainischen Position an. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte, der Angriff sei aufgrund von Selbstverteidigung erfolgt. Die Haubitze sei vielmehr zu nahe an der Demarkationslinie gewesen. Der Angriff auf sie habe keine Vereinbarungen verletzt. Damit trat er der Position der Bundesregierung entgegen und hielt ihr vor, dass man den gesamten Kontext berücksichtigen müsse, also dass man über die OSZE die Einstellung des Beschusses gefordert und dann ein Artilleriesystem, das vermutlich tatsächlich zu nahe an der Demarkationslinie und damit verboten war, mit einer verbotenen Waffe angreifen durfte. Damit würde man den Separatisten natürlich auch die Türe öffnen, sich mit Kampfdrohnen aufzurüsten und ihrerseits ukrainische Stellungen anzugreifen. Nach der Niederlage gegen Aserbeidschan hat Armenien auch schnell mit dem Bau von Kampfdrohnen reagiert.

Der Angriff erfolgte kurz nach dem Besuch des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin in Kiew, der beteuerte, dass die Ukraine frei sei, sich der Nato anzuschließen. Und er sagte: „Wir werden weiterhin alles tun, um die Bemühungen derUkraine zu unterstützen, die Fähigkeit zu entwickeln, sich selbst zu verteidigen.“

Der ukrainische Präsident Selenskij beim Treffen mit dem US-Verteidigungsminister Austin in Kiew.

Russland reagiert vorerst zurückhaltend

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow meinte, es habe sich bestätigt, dass die türkischen Drohnenlieferungen zu negativen Folgen und zur Destabilisierung führen.  Die Sprecherin des russischen Verteidigungsministeriums, Maria Sacharowa, kommentierte  den Vorgang schon schärfer, nannte den Vorfall alarmierend, vermied aber eine Kritik an der Türkei. Der Konflikt in der Ostukraine könne nicht militärisch gelöst werden, warnte sie gestern: „Die Versuche, diesen gewaltsam zu lösen, werden sehr bedauerliche und etwas unberechenbare, aber im Allgemeinen tragische Folgen haben.“ Die Waffenlieferungen der westlichen Staaten würde in Kiew den Glauben schüren, den Konflikt doch militärisch lösen zu können. Die Ukraine blocke auch die Kontaktgruppe absichtlich, um Gespräche zu verhindern und eine militärische Lösung zu forcieren.

Ria Nowosti behauptet, nach Telemetrie-Daten sei die türkische Kampfdrohne bis zu 15 km in die „Volksrepublik Donezk“ eingedrungen. Zitiert wird ein „Experte“, der meint, Kampfdrohnen seien Mittel, psychologischen Druck auszuüben. Sie seien an sich leicht abzuschießen – tatsächlich wurden in Libyen und Syrien viele TB2 abgeschossen -, die Separatisten hätten aber keine geeigneten Luftabwehrsysteme. Das kann aber nur eine Schutzbehauptung sein, schließlich haben die Separatisten zu Beginn des Konflikts gezeigt, dass sie auch Militärmaschinen abschießen konnten. Überdies wären ukrainische Truppen entgegen den Waffenstillstandsvereinbarungen in das Dorf Staromaryevka vorgedrungen, das in der Grauzone liegt. Zudem sei versucht worden, mit einer Kamikazedrohne ein Tanklager in Donezk in Brand zu setzen, was aber nicht gelungen sei.

Ukraine will selbst Kampfdrohnen herstellen und überhaupt wieder mehr in Waffenexporte einsteigen

Die Ukraine hat von der Türkei erstmals 2019 Kampfdrohnen des Typs Bayraktar  erworben. Ende September haben unter Beisein des ukrainischen Präsidenten Selenskij das ukrainische Verteidigungsministerium und der türkische Rüstungskonzern eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Vorgesehen ist der Bau einer Fabrik zur Herstellung der Kampfdrohnen in der Ukraine und der Bau eines Trainings- und Testzentrums zur Wartung, Reparatur, Modernisierung und Ausbildung des Personals. Man habe darauf lange gewartet, sagte Selenskij: „Das ist ein wichtiger Schritt.“

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Angeblich will die Ukraine zu den bestellten und teils gelieferten 12 Kampfdrohnen 48 weitere mit den entsprechenden Bodenstationen kaufen, die dann schon in der Ukraine hergestellt werden. Hintergrund ist nicht nur der andauernde Konflikt in der Ostukraine, sondern auch der Versuch der Ukraine, wieder stärker mit eigenen Produkten ins Waffengeschäft einzusteigen und die Waffenexporte zu erhöhen, wie der Generaldriektor der staatlichen Rüstungsfirma Ukrspetsexport sagte.

Nach der Unabhängigkeit gehörte die Ukraine zu den weltweit größten Waffenexporteuren. 2012 war ein Höhepunkt mit Waffenverkäufen in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar erreicht. Danach brachen die Verkäufe ein, 2020 wurden nach SIPRI 115 Millionen U-Dollar an Exporten erzielt, übrigens auch nach Russland. Exportiert werden bislang vor allem gepanzerte Fahrzeuge, Flugzeugreparaturprodukte, Marinesysteme, Radar und Raketen. Dazu sollen nun Kampfdrohnen als neuer Markt hinzukommen, vereinbart wurde aber mit der Türkei, dass sie nicht Ländern angeboten werden dürfen, die bereits Kampfdrohnen von der Türkei kaufen – wie Aserbeidschan, das die armenischen Truppen, die auf Kampfdrohnen nicht eingestellt waren, mit solchen schnell eine überraschende Niederlage erteilte. Das war für den Verkauf von türkischen Kampfdrohnen eine entscheidende Werbung. Die Türkei kennt keine Zurückhaltung, sondern verkauft auch Drohnen in Krisengebiete und setzt sie auch selbst in völkerrechtswidrigen Kriegen wie in Syrien oder im Irak ein.

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