Joe Biden: Kein Nation Building, sondern Krieg aus der Ferne

Bild: Screenshot aus C-Span-Video

Der US-Präsident verschleiert sein Debakel und macht klar, dass der Globale Krieg gegen den Terror fortgesetzt wird, ohne aus den Erfahrungen zu lernen.

 

US-Präsident Joe Biden rechtfertigte in einer Rede den von ihm zum symbolischen Datum 9/11 angeordneten Rückzug der US-Truppen, der auch zur Folge hatte, dass die Truppen der übrigen Nato Hals über Kopf folgten. China, Russland, Iran und Pakistan werden nun ihren Einfluss im Land ausbauen. Vorausgegangen war die Entscheidung von Donald Trump, Friedensverhandlungen mit den Taliban unter Ausschluss der von der Nato unterstützten afghanischen Regierung zu führen, 5000 Gefangene freizulassen und bis April 2021 abzuziehen. In Syrien hatte Donald Trump auch den syrischen Kurden, bislang die Bodentruppen gegen den Islamischen Staat, die Unterstützung entzogen und Soldaten abgezogen, was der Türkei die Möglichkeit gab, weil auch Russland mitspielte, in syrische Kurdengebiete einzudringen und diese völkerrechtswidrig zu besetzen.

Biden räumte ein, dass der Zusammenbruch der von den USA gestützten Regierung schneller als gedacht von statten ging. Er bedauere aber deswegen die Entscheidung nicht. Nach 20 Jahren habe er gelernt, dass es nie eine gute Zeit gibt, die Truppen abzuziehen. Er hatte schon zuvor die Schuld an Trump delegiert, der eine auswegslose Situation geschaffen habe. Der von Biden beschlossene Abzug verlief ebenso wenig mit einem Plan wie der Sturz der Taliban-Regierung vor 20 Jahren.

Der US-Präsident, wohl wissend, dass er nicht nur eine Niederlage für die USA, sondern auch für seine Präsidentschaft geschaffen hat, gab nun die Schuld der afghanischen Regierung, die geflohen war, und der von den USA und der Nato ausgebildeten, finanzierten und aufgerüsteten afghanischen Armee, die den Taliban praktisch kampflos das Feld überlassen hat. Es mache keinen Unterschied, wenn amerikanische Soldaten noch ein paar Jahre im Land stationiert wären. Und es sei falsch, amerikanische Truppen in den Kampf zu schicken, wenn afghanische Soldaten sich weigern. Dass das auch eine Folge der vor allem auf eine militärische Lösung setzenden amerikanischen Politik ist, thematisiert Biden nicht. George W. Bush war schon 2000 im Wahlkampf mit der Devise angetreten, im Ausland nur militärisch zu intervenieren, sich aber nicht um nation building, um Friedenssicherung und Stabilisierung  zu kümmern. Man hinterlässt also lieber failed states.

Die naive Vorstellung war, man stürzt die herrschende Elite eines Landes, enthauptet sie, dann entwickelt sich alles schon von selbst in eine US-öFreundliche kapitalistische Demokratie. Bush hat denn auch das 1993 gegründete Institute for Peacekeeping der U.S. Army geschlossen, allerdings später eingeräumt, dass er nach 9/11 seine Meinung geändert habe, was faktisch aber weder in Afghanistan noch im Irak zum Tragen kam. In seinen Memoiren schrieb er: „Afghanistan war die ultimative Nation-Building-Mission. Wir hatten das Land von einer primitiven Diktatur befreit, und wir hatten die moralische Verpflichtung, etwas Besseren zu hinterlassen.“ Eine „freie Gesellschaft“ oder ein „demokratisches Afghanistan“ sei die Vision gewesen, er hatte auch über einen Marshall-Plan für Afghanistan sinniert.

Biden will daran gar nicht mehr erinnert werden. Der amerikanische Feldzug, so versichert er widersinnig, sei doch erfolgreich gewesen. Man habe ja nur verhindern wollen, dass al-Qaida von Afghanistan aus den USA wieder gefährlich werden könne: „Vor fast 20 Jahren gingen wir nach Afghanistan mit klaren Zielen: Diejenigen zu fassen, die uns am 11. September angegriffen haben und sicherzustellen, dass al-Qaida Afghanistan nicht mehr als Basis benutzen können, uns wieder anzugreifen. Wir schafften dies.“

Was geschafft wurde, war, al-Qaida zu verbreiten, aus der sich der Islamische Staat abspaltete. Beide Organisationen sind in Afghanistan tätig, aber auch in Asien, im Nahen Osten und in Afrika. Niemand kann nach der Machtübernahme garantieren, dass nicht al-Qaida oder eine islamistische Nachfolgerorganisation im Schutz der Taliban erneut gegen amerikanische Ziele vorgeht. Zwar wurde während Bidens Vizepräsidentschaft Osama bin Laden in Pakistan getötet, aber es ist eine Lüge, dass man diejenigen gefasst habe, die für die Anschläge verantwortlich sind. Mag sein, dass einige der Guantanamo 5 Gefangenen, darunter Khalid Sheikh Mohammed, am Anschlag mit beteiligt gewesen sind. Aber die Finanziers, Helfer und Drahtzieher sind unbekannt.

Der Verdacht richtet sich gegen Saudi-Arabien, da 15 der 19 Attentäter Saudis waren, Saudis den Attentätern in den USA halfen, nach dem Anschlag Saudis heimlich mit Flugzeugen aus den USA flüchteten, Teile des Berichts der 9/11-Kommission geschwärzt wurden und die Ergebnisse der FBI-Untersuchung Operation Encore geheim bleiben. Opfer und Angehörige haben Biden aufgefordert, endlich die Geheimhaltung aufzuheben. Sie drohen damit, gegen die Teilnahme von Biden an den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag von 9/11 zu protestieren, was nach dem Afghanistan-Debakel für Biden das nächste Debakel würde. Man wird sehen, ob er sich gegen den Sicherheitsapparat durchsetzen kann, nachdem er versprochen hat, die Geheimhaltung prüfen zu lassen (Joe Biden soll Dokumente über eine mögliche Verwicklung von Saudi-Arabien freigeben).

Es läuft seit langem ein Prozess, in dem Saudi-Arabien der Mittäterschaft beschuldigt wird. Auch hier wird die Offenlegung gefordert. Den Klägern geht es nicht nur um Schadenersatz, sondern auch darum, dass Saudi-Arabien seine Verantwortung eingesteht und den islamistischen Terrorismus bekämpft.

Den USA, so fährt Biden fort, sei es immer nur darum gegangen, einen Terrorangriff auf amerikanischem Territorium zu verhindern. „Unsere Mission in Afghanistan sollte niemals Nation Building sein. Sie sollte niemals die Schaffung einer vereinten, zentralisierten Demokratie sein.“ Er wäre deswegen auch nicht mit dem von Barack Obama angeordneten „Surge“, die Truppenaufstockung 2009, einverstanden gewesen. „Unsere Mission“ sollte sich nur auf Terrorismusbekämpfung konzentrieren – und zwar auf die aktuellen Bedrohungen.

Und hier setzt Biden weiter auf den Globalen Kampf gegen den Terrorismus und damit auf weltweiten Interventionismus. Dabei wird wieder einmal nicht die Verantwortung der USA für die Verbreitung des Terrorismus gesehen, sondern nur diese festgestellt, um weiter dagegen militärishc vorgehen zu können:

„Today, the terrorist threat has metastasized well beyond Afghanistan: al Shabaab in Somalia, al Qaeda in the Arabian Peninsula, al-Nusra in Syria, ISIS attempting to create a caliphate in Syria and Iraq and establishing affiliates in multiple countries in Africa and Asia.  These threats warrant our attention and our resources. We conduct effective counterterrorism missions against terrorist groups in multiple countries where we don’t have a permanent military presence.“

Systematisch verhindert Biden Lernen aus Fehlern. Wenn man failed states wie Somalia oder Jemen zurücklässt oder durch Kriege neue Terrorgruppen schafft, dann ist das eben die fatale, nur dem militärisch-industriellen Komplex dienende Strategie, Terrorismus mit Bomben eliminieren zu wollen, womit man aber nur Konfliktherde am Kochen hält. Das planen die USA nun auch wieder mit Afghanistan, wo man Kriege wie in anderen Ländern führen könnte, ohne Bodentruppen einzusetzen. Während Obama den Drohnenkrieg ausbaute, scheint Biden nun auf den Krieg aus der Ferne zu setzen: „Falls notwendig, werden wir dasselbe in Afghanistan machen. Wir haben Terrorbekämpfung mit der Über-den-Horizont-Kapazität entwickelt, die es uns erlauben wird, unsere Augen fest auf direkte Bedrohungen der USA in der Region zu richten und, falls es erforderlich wird, schnell und entschlossen zu handeln.“ Das ist die Welt, in die uns Joe Biden führt (Pentagon entwickelt nach Abzug der Truppen ein neues Konzept des Fernkriegs).

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