Spanien: Erst rassistischer Mord, danach Messerattacke in Hungerschlange

VOX-Chef Santiago Abascal bei einer Veranstaltung im Mai. Bild: VOX/public domain

In der Hochburg der rechtsextremen VOX gab es erst Angriffe auf Moscheen und das Podemos-Büro, doch mittlerweile werden rassistische Angriffe auch tödlich

Die kaltblütige Ermordung des marokkanischen Einwanderers in Murcia ist vorerst der traurige Höhepunkt einer rassistisch-rechtsextremen Eskalation in der südspanischen Region. Seit Monaten spitzt sich die Lage in Murcia zu. Die Ermordung des 37-jährigen Younes Bilal durch den ehemaligen Militäroffizier Carlos Patricio am vergangenen Sonntag hat für einige Empörung in Spanien gesorgt. Der hatte den Marokkaner am späten Sonntag aus nächster Nähe erschossen, als er mit Freunden in einem Café in Mazarrón saß.

Man darf von einem gezielten Mord ausgehen. Die Tageszeitung El País berichtet in Bezug auf die Familie des Opfers, dass Bilal und der Mörder sich nicht kannten. Der 52-jährige Ex-Militär habe zunächst in einem Café mit einer Kellnerin gestritten, die mit Bilal gesprochen habe, der seit 20 Jahren im spanischen Staat lebte. „Was sprichst du so lange mit diesen Scheiß-Moro“, habe er nach Angaben von Zeugen geschrien. „Ich will keine Moros hier“, sagte er mit der Begrifflichkeit, wie Nordafrikaner in Spanien oft abfällig genannt werden. Er habe ständig Leute rassistisch beschimpft und Streit gesucht. Bilal und seinen Freunden habe er auch die Getränke weggenommen.

Nachdem Bilal ihn um Respekt gebeten hatte, sei Carlos Patricio zunächst gegangen. Alle hatten geglaubt, die Sache sei damit erledigt. Doch der Ex-Militär ging nur nach Hause, zog sich um, schnappte sich eine Waffe, und kehrte dann mit einer Pistole mit Kaliber 9 mm in der Hand ins Café zurück. Zunächst gab er einen Schuss in die Luft ab. Ohne etwas gesagt zu haben, stellte er sich vor Bilal und richtete seine Waffe auf ihn, erklärten Zeugen. „Mal sehen, ob du den Mut hast, jetzt aufzustehen“, sagte der Rassist. Als Bilal trotz allem aufgestanden ist, habe der Militär ihm dreimal in die Brust geschossen.

Der Mord, auch durch Überwachungskameras aufgezeichnet, erinnert sehr stark an einen Vorgang in Portugal vor einem Jahr, der nach langen Jahren scheinbarer Ruhe deutlich gemacht hatte, dass auch das Land keine Insel mehr frei von Rechtsextremismus ist. Dort richtete ein Ex-Militär den schwarzen Schauspieler Bruno Candé nach einem Streit regelrecht hin. Dessen rassistischen Ausfälle und die extreme Gewaltbereitschaft war auch bei dem Ex-Militär in Mazarrón wieder zu sehen. „Alle Moros sollten sterben“, habe der Mörder nach der Tat gerufen.

In Mazarrón gab es auch Proteste gegen den Mord. „Wir alle sind Younes“, skandierten Demonstranten auf den Straßen der Stadt, in sozialen Medien wurde hitzig unter den Hashtags #TodosSomosYounes, #MoroccanLivesMatter und #JusticeForYounes diskutiert. „Dieser Mord ist die Spitze des Eisbergs eines strukturellen Rassismus“, twitterte Antumi Toasijé. Der Präsident des Rates für die Beseitigung der rassischen oder ethnischen Diskriminierung geht davon aus, dass das keine Tat eines „kranken Einzeltäters“ war. „Jede rassistische Handlung, die ohne Konsequenzen bleibt, jeder Versuch, das Problem nicht zu erkennen, schafft die Bedingungen für eine weitere tödliche Handlung.“

Die Beteiligung an den Protesten hielt sich in der rechten Hochburg aber in Grenzen, in der sich die ultrakonservative Volkspartei (PP) von der ultrarechten VOX-Partei stützen lässt. Inzwischen hat, im Rahmen eines Korruptionsvorgangs, der vor aller Augen ablief, über den Krass & Konkret auch berichtet hatte, die PP sogar im nächsten Tabubruch eine ehemalige VOX-Parlamentarierin auf einen Ministersessel gehoben, um einen Misstrauensantrag und den Sturz der PP-Regierung abzuwenden.

Dass sich die Lage in Murcia und in einigen Regionen, in denen VOX stark ist, radikalisiert, ist nicht neu. Und fast hätte es am Mittwoch erneut ein Opfer in Cartagena unweit von Mazarrón gegeben. Ohne ersichtlichen Grund stach plötzlich eine Spanierin auf eine Einwandererin in einer der Hungerschlangen ein, die es in der Krise in Spanien nun fast überall vor Essensausgabestellen gibt. Ein Video zeigt, wie durch das beherzte solidarische Eingreifen von Anwesenden Schlimmeres verhindert werden konnte. Auch das stark blutende Opfer sorgte dafür, dass die rassistische Angreiferin noch am Tatort festgenommen werden konnte. „Ihr Einwanderer nehmt uns das Essen weg“, hatte sie geschrien.

Auch in Cartagena ähnelte der Vorgang dem in Mazarrón ähnlich. Zunächst war es zum Streit gekommen, danach ging die Spanierin nach Hause. Sie führt nach Polizeiangaben allein 47 Festnahmen wegen gewalttätigem Raub, Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt in ihrem Strafregister. Dort holte sie ein Messer, womit sie zuvor gedroht habe, wie Zeugen berichteten, und stach damit auf den Rücken der Einwandererin ein.

Dass sich eine Stimmung gegen Muslime, Einwanderer und Linke in der Region und darüber hinaus immer deutlicher manifestiert, zeigten nicht im letzten Wahlkampf die Morddrohungen, die der gerade zurückgetretene Chef von Podemos erhalten hatte. Dem wurde auch scharfe Munition zugeschickt, wie sie das Militär benutzt.  Auf das Podemos-Büro in Cartagena wurde zudem im April auch ein Brandanschlag vom „VOX-Nachwuchs“ verübt, wie Medien getitelt haben. In dem Büro wurden schon zuvor Scheiben eingeworfen und es wurde mit Nazi-Symbolen beschmiert.

Schon im Februar haben unbekannte versucht, eine Moschee in San Javier – ebenfalls in Murcia – abzufackeln. „Tod dem Islam“ sprühten hier die Rassisten an die Fenster. Das Feuer an der Eingangstür konnte allerdings durch eine eilig herbeigeeilte Polizeipatrouille gelöscht werden. Diverse Medien sprechen schon vom Nährboden für die spanischen Ultras, der von VOX auch mit Fake, Lügen und unbewiesenen Behauptungen bestellt wird.

Gerade haben die PP, die Schwesterpartei der CDU, und die angeblichen „liberalen“ Ciudadanos erneut eine Initiative unterstützt, um den Nationalismus in der Region weiter anzufachen. Nun wird in allen Schulen der Stadt Murcia eine Spanien-Fahne und ein Bild vom König aufgehängt (der vom Diktator Franco eingesetzte Nachfolger). Zudem sollen die Schüler jeden Morgen mit der Nationalhymne begrüßt werden. Die Ultras stellen in der Region inzwischen die Kultusministerin und in ganz Murcia  können die Eltern in den Schulen demnächst entscheiden, ob ihre Kinder an Sexualkunde oder am Ethikunterricht teilnehmen, weil es sich dabei nach Ansicht der Ultras angeblich um „Indoktrination“ handeln soll.

Ähnliche Beiträge:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert