Gebremster Protest: Polen und das Abtreibungsverbot

Protestierende in Warschau. Bild: Jens Mattern

Auf Polens Straßen demonstrieren wieder seit Dienstag Gegnerinnen und Gegner der Verschärfung des Abtreibungsrechts und sorgen auch international für Aufmerksamkeit. Doch ihre Chancen, etwas zu verändern stehen nicht gut. Die Polizei tritt hart auf. 

Das Verfassungsgericht in Warschau publizierte am Mittwoch schriftlich, dass eine Abtreibung bei einem beschädigten Fötus gegen die Verfassung verstoße. Diese Einschätzung hatte die oberste Richterin Julia Przylebska bereits mündlich Ende Oktober dargelegt, was die Massenproteste auslöste. In der Hauptstadt gingen damals über Hundertausend auf die Straße. Nun ist das nicht mehr so, am Donnerstag protestierten einige Hundert vor dem Verfassungsgericht, am Freitagabend zogen einige Tausend durch die Straßen der Warschau,  Grüppchen auch in anderen Städten.

Die schriftliche Veröffentlichung hätte eigentlich zu Massenprotesten führen sollen, so die Hoffnung der Organisation „Streik der Frauen“. Denn nun ist das faktische Abtreibungsverbot in Kraft, erlaubt ist der Abort nur nach einer Vergewaltigung, Inzest und Lebensgefahr der Mutter, das waren 2019 gerade mal drei Prozent der 1100 legalen Fälle. Verzweifelte Frauen berichten schon von abgesagten Terminen beim Gynäkologen.

„Ich will hier in Polen mal Kinder bekommen”, so die Studentin Anna aus Warschau, die mit ihrem Pappschild „Warum habt ihr mir das angetan?“ am Donnerstag gekommen ist. Das neue Gesetz würde sie zwingen, vollkommen missgebildete Kinder auf die Welt zu bringen, darum stehe sie hier.

In der Nacht auf den Freitag halten sie und ihre Freundin einen Sicherheitsabstand zum Zaun vor dem Verfassungsgericht in der Warschauer Sucha-Allee, wo sich die Polizei aufgereiht hat, angeleuchtet vom Bengalenfeuer der Demonstranten. Davor stehen ein Lieferwagen mit Marta Lempart, der Chefin vom „Streik der Frauen“, und der harte Kern von einigen hundert Personen, Frauen und Männer. „Verpisst euch!“ steht auf einem langen Banner und schallt es von Lemparts Lautsprecher auf dem Fahrzeug.

Gerichtet ist das Schimpfen gegen die Regierung und im Speziellen gegen den Chef der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), Jaroslaw Kaczynski. Dieser gilt als der eigentliche Autor der Verschärfung, die auf Druck der Katholischen Kirche und seiner Laienorganisationen schon seit dem 22. Oktober entstanden ist .

Das Verfassungsgericht, besetzt durch die Justizreform mit regierungsnahen Juristen, wartete mit der offiziellen Verkündung des Urteils, um der Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Bitte bedenken Sie, dass bislang niemand zu Tode gekommen ist“

Dies gelang. Zwar ist der rote Blitz, das Zeichen des Widerstands, in den größeren Städten überall zu finden – als Weihnachtsdekoration, auf Torten, als Graffiti auf Häuserwänden und auf den in Polen auch im Freien obligatorischen Masken, doch dafür den Polizeiknüppel oder Tränengas zu spüren bekommen, wollen seit Anfang November, seit dem härteren Auftreten der Ordnungsmacht, immer weniger.

„Bitte bedenken Sie, dass bislang niemand zu Tode gekommen ist“, lobte jüngst im Fernsehen der zumeist optimistisch gestimmte Staatspräsident Andrzej Duda das bisherige Wirken der polnischen Polizei.

Diese kesselt in der Nacht auf Freitag die Protestierenden vor dem Gerichtsgebäude immer mehr ein, drei Personen versuchten auf das Gelände des Gerichts zu gelangen und wurden von der Polizei verhaftetet, Schneebälle fliegen, es kommt immer mehr Einsatzpolizei, ein Teil der Demonstranten räumt das Feld. Agata, eine Frau um die Vierzig, die eine Leuchtweste trägt, ist mit ihren vier Mitstreiterinnen und Mitstreitern geblieben. Sie gehören zur Organisation „Streik der Frauen“ und verteilen heißen Tee. Sie hat eine Krücke dabei, bei der letzten Verhaftung wurde ihr im Gerangel der Fuss verdreht. Gegen sie läuft eine Anzeige wegen Herabwürdigung der Beamten.

„Viele haben auch Angst um ihre Arbeit“, erklärt sie die wenigen Teilnehmer. Die Abteilungsleiterin für Marketing habe hingegen einen Chef, der ihren Protest gutheißt. Unweit von der Gruppe stehen vier Männer mit blauen Kapuzenjacken – es sind Polizisten aus Spezialeinheiten, die den versteckt getragenen Teleskopstock einsetzen.

Den Ablauf der Nacht sieht die erfahrene Aktivistin klar voraus: Die Demonstranten werden eingekesselt, wer hinaus will, muss sich ausweisen. Dann werden die ganz Engagierten die Kommissariate belagern, um die Inhaftierten freizupressen. Insgesamt gab es an diesem Abend 14 Festnahmen, 412 Personen mussten ihre Personalien angeben.

Dieser harte Kern um Marta Lempart, die Gründerin des „Streiks der Frauen“, eine offen lesbisch lebende Bauunternehmerin, welche die nationalkonservative Regierung stürzen will, scheint sich zum einen zu radikalisieren, zum anderen ziehen die Demonstrationen auch linksradikale Kräfte an, die auf Konfrontation mit der Polizei aus sind, auch die Fahne der Antifa weht.

PiS führt kin Umfragen trotz der Proteste mit 40 Prozent

Die Gesetzesverschärfung lehnen zwar über zwei Drittel der polnischen Gesellschaft ab, es werden immer wieder rasch Umfragen erstellt und veröffentlicht, die nach Auftraggeber variieren. Eine Abtreibung bis zur 12. Woche ohne Begründung wie in vielen westeuropäischen Ländern befürworten jedoch in dem katholisch geprägten Land allein um die 20 Prozent.

Gleichzeitig führt die PiS weiter mit bis zu vierzig Prozent in den Umfragen, der Rest der Parteien hängt weit ab; das konservativ-liberale Parteienbündnis „Bürger Koalition“ (PO), das die Verschärfung kritisiert,  hat jedoch keinen Entwurf zu einem alternativen Abtreibungsgesetz vorgestellt, die direkte Konfrontation mit der katholischen Kirche wird somit vermieden.

Auch Staatspräsident Andrzej Duda hält derzeit brav still. Ende des vergangenen Jahres wurde er noch mit einer Abmilderung vorstellig, die vorsah, eine Abtreibung bei möglichen Totgeburten zu erlauben.

Die Frage ist nun, warum die Regierung sich entschlossen hat, Ende Januar das Urteil rechtskräftig werden zu lassen. Ludwik Dorn, der während der ersten PiS-Regierung 2005 bis 2007 als Innenminister wirkte, wollte die Regierung den Frauenprotest zuerst aufkochen lassen, um im Frühjahr nicht mit einer doppelten Protestwelle konfrontiert zu sein, wenn sich der Unmut gegen die Pandemiepolitik auf der Straße äußern wird. Polen ist gerade dabei, den Lockdown wieder etwas zurück zu nehmen.

Nicht zurück nehmen will sich jedoch Jaroslaw Kaczynski. Der Politiker, der seit September eine Art Aufsichtsfunktion über das Innen-, Justiz- und Verteidigungsministerium innehat, kündigte kürzlich an, demnächst „ambitionierte und weitgehende Pläne“ zu veröffentlichen.

Dabei erklärte er jeglichem Feind des polnischen Konservatismus und der nicht näher definierten „Freiheit“ den Kampf an. Dazu gehört die konservativ-liberale „Bürgerplattform“ (PO), wichtigste Partei des Bündnisses KO, die der Nationalkonservative der „Radikalen Linken“ zuordnet.

Auch eine klare Drohung an die Gegnerinnen und Gegner des faktischen Abtreibungsverbots.

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