Leichter als Luft, Folge 46 — Die Reinheit der politische Lehre

Berlin, Oberbaumbrücke
Quelle: Pixabay

Lola Mercedes ist auf skandalöse Nachrichten aus dem Vorleben des jungen Star-Rechtsanwalts Jonathan Rischke gestoßen. Fauna dagegen wird nachdenklich, wenn sie über ihren Aktivismus und die Reinheit ihrer politischen Lehre sinniert.

 

»Erklär mir das!«, forderte Lola in scharfem Ton.

»Da gibt es nichts zu erklären!«, behauptete Jonathan Rischke.

»So, findest Du? Dann lies Dir doch bitte das hier mal durch, Schätzchen.« Lola schob ihr iPad über den Tisch.

Es zeigte den Scan eines Schreibens, datiert auf den 27.11.2006. Der Briefkopf wies als Absender die Rechtsabteilung der Firma »M-Square« aus, mit Sitz in Helsinki.

Im deutschsprachigen Text hieß es:

»Nachdem Sie und Ihre Geschäftspartner unseren wiederholten Aufforderungen, das Anwesen in der Kennedystraße 139 (vormals Thälmannstraße) zu räumen, nicht nachgekommen sind, unterbreiten wir Ihnen hiermit letztmalig einen Vorschlag zur gütlichen Einigung …«

Adressiert war der Brief an einen gewissen Rischke, Jonathan, in Berlin.

»Hast Du angenommen?«, fragte Lola.

Rischke schwieg.

»Wie ist das damals eigentlich zu Ende gegangen mit Shivas Paradize? Seid Ihr von den Bullen geräumt worden, hat man Euch rausgeklagt?«, bohrte Lola nach: »Oder hast Du einen Deal gemacht mit den Finnen? Ist das der eigentliche Ursprung Deines Wohlstands?«

Rischke schwieg.

»Hast Du Dir von der Kohle Dein Loft gekauft? Oder den Bugatti? Zu dem Brandanschlag auf die Karre hätte ich übrigens auch noch einige Fragen …«

Rischke schwieg.

»Hör mir zu, Jonathan: Die Quelle, von der ich dieses Schriftstück bekommen habe, hat noch lange nicht ausgesprudelt. Was auch immer Du mir jetzt verheimlichen willst: Ich krieg es raus, verlass Dich drauf.«

Rischke schwieg, stand auf und wandte sich zur Tür.

Wortlos ließ er Lola im Caravaggio sitzen und vergaß diesmal sogar darauf, zuvor seine Kreditkarte in das kleine Ledermäppchen zu legen.

Jetzt war Lola richtig sauer.

Ihr Jagdtrieb war vollends erwacht – und die chronischen Rückenschmerzen ebenfalls.

Bevor sie bezahlte, warf sie eine Ibuprofen 800 ein.

»Ich warne Dich, mein Lieber: Das sind gefährliche Leute!«, versuchte Donna Fauna dem Quex ins Gewissen zu reden. Nein, sie kenne diesen Freiherrn von Tadelshofen nicht persönlich und nein, sie habe auch keinerlei Interesse, ihn kennenzulernen.

Woher sie dann wissen könne, dass der so gefährlich sei?

Nun, dieser Tadelshofen habe bekanntlich den Grafen Dürckheim öffentlich zitiert und der sei ein Faschist gewesen. Mehr müsse sie nicht wissen. Wer öffentlich Faschisten zitiere, müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, selber einer zu sein.

Der Kanarienquex wusste rein gar nichts über diesen Dürckheim, aber fand die Argumentation total schräg. Dann sei wahrscheinlich auch jeder Ford-Fahrer Antisemit, weil Henry Ford einer gewesen sei?

Das wiederum, meinte Fauna, sei doch gar nicht vergleichbar, er werfe da die Argumentationsebenen durcheinander. Ganz davon abgesehen gehe es auch gar nicht um diesen Tadelshofen alleine. Ihr sei diese ganze Gesellschaft zuwider, in der er sich da neuerdings herumtreibe.

»Wieso? Weil die Geld haben?«, wollte KQ wissen.

Die Frage sei eher, wo sie es herhätten, erwiderte Fauna.

Das nun sei wohl jeweils ziemlich unterschiedlich, vermutetet der Quex. Tädeus von Tadelshofen habe das meiste sicherlich geerbt. Pavel Berger-Grün sei ein weltweit gefeierter Star und dass dessen Filme Unsummen einspielten, könne sich jeder ausrechnen, der vom Kino auch nur die geringste Ahnung hätte. Ein anderer sei eine Art Yoga-Unternehmer, dessen Frau eine Künstleragentur habe – und so weiter.

»Yoga-Unternehmer«, wiederholte Fauna süffisant. »Und einen hast Du übrigens vergessen in Deiner Liste. Woher hat denn eigentlich unser lieber Freund Jonathan seine Kohlen?«

Der Kanarienquex dachte einige Sekunden nach: »Dem Rischke seine Eltern sind vermutlich nicht ganz arm und als Rechtsanwalt wird er auch bisschen was verdienen. Aber am Ende, Fauna, das weißt Du so gut wie ich: So richtig kann sich dem Rischke seinen Reichtum keiner erklären. Aber nur, weil Leute Geld haben, sind sie jedenfalls nicht automatisch Verbrecher oder so was …«

Fauna fand es läppisch, wie KQ seinen geliebten Jonathan vor ihr nur noch »den Rischke« nannte. Als wisse sie nicht ganz genau, dass das Verhältnis der beiden immer enger geworden war, in den vergangenen Monaten.

Für Fauna grenzte das an Prostitution. Und während sie selbst damit ja einige Erfahrung hatte, zögerte sie nicht, KQ selbige zum Vorwurf zu machen.

In der Tat hatte Rischke viel getan für den Kanarienquex. Hatte eine Ausstellung mit Quex-Werken in seiner Kanzlei organisiert und zur Eröffnung jede Menge Geschäftskunden mobilisiert. Zwei Bilder hatte KQ glatt verkauft bekommen und mit seinen Visitenkarten nur so um sich geschmissen. Gleich darauf hatte ihn Rischke eine ganze Wohnzimmerwand in seinem Loft in Berlin Mitte collagieren lassen und sehr gut bezahlt dafür. Zum ersten Mal seit langen Jahren war der Quex hinterher schuldenfrei und hatte sogar etwas Geld auf der Seite. Und an seiner Seite hatte er jetzt immer häufiger: Jonathan Rischke.

Der nahm ihn mit ins Soho-House und in die République Royale, wo KQ sehr genoss, in das elegante Leben besserer Kreise einzutauchen und lebende Legenden wie Pavel Berger-Grün persönlich zu treffen. Und die mochten ihn alle, sofort.

»Dein geliebter Neolin springt da ja auch rum, bei diesen ach so gefährlichen Leuten. Der hält da sogar Vorträge und kriegt dafür bestimmt nicht wenig Geld. Aber das ist scheinbar was ganz anderes, hm?«, ging jetzt der Quex zum Gegenangriff über. Aber der Herr Friedhelm »Neolin 2« Persch brauche halt die Kohle wahrscheinlich auch und im Übrigen müsse sie schon entschuldigen, wenn er als Künstler darauf angewiesen sei, seine Bilder und Collagen an irgendwen verkauft zu bekommen. Dafür eigneten sich Leute, die Geld hätten, nun einmal wesentlich besser als Faunas linksradikale Asselpunks, die von Kunst sowieso nicht die Bohne verstünden und ihn obendrein grundsätzlich immer nur wie Dreck behandelt hätten. Aber es sei natürlich politisch viel sauberer, redete sich KQ in Rage, von Hartz IV-Kohle zu leben, nebenbei rumzustrichern und ansonsten auf Demos zu rennen oder auf irgendwelchen pseudoradikalen Schwafeltreffen abzuhängen. Er habe, im Gegensatz zu ihr, vom Staat, den sie angeblich so sehr hasse, noch keinen Cent bekommen bisher. Sogar die Stipendien, die er ergattert habe, seien Stiftungskohle gewesen. Ansonsten lebe er seit Jahren unter unmöglichen Bedingungen, sei dauerverschuldet gewesen und habe sich oft nicht mal was zu essen kaufen können. Das habe ja nun auch damit zu tun gehabt, dass er in seiner Kunst keinerlei Kompromisse gemacht und seine abstrakte Schiene konsequent durchgezogen habe. Und jetzt, wo er zum ersten Mal so etwas ähnliches wie Erfolg habe und zumindest Aussicht darauf, als Künstler halbwegs anständig leben zu können, überfalle sie ihn mit ihrem Misstrauen und ihrem Neid und diesem unheilschwangeren Geraune von wegen »gefährliche Leute«. Er habe an keinem seiner neuen Freunde auch nur irgendetwas Gefährliches entdecken können. Allerdings kotze ihn das an, wie er sich ständig rechtfertigen müsse vor ihr, Fauna, die sich selbst für weiß Gott wie radikal halte und ihre Kühnheit abfeiere, nur weil sie ab und zu mal Luxusautos anzünde, und zwar Autos von Leuten, die sie überhaupt nicht kennen würde und über die sie rein gar nichts wüsste, was für sich genommen schon eine völlig hirnrissige Aktion sei.

Entsetzt gestikulierend bedeutete Fauna KQ zu schweigen und zeigte auf ihre beiden Handys, die auf dem Tisch herumlagen. Der Quex verstand und brach seine Suada sofort ab, schuldbewusst, denn er wollte Fauna keineswegs gefährden.

Dass zumindest Faunas Mobiltelefon gezielt abgehört werden könnte, schien auch dem Kanarienquex durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen. Reaktionsschnell schob KQ zwei, drei Sätze nach, dass Fauna selber nun so saudumm ja glücklicherweise nicht sei, dass sie aber wohl zugeben müsse, dass diese Autozündelei aus dem Umfeld ihrer linken Freunde heraus zumindest bejubelt werde, was bescheuert genug sei.

Fauna gab das augenzwinkernd zu, erklärte die Brandanschläge aber zu einer immerhin verständlichen Reaktion auf die Vertreibung ganzer Kulturen aus ihren angestammten Stadtvierteln, der man ohnmächtig gegenüberstehe.

Beide fanden, sie hätten die Kurve noch ganz gut gekriegt.

Der Feind jedenfalls hörte mit, immer und überall.

Das war allen längst bewusst geworden.

Faunas weitere Reaktion auf KQs Predigt kam einem Wunder gleich: Sie brauste nicht auf und ging nicht zur Attacke über. Kleinlaut verabschiedete sie sich.

Auf dem Nachhauseweg wurde Fauna ausgesprochen nachdenklich. Tatsächlich konnte sie nicht ausschließen, dass Eifersucht und Neid eine gewisse Rolle spielten bei ihrer Empörung über die neuen Freunde des Quex – sowie die Verlustangst, er könne sich durch dieses neue Umfeld von ihr entfremden.

Komisch, denn zuvor hatte monatelang Funkstille geherrscht zwischen beiden und der Abbruch ihrer Beziehung war eindeutig von ihr ausgegangen.

Aber sie hatte auch schwerer gelitten unter dieser Distanz.

Nun dachte sie nach: über KQs Worte und über ihr eigenes Leben. Welchen Anteil an ihrem Tun hatten die Eitelkeiten einer geradezu gewohnheitsmäßigen Militanz?

Faunas Dauerradikalismus gestattete ihr ein pauschales Drüberstehertum, das sie den nagenden Selbstzweifeln und Grunddilemmata heutiger Erdenbürger scheinbar enthob.

Und wahrlich: Wer wollte Faunas Überlegenheit in Sachen tätiger Weltverbesserung infrage stellen?

Fauna war auch in ihrer aktuellen Nachdenklichkeit weit entfernt, den Sinn ihres Widerstands gegen Nazis, Ausbeutung oder Umweltzerstörung grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Die Morde des NSU, die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und die eskalierende Öko-Katastrophe sprachen auch nicht sehr dafür, diesem Aktivismus abzuschwören.

Aber war ihr Leben dadurch wirklich so überlegen fortschrittlich, wie sie immer wähnte? Der doofe Rischke zum Beispiel war selbstredend nie auf Demos oder gar bei Blockadeaktionen anzutreffen, Lola und der Kanarienquex fast nie. Dafür waren alle drei Vegetarier, Rischke machte neuerdings sogar einen auf vegan.

Sie, Fauna, war immer noch Fleischfresserin. Sie rannte natürlich nicht in irgendwelche Fastfoodketten. Man hätte dabei ja außerdem auch gesehen werden können. Jedoch war sie in Ernährungsfragen weit entfernt, zur Vorhut des neuen Lebens zu gehören, und ihr Konsumverhalten im Allgemeinen war alles andere als vorbildlich. Sie trug Klamotten, die mutmaßlich in Bangladesch von Kindern gefärbt und zusammengenäht worden waren. Die Schuhe, die sie in diesem Moment anhatte, hatten 16,95 Euro gekostet und so viel war Fauna klar, dass man für diesen Preis keine ökologisch und sozial sonderlich erfreulichen Produktionsbedingungen erwarten durfte.

Und von wegen: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« – diesen Adorno-Spruch konnten die anderen genauso für sich in Anspruch nehmen wie Fauna. Die einen rannten halt nicht auf Demos und konsumierten dafür wesentlich verantwortungsbewusster. Sie konsumierte ziemlich wahllos und rannte dafür auf alle möglichen Demos.

Aber selbst ein schier übermenschlicher Superaktivist, der beides mit perfekter Konsequenz und vollem Einsatz vereinigte, würde vermutlich immer noch das Problem haben, dass er keinen fair produzierten Computer benutzen könnte und Datenkraken wie Facebook oder Google in Anspruch nehmen müsste. Und wer wie Fauna kein eigenes Auto besaß, fuhr dann eben mit Bussen durch die Gegend … auch für deren Benzin weit hinten im Mittleren Osten blutige Kriege geführt wurden.

Dass Fauna gegen diese Kriege demonstrierte, änderte nichts daran, dass sie einen Anteil der Beute dieser massenmörderischen Feldzüge konsumierte. Aber sie musste ja eben auch irgendwie leben, sagte sie sich. Genau wie der Quex – und da schloss sich der Kreis.

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