Leichter als Luft, Folge 37 — Kampagne gegen einen Immobilienkonzern

Berlin, U-Bahn
Quelle: Pixabay

Der Rechtsanwalt Jonathan Rischke war Feuer und Flamme für die Kampagne des Kanarienquex gegen einen Immobilienkonzern. Ein dubioser Freiherr namens Tädeus von Tadelshofen eröffnet ihm aber nun den Weg nach ganz oben. Dort erlebt Rischke Erstaunliches.

 

Die Balkonkampagne? Die ging den Weg so manches größenwahnsinnig erdachten Projektes. Sie verlief nach und nach im Sand.

Lolas Kampf um die Chefredaktion des Stadtmagazins stagnierte zudem.

Dabei hatte sich der alte Chefredakteur längst in die Babypause verabschiedet. Man hätte ihr das Amt problemlos übertragen können, wenigstens kommissarisch. Lola spürte jedoch, dass im Hintergrund einiges an Widerstand gegen sie in Anschlag gebracht worden war. Eine unsichtbare Mauer zog sich zusammen und grenzte ihren Aktionsradius immer weiter ein. Der Geschäftsführer des Verlages machte die ewig gleichen Versprechungen, stellte in Aussicht und sagte zu, ohne jemals konkret zu werden.

Der Kanarienquex träumte gelegentlich weiter an seiner Vision, als Balkon-Champ bundesweite Prominenz zu erringen, und stellte sich dann immer noch diese Pressekonferenz auf der Dachterrasse des Soho vor. Dabei registrierte er längst, wie nach und nach der Druck aus diesem Projekt entwichen war.

Ein Hebel, die Sache wieder ins Laufen zu bringen, fehlte ihm. Nach jenem katastrophalen, zweiten »Strategie-Dinner« im Caravaggio wollte speziell Jonathan nichts mehr von KQ wissen. Zumindest rief Rischke nicht an. Und KQ traute sich nicht, dessen Nummer zu wählen.

Ganz so arg, wie das der Quex befürchtete, verhielt es sich nicht mit Rischke, der ein Freund von erstaunlicher Anhänglichkeit war.

Dafür verhielt es sich ganz genau so und noch viel schlimmer mit Donna Fauna. Die wollte nicht nur von dieser lächerlichen Balkonsache rein gar nichts mehr wissen. Für sie war auch KQ so gut wie gestorben. Den pflichtschuldig besuchten zweiten Termin bei der Partnerschaftsberatung hatte der Kanarienquex durch eine nicht enden wollende Kaskade von Vorwürfen zum Scheitern gebracht, vorsätzlich, wie Fauna verdächtigte.

Piet hatte daraufhin seine Möglichkeiten als Therapeut erschöpft gesehen, das erneut ausgebrochene Gezeter mit einer genervten Geste gestoppt – und den beiden in aller Offenheit geraten, sich aus dem Konzept einer Liebesbeziehung besser zu befreien, zumindest vorläufig. Er könne zwar jede Menge Hass und Verletzungen erkennen, von auch nur einem Funken wirklicher Liebe zwischen diesen beiden habe er in den bisherigen Sitzungen leider nichts bemerkt.

Wütend war Donna Fauna abdampft, sämtliche Türen der Schwulenberatung knallend. Das tat ihr leid, im Nachhinein. Diese altehrwürdigen Holztüren mit den Jugendstilbeschlägen aus Messing konnten ja nun nichts dafür.

Jonathan Rischke kam es bei aller freundschaftlichen Loyalität zu KQ sehr gelegen, wenn aus dieser Balkonkampagne nichts weiter wurde. Die ersten paar Schriftsätze, die er mit der Rechtsabteilung des finnischen Immobilienfonds ausgetauscht hatte, hinterließen eine stark verkomplizierte Gefechtslage.

Die waren gut, die Burschen, das musste Rischke zugeben.

Trotzdem sah er weiterhin Chancen für KQ, mit Schadensersatz und dergleichen durchzukommen, aber das hätte einen Aufwand bedeutet, der nur im Kontext einer Kampagne von bundesweiter Durchschlagkraft einen Sinn ergeben hätte, allerdings auch dann nur einen propagandistischen Sinn.

Und diese Art von Propaganda erschien Jonathan aktuell nicht mehr erstrebenswert. Seine im Soho-House zustande gekommene Freundschaft mit Tädeus Freiherr von Tadelshofen hatte ihn in Kreise vorstoßen lassen, die solch einen Einsatz gegen »Gentrifizierung« und die Geschäfte internationaler Fonds nicht zu goutieren wussten, vermutete Rischke.

Rischke vermutete falsch.

Vom Donner gerührt war er, als von Tadelshofen beim nächsten Besuch in der République Royal Pavel Berger-Grün und den anderen erklärte, »Nath« sei übrigens ein Mann von formidabler Widersprüchlichkeit, und zwar nicht nur selbst im Begriff, ein Immobilienhai zu werden, sondern gleichzeitig ein tapferer Kämpfer gegen die skandalösen Machenschaften eines internationalen Immobilienfonds. Rischke vertrete da einen Media Artist, der gegen die Zwangssanierung seines Balkons protestiere … von Tadelshofen packte die komplette Story aus!

Jonathan Rischke wähnte sich in der Falle. Hatte dieser eitel französisierende Baron ihn hier nur zum Schein eingeführt, um ihn zum Gaudium der wahrhaft Initiierten runterzuschießen wie eine Tontaube?

Mitnichten. Die Anwesenden und allen voran Pavel Berger-Grün reagierten auf die Erzählung von Tadelshofens mit der allergrößten Anteilnahme. Man hieß Jonathans Einsatz mutig, lobenswert, direkt ritterlich!

Pedrillo Caldez berichtete, wie anständig er selbst seine Mieter behandle. Die Häuser, in denen er seine Yoga-Studios einrichte, pflege er nämlich zu erwerben. Eine Art Sentimentalität sei das – er entstamme mütterlicherseits einem alten katalanischen Bauerngeschlecht und bevorzuge Vermögen, das man anfassen könne.

Pavel Berger-Grün entgegnete süffisant, das entspräche ja nun nicht gerade der Philosophie eines Yogis. Pedrillo solle aufpassen, sich nicht im Illusionsgeflecht des Weltlichen zu verstricken, mit seinem ausufernden Besitzstand.

»Wir haben eine gute Buchhaltung«, warf Janette überlegen ein.

Dann fand Berger-Grün lobende Worte für Jonathans Engagement gegen die globale Geldkrake, wie er sich englisch ausdrückte. Ein wahrer Siegfried sei »unser Nath«, und hieran schloss Berger-Grün einen ausführlichen Diskurs über die Ästhetikgeschichte europäischen Städtebaus an.

Das war die ideale Vorlage für Jonathan. Schon die Romantiker hätten sich über die grassierende Gleichförmigkeit der Städte empört, meinte er und überführte ein entsprechendes Novalis-Zitat flugs ins Englische, um dann in wenigen, scharfkantigen Sätzen neue Sachlichkeit und Bauhaus als lebensfeindlich zu attackieren.

Diesen Ball nahm wiederum Tädeus von Tadelshofen auf. Von Kindestagen her an das Leben in Bauten von ausgelassener Schnörkelhaftigkeit gewöhnt, frage er sich bei der heutigen Architektur immer, wann denn nun die Steinmetze anrückten, die Bildhauer, die Kupferstecher, Elfenbeinarbeiter, Kunstschlosser, Goldschmiede, Medailleure und Stuckateure, oder ob man wohl schon fertig zu sein glaube mit dem Bauen?

Jonathan fasste mutig nach und verwies auf ein Grundlagenwerk über die Architektur der Postmoderne. Die Augen Pavel Berger-Grüns ruhten mit zärtlicher Väterlichkeit auf dem deutlich jüngeren Rechtsanwalt. Dieser spürte, dass er gewonnen hatte. Als sie sich verabschiedeten, fragte Berger-Grün erneut nach Jonathans Kanzlei. Jonathan Rischke überreichte ihm seine Visitenkarte.

»Überrascht, mein Lieber?«, grinste von Tadelshofen.

Überrascht war kein Ausdruck. Die höhergestellten Kommunikationsfuzzis im Soho hatten sich halb in die Hosen gemacht, welches Wagnis er da eingehe, sich mit den Gentrifizierungsgegnern einzulassen. Und hier, in der zwanzigmal reicheren République Royal wurde er dafür gefeiert wie Robin Hood. Jawohl, Jonathan Rischke war überrascht!

»Und wie Sie wissen, Tädeus, schwimmt meine Familie nicht seit Jahrhunderten im Geld. Ich gestehe Ihnen deshalb in aller Offenheit: Ich habe mir die Spitze unserer gesellschaftlichen Sahnetorte gründlich anders vorgestellt, ich dachte, die sind alle …«

»Knallrechts?«, warf von Tadelshofen dazwischen.

»Das nicht unbedingt, aber spießiger, in gewissem Sinne auch kränker, neurotischer, in jedem Fall ausgestattet mit einer undurchdringlichen, alle sozialen Belange rücksichtslos und zynisch hinwegfegenden Klassensolidarität!«

Von Tadelshofen lächelte: »Spießig, wo denken Sie hin? Wer es sich leisten kann, leistet sich auch einen Lebenswandel, in dem für Spießigkeiten ziemlich wenig Platz übrigbleibt. Es sei denn, man baut sich ein öffentliches Image als Moralapostel auf, meistens zu Geschäftszwecken, dann ist man eben ein Heuchler. Und Klassensolidarität, alors, le temps perdu! Klassensolidarität, das ist kein schönes Wort, Jonathan. Sie scheinen insgesamt etwas altertümliche Vorstellungen zu haben, wer da heutzutage wessen Solidarität benötigt. Ich will Ihnen mal was erklären, Jonathan, über die ökonomischen Realitäten unserer Zeit. Die sehen leider Gottes so aus, dass diese Irren mit ihrem Finanztsunami auch unsereinem die Lampen auslöschen werden, wenn wir nicht höllisch aufpassen! L’argent n’a pas d’odeur. Aber dieser Spekulantenpöbel ist anders gestrickt als Leute wie Pavel Berger-Grün. Für den ist sein sagenhafter Reichtum nur das Nebenprodukt seines Erfolges und garantiert ihm die Freiheit, wirkliche Kunst machen zu können, ohne dass ihm irgendeine Knallcharge einer sechstklassigen Produktionsfirma permanent reinredet. Trotzdem oder gerade deshalb, ist eine Kultur, in der nur noch die teuersten Blockbuster durchgehen, für einen Berger-Grün der reine Alptraum. Und woher, meinen Sie, kommt der in letzter Zeit nachgerade antikapitalistische Ton der FAZ? Ich will es Ihnen sagen, Jonathan: Die Industrie ist nicht weniger gierig als die Finanzbranche und mindestens so skrupellos. Die rollen, Ihnen muss ich das ja nicht erklären, über ganze Leichenberge, wenn es Geld bringt. Aber die Industrie benötigt für ihre Profite ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Funktionalität: Verkehrssysteme, die eine Belegschaft zuverlässig zum Werk bringen und dort wieder abholen, ein Gesundheitssystem, das die Leute arbeitsfähig flickt, wenn sie krank sind, und so fort. Die Industrie braucht halbwegs geordnete politische Zustände, mit denen man langfristig kalkulieren kann. Diesen Spekulanten ist das alles völlig schnuppe! Langfristig heißt für die: Zehn Minuten und jede Turbulenz ist gut fürs Geschäft! Vive l’ indifference!

Glauben Sie zum Beispiel, die Bewirtschaftung unseres Familienbesitzes wird dadurch einfacher, dass heute eine Horde Wahnsinniger von ihren Laptops aus mit Hedgefonds und Derivaten auf Waldflächen spekuliert, die zusammenaddiert ein Vielfaches der gesamten Erdoberfläche ergeben? Im Übrigen ist jener Teil der Menschheit, den Sie in diesem Country Club vorfinden, keineswegs ›die Spitze der gesellschaftlichen Sahnetorte‹, wie Sie sich auszudrücken belieben, noch lange nicht, Johnathan, seien Sie dessen versichert …«

Von Tadelshofen begann und endigte seinen Vortrag ruhig und souverän, wie man ihn kannte. Zwischenzeitlich allerdings hatte er sich ein wenig in Rage geredet, dabei für Sekundenbruchteile beinahe die Contenance verlierend.

Das war ein höchst ungewöhnlicher Vorgang, ein geradezu skandalöses Ereignis, welches Jonathan Rischke im gleichen Moment richtig einzuordnen verstand: Haus Tadelshofen hatte finanzielle Probleme.

Am Abend, zurück in seinem Berliner Loft, rief Jonathan bei KQ an und lud ihn ein, zum Abendessen vorbeizukommen. Man müsse die Balkonkampagne noch einmal neu bedenken und wieder Schwung in die Sache bringen. Der Quex war hocherfreut. Rischke kochte selbst, erklärte dabei den Stand der juristischen Dinge und natürlich landeten die beiden nach dem Essen im Bett.

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