Leichter als Luft, Folge 32 — Neue Leute, neue Läden

Berlin, Blick auf Funkturm
Quelle: Pixabay

Rund um die Wohnung des Kanarienquex in der Rigaerstraße veränderte sich Berlin in Windeseile. Die neue Leute, die neuen Läden in seinem Kiez – KQ machte das alles stinkwütend.

 

Was KQ techno-avantgardistisch als sein »papierloses Büro« verklärte, entsprang der Tatsache, dass er für seinen etwas neueren Laptop keinen zu seinem uralten Drucker passenden Treiber auftreiben konnte und für einen neuen Drucker kein Geld. Außerdem war sein Scanner im Arsch.

Um einige Internetfundstellen betreffs der Balkonstory für ein neuerliches Strategietreffen im Caravaggio auszudrucken, stapfte KQ in den neuen Internetshop im Parterre des Hauses gegenüber.

Dieses gründerzeitliche Eckhaus, wo jetzt blütenweiße Kinderwäsche ebenfalls sanierte Balkone zierte, war jahrelang die reinste Punkerhochburg gewesen. Die Punks hatten KQ endlos genervt, mit ihrem Gesaufe und Gegröle und ihren stinkenden, kläffenden Kötern. Inzwischen trauerte er ihnen nach.

Weder Punker noch Köter waren je an seiner Wohnungstür aufgetaucht, um sich über die Bässe seiner Musik oder zu lautes Gelächter zu beschweren, was diese Neu-Berliner Muttis, die in der Zwischenzeit im ganzen Kiez ihren Einzug gehalten hatten, regelmäßig fertigbrachten.

Außerdem war der Unterhaltungswert des Häuserkampfes unermesslich gewesen. Soli-Demos, gescheiterte Räumungsversuche, triumphierend an die Tür genagelte Einstweilige Verfügungen, Razzias, erneute Soli-Demos … der Quex hatte sich das immer gerne angesehen, mit einem Joint in der einen und einem Cocktail in der anderen Hand, oben, von seinem Balkon aus. Natürlich hatte er auch fotografiert, gefilmt und sogar einige Bullen- und Punkerporträts gezeichnet.

Dann war alles ganz schnell gegangen. Eines Nachts war der Dachstuhl komplett ausgebrannt. Es gehörte zu den exquisitesten Momenten der quexschen Balkon-Historie, dieses Inferno und die spektakulären Löscharbeiten auf gleicher Augenhöhe mit den Flammen und auf LSD miterlebt haben zu dürfen.

Die Punks hatten hinterher von Brandstiftung durch den Hauseigentümer gesprochen. Der war im Hauptberuf Chefarzt einer orthopädischen Spezialklinik an der Ostsee, kam ursprünglich aus Rheinland-Pfalz und machte nur nebenbei ein bisschen in Immobilien. Dem Mann war einiges zuzutrauen.

Flugblätter der autonomen Szene hatten allerhand Ungereimtheiten in der offiziellen Darstellung des Brandverlaufs aufgelistet. Die Gegenthese, eine saufselige Punkerdummheit hätte den Brand ausgelöst, hörte sich für den Quex auch nicht gerade unplausibel an.

Als Kompromissvorschlag kursierte die Variante, Nazis hätten die Hütte angesteckt.

Jedenfalls war das besetzte Haus im Zuge der Löscharbeiten auch gleich geräumt worden, in einem Aufwasch, quasi. Danach war saniert worden, und mit Fertigstellung der ersten Wohnungen war die Kinderwagenkavallerie eingeritten, die Gebär-Einheiten Grüngroßdeutschlands, die Alternativ-Spießer – die Brüter. Inzwischen hatten sie das Gebäude vollständig erobert. Im Parterre, das früher einen linksradikalen Infoladen, Antifa-Gruppen und einen Club samt polysexuellem Darkroom beherbergt hatte, gab es neuerdings eine lederbecouchte Whiskeybar und eine Backfactory und einen Internetshop.

»Na? Alles im grünen Bereich?«

Es waren Begrüßungsformeln wie diese, die KQ einen Morgen komplett versauen konnten. Nicht, dass es noch Morgen gewesen wäre, aber wenn als Digitaldealer nebenjobbende Studentinnen der Erziehungswissenschaften ihm mit solchen Textbausteinen eines vermeintlichen Szene-Jargons kamen, zu dem es effektiv gar keine Szene gab, die den Namen verdiente, dann wuchs ihm der Hass.

Zumal, mit der Verkäuferin plaudernd, noch eine dieser jungen Mütter im Laden stand. Ein buntes Band in den Henna-Haaren, Kübelhintern wie eine Trümmerfrau, um die enormen Brüste einen Säugling geschnallt, der KQ bei der Gelegenheit auch gleich unsympathisch war – und offensichtlich war das Muttertier schon wieder schwanger.

Ein beachtliches Maß an Feindseligkeit befiel den Quex in diesem Augenblick. Er deutete stumm auf seinen USB-Stick, die Szene-Jargonistin nickte ihm kumpelhaft zu und sagte: »Computer Nummer 4, Compañero.«

»Sie ist es nicht wert! Sie ist es nicht wert!«, kämpfte KQ den folgerichtigen Impuls nieder, spontan herumzurandalieren. Compañero? Ah so, natürlich. Da stand er doch, der fair gehandelte Zapatisten-Kaffee in jenem IKEA-Regal, das KQ als Erstes umzuschmeißen eine unbändige Lust befiel. Bildeten sich diese Esoterikzuchteln allen Ernstes ein, Teil von so etwas Ähnlichem wie globalem Widerstand zu sein? Vertreterinnen einer rebellischen Subkultur? Das Ausmaß der hier vorliegenden Missverständnisse war schier nicht zu fassen.

KQ stapfte nach hinten und schob seinen USB-Stick in den Rechner mit der Nummer 4. Er öffnete einige Dateien, klickte nacheinander auf »Drucken« und meldete den Rechner wieder ab. Bevor er zur Theke zurückging, holte er dreimal tief Luft.

Als er hinkam, waren die beiden Brüterinnen noch immer in den Austausch angeregter Dümmlichkeiten verstrickt. Soeben wurde die These verhandelt, nicht überall, wo »Bio« draufstünde, sei auch tatsächlich Bio drin. Die mit dem Kübelhintern verstieg sich gar zu der Behauptung, da würde mitunter »Schindluder getrieben«, und das »aus purer Geldgeilheit« – wobei sie dem Quex zuzwinkerte, was vermutlich revolutionäre Komplizenschaft unter Wissenden ausdrücken sollte.

»Isses ausgedruckt?«, unterbrach der Quex jäh diesen Sturmlauf bahnbrechender Enthüllungen, um zur Antwort zu bekommen: »Nö, sorry. Der Drucker streikt seit gestern!«

»Oh Mann, sag das doch gleich!«, gab KQ entnervt zurück. Er wandte sich schroff dem Ausgang zu, da passierte das Unglaubliche: Die nebenjobbende Studentin der Erziehungswissenschaften hielt ihn zurück und forderte 50 Cent vom Quex.

»Dafür, dass Dein Drucker im Arsch ist, oder wie?«, wollte KQ wissen.

Nein, die 50 Cent seien für die Benutzung des Internets angefallen. Als der Kanarienquex das für restlos absurd erklärte, hob die schwangere, säuglingsbewehrte Vorkriegstrümmerfrau zu einer ausführlichen Erläuterung der juristischen Anspruchsgrundlage an, faselte von einem mündlich abgeschlossenen Kaufvertrag und Lebenssachverhalt …

KQ hatte wirklich keine Geduld, sich auf diese Kindereien einzulassen. In einem Akt nachgebender Feindesliebe, der ihn selbst überraschte, kramte er 25 Cent aus der Tasche, legte sie hin und wandte sich zur Tür.

»Hey, das sind aber nur 25 Cent!«, kam die rechnerisch richtige Antwort hinterher. »Du hast doch echt einen totalen Knall!«, gab KQ gelangweilt zurück und verließ diesen Hort grüngroßdeutschen Irrsinns.

Damit allerdings unterschätzte der Quex die Bereitschaft wesenhaft deutschen Brütertums, für jene perfiden Kleinkariertheiten, die mit »dem Prinzip« zu verwechseln Deutsche die Angewohnheit haben, in jeden Kleinkrieg zu ziehen. Ausgestattet mit jener Besitzstandshysterie, die der deutsche Bürger wiederum zu seinem »Gerechtigkeitssinn« verklärt, ist dabei jede noch so groteske Unverhältnismäßigkeit der Mittel recht.

Tatsächlich hing sogleich diejenige, die KQ in späteren Erzählungen über den Vorfall als »die Trächtige« zu bezeichnen keinerlei Hemmungen hatte, mit beiden Klauen am Quexschen Rucksack fest, nachdem sie mit der Anmut einer Elefantenkuh hinter ihm hergestürmt war. Die Ladenbesitzerin zückte währenddessen das Handy und drohte allen Ernstes, die Staatsmacht herbeizurufen. Wegen 25 Cent!

Kurz darauf näherte sich ein Hubschrauber der Krisenreaktionskräfte, eine vollmaskierte Spezialeinheit seilte sich in Windeseile ab und … Nein! Bevor die Staatsorgane zur Durchsetzung von Prinzip und Gerechtigkeit einzugreifen Gelegenheit finden konnten, gab KQ klein bei und warf den zwei haltlos enragierten Weltbürgerinnen weitere 25 Cent vor die manikürten Trampelfüße.

Der Quex befand, es könne damit dann doch noch nicht genug sein. Jedenfalls warf er, als die beiden Kontrahentinnen triumphierend in den Laden zurückgekehrt waren, im Weggehen und wie zufällig noch einen Zeitungsständer um. Der fiel so günstig, dass er einen zweiten Zeitungsständer mit sich in die Tiefe riß.

Als KQ diese Story im Caravaggio zum Besten gab, erwartete er, johlend und feixend beglückwünscht zu werden. Der Vorgang lag ja voll auf der Linie der Balkonstory und zeigte, wie es mit Friedrichshain rasant bergab ging. Das Haus gegenüber war ein Fallbeispiel für den Niedergang des Kiezes und der Vorfall illustrierte, welche Mentalitäten da neuerdings Einzug hielten. Vielleicht würde Lola den Kanarienquex sogar wieder auf die Titelseite hieven?

Lola würde nicht. Und Rischke rangierte am Rande der Panik, als er von KQs Verhalten in und vor dem Digital-Kiosk hörte.

»Quex, bist Du blöd? Was denkst Du Dir? Die verkaufen in dem Laden das Stadtmagazin mit Dir auf der Titelseite und Du führst Dich da auf wie ein Irrer?«

KQ war fassungslos! Solidarisierte sich Jonathan allen Ernstes mit diesen Neospießerinnen? War das nicht total klar, dass er da im Recht gewesen war?

»Im Recht, wenn ich Dir das als Jurist sagen darf, waren die anderen! Du hast schließlich eine Leistung – die Benutzung des Internets – in Anspruch genommen. Auch wenn die zweite Leistung – das Ausdrucken – nicht zustande kam, musst Du für die erste bezahlen!«

Jetzt echauffierte sich KQ: »Die erste Leistung macht ohne die zweite doch gar keinen Sinn. Ich wollte bloß was ausdrucken, Mann! Ins Internet kann ich übers Handy oder in meiner Wohnung besser und mit Flatrate. So ein Quatsch!«

Jetzt schaltete sich Lola ein, beschwichtigend und besorgt. Diese regelrechte Furcht, die KQs wohl eher harmloser Regelübertritt bei Rischke auslöste und dieses juristische Drüberstehertum, das er vorführte, stießen sie ab und ließen sie vor allen Dingen um ihren bisher besten Verbündeten in dieser Kampagne fürchten. Bekam Rischke kalte Füße?

»Kinder!«, nahm Lola den Gesprächsfaden kommunikationsgeschult in ihre Hände: »Ich denke nicht, dass KQs Verhalten so riskant war, wie Du das darstellst, John. Ich wäre wahrscheinlich auch ausgerastet. Aber weißt Du, Quex, Du musst schon wirklich ein bisschen schauen, dass Du die nächsten Monate keinen Anlass für eine Gegenkampagne bietest. Da muss ich John recht geben. Wenn wir das richtig aufziehen, kommt auch unweigerlich der Punkt, wo die BZ gegen uns schießt oder ein anderes Drecksblatt aus der Ecke. Pass bisschen auf, ok?«

KQ, der das alles überhaupt gar nicht einsah und die Wahrscheinlichkeit, dass die Springerpresse in den Fall einsteigen würde, für herzlich überschaubar hielt, setzte ein verständiges Gesicht auf und gab sogar einen beipflichtenden Räusperlaut von sich. Jonathan, der es noch lieber gehabt hätte, wenn er bei Lola seinen bevorzugten Spitznamen »Nathan« durchsetzen hätte können, war über das vertrauliche »John« aus ihrem Munde dennoch erfreut. »Diese Medienfotze ist echt geil!«, sagte er zu sich genauso stumm, wie er sich innerlich sofort übers grobe Maul fuhr. »Kein Schwein werden, Nathan, bleib einer von den Guten!«, hörte er eine sonore Stimme sagen und stellte sich schnell genug den indischen Affengott Hanuman vor, um diese Ermahnung für eine höhere Eingebung zu halten.

»So oder so haben wir ein fettes Ding am Laufen und können total zufrieden sein bisher. Genau deshalb habe ich aber unser kleines Strategietreffen einberufen. Wenn die Kiste richtig rollt, muss man das Steuer mit beiden Händen unter Kontrolle halten. Wir dürfen uns jetzt keine Fehler erlauben!«

»Jo, bravo!«, ließ sich KQ vernehmen, der das für überdrehtes Gefasel hielt – und bestellte eine Flasche Schampus.

In dem Moment spazierte Donna Fauna zur Tür herein.

KQ hätte sich ohrfeigen können.

Ähnliche Beiträge:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert