
Fauna und der Kanarienquexe, Gewächse der elektronischen Subkultur, haben auf einer blauen Schwalbe Marke Simson einen Abstecher in den Moloch gewagt. Dort soll eine besonders radikale Party steigen …
Was an der illegalen Party sonderlich illegal sein sollte, war Fauna keineswegs ersichtlich. Das Event war für ihren Geschmack zu professionell organisiert und überteuert. KQ blockte jedes Genörgel ab und hatte recht damit: Es war doch ein freundlicher Haufen, der sich in der ehemaligen Fabrik für Damenhandschuhe versammelt hatte. Die Deko war liebevoll gestaltet, besonders der Chill-Out-Bereich hatte es Shivas Paradiesvogelduo angetan.
Eine mit blauem Licht, Pappmaché und Netzen simulierte Unterwasserlandschaft bildete ein sehr gelungenes, psychedelisches Aquarium. An unsichtbaren Fäden befestigtes Meeresgetier schwamm, durch den Windhauch zweier Ventilatoren bewegt, phosphoreszierend hin und her. Es räkelten sich neonfarbene Seesterne, Quallen und Krebse.
Gegenüber waren die Sitzflächen zweier Sofas so aneinandergeschoben, dass sie mit den Rücken- und Armlehnen als äußere Begrenzung ein gepolstertes Rechteck bildeten. Fauna kam mit zwei Wodka Red Bull von der Theke und kletterte zu KQ in den Sofa-Pool. Als sie sich gesetzt hatte, hielt ihr der Kanarienquex ein Plastikbeutelchen vor die Nase.
»Hälfte oder gleich alles?«, fragte Fauna zurück.
»Gleich alles. Die Energie muss schon reichen für den Sprung.«
»Okay. Aber ich sag Dir gleich: Das wird schwierig mit mir heute. Ich bin immer noch ziemlich angefressen wegen meinem vergeigten Liebesabenteuer mit diesem Sonnenmenschen.«
»Ich bin ja dabei. Ich helf’ Dir, wenn Du abschmierst.«
»Versprochen?«
»Versprochen!«, antwortete der Quex und reichte Fauna wie zur Besiegelung seines Versprechens die Hand. Fauna ergriff sie und fand darin schon den Trip, der sie auf die andere Seite befördern sollte.
In diesem der Sofaburg gegenüberliegenden, wasserlosen Aquarium tat sich einiges. Vor ein paar Minuten war einer gekommen und hatte die Ventilatoren eine Stufe höher geschaltet. Die Neon-Fische, Kraken und Seesterne kamen richtig in Bewegung. KQ und Fauna, die immer noch das Doppelsofa bevölkerten und auf das Einfahren der Substanz warteten, waren von dem Schauspiel zur Gänze absorbiert.
Etwas jedoch zwang den Kanarienquex, sich aus den Polstern zu erheben. Sein Schwanz lag ungünstig in der Unterhose, sodass der titanstählerne Piercing-Ring am Frenulum unangenehm auf die freiliegende Eichel drückte.
KQ stand auf und nutzte die Gelegenheit, das merkwürdige Aquarium näher zu betrachten. »Nice! Nice! Sehr gut gemacht!«, murmelte er, vor dieser Installation stehend, um dann ein überraschtes »Häh? Was is’n des da?« auszustoßen.
Anscheinend verdeckte diese künstliche Wasserlandschaft mehr, als sie offenbarte. Zum Beispiel einen dahinterliegenden Raum. Hinter den Pappfelsen ging es weiter.
Es war zappenduster da drin. »Siehst Du das da hinten? Das Silbrige?«, fragte Fauna, die sich inzwischen neben den Kanarienquex gehockt hatte. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab und lugte ebenfalls in das Dunkel: »Wenn Du von hier aus schaust, kannst Du’s sehen.«
KQ hockte sich ebenfalls ab und tatsächlich: Da waren ganz schwach die obersten Sprossen einer Aluleiter zu erkennen. Offenbar reichte sie von unten durch ein Loch oder eine Luke herauf.
»Dieses Aquarium ist ja eine in höchstem Maße geheimnisvolle Einrichtung, findest Du nicht, Quex? Ich wüsste zu gern, was für Fische sich da noch so tummeln.«
KQs Forscherdrang war längst aktiviert: »Das werden wir gleich rausfinden. Werden diese Fischlein nämlich besuchen.«
»Spinnst Du?«, fuhr Fauna auf.
»Wieso denn?«, flötete der Quex fröhlich: »Ich hab’ doch gesagt, dass die Party illegal ist.«
Da hatte Fauna einen Netzvorhang mit Kunstalgen zur Seite geschoben und schlüpfte hinein in das psychedelische Aquarium. Sofort fuhr ihr der Luftzug der Ventilatoren unter den Rock, der sich daraufhin in einem neon-orangenen Seepferdchen verhedderte. Fauna machte sich schnell los, wich einigen anderen Schwimmtieren aus und verschwand rechts hinter dem Pappmaché-Felsen.
Der Kanarienquex stand noch wie unbeteiligt draußen und warf einen Kontrollblick zurück. Die Chillout-Area war leer, und die Leute dahinter schenkten ihm keine Aufmerksamkeit. Er passte einen günstigen Zeitpunkt ab, um ebenfalls in diese künstlichen Meereslandschaft einzutauchen.
»Und? Schon was entdeckt?«, erkundigte er sich halblaut, als er Fauna erreicht hatte. Die legte nur den Finger an die Lippen. Die Leiter führte viel weiter nach unten als gedacht. Das waren locker fünf oder sogar sieben Meter. Flackernder Kerzenschein leuchtete schwach herauf.
»Nach Dir, hochverehrtes Quexchen.« Fauna machte eine einladende Handbewegung. Vorsichtig setzte KQ einen Fuß auf die Alusprossen und begann mit dem Abstieg. Oben war Fauna noch beschäftigt. Um unnötige Geräusche zu vermeiden, nahm sie sämtliche Ringe von den Fingern.
Als sie sich ebenfalls an den Abstieg machte, hing der Kanarienquex schon auf der Hälfte des Weges. Ein Blick nach oben gewährte ihm vollen Einblick in das Innenleben von Faunas Rock, die gemächlich, aber sicheren Tritts herunterstieg.
Plötzlich hielt Fauna inne. Sie klammerte sich an die Sprossen und schien zu krampfen. »Was is’n?«, fragte der Kanarienquex flüsternd. »Der Trip fährt ein«, kam es von oben zurück. Na, bravo! Das war nun wirklich der ungünstigste Zeitpunkt. KQ selber war noch nicht so weit. Er stieg wieder ein paar Sprossen nach oben: »Bisschen atmen und Kraft sammeln, aber dann komm runter, Baby. Das ist kein guter Platz, den Sprung zu machen.« – »Okay«, keuchte Fauna. Sie tat ein paar tiefe Atemzüge und machte sich mit langsamen Schritten hinunter. Der Quex hatte fast den Boden erreicht, als es auch bei ihm losging.
Die Tripenergie breitete sich vom Solarplexus her ringförmig aus. Ohne sich umzusehen, sprang KQ die letzten Sprossen hinunter. Nach sicherer Landung hockte er sich, an eine Wand gelehnt, in den Schneidersitz. Fauna kam ächzend die Leiter herunter und setzte sich daneben. Der Trip fuhr ein, der magische Tunnel öffnete sich. Mit geschlossenen Augen saßen die beiden da. KQ nahm Fauna bei den Händen: »Es ist Zeit.«
Als er die Augen wieder öffnete, hatte ihn ein Zustand mystischer Klarheit erfasst. Er fühlte sich nicht im Mindesten verwirrt, wusste aber mit Bestimmtheit, dass sie sich auf der anderen Seite der Realität befanden.
KQ sah sich um. Sie saßen am Anfang eines langen Ganges. Das Gemäuer machte einen heruntergekommenen Eindruck. Metallgerümpel lag herum, ein paar alte Lumpen und ein Karton mit leeren Glasflaschen.
Überraschend warm war es hier. Und weiter hinten konnte KQ Stumpenkerzen erkennen, die im Abstand von einigen Metern links und rechts den Gang hinunterleuchteten.
Auch Fauna kam langsam zu Bewusstsein, auch wenn es sich um einen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand handelte. Sie räkelte sich und schlug die Augen auf, schenkte dem Quex ein Lächeln und zeigte wortlos fragend in Richtung der Kerzen. »Da geht’s zur illegalen Party unterhalb der illegalen Party, wenn ich mich nicht irre«, vermutete der Kanarienquex. »Oder gar keine Party. Sondern der magische Tunnel am Ende des magischen Tunnels«, entgegnete Fauna. »Schauen wir uns die Sache an«, beschloss KQ und half ihr auf die Beine.
Sie schlichen den Kerzen entgegen. Der Gang führte zwanzig, dreißig Meter weiter, links und rechts Kerzen, ohne dass sich etwas aufgetan hätte.
Da zupfte Donna Fauna KQ am Ärmel. Atemlos blieben beide stehen und horchten nach rechts. Von der anderen Seite der Wand drangen Stimmen ins Dunkle. Nicht viele, das waren höchsten drei oder vier Personen. Das meiste war unverständlich. Nur ein lauter Ausruf, der empört klang, war deutlich zu verstehen: »Bist Du wahnsinnig? Das kann den halben Laden in den Knast bringen!«, rief eine tiefe Stimme aus. Eine ebenfalls erregte Frauenstimme antwortete noch lauter: »Du weißt ganz genau, dass sie das niemals zulassen würde. Und …« – es folgte ein unverständlicher, längerer Name: »… sagt, es muss alles gereinigt werden. Sonst kann er nicht kommen.«
KQ zog Fauna weiter. Was auch immer das Gesprächsthema hinter dieser Mauer war: Es roch nach Gefahr. Fauna folgte widerwillig und es gelang den beiden, sich ohne verräterischen Lärm zu entfernen.
»Diese Stimme!«, raunte Fauna, als sie einige Meter weg waren: »Die erste Stimme. Ich glaub, die kenn ich …« »Ich nicht«, antwortete KQ, »Und ich will sie auch gar nicht kennen.«
Sie schlichen weiter, der Gang machte einen scharfen Knick nach links – und war zu Ende. Allerdings stand hier eine weitere Aluleiter, die nach oben und zu einem offen stehenden Kellerfenster hinausführte.
»Nichts wie raus jetzt«, zischelte der Kanarienquex.
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