Zog Nit Keynmol

Jüdische Partisanengruppe 1943 in Belarus.

Anmerkungen zu einem bemerkenswerten Lied aus der Shoah-Zeit. Es ist anachronistisch und zugleich doch auch noch immer relevant.

Wenn es ein Lied gibt, das den Rang des Holocaust-Liedes par excellence beanspruchen darf, ist es ohne Zweifel das Lied „Zog Nit Keynmol“. Sein auf Jiddisch verfasster Text wurde im Jahre 1943 von Hirsch Glick im Vilnaer Ghetto geschrieben, inspiriert von den Nachrichten über den jüdischen Ghettoaufstand in Warschau.

Als musikalische Vorgabe diente Hirsch die Melodie eines von Dmitri und Daniel Pokrass für einen 1937 uraufgeführten Film zu Worten von Aleksey Surkov komponiertes sowjetisches Lied. Es handelt sich um eine im Marschrhythmus geschriebene Melodie, die durch die Punktierung der hauptbetonten Noten und steigende Sequenzen ihre antreibende Dynamik erfährt. Hirschs Lied fand eine breite Aufnahme unter den unterschiedlichen jüdischen Partisanengruppen und avancierte recht bald zu deren den heroischen jüdischen Widerstand gegen die Naziverfolgung glorifizierenden Hymne.

Berühmt geworden sind die Zeilen der ersten Strophe des Liedes:

Sage nie, du gehst den allerletzten Weg,

wenn Gewitter auch das Blau vom Himmel fegt.

Die ersehnte Stunde kommt, sie ist schon nah,

dröhnen werden unsre Schritte, wir sind da!

Man weiß im Nachhinein, dass die Verheißung nicht eingehalten wurde, auch gar nicht hätte eingehalten werden können. Hannah Arendts den verfolgten Juden gemachter Vorwurf, sie hätten ihren nazistischen Verfolgern nicht genügend Widerstand geleistet, war nicht nur vom Ton her überheblich. Gegen die organisierte Naziübermacht und ihre durchgeplante Verfolgungspraxis gab es nicht viel, was die jüdischen Opfer hätten tun können. Der Aufstand im Warschauer Ghetto hatte, so besehen, einen eher symbolischen Wert als den eines den mörderischen Verbrechern effektiv gebotenen Einhalts.

Und doch muss man zwischen der Überhöhung des Widerstands in der nachmals in Israel etablierten Gedenkkultur und der Bedeutung des Liedes zum Zeitpunkt seines Entstehens unterscheiden. Die israelische Gedenkpraxis ließ es sich nicht nehmen, einen „Gedenktag an die Shoah und den Heroismus“ staatsoffiziell auszurufen, womit Stellenwert und Gewicht von Katastrophe und geleistetem Widerstand als gleichsam symmetrisch dargestellt werden. Das hatte etwas mit der Ideologie des neuen Staates und seinem Bedürfnis zu tun, eine Tradition jüdischer Wehrhaftigkeit zu konstruieren, herzlich wenig aber mit der historischen Realität. Demgegenüber erfüllt Hirsch Glicks Lied den Zweck des Mutmachens und des Festhaltens an der Hoffnung seitens des in höchster Not befindlichen historischen Akteurs – quasi Hölderlins Diktum folgend: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“. In „Jakob der Lügner“ hat Jurek Becker der Bedeutung einer wie immer vergeblichen Hoffnung, selbst im Kontext der Shoah, ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt.

Hatte das Lied Nachhaltigkeit? Im Jahr 1949 gab der legendäre schwarze Sänger Paul Robeson ein Konzert in Moskau. Am Schluss des Konzerts sang Robeson „Zog Nit Keynmol“ auf Jiddisch. Er leitete seine Darbietung mit einigen Sätzen ein, in denen er von der kulturellen Bedeutung der sowjetischen Juden sprach, und widmete das Lied dem von ihm verehrten jüdischen Schauspieler und Regisseur Solomon Michoels, der jüngst von Stalins Geheimpolizei ermordet worden war.

Man muss die Aufnahme dieser Darbietung hören, um die historische Tragweite der Begebenheit zu begreifen: Ein (genialer) schwarzer Sänger singt im stalinistischen Moskau auf Jiddisch das Lied der Erhebung gegen die Barbarei. Kaum zu beschreiben der minutenlange Jubel (und die Buhrufe) nach der Darbietung. Die einleitenden Worte Robesons löschten Stalins Zensoren aus der Aufnahme.

Ähnliche Beiträge:

Ein Kommentar

  1. Es erinnert mich an: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“
    Leicht ist es von warmen Sofa aus Kritik am geringen Widerstand von im Juden im KZ zu führen. Antifaschisten und Kommunisten im KZ werden gar nicht erst erwähnt. Bei Stalin hören die Berichte gar nicht auf.
    Wobei die Geschichte immer von den Siegern erzählt wird. Die Deutschen Jüdischen Glaubens sind sicher gebrochen, ich selbst kann die Bilder zu dem Lied kaum aushalten. Und da hat der Autor Recht die Bilder gibt es wieder, nur die Seite ist nicht auszumachen. Trotz aller Spekulation.
    https://www.youtube.com/watch?v=Bdd9EpDFS9M&t=4055s

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert