Ein internationaler Vergleich anhand von 10 Kriterien – Schriftenreihe zur COVID-19-Pandemie.
In der renommierten Wirtschaft- und Finanznachrichtenagentur Bloomberg werden auch umfangreiche Datensammlungen und Informationen aus anderen Gesellschaftsbereichen aufbereitet. Insbesondere sollen hier die Daten von zehn Einflussfaktoren1 analysiert werden, die eine quantitative Bewertung der verschiedenen Länder in Bezug auf die Bewältigung der Corona-Pandemie ermöglichen (Rachel Chang et al., The Covid Resilience Ranking, 25.05.2021, 28.06.2021 bzw. 28.07.2021).
Je fünf Variablen beschreiben die Corona-Entwicklung (x-Achse in Abb. 1) und weitere fünf Kenngrößen die daraus resultierende Lebensqualität (y-Achse in Abb. 1) in jedem untersuchten Land. Die Messwerte dieser zehn wichtigen Faktoren sind für die 53 wirtschaftlich bedeutendsten Nationen anhand folgender Kriterien festgelegt worden. Dabei sollten die Daten möglichst vollständig für alle Länder vorhanden sein, wobei bisweilen plausible Schätzungen nötig sind (z.B. China und Brasilien). Ferner sollten sie hinreichend aktuell sein. Acht der Indikatoren werden täglich und zwei jeweils jährlich aktualisiert. Zudem sollten die Daten aus verlässlichen Quellen stammen.
Zusätzlich ist durch die Mittelwerte der beiden x- und y-Größen ein weiteres Achsensystem gezeichnet worden. Das erlaubt eine einfache Zuordnung für die vier Quadranten: rechts/oben (grün hinterlegt) sind beide Werte überdurchschnittlich, rechts/unten ist x über- und y unterdurchschnittlich, links/oben ist x unter- und y überdurchschnittlich gut, sowie links/unten (rot hinterlegt) sind beide Werte unterdurchschnittlich. Dabei beziehen sich die Mittelwerte auf die hier angegebenen Länder. Deutschland schneidet in beiden Komponenten ziemlich genau mittelmäßig ab.
Die Klassifizierung bei jedem Merkmal läuft im Prinzip so ab, dass wir die Spanne, also die Differenz zwischen dem Maximum und dem Minimum der Länderwerte, in zehn gleichgroße Intervalle einteilen, die mit einer Bewertung von 1 bis 10 versehen werden. Größere Werte sind als besser zu interpretieren. Dabei sind für die jeweils fünf Kenngrößen der x- bzw. y-Koordinaten maximal 50 Punkte erreichbar. Die entsprechenden Punktwerte zu den zehn Kriterien sind für die dreißig ausgewählten wichtigen Handelsnationen in Tabelle 1 zusammengestellt worden.
Der Mittelwert der dreißig ausgewählten Länder für die x-Komponente beträgt 35.3, und ist für die y-Komponente mit 31.1 etwas geringer. Im Vergleich mit den Messwerten von Ende Mai 2021 haben sich die beiden Komponenten jeweils um etwa 3.5 bzw. 1.7 Punkte und die Summenwerte um etwa 5 Punkte verbessert. Solche Steigerungen sind für fast alle Länder zu beobachten.
Die höchsten Zuwächse von Mai bis Juli verzeichneten wegen der stark erhöhten Impfquote Schweden, Türkei, Frankreich und Kanada. Auch in Deutschland sind insbesondere im Juni deutliche Verbesserungen zu registrieren, wie auch aus Abbildung 1 hervor geht. Dort sind für Deutschland ebenfalls die quadratisch markierten Werte für Mai (DE5)und Juni (DE6) eingezeichnet. Höhere Verluste gibt es in Taiwan, Russland und Australien. Dieser Trend, dass sich die europäischen Länder verbessern und die früher führenden Länder in Asien und Ozeanien stagnieren oder verschlechtern, setzt sich weiter fort.
In der Grafik können sechs Gruppen, die mit den Schulnoten 1 bis 6 bewertet werden sowie einige isolierte Fälle identifiziert werden, wobei sich die einzelnen Gruppen von links oben nach rechts unten erstrecken, weil die Isolinien, das heißt die Gerade von gleichwertigen Kombinationen diesen Verlauf von Nordwesten nach Südosten haben. Stellvertretend ist die Gerade durch die beiden Mittelwerte eingezeichnet. Ein Summenniveau von 66.4 kann man zum Beispiel erreichen durch (die fiktiven) Werte von 38.1 und 28.3 oder 34.1 und 32.3. Deutschland liegt fast auf dieser mittleren Isolinie.
Die Spitzengruppe (Schulnote sehr gut) bilden die bisherigen Tabellenführer Neuseeland (NZ) und Singapur (SG). Letztere erreichen bei den direkten Maßzahlen (x-Werte) die volle Punktzahl, noch vor China (CN). Das liegt daran, dass Singapur im Gegensatz zu anderen asiatischen Staaten ein sehr hohes Impfniveau hat. In der knapp dahinter liegenden Verfolgergruppe (Bewertung sehr gut bis gut) positioniert sich als bestes Land in Europa Norwegen (NO) sowie Hongkong (HK) und Kanada (CA), das sich in den letzten Monaten enorm verbessert hat.
Die zweite Gruppe (Schulnote gut) umfasst jetzt Finnland (FI), Australien (AU), Dänemark (DK), Schweden (SE), Israel (IL), Südkorea (KR) und die Schweiz (CH). Dabei ist Australien aus der Spitzengruppe zurück gefallen, während die Schweiz und vor allem Schweden nach vorn gekommen sind. Somit sind alle skandinavischen Länder in den drei Spitzengruppen. Von den weiteren bei Bloomberg aufgelisteten Ländern kommt Irland hinzu. Alle diese Länder liegen im Quadranten rechts/oben.
Zur Gruppe 3 (Schulnote befriedigend) gehören größenmäßig geordnet China, Österreich (AT), Frankreich (FR), Belgien (BE), Großbritannien (GB), Deutschland (DE), Japan (JP), USA (US) und Niederlande (NL), sowie die in der Grafik etwas isoliert platzierten Vereinigten Arabischen Emirate (AE), die wie China sehr hohe Werte bei den Corona-Kenngrößen haben, jedoch relativ schwach hinsichtlich der Lebensqualität abschneiden. Aus der erweiterten Bloomberg-Liste kommt Rumänien hinzu. Großbritannien ist wegen der erhöhten Inzidenzen und Positivraten aus der zweiten Gruppe hierhin abgestiegen. Deutschland hingegen ist im Juni in diese Mittelgruppe aufgestiegen. Die Länder dieser Gruppe sind hauptsächlich in den beiden Quadranten links/oben und rechts/unten zu finden.
Die vierte Gruppe (Schulnote ausreichend) besteht aus Italien (IT), Türkei (TR), Taiwan (TW), Spanien (ES) und Chile (CL) sowie aus der erweiterten Liste Saudi-Arabien, Tschechien, Polen, Griechenland, Nigeria, Thailand, Vietnam und Indien. Speziell Taiwan und Vietnam sind aus der Spitzengruppe weit zurück gefallen, weil sie mit einer zu geringen Impfquote die auftretenden Ausbrüche nicht genug eindämmen können. Chile hat sich wegen der sehr hohen Impfquote erstmalig nach oben gearbeitet.
In der fünften Gruppe (Schulnote mangelhaft) sind aus der Tabelle Ägypten (EG) und Russland (RU) zu finden, die sich gegenüber dem Vormonat sogar verschlechtert haben. Da Chile und Nigeria jeweils die besten Nationen aus Südamerika und Afrika darstellen, liegen die übrigen Länder in der fünften und sechsten Gruppe. In der fünften Gruppe sind zum Beispiel noch Mexiko, Peru, Bangladesch, Pakistan und Philippinen.
Die sechste Gruppe (Schulnote ungenügend) enthält neben Brasilien (BR) noch Irak, Iran, Kolumbien, Indonesien, Malaysia, Argentinien und Südafrika. Alle Länder dieser letzten Gruppe liegen in dem Quadranten links/unten.
Interessant bei diesem Ländervergleich ist eine Gegenüberstellung von demokratisch oder autoritär regierten Staaten. Mit nur wenigen Ausnahmen wie China haben die Demokratien nicht nur eine deutlich höhere Lebensqualität, sondern sind jetzt auch bei der Bewältigung der Pandemie führend. Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind daher unter dem Mittelwert der y-Werte positioniert. Im Quadranten rechts unten zum Beispiel China und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie links unten Taiwan, Türkei, Chile sowie Ägypten, Russland und Brasilien.
Für Deutschland soll jetzt noch eine Detailanalyse vorgenommen werden, weil es für Viele überraschend ist, dass im Mai nur die vierte Gruppe mit einer insgesamt ausreichenden Bewertung und jetzt die Schulnote befriedigend erreicht wurde. Das erste Kriterium sind die monatlichen (registrierten) Infektionen pro 100.000 Einwohner. Das könnte man auch als Monatsinzidenz bezeichnen. Hier liegt Deutschland wegen der sehr guten Entwicklung der Fallzahlen im Juni 2021 bei voller Punktzahl in der Spitzengruppe.
Der zweite Faktor monthly fatality rate beinhaltet den Quotienten aus den aktuellen monatlichen Todesfällen zu den registrierten Infizierten im letzten Monat. Dies ist die wichtigste medizinische Kenngröße zur Abschätzung der Gefährlichkeit von Krankheiten. Hier erreicht Deutschland mit nur drei Punkten einen schlechten Wert. Das liegt nicht an den Todesfällen im Zähler, weil Deutschland dort befriedigende Werte erreicht, sondern am relativ kleinen Wert für den Nenner. In Deutschland werden nur PCR-Tests gezählt, die an symptomatischen Personen durchgeführt werden. Daher gibt es ein großes Dunkelfeld im Vergleich zu anderen Ländern, die ein Vielfaches getestet haben wie Großbritannien oder Dänemark. Dieser zweite Faktor wird sich künftig jedoch in Deutschland verbessern.
Die dritte Größe misst die Todesfälle relativ zur Bevölkerungsgröße seit Ausbruch der Pandemie und ist damit eine historische Variable. Hier liegt Deutschland mit 5 Punkten knapp unter dem Durchschnitt aller Länder. Die Positivrate, das heißt der Anteil der positiven Tests an der Gesamtzahl aller PCR-Tests, hat sich im letzten Monat deutlich verbessert, so dass Deutschland mit 9 Punkten in der zweitbesten Kategorie platziert ist. Schließlich gehört zu der x-Komponente noch die Erstimpfquote. Hier hat sich Deutschland ebenfalls sehr gesteigert und erreicht nunmehr 8 Punkte. Insgesamt bekommt Deutschland innerhalb der ersten Komponente, die aus direkten Corona-Kennzahlen besteht, 35 Punkte. Damit liegt man ziemlich genau im Durchschnitt der Länder von 35.3.
Die y-Komponente besteht aus fünf weiteren Kriterien, die zu den fünf Kriterien der x-Komponente hinzukommen. Die sechste Größe befasst sich mit der Stärke der Maßnahmen gegen Corona und wird anhand einer größeren Anzahl von einzelnen Einschränkungen durch ein britisches Expertenteam ermittelt. Die Größe unterliegt aktuellen Schwankungen, weil jede Regierung bei Gefahr unterschiedlich starke Restriktionen ergreift. Von den zehn betrachteten Faktoren in Deutschland werden hier die insgesamt wenigsten Punkte vergeben. Da Deutschland im Juni nur allmählich Lockerungen vorgenommen hat, erhält es lediglich unterdurchschnittliche 2 Punkte.
Hinsichtlich der Mobilität der Bevölkerung ist in Deutschland zur Zeit ein starkes Ansteigen zu registrieren, was zu einer guten Bewertung mit 9 Punkten führt.
Die achte Kenngröße ist das geschätzte Bruttosozialprodukt für 2021. Damit ist man zwar aktuell, aber der tatsächliche Rückgang in 2020 liegt real vor und beschreibt die Situation ebenfalls gut. Deutschland hat das Pech, im Vorjahr nur einen relativ gemäßigten Verlust verzeichnet zu haben, was in 2021 lediglich zu einem leichten Anstieg führt. Einige andere Länder, wie zum Beispiel USA und Großbritannien, hatten 2020 stärkere Rückgänge und kommen somit bei diesem Kriterium in 2021 besser weg.
Die beiden letzten Faktoren werden jährlich ermittelt und sind der Index für die Güte der allgemeinen Gesundheitsversorgung und die humanitäre Entwicklung. Hier schneiden die besonders hoch entwickelten, demokratischen Staaten besonders gut ab. In beiden Kategorien erreichen allein Norwegen und Schweiz Höchstwerte. Mit 8 und 9 Punkten belegt Deutschland ebenfalls sehr gute, weit überdurchschnittliche Rangplätze. Autoritär regierte Länder schneiden hier ziemlich schlecht ab. Im Mittel werden für diese y-Komponente 31.1 Punkte und damit etwa 4 Punkte weniger als bei der x-Komponente vergeben. Es wird interessant zu beobachten sein, ob die Werte für Juli 2021 sich im Schnitt weiter verbessern oder ob es durch die Auswirkung der Delta-Mutante in die negative Richtung gehen könnte. Bei der Summe der zweiten Gruppe liegt Deutschland ebenfalls wieder genau im Durchschnitt.
Ein Vergleich mit den Nachbarstaaten Deutschlands ist ebenfalls aufschlussreich. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, sind Dänemark und Schweiz in Gruppe 2 platziert und damit deutlich besser. Frankreich und Österreich sind etwas besser. Hingegen sind Tschechien und Polen in Kategorie 4 um einiges schlechter. Man sieht, dass Deutschland ungefähr den Mittelwert seiner Nachbarn (66.1) repräsentiert und sich nicht von der Masse abhebt.
Auffällig ist ebenfalls die geographische Verteilung. In Nordamerika haben Kanada und USA gut bis befriedigend abgeschnitten. In Mittelamerika sieht es schlecht aus, zum Beispiel erhält Mexiko die Note mangelhaft. Gleiches gilt auch für alle südamerikanischen Staaten. Nur Chile kann wegen seiner sehr hohen Impfquote noch knapp ausreichend bewertet werden. In Afrika ist es ähnlich schlecht. Lediglich Nigeria erreicht die Note ausreichend.
Bei den asiatischen Staaten ist es sehr unterschiedlich. In frühen Phasen der Pandemie waren mehrere führend. Jetzt sind nur noch Singapur und Hongkong mit an der Spitze und Südkorea erhält ein gutes Prädikat. China und Japan erreichen die Note befriedigend, während Taiwan und Vietnam weit zurück gefallen sind. Hingegen sind viele Staaten wie Pakistan, Bangladesch, Malaysia, Philippinen und Indonesien schlecht aufgestellt. In Ozeanien gehören Neuseeland und leicht zurückgefallen Australien von Beginn an zu den besten Nationen.
Europäische Staaten haben wegen ihrer durchweg hohen Impfquote stark aufgeholt und mischen im Spitzenbereich mit. Norwegen als bestes der durchweg mit gut bewerteten skandinavischen Länder liegt in der Gesamtrangliste auf dem dritten Platz. Die meisten mitteleuropäischen Länder, darunter auch Deutschland, sind befriedigend einzustufen. Einige süd- und osteuropäische Länder wie Spanien, Italien sowie Polen und Tschechien erreichen eine ausreichende Note.
Diese Betrachtung zeigt im Zeitverlauf die immer weiter fortschreitende Ungleichheit zwischen den Kontinenten. In den Entwicklungsländern ist die Situation wegen der geringen Impfquote weiterhin kritisch. Es muss dringend von der WHO geholfen werden, weil mit großer Wahrscheinlichkeit von hier neue, eventuell noch gefährlichere Mutanten kommen können.
Fazit
Unsere monatsweise Analyse reagiert deutlich und schnell auf Veränderungen. In den beiden letzten Monaten haben sich fast alle Länder wegen der Impffortschritte auch in den anderen Kategorien verbessert. Ausnahmen bilden Großbritannien, Australien und Israel, wo die Inzidenzen wieder stark durch neue Ausbrüche gestiegen sind. Deutschland hat sich ebenfalls wegen des deutlichen Anstiegs der Impfquote von der Note ausreichend auf befriedigend empor gearbeitet. Sowohl in der ersten Komponente (Corona-Kenngrößen) als auch in der zweiten (Lebensqualität) und im Vergleich mit den umgebenden Nachbarn steht Deutschland ziemlich genau in der Mitte.
Über die Autoren
Prof. Dr. Walter Mohr
Studium der Mathematik und Wirtschaftswissenschaften, Lehr- und Forschungstätigkeiten an Fachhochschulen und Universitäten mit über 50 Veröffentlichungen, insbesondere in den Bereichen Zeitreihenanalyse und Wirtschafts- und Wahlprognosen sowie medizinischen Qualitätsuntersuchungen (eHealth).
Dr. Frank W. Püschel
Studium der Mathematik und Wirtschaftswissenschaften, Lehrtätigkeiten im Hochschulbereich, Forschungsschwerpunkt auf den Gebieten der Zeitreihenanalyse und Wirtschaftsprognosen. Aktuell tätig in der Geschäftsführung eines Medizinprodukteherstellers.
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