Warum setzt ausgerechnet Bulgarien die größte Ausweisung russischer Diplomaten aller Zeiten in Europa ins Werk?

Der bulgarische Regierungschef Kiril Petkov wies 70 Mitarbeiter der russischen Botschaft außer Landes, weil sie bulgarische Interessen untergraben. Bild: gov.bg

Die angebliche Spionagetätigkeit der ausgewiesenen Russen scheint wenig glaubhaft, Bulgarien mit seiner zerbrochenen Regierung  handelt sich damit unkalkulierbare Risiken ein.

Russlandkritische Bulgaren und Bulgarinnen fordern seit langem die Ausweisung von Eleonora Mitrofanova, Russlands Botschafterin in Sofia, als „Persona non grata”. Seit Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat sie des Öfteren durch provokante Äußerungen Unmut in Bulgariens Öffentlichkeit erregt, erklärte die Bulgaren gar zu „Washingtons euro-atlantischen Handlangern„. Doch anstatt Russlands Spitzendiplomatin des Landes zu verweisen, hat Bulgariens liberaler Ministerpräsident Kiril Petkov nun ihren Koch nachhause geschickt, zusammen mit neundundsechzig diplomatischen und sonstigen Botschaftsangehörigen. „Ich kann sagen, dass ein großer Teil von ihnen direkt für ausländische Geheimdienste gearbeitet hat und ihre diplomatische Rolle nur Deckung war“, begründete dies der Regierungschef.

Medien im westlichen Europa zeigten sich beeindruckt von „Bulgariens Massenausweisung“. Die FAZ erkannte gar auf „Europarekord“; kein anderes EU-Mitglied habe seit Kriegsbeginn „so viele von Putins Leuten auf einen Schlag zu unerwünschten Personen erklärt wie nun Bulgarien“. Aus der Reaktion von Botschafterin Mitrofanova wurde indes deutlich, dass es  sich lediglich bei der Hälfte der „Personae non grata“ tatsächlich um Diplomaten handelte, beim Rest aber um administratives und technisches Botschaftspersonal. „Das sind mein Koch, meine Fahrer, der Sicherheitsdienst der Botschaft, die Buchhalter“, erklärte sie.

Zudem bemerkte sie, die Ausweisungen in der ihr zugestellten diplomatischen Note seien nicht mit Spionagevorwürfen begründet worden, sondern mit dem im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen festgeschriebenen Prinzip der Reziprozität. Bulgarien wolle die Personalstärke der russischen Diplomatie im Lande auf das Niveau der bulgarischen Diplomatie in Russland senken. Da Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats allerdings vom Gegenseitigkeits-Prinzip ausgenommen ist, hält Mitrofanova die Ausweisungen „mit dem Buchstaben und dem Geist des Wiener Übereinkommens für keineswegs vereinbar“.

Bevor jemand zur Persona non grata erklärt werden könne, so argumentierte die russische Botschafterin, müssten zunächst Beweise für seine illegalen Aktivitäten vorgelegt werden. Daher forderte sie die bulgarische Regierung ultimativ auf, die Ausweisung ihrer Diplomaten und Angestellten binnen vierundzwanzig Stunden zurückzunehmen. Andernfalls werde sie der Staatsführung der Russischen Föderation vorschlagen, die Botschaft in Sofia zu schließen. Dies aber käme dem Abbruch diplomatischer Beziehungen gleich.

Bulgariens Regierung wies Mitrofanovas Ultimatum empört zurück und ließ es stoisch verstreichen. So hoben am vergangenen Sonntag gleich zwei Flugzeuge vom Flughafen Sofia ab in Richtung Moskau.  Knapp einhundertachtzig russische Passagiere waren an Bord, darunter die russischen Generalkonsule von Russe und Varna sowie Diplomaten, Botschaftsangestellte und Familienangehörige.

Ausweisung wegen angeblicher Spionagetätigkeit der Ausgewiesenen scheint wenig plausibel

Warum aber setzte ausgerechnet Bulgarien die größte Ausweisung russischer Diplomaten aller Zeiten in Europa ins Werk, versicherten sich Bulgarien und Russland doch traditionell ihrer besonderen „historisch-kulturellen Verbundenheit”? Offenbar ist die viel beschworene „unverbrüchliche Freundschaft” der beiden slawischen Länder als Kollateralschaden des Ukraine-Kriegs in die Brüche gegangen. Bereits im März 2022 setzte Russland Bulgarien zusammen mit den anderen EU-Mitgliedern auf seine „Liste unfreundlicher Staaten”.

Und wenige Wochen später drehte Gasprom Bulgarien zusammen mit Polen als erstem EU-Land den Gashahn ab, weil sich Bulgarien der von Russland geforderten neuen Zahlungsweise in Rubeln verweigerte. Dass Bulgarien mit Ungarn zu den wenigen EU-Ländern gehört, die sich bisher offiziell nicht zu Waffenlieferungen an die Ukraine bereit erklärten, nützte dem Balkanland nichts.

Die Ausweisung der russischer Diplomaten und Botschaftsangehörigen kommt in einer Zeit tiefer politischer Krise in Bulgarien. Nach der Aufkündigung der links-rechten Viererkoalition durch die von dem Popstar und Showmaster Slavi Trifonov geführte Partei „Ima takev narod” (ITN – So ein Volk gibt es) hat Regierungschef Petkov keine parlamentarische Mehrheit mehr. Zwar will er mit seiner Partei „Prodalzhavame Promianata” (PP – Wir setzen den Wandel fort) versuchen, im Rahmen der amtierenden 47. Bulgarischen Volksversammlung eine neue Mehrheit hinter sich zu bringen, um die erklärtermaßen der Korruptionsbekämpfung gewidmete Regierungsarbeit fortzusetzen. Dass ihm dies aber gelingen wird, ist unwahrscheinlich, vorgezogene Neuwahlen im Herbst scheinen unausweichlich.

Warum aber riskiert eine im Rücktritt begriffene Koalitionsregierung den Abbruch diplomatischer Beziehungen mit Russland, was langfristig außenpolitische Risiken mit sich bringen könnte? Kiril Petkovs Begründung angeblicher Spionagetätigkeit der Ausgewiesenen scheint wenig plausibel. Bulgariens Staatspräsident Rumen Radev gab an, von der „Staatlichen Agentur für nationale Sicherheit“ (DANS) nicht über nachrichtendienstliche Tätigkeiten der nun ausgewiesenen Russen informiert worden zu sein. Auch Generalstaatsanwalt Ivan Geschev erklärte, er habe davon erst aus den Medien erfahren.

In Bulgariens politisch interessierter Öffentlichkeit stieß die rekordträchtige Ausweisung von „Putins Leuten” auf ein geteiltes Echo entlang der ideologischen Wasserscheide zwischen Russophilie und Russophobie. Die an der Regierungskoalition beteiligte postkommunistische „Bulgarische Sozialistische Partei” (BSP) lehnte sie ebenso ab wie die nationalistische, explizit Putin freundliche Partei „Vazrazhdane” (Wiedergeburt). Ausgesprochene Befürworter fand sie bei den euro-atlantisch orientierten liberal-konservativen Koalitionären von PP und „Demokratitschna Bulgaria” (DB).

Auch Petkovs Amtsvorgänger Boiko Borissov erklärte seine Unterstützung, obwohl er die Durchführung der Ausweisung  als „amateurhaft und dilettantisch” empfand. „Jetzt herrscht Krieg, und wir sind auf der Seite der Ukraine und der euro-atlantischen Welt … Als der Krieg begann, habe ich gesagt, dass alle Maßnahmen der Regierung, die mit dem Aggressor Russland zusammenhängen, unterstützt werden, bis der Krieg vorbei ist”, so Borissov.

Bulgarien als Versuchskaninchen?

Dagegen zog Bulgariens früherer Energieminster Rumen Ovtscharo (BSP)  im Interview für Nova TV die Verlautbarungen der Regierung in Zweifel. Er glaube nicht, dass die Ausgewiesenen wie behauptet gegen die Interessen Bulgariens gearbeitet hätten. „Das sind Reinigungskräfte, Friseure, Sekretärinnen, Fahrer“, gab er zu bedenken. „Warum nehmen wir sie nicht fest – sie haben keinen diplomatischen Status. Was hindert uns daran, sie vor ein bulgarisches Gericht zu bringen? Offensichtlich haben wir keine Beweise.“

Nein, von Spionage könne keine Rede sein, gab sich Ovtscharov überzeugt, witterte stattdessen so etwas wie eine Konspiration der Großmächte. Zum wiederholten Male nutzten NATO und EU Bulgarien als Versuchskaninchen und Kanonenfutter. „Genau wie wir am 27. April als Versuchskaninchen für andere Länder benutzt wurden, um zu sehen, was passiert, wenn Bulgarien die Zahlungen für russisches Gas in der von Russland gewünschten Weise einstellt, damit sich andere Länder orientieren können. Wir haben ein Experiment gemacht. Sie haben auf uns geschossen.“

London und Washington, so Ovtscharov, versuchten die Präsenz der Russen in den diplomatischen Vertretungen in Europa zu verringern. „Ich glaube nicht, dass die Ausweisung von siebzig Diplomaten eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates etwas Unbedeutendes ist, über das wir hinwegsehen können. Glauben Sie, dass sie gegen unsere nationalen Interessen gearbeitet haben? Das ist so lächerlich, dass es sich nicht einmal lohnt, darüber zu diskutieren”, sagte Otscharov Nova TV.

In ihren Grundzügen entspricht Ovtscharovs Argumentation Stellungnahmen aus Russland. Der russische Außenminister Sergej Lavrov behauptete zuletzt, die bulgarische Entscheidung zur Ausweisung sei auf Veranlassung „äußerer Mächte” gefallen. „Es handelt sich um eine Entscheidung des amtierenden Premierministers, der absolut offen und eindeutig pro-amerikanisch orientiert ist und bereit ist, jedem Wunsch seines Herrschers nachzukommen“, sagte Lavrov. Er kündigte entsprechende Gegenmaßnahmen an, ohne sie näher zu bestimmen.

Dass es um Spionage  oder um Personalkürzungen gemäß der Wiener Konvention gehen könnte, schließt auch der ITN-Fraktionsvorsitzende Toschko Jordanov aus. Er behauptet stattdessen einen persönlichen Rachefeldzug des Premiers Petkov für seinen Verlust der Macht. „Wir haben uns am 8. Juni aus der Koalition zurückgezogen, und am 9. stürmte Kiril Petkov eine Sitzung des Sicherheitsrates im Ministerrat mit dem Satz ‚Die Russen entmachten mich – lasst mich russische Spione jagen‘.“ Dann, so Jordanov, habe Petkov zuständige Dienststellen angewiesen, die Ausweisung von siebzig russischen Botschaftsangehörigen vorzubereiten. Seinen früheren Regierungschef Kirl Petkov bezichtigt Toschko Jordanov inzwischen offen der Lüge. Es gebe keine Berichte über Spionagetätigkeiten, sondern der Premier habe diese Entscheidung über die Diplomaten einseitig und ohne Beschluss des Ministerrats getroffen. „Der Mann reißt das ganze Land mit, weil er die Macht verliert“, behauptet er.

 

Die außenpolitische Affäre bringt in besonderer Weise Wirtschaftsministerin und BSP-Chefin Kornelia Ninova in politische Bedrängnis

Aus Rücksicht auf ihre Parteiklientel muss Ninova die Ausweisung der russischen Diplomaten ablehnen. Gleichzeitig aber strebt sie mit ihren jetzigen Koalitionären eine erneute Regierung im Rahmen des aktuellen Parlaments an, würden die Sozialisten bei vorgezogenen Neuwahlen doch voraussichtlich noch hinter die Nationalisten von „Vazrazhdane” zurückfallen.

Beim Thema inoffizieller Waffenlieferungen an die Ukraine verstrickt sich die für Ausfuhrgenehmigungen zuständige Wirtschaftsministerin aber immer stärker in Widersprüche. Obwohl die bulgarische Exportstatistik seit Kriegsausbruch bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern beträchtliche Zuwächse ausweist, hat Ninova stets bestritten, dass bulgarische Rüstungsfirmen über Mittelfirmen und EU-Drittstaaten Waffen und Munition in die Ukraine verkauften. Nun behauptet aber die inzwischen abgesetzte Geschäftsführung der Waffenschmiede VMS Sopot, genau dies sei mit Billigung der BSP-Chefin geschehen.

Mit welchen Nuklearbrennstäben wird Bulgarien künftig sein aus russischer Technologie bestehendes Atomkraftwerk Kosloduj betreiben? Und wo wird es seinen radioaktiven Müll deponieren? Wird es im im Falle einer Havarie des AKWs die Hilfe russische Ingenieure und die Ersatzteile bekommen, um den Atommeiler reparieren zu können? Solche Fragen könnten sich den Bulgaren künftig stellen, macht Russland seine Drohung des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen wahr. Zur Stabilisierung der politischen Situation im Land trägt Bulgariens außenpolitisches Scharmützel mit Russland nicht bei. Und auch die Prognosen für die voraussichtlich im Herbst anstehenden parlamentarischen Neuwahlen lassen eine solche nicht erwarten.

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3 Kommentare

  1. Bulgarien vertritt SEINE Interessen… Dieses Dritte Welt tut nichts anderes als Deutschland oder die USA auch sogar Russland tu dasselbe. Dass die bulgarische Regierung lügt, unterscheidet sie ebenfalls von keiner einzigen anderen Regierung dieser wselt

    Im Bulgrischen Interesse ist die Mitgliedschaft in der EU, die für das Land sehr viel Geld bedeutet. Warum um so einen lächerlichen Vorgang so ein Aufstand gemacht wird, ist mir unverständlich….

  2. Petrov: Studien & Arbeit in den U.S. of A. und CA > CIA ick höre dir trapsen.
    Petrov ist ein Chauvinist und Rassist. Siehe Fikipedia
    Zu Waffenlieferungen aus oder durch Bulgarien schreibt Frau Gaytandzhieva > dilyana.bg

    BG wäre ohne RU vielleicht TR. Siehe „Schlacht am Schipkapass“.
    Heutzutage Nationaler Feiertag in BG: 3 март (3. März)

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