Warum hat Russland den Gefangenenaustausch zugunsten der Ukraine gemacht?

Die fünf freigelassenen Asow-Kommandeure, die in die Türkei geflogen wurden

Durch Vermittlung der Türkei und Saudi-Arabien wurde 215 ukrainische Soldaten, davon die Hälfte Asow-Kämpfer mitsamt Kommandanten, sowie ausländische Kämpfer gegen 55 russische Gefangene ausgetauscht – und den prorussischen Oligarchen Medvedschuk.

Während die Teilmobilisierung verkündet und die Referenden in den besetzten Gebieten überstürzt angesetzt wurden, haben Russland und die Ukraine unter Vermittlung der Türkei einen spektakulären Gefangenenaustausch vereinbart und auch durchgeführt. Erstaunlich ist er nicht von ukrainischer Seite, die ukrainische Regierung profitgiert vor allem davon, sondern vielmehr von russischer Seite. In Russland kam denn auch Kritik an Moskau auf, weil sich unter den Ausgetauschten viele Asow-Kämpfer und auch deren Kommandeure von Mariupol befanden., aber auch, weil nur 55 russische Gefangene gegen 215 ukrainische Gefangene, davon 108 Asow-Kämpfer, ausgetauscht wurden. Ria Novosti berichtete zwar von der erfolgreichen Freilassung der 55 russischen Soldaten, aber nicht von der Gegenleistung – und vergaß auch den prominentesten Freigelassenen zu erwähnen.

Nachdem sich die Asow-Kämpfer in Mariupol ergeben hatten, wurde erklärt, dass diese nicht wie reguläre ukrainische Soldaten für einen Austausch in Frage kämen. Sie würden vielmehr vor Gericht gestellt und müssten für ihre Verbrechen mit harten Strafen rechnen. Ausländische Kämpfer wurden in der „Volksrepublik Donezk“ (DNR) bereits zum Tode verurteilt.

Nun wurden nicht nur 108 Asow-Kämpfer, darunter die fünf bekannten „Helden-Kommandeure“ Denis Prokopenko, Svyatoslav Palamar (Kalina), Sergei Volynsky (Volyn), Denis Shlega und Oleg Khomenko, wie es vom Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Andriy Yermak hieß „gegen 55 russische Soldaten, die uns nicht interessieren“, freigelassen. Die Kommandeure, die gesund aussehen, wurden in die Türkei ausgeflogen und sollen bis Ende des Kriegs dort bleiben. Für den ukrainischen Präsidenten Selenskij, der den Asow-Kämpfern nicht wie gefordert zu Hilfe kam und befahl, dass sie sich ergeben sollen, ist der Austausch innenpolitisch ein großer Gewinn. Er kann damit sein Versprechen teilweise eingelöst sehen, alle „Helden“ aus Asovstal zu befreien, und Kritik abwehren, dass er Asow verraten habe. Es kamen auch 8 Gefangene frei, die beim Angriff/Anschlag auf das Lager Jelenovka verletzt worden waren. Allerdings dürften sich noch um die 2000 Kämpfer aus Mariupol in russischer Gefangenschaft befinden.

Überdies ließ die „Volksrepublik Donezk“ 10 ausländische Kämpfer, die in die Vereinigten Arabischen Emirate ausgeflogen wurden, angeblich durch die Vermittlung Saudi-Arabiens frei: die Briten Sean Pinner, John Harding, Andrew Hill, Dylan Healy und Aiden Eslin,  die Amerikaner Alexander Dryuke und Andy Huyn, den Marokkaner Brahim Saadoun, den Schweden Matthias Gustavsson und den Kroaten Vekoslav Prebeg. Auch das natürlich ein Triumph für die ukrainische Seite. Selenskij sagte, die Freilassung der ausländischen Kämpfer/Söldner sei eine „Ehrensache“, wobei es eigentlich Russland ist, das sie und die Asow-Kämpfer freiließ.

Man darf vermuten, dass abgesehen vom Oligarchen und „Putin-Paten“ Viktor Medwedtschuk, der angeblich auf der Flucht wegen Hochverrat seit Monaten ohne Gerichtsverfahren inhaftiert war, weniger die russischen Soldaten, darunter auch einige Offiziere, der Grund waren, sondern Deals mit der Türkei und Saudi-Arabien. Der Verdacht besteht natürlich auch, dass es Putin vor allem um seinen Freund Medwedtschuk gegangen sein könnte, für den er bereit war, einen hohen Preis zu zahlen.

Russische Kriegsgefangene, die ausgetauscht wurden.

Auffällig ist zumindest die Zurückhaltung bei den russischen Staatsmedien, da der Austausch sich für den Kreml kaum als Erfolg darstellen lässt. Selbst wenn, wie gemunkelt wird, noch 32 weitere russische Gefangene freigelassen werden sollten. Das bestätigt auch RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan und verteidigte den Austausch, der immerhin 87 russische Gefangene zurück in die Freiheit brachte. Sie beschwert sich aber, dass Informationen über den Austausch erst einmal nur vom Ausland gekommen seien. Und sie fordert, dass man die 400-500 russischen Kriegsgefangenen doch freikriegen müsste, da es in Russland mehr als 6000 ukrainische Kriegsgefangene gebe.

Das russische Verteidigungsministerium rechtfertigte den Deal, die russischen Gefangenen hätten sich in „Lebensgefahr“ befunden. Es werden Geschichten der Freigekommenen verbreitet, nach denen sie gefoltert und misshandelt worden wären. Andererseits hätten die meisten gesagt, sie seien relativ gut behandelt und nur psychisch unter Druck gesetzt worden. Und Medwedtschuk soll den Austausch  erleichtert haben, es ist die Rede davon, dass er bei der Freilassung anderer Kriegsgefangener mitgewirkt habe..

DNR-Chef Denis Pushilin erklärte, er verstehe die Gefühle der Menschen, die Vergeltung und Gerechtigkeit für diese Kriegsverbrecher fordern, aber er habe andere Gefühle beim Unterzeichnen des Dekrets zum Gefangenenaustausch gehabt, bei dem auch Kriegsverbrecher freigelassen wurden. Man müsse aber in die Augen der Frauen, Mütter und Kinder der zurückkehrenden Soldaten schauen, um das zu verstehen. Das Wichtigste sei das Leben der Menschen.

Unter den ausgetauschten Kriegsgefangenen auf russischer Seite waren nur 3 aus den separatistischen „Volksrepubliken“. Angeblich würden sie nicht gefangen genommen, sondern sofort getötet oder nach dem Verhör in den Gefängnissen getötet werden. Die 3 ausgetauschten Soldaten hätten großes Glück gehabt, heißt es bei Rybar, wo es auch verhaltene Kritik am Austausch gibt.

Igor Girkin ist wie immer deutlicher in der Kritik am Kreml. Der Austausch sei nicht nur schlimmer als ein Verbrechen, sondern pure Dummheit.

In staatstreuen Medien wird wie in der Zeitung Vzglyad  der Gefangenenaustausch einerseits gefeiert, Russland zeige, dass das Leben der Soldaten einen hohen Wert habe. Andererseits hätten die russischen Streitkräfte bislang jeden gefangen genommen, der sich ergeben hat, obwohl man „in allen möglichen monströsen Videos gesehen“ habe, „wie russische Soldaten in ukrainischer Gefangenschaft behandelt werden“. Und: „Die Bedingungen der Gefangenen glichen eher einem Sanatorium. Dies stand in scharfem Kontrast zur Behandlung russischer Soldaten durch die ukrainische Seite“, wird behauptet.

Nach der Freilassung der Asow-Kämpfer, werde es anders zugehen, wird gedroht: „Jetzt können wir mit Zuversicht sagen, dass das ‚Sanatorium in Gefangenschaft‘ für diese Art von Charakteren vorbei ist. Sie werden keine zweite Chance haben, gefangen genommen zu werden. … Der Wunsch herauszufinden, wer sich ergibt, geht verloren, manchmal ist es einfacher, das Feuer zu eröffnen, um zu töten. Und dabei handelt es sich nicht um einen Befehl eines höheren Kommandos, sondern um eine spontan zustande gekommene informelle Entscheidung. Und nicht, dass nicht noch mehr Gefangene gemacht werden. Das werden sie, schließlich ist der russische Soldat Gräueltaten nicht gewohnt. Aber ein Bandera-Tattoo auf der linken Schulter oder ein Hakenkreuz auf der Stirn sind mittlerweile mehr als ein legitimes Ziel.“

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12 Kommentare

  1. Der Austausch entlarvt vor allem die Behauptungen beider Seiten, es wären keine Verhandlungen mit dem Gegner möglich, weshalb man den Krieg fortsetzen müsse. Wenn Verhandlungen bzgl. von Gefangenen mit Hilfe von Türkei und Emiraten möglich sind, dann wären die auch bei anderen Themen möglich. Offenbar haben beide Seiten daran aktuell kein Interesse und versprechen sich größe Vorteile durch die Fortsetzung des Krieges. Ich frage mich ohnehin langsam, ob beide Blöcke NATO-Westen vs. Russland-China nicht vor allem an einem lang genug andauernden Krieg interessiert sind, um die von der jeweiligen Führung angestrebte Transformation voranbringen zu können. Denn die Führungen beider Blöcke fürchten sich vor internen Instabilitäten und den Schwund ihrer Autorität. Im Westen wird eine Transformation der Industrie 4.0 (WEF), der Decarbonisierung (Mazzucato) und der Ausweitung der NATO angestrebt. Im Osten wird eine Transformation weg vom Dollar, hin zu einer vom Westen autarken eigenen Ordnung angestrebt. Proxy-Kriege und das Feindbild im gegnerischen Block helfen dabei, die eigene autoritäre Transformation von oben der Bevölkerung als notwendiges Übel zu verkaufen.

  2. Die Begeisterung üner den Austausch hält sich in Russland und v.a. im Donbass deutlich in Grenzen. Mal ganz davon abgesehen, daß man durch ukrainische Jubelfeiern überhaupt erst davon erfahren hatte – sieht so die „Denazifizierung“ aus? Daß die Elite der Asov-Nazi-Kämpfer und deren Anhänger, die – zuvor groß angekündigt – in Donezk vor Gericht gestellt werden sollten, nun freigelassen werden, zuhause als Freiheitskämpfer gefeiert, Straßen nach ihnen benannt werden und sie womöglich in den Schulen irgendwann wieder Nachwuchs rekrutieren können? Daß ausländische Söldner, die zum Russenkillen ins Land kamen und bereits zum Tode verurteilt waren, nun im Heimatland von ihren Heldentaten erzählen können?

    Und das am Vorabend der Referenden!

    Die Armee wird sich wohl gut überlegen, wen sie zukünftig gefangen nimmt.

    1. Momentan schauen die russ. Armeeangehörigen vor allem, dass sie selbst nicht in Gefangenschaft geraten.
      Da haben sich die Prioritäten gewaltig verschoben.

      Vom Wohnzimmer aus zum Töten von Gefangen aufrufen.
      Widerlich.

    2. Die Begeisterung üner den Austausch hält sich in Russland und v.a. im Donbass deutlich in Grenzen.

      Einige sind gewiss empört. Dass Girkin es kritisiert war sowieso klar, er kritisiert jeden Gefangenenaustausch, wenn es nach ihm ginge würde er sowieso Alle an die Wand stellen oder gar nicht erst gefangen nehmen, aber von ihm hängt ja auch zum Glück überhaupt nichts ab. Wichtiger ist hier auf jeden Fall die Kritik von Kadyrow.

      Was mich angeht, ich halte es grundsätzlich für eine gute Sache, dass überhaupt Gefangene ausgetauscht werden. In derzeitigen Situation grenzt das schon an ein Wunder. Die Kritiker sagen, man könne doch keine Nazis und Kriegsverbrecher laufen lassen. Naja, manchmal schon sage ich, und manchmal führt das zu bemerkenswerten Folgen. Ich erinnere da etwa an den Fall von Nadeschda Savchenko. Sie gehörte auch zu Asow und wurde von DNR Kämpfern im Sommer 2014 gefangen genommen. Sie war verantwortlich für die Ermordung russischer Journalisten im Donbass gewesen. Wurde in Russland vor Gericht gestellt, welche sie lebenslänglich verurteilte. In der Ukraine wurde sie zu einer Ikone. Sie haben sogar die Werchowna Rada mit ihren Portraits ausgeschmückt und forderten ihre Freilassung über mehrere Jahre. Das hatte sogar Wellen bis nach Europa geschlagen. 2016 wurde sie von Putin persönlich plötzlich und unerwartet begnadigt und laufen gelassen. Nicht einmal ausgetauscht, einfach laufen gelassen. Auch damals gab es heftige Kritik daran. Die Ukraine jubelte (zunächst) und man machte daraus einen Sieg über Moskau. Sie stand im Rampenlicht. Die Aufmerksamkeit der Medien war enorm. Man hat sie auch zur Heldin erklärt und zur Abgeordneten gemacht.

      Aber die Freude über sie verflüchtigte sich bald und kehrte sogar um. Sie kehrte aus der Gefangenschaft als eine ganz Andere Persönlichkeit zurück, was man zunächst nicht erkannte. Sie reagierte darauf auf den Händen getragen zu werden und mit jeglicher Kritik zunächst eher zurückhaltend. Sie schien es nicht zu genießen. Dann kam sie immer mehr aus sich heraus. Anstatt über Russland und Putin zu hetzen, fing sie an die Ukraine zu kritisieren. Teilweise ziemlich heftig, da fiel selbst vielen Russen die Kinnlade runter. Sie äußerte Verständnis mit Donezk und Lugansk und bewunderte ihren Mut und Aufrichtigkeit. Als Heldin gefeiert verhielt sie sich überhaupt nicht wie eine Ukrainische Heldin, ihre Haltung wurde absolut antiukrainisch und sie nutzte ihren Heldenstatus all zu gern aus. Und dadurch, dass sie auch politische Macht erhalten hatte, wurde sie allmählig zu einer Gefahr für das Regime. Schließlich wurde sie sogar so gefährlich für das Regime, dass man sie zur Terroristin erklärt hatte und lebenslänglich wegsperrte.

      Ich habe die Vermutung, dass auch die Asow Kämpfer, die jetzt noch als Helden gefeiert werden, die ukrainische Öffentlichkeit überraschen könnten.

  3. Laut Wikipedia > Im Oktober 2021 soll Nadeschda Savchenko mit einem gefälschten Covid-19-Impfzertifikat in die Ukraine eingereist sein, sodass ihr eine mehrjährige Haftstrafe droht!

    Die Nadija Wiktoriwna Sawtschenko ist schon ein Teufel’s Weib segelt gegen alle Flaggen.

  4. Die Ukraine kann jetzt ihre im Stich gelassenen „Nazis“ feiern!
    Vielleicht ist der Austausch auch eine Möglichkeit endlich sich an den Tisch zu setzen um zu verhandeln. Die beteiligten Staaten waren in Uzbekistan anwesend, ein zusätzliches Signal für die neue Ordnung.
    Also Verhandlungsbasen sind vorhanden, nur eben nicht von denen von denen man das am meisten erwartete.

  5. 55 russische Gefangene plus den Putin-Freund Viktor Medwedschuk gegen 215 ukrainische Gefangene, darunter hochrangige Assow Offiziere? Wenn das kein Geschmäckle hat. Allerdings ein sehr bitteres.
    Ich gehe mal schlicht davon aus, dass dieses Missverhältnis mit dem Oligarchen und Putinfreund Viktor Medwedschuk zu tun hat. Da mache ich einfach mal eine Rechnung auf: Wenn einer dieser 108 Assow-Offiziere mit drei russischen Gefangenen bewertet würde, kämen wir schon auf 324 russische Soldaten, im Gegenzug ausgetauscht werden könnten. Dazu kämen jetzt noch 116 ausländische und sonstige Milizionäre, sodass wir bei 440 russische Soldaten wären, die man im Austausch zurück bekäme. Es waren aber nur 55 statt 440!!
    Meine These: Wladimir Putin war das frei kommen seines Duzfreundes mal locker 385 russische gefangene Soldaten wert, die dann nicht in Freiheit kamen.
    Die Rechnung ist hypothetisch, aber sollte sie in die richtige Richtung gehen, was ich persönlich glaube, wäre es schon ziemlich pervers und unmenschlich von Putin seinen weiterhin in der Gefangenschaft der Ukraine verbliebenen Soldaten gegenüber. Da kann man schon ins Grübeln kommen.

    1. Ihre Rechnung hat was.
      Da die derzeitigen Kreml-Machthaber wohl mit mehr Intelligenz bestückt sind als ihre westlichen Kontrahenten sollte man ihnen trotzdem nicht eine eigene positivistische Moral unterstellen.
      Auch im Kreml sind durchsetzungsfähige Machtmenschen am Werk, die garantiert ihre Agenda fahren. Dies sollte man bei aller Lobhudelei nie vergessen.

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