Evakuiert werden soll nur eine symbolische Zahl an afghanischen Mitarbeitern, ansonsten werden in der Türkei und in Griechenland Mauern hochgezogen, aus Angst vor den Rechten sol sich 2015 nicht wiederholen. Verantwortung für den Militäreinsatz: Wir doch nicht.
Es gibt große Aufregung, Chaos und wilde Schuldzuweisungen wegen der überstürzten und nicht vorbereiteten Evakuierung der Mitarbeiter der Nato-Staaten und der sogenannten Ortskräfte mit ihren Familien. Auch hier wird sehr selektiv vorgegangen, wie das am Beispiel Deutschland auch klar wurde, wo man seit Jahren vorwiegend Ortskräfte über Subunternehmen angestellt hat, um nicht in Verpflichtungen zu geraten. Um möglichst vor der Bundestagswahl keine Afghanen, die man bis zum Fall von Kabul abgeschoben hat, nach Deutschland zu lassen, werden sogar von der GIZ Prämien an die Ortskräfte gezahlt, die da bleiben wollen.
Tausende warten am Flughafen und hoffen verzweifelt, aufgenommen zu werden. Die US-Soldaten schlossen Tore an der Festung, wodurch Panik entstand. Im Gedränge starben wieder Menschen. Dazu wurden Kinder und Eltern getrennt. Die Nato-Staaten machen klar, dass am Flughafen in Kabul die Freiheit der Nato-Mitgliedsstaaten gegen westlich orientierte Afghanen verteidigt wird, nicht gegen Taliban. Die Gefahr wächst, dass der IS oder al-Qaida das Chaos ausnutzen könnten, um einen Anschlag auszuführen. Bidens Sicherheitsberater warnt davor, was auch heißen kann, dass man die Sicherheit der Festung Flughafen weiter verstärkt.
Aber es sind nicht nur Ortskräfte und einige Frauen, Journalisten, Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen oder Künstler gefährdet, viele Menschen wollen und können nicht unter der Herrschaft der Taliban in dem kommenden Gottesstaat leben, den die Nato 2001 gestürzt und 20 Jahre bekämpft hat, um dann plötzlich die Menschen schutzlos zurückzulassen, die sich auf den von den Besetzern militärisch und finanziell gestützten neuen Staat verlassen haben. Schon jetzt sind 18 Millionen Afghanen auf Hilfe angewiesen, das könnten schnell mehr werden, wenn weniger Hilfe ins Land kommt. Und es bahnt sich ein Krieg zwischen den jetzt mit amerikanischen Waffen hochgerüsteten Taliban und der Provinz Pandschir an.
Hier wollen die Nato-Staaten keine Verantwortung übernehmen. Um die zu erwartenden Flüchtlinge sollen sich die Nachbarstaaten kümmern, man selbst baut zur Abwehr nicht des islamistischen Terrors, sondern von Menschen, die vor den Gotteskriegern und ihrem repressiven und rückwärts gewandten Männerstaat fliehen, Mauern wie in der Türkei und Griechenland, um die Grenzen abzuschotten.
Vom Chaos – und auch der Armut -, die man hinterlassen hat, will man nichts wissen. Getrieben von den Rechten in Europa soll es kein 2015 mehr geben, in den USA ist sowieso klar, dass nur ein paar tausend Auserwählte aufgenommen werden, aber erst einmal in Doha und anderswo vielleicht Jahre ausharren müssen, um die Sicherheitsüberprüfungen über sich ergehen zu lassen. Doha ist bereits überfüllt. Eine Zwischenstation scheint der US-Stützpunkt Rammstein zu sein. Albanien, Kanada, Kolumbien, Costa Rica, Chile, der Kosovo, Nordmazedonien, Mexiko, Polen, Katar, Ruanda, die Ukraine und Uganda sind solche Satellitenstaaten, die Afghanen wegen der verdrucksten US-Politik aufnehmen wollen und sich dafür natürlich etwas erwarten.
Das ehemalige Einwanderungsland USA hat zwar auch eine Mauer gegen Migranten errichtet, die angeblich erst einmal als Schutz vor Terroristen gerechtfertigt wurde, aber natürlich gegen Migranten aus Lateinamerika errichtet wurde. Donald Trump hatte es nicht geschafft, sie ganz zu schließen.
Griechenland hat die Mauer zur Türkei ausgebaut
In Europa wurde vor allem nach der “Flüchtlingskrise” 2015 die Grenzschutzbehörde Frontex ausgebaut, um die Festung Europa zu sichern, aber innerhalb der Festung wurden weitere Festungen durch Grenzzäune mit dem Vorreiter Ungarn errichtet: zwischen Slowenien und Kroatien, zwischen Bulgarien und Griechenland/Türkei, zwischen Nordmazedonien und Griechenland, gefolgt von Grenzziehungen zwischen Estland und Russland und zwischen Lettland und Belarus.
Allerdings hatte nach Spaniens Festungen Melilla und Ceuta bereits Griechenland 2012 mit dem Bau eines Grenzzauns am Fluss Evros begonnen. Der wurde nun auch angesichts von möglichen Flüchtlingen aus Afghanistan über eine Strecke von 40 km fertiggebaut und mit neuen Überwachungssystemen ausgerüstet. Die griechische Regierung erklärte, man werde nicht noch einmal zum Einlass für Flüchtlinge. Die Machtübernahme der Taliban habe “Möglichkeiten für Flüchtlingsströme” geschaffen, sagte Bürgerschutzminister Michalis Chrisochoidis vergangenen Freitag bei Besichtigung des Grenzzauns: “Unsere Grenzen werden sicher und undurchdringlich sein.” Griechenland hatte schon zuvor die Migrationsabwehr verschärft und hatte mit Gewalt Pushbacks in die Türkei vorgenommen.
Die türkische Mauer
Falls tatsächlich viele Afghanen vor dem Taliban-Regime und der weiter zu erwartenden Verarmung flüchten, dann werden sie vornehmlich über den Iran in die Türkei kommen und von dort aus versuchen, nach Europa zu gelangen. Die Türkei, auch ein Meister im Mauerbau, hat an der türkisch-syrischen Grenze bereits über 800 km mit der Hilfe von EU-Geldern eine vier Meter hohe Sperranlage mit Wachttürmen und elektronischer Überwachung errichtet, die Ende 2020 fertiggestellt wurde. An der 500 km langen Grenze zum Iran wurde schon 2017 mit dem Bau einer drei Meter hohen Mauer begonnen (Türkei baut Mauer an der iranischen Grenze gegen afghanische Flüchtlinge).
Die Türkei hat nicht nur 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge vorübergehend aufgenommen, was derzeit in der Bevölkerung zu Aggressionen und Angriffen führt, sondern es sind auch 140.000 afghanische Flüchtlinge ins Land als “Illegale” gekommen. Sie können wegen des Flüchtlingsdeals mit der EU nicht weiter nach Europa, dazu leben im Iran bereits 3,5 Millionen Flüchtlinge. Der Druck könnte nun wachsen, fürchtet die unter Druck stehende türkische Regierung, schnell Richtung Türkei und Europa zu gelangen, wenn neue Flüchtlinge aus Afghanistan ins Land kommen. Wie weit die Mauer bereits gebaut ist, gibt es unterschiedlichen Angaben, sie soll aber möglichst schnell fertiggestellt werden. Zudem wurde an der Grenze mehr Militär und Polizei stationiert, nach dem Videos zirkulierten, die zeigen sollen, wie größere afghanische Flüchtlingsgruppen über die Grenze in die Türkei einwandern.
Recep Tayyip Erdogan hat am Samstag mit Angela Merkel telefoniert und schon mal eine “neue Einwanderungswelle” als unvermeidlich bezeichnet, wenn nicht den Menschen in Afghanistan und im Iran sowie den Nachbarländern geholfen werde. Europa müsse schnell handeln, die Türkei könne keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Erdogan, der sich mit den Taliban gut stellen will, um den türkischen Einfluss zu erweitern, versucht damit, auch die EU die Taliban durch Zahlungen zu unterstützen. Er bietet auch weiter an, in Absprache mit den Taliban den Flugplatz zu sichern. Ähnlich äußerte er sich gegenüber den EU-Ratspräsidenten Charles Michel, wohl wissend, wie hoch der Druck in der EU ist, keine größeren Flüchtlingsgruppen aufzunehmen.
Flüchtlinge sollen bloß nicht zu uns kommen
Österreich hat dies am deutlichsten ausgesprochen, obwohl die Grünen Teil der Regierungskoalition sind. Bundeskanzler Kurz hat sich strikt gegen die Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen gestellt, humanitäre Gründe zählen nicht im innenpolitischen Kampf gegen die FPÖ: “Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen. Die Region rund um Afghanistan muss stabil bleiben und in dieser Region soll Afghanen auch Schutz vor Verfolgung geboten werden.” Das scheint die “Lösung” der europäischen Regierungen zu sein, warum aber dadurch die Lage stabil bleiben soll, ist schleierhaft. Aber Kurz geht noch weiter. “Rückführungen” von Afghanen sollen auch in die Nachbarländer möglich bleiben, wenn man sie schon nicht direkt den Taliban zuführen kann. Innenminister Nehammer schlug dafür Outsourcing vor, nämlich die Einrichtung von “Abschiebezentren” in den Nachbarländern.
“Wir sollten nicht die gleichen Fehler wie 2015 machen. Wir sollten nicht warten, bis die Menschen an den EU-Außengrenzen stehen. Das heißt also, dass wir zusammen mit anderen Staaten und internationalen Organisationen den Afghanen in Afghanistan und in den Nachbarländern der Region helfen müssen”, sagte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der Welt am Sonntag. Das scheint zur Devise zu werden. Bloß keine Zuwanderung, die durch den 20-jährigen gescheiterten Krieg in Afghanistan mit verantwortet werden müsste, das Problem muss in Afghanistan und in den Nachbarstaaten gelöst werden. Dafür gibt es denn dann schon mal Geld, mit dem man sich die innenpolitische Ruhe erkaufen und gleichzeitig sein mieses Verhalten verschleiern will.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen meint, man müsse vor allem gegen Schleuser vorgehen und sichere Wege beim G7-Treffen global einrichten, um Flüchtlinge aufzunehmen. Die EU will mehr Geld zahlen, wie viele Flüchtlinge aufgenommen werden sollen, verrät sie nicht. Sie dankt EU-Mitgliedsstaaten wie Spanien, die Ortskräfte aufnehmen, und versprach, diese zu unterstützen.
Besonders in Deutschland und Frankreich wird die Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen zum Problem. In Frankreich stehen nächstes Jahr Wahlen an, Macron muss fürchten, dass Marine Le Pen gewinnen wird. In Deutschland steht die Bundestagswahl an, es soll eine Wiederholung von 2015 verhindert werden, was die AfD groß gemacht hat. Also möglichst nur eine überschaubare humanitäre Geste, den Rest sollen die Nachbarländer tragen. Da schließt sich auch Annalena Baerbock an, auch wenn sie die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss ausspricht und meint, es müsste eine symbolische Zahl von 50.000 Afghanen aufgenommen werden. Scholz und Laschet wollen auch die Nachbarländer in Haft nehmen.
Könnte nur sein, dass die Wahlkämpfer nicht auf die Stimme des Volkes, sondern nur auf die der AfD hören. Nach einer repräsentativen Umfrage von YouGov, allerdings nur unter 1000 Deutschen, sprachen sich 63 Prozent dafür aus, bedrohten Menschen aus Afghanistan Schutz in Deutschland zu gewähren. 84 Prozent waren der Meinung, dass Afghanen aufgrund von politischen Ansichten, Geschlecht, sexueller Orientierung oder religiöser Zugehörigkeit bedroht sind.