Ukraine: Konflikt zwischen Regierung und Militärführung offenbart Unzufriedenheit im Volk

In Zukunft soll der Generalstab nicht mehr ohne ihn Entscheidungen treffen, sagte Selenskij öffentlich. Bild: president.gov.ua

Die Militärführung wollte angeblich ohne Absprache mit dem Präsidenten zur Mobilisierung die Bewegung von Wehrpflichtigen auch im Land einschränken. Die Empörung war groß, Selenskij musste einschreiten.

 

Schon länger soll es zwischen der ukrainischen Regierung und der Führung des Militärs knirschen. Angeblich soll es zwischen dem ukrainischen Präsidenten Selenskij und Valeriy Zaluzhny, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte, im Hinblick auf die Verteidigung der Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk gegeben haben. Zaluzhny drängte auf Abzug der Soldaten wegen der absehbar aussichtslosen Lage, Selenskij wollte so lange als möglich die Städte halten, um auch gegenüber den Unterstützerstaaten zu demonstrieren, wie heroisch die ukrainischen Soldaten kämpfen.

Jetzt ist der Streit zwischen militärischen und politischen Interessen wirklich öffentlich geworden. Es geht dabei offensichtlich darum, dass die ukrainischen Streitkräfte hohe Verluste erlitten haben und ausgezehrt sind. Dringend müssen Soldaten rekrutiert und eingezogen werden. Dagegen steht die Regierung unter Druck, die Ausreisemöglichkeiten für wehrpflichtige Männer zwischen 18 und 60 Jahren zu erweitern. Mit dem Kriegsrecht wurde in Form eines Präsidialdekrets ein Ausreiseverbot mit wenigen Ausnahmen verhängt. Dazu gab es zahlreiche Petitionen, zudem hat sich ein regelrechtes Schmugglergeschäft entwickelt. Wer Geld hat, kann auch die Grenzbehörden bestechen, wer entsprechende Beziehungen hat, findet auch Wege, dem Krieg in der Ukraine und einer möglichen Mobilisierung zu entkommen. Selenskijs Partei hat einen Gesetzentwurf in die Rada eingebracht, um das Ausreiseverbot gesetzlich zu regeln, aber darüber wurde noch nicht entschieden. Als Ausnahmen sind u.a. vorgesehen: Väter mit vielen Kindern, alleinerziehende Väter, als behindert anerkannte Männer und Studenten und Doktoranden).

Mitte Juni gab die Vizeverteidigungsministerin Anna Maliar bekannt, dass Hunderttausende zum Kriegsdienst eingezogen würden. Frauen sollen aber noch verschont bleiben. Die Mobilisierung laufe nach Plan, die Gesellschaft sei sehr motiviert. Wahrscheinlich lief es nicht so gut, die Berichte mehrten, dass kaum ausgebildete und schlecht bewaffnete Einheiten der Territorialkräfte an die Front geschickt wurden, wo sie als Kanonenfutter dienten und große Verluste erlitten. Es kam zu Protesten, manche verweigerten den Befehl, desertierten oder ergaben sich den Russen.

Jedenfalls   hat der Generalstab am 5. Juli mitgeteilt, dass wehrpflichtige Ukrainer nicht nur nicht ausreisen dürfen, sie benötigen in Kriegszeiten ebenso wie Reservisten auch auf Grundlage des Gesetzes „Über den Militärdienst und den Militärdienst“ aus dem Jahr 1992, wenn sie ihren Wohnort, an dem sie gemeldet sind, verlassen, eine Erlaubnis der Einberufungsbehörde (CCC).  Nach Protesten wurde schnell korrigiert, dass eine Erlaubnis benötigt wird, wenn der Bezirk verlassen wird, in dem der Wohnort liegt. Dazu habe man für registrierte Wehrpflichtige ein Verfahren entwickelt.

Zaluzhny schrieb dazu an die „liebe Bürger – Wehrpflichtige und Wehrpflichtige!“: „Ich erinnere Sie daran, dass ein Krieg im Gange ist.  Sie werden von Ihrem Land gebraucht! Alle, die noch nicht im Militärregister eingetragen sind oder dies nicht aktualisiert haben, müssen das machen. Diejenigen von Ihnen, die außerhalb ihrer Bezirke oder Regionen reisen wollen, müssen eine Genehmigung beim SCC einholen. Das Militärkommando hat keine Anweisungen erteilt, um die Umsiedlung von Personen in den nächsten Tagen zu behindern.“

Die Anordnung hat der Generalstab angeblich ohne Absprache mit dem Präsidenten gemacht. Nach Medienberichten hörte Selenskij während eines Treffens von der Entscheidung des Generalstabs. Er sei empört gewesen und habe Valeriy Zaluzhny angewiesen, das Verfahren umgehend zu beenden. Ob das wirklich zutrifft, lässt sich schlecht beurteilen. Zuständig sei dafür nicht das Militär, sondern das Verteidigungsministerium und die Regierung. Solche Entscheidungen dürften nicht ohne ihn gemacht werden, schrieb er auf Facebook und erklärte er in einer seiner Ansprachen. Es habe Meinungsverschiedenheiten, Missverständnisse und Empörung gegeben. Selenskij, der seit Monaten verkündet, dass die Ukrainer opferbereit sind und mit der Lieferung von Waffen siegen werden, ist zunehmender Unzufriedenheit ausgesetzt, weil der Krieg sich hinschleppt, die Verluste groß sind und kaum wirkliche Erfolge erzielt werden.

Gestern traf sich Selenskij mit dem Militär, entschieden wurde, das Genehmigungsverfahren nicht anzuwenden. Natürlich habe es keine Missverständnisse gegeben: „Dies ist ein kleiner Fehler im Vergleich zu der großen Einheit, die wir angesichts der russischen Bedrohung demonstrieren. Es ist nur eine kleine Sache. Es geht um nichts.“ Das wird manche nicht beruhigen, es geht immerhin darum, ob jemand eingezogen wird und damit rechnen muss, getötet oder verletzt zu werden.

Zaluzhny schrieb, der Generalstabschef der Streitkräfte der Ukraine, Serhiy Shaptala, habe das Verfahren abgebrochen, „um weitere Manipulationen zu verhindern“. Das verbreitete Dokument wird als internes Papier heruntergespielt, es habe keine Einschränkungen der Freiheiten und Rechte gegeben: “ Trotzdem führte seine Veröffentlichung im Netz zu zahlreichen Manipulationen, Diskrepanzen und sogar illegalen Aktionen, um die Bewegung von Bürgern zu verhindern, was zur Grundlage für die Diskreditierung der Streitkräfte der Ukraine und der militärpolitischen Führung des Staates wurde.“ Auch darin zeigt sich, dass es verständlicherweise in der Ukraine brodelt.

Trotzdem soll daran in veränderter Form festgehalten werden. Es werde aktualisiert, da das Verfahren nicht den Realitäten der heutigen Zeit entspreche und „keine wirksamen Mobilisierungsmechanismen“ enthält. Ein Problem ist natürlich, dass viele Ukrainer intern wegen des Kriegs, aber auch, um zu arbeiten, ihren Wohnort gewechselt haben. Und zum Schluss mahnt er an: „Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Bürger der Ukraine fordere ich die Ukrainer auf, ihre verfassungsmäßige Pflicht zum Schutz des Staates zu erfüllen.“ Die Ukrainer müssen also weiterhin damit rechnen, dass ihre Bewegungsfreiheit im Land eingeschränkt wird und sie jeder Zeit mobilisiert werden können.

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12 Kommentare

  1. „Selenskijs Partei hat einen Gesetzentwurf in die Duma eingebracht“

    Duma ist in Russland. In der Ukraine heißt das Parlament Rada.
    Ich weiß das ist kompliziert 🙂

      1. Ich konnte mir ein Schmunzeln kaum verkneifen, Selenskiys Partei reicht ein Gesetzentwurf in der Duma ein 😉 Ich dachte schon Huh, ich muss aber viel verpasst haben.

      1. Die Ukrainische Pravda hat Anfang der Woche berichtet, dass die Polizei über das Wochenende Razien in 420 Nachtclubs in Kiew durchführte und mehr als 400 „Wehrdienst-Drücker“ verhaftete. Mich hat vor Allem überrascht, dass in Kiew 420 Nachtclubs geöffnet haben obwohl es doch eigentlich eine nächtlichte Ausgangssperre gibt. Da scheint es ungeachtet des Krieges eine Bombenstimmung in Kiew zu geben und es haben sich anscheinend Einige freigekauft wenn in mehr als 420 Clubs gefeiert wird, aber Einige, die sich nicht freikaufen konnten schleichen sich auch schon mal in Clubs rein und werden von der Polizei gejagd.

  2. Man sollte bei solchen Berichten immer sehr vorsichtig sein. KEINER weiss was da wirklich abläuft. Und Selensky weiss, dass er zu tun hat was seine amerikanischen Berater ihm anschaffen…

    Und wir werden es, wie so vieles, auch niemals erfahren. Man ms sich immer wieder klarmachen was man alles nicht weiss.

  3. Ich verstehe ja die Tendenz, zu spötteln, aber das ist schon eine wahrhaft todernste Angelegenheit. Wer jetzt eingezogen und nach Schnellstbleiche an die Front verfrachtet wird, hat eine Lebenserwartung, die derjenigen einer Fruchtfliege gleicht. Und auch die Frauen sollen dran glauben. Ich hoffe doch, dass auch die feministischsten unter ihnen einräumen, dass man bzw. frau auf diese Form von Gleichberechtigung verzichten kann.

    1. Von einer feministischen Aussenpolitik bei Freunden der Ukrainer zu einer feministischen Verteidigungspolitik in der zweitbesten Demokratie nach der USA ist es eben nur ein kleiner Schritt.

      Verzeihung für die Ironie. Pnyx, Sie haben recht, die Menschen in der Ukraine verdienen unser Mitleid nicht unseren Spott.

  4. Die politische Führung scheint das zu benutzen, um die militärische in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren und deutlich zu machen, wer das Sagen hat. Zaluzhny hatte wohl inzwischen zu hohe Zustimmungswerte, weil er im Interesse seiner Leute eher für geordneten Rückzug statt für standhalten und den Heldentod sterben (wie politisch gewünscht) eintrat.

    Und nun ist er auf einmal derjenige, der so etwas wie die Leibeigenschaft wieder einführen will…….
    I.S Politintrige kommen die Militärs halt nicht mit.

  5. „Zuständig sei dafür nicht das Militär, sondern das Verteidigungsministerium und die Regierung. Solche Entscheidungen dürften nicht ohne ihn gemacht werden, schrieb er auf Facebook und erklärte er in einer seiner Ansprachen. Es habe Meinungsverschiedenheiten, Missverständnisse und Empörung gegeben. Selenskij, der seit Monaten verkündet, dass die Ukrainer opferbereit sind und mit der Lieferung von Waffen siegen werden, ist zunehmender Unzufriedenheit ausgesetzt, weil der Krieg sich hinschleppt, die Verluste groß sind und kaum wirkliche Erfolge erzielt werden.“

    Hier verlangt ein Regierungschef, der selbst mit einem Friedensprogramm zur Wahl antrat und dafür mit 73% Zustimmung belohnt wurde, von seinen Bürgern Gefolgschaft, obwohl er selbst, als er den versprochenen Frieden verhandeln wollte, den Drohungen des „rechten Sektors“ gefügig war und die Friedensagenda von der Tagesordnung nahm. Wer regiert eigentlich in der Ukraine?

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