Stoppt das Krankenhaussterben!

Bild: mspark0/Pixabay.com

 

 Krankenhäuser in Deutschland und Europa sind längst zum Spekulationsobjekt international agierender, privater Klinikkonzerne geworden. Die Folge: Die Konzerne erzielen Renditen aus dem solidarischen System unseres Gesundheitswesens.

Schönreden bedeutet etwas in positivem Licht darstellen, obwohl es tatsächlich nicht so ist. Die Vorstände der privaten Klinikkonzerne und viele Klinikgeschäftsführer beherrschen dieses Metier perfekt.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit zeigt dies anschaulich. Es geht um den Verkauf der bisher unter dem privaten SANA-Konzern geführten Kliniken Ostholstein an den Schweizer Klinikkonzern Ameos. 2018 hatte das Bundeskartellamt noch die Übernahme untersagt, im Oktober 2021 jedoch seine Zustimmung gegeben. Die Kartellwächter hatten 2018 noch Bedenken, weil Ameos bereits über einen gemeinsamen Investor im Besitz der Schön-Klinik Neustadt war, die sich ebenfalls in Ostholstein befindet. Diese Beteiligung wurde 2021 beendet, um die Übernahme zu ermöglichen.

Die Ameos-Gruppe ist einer der großen privaten Gesundheitsversorger im deutschsprachigen Raum und besitzt mittlerweile über 95 Kliniken und Einrichtungen an über 50 Standorten. Beide, Käufer und Verkäufer, versichern wortreich, dass sich nichts ändern solle. Vertreter der Gewerkschaft hingegen befürchten, dass der Ameos-Konzern, „der nicht gerade für eine Unternehmenskultur im Sinne der Beschäftigten steht“, strukturelle Veränderungen vornehmen werde. Ameos teilt mit, dass es keinen Arbeitsplatzabbau (immerhin geht es um etwa 1000 Beschäftigte) geben werde und dass man sich „auf die neuen Kolleginnen und Kollegen der SANA-Klinik Ostholstein freut“.

Wer zwischen den Zeilen liest, wird jedoch etwas nachdenklicher, wenn das Vorstandsmitglied von Ameo, Frank-Ulrich Wiener, sagt: „Wir haben selbstverständlich vor, uns mit dem Angebot auseinanderzusetzen, das dort vorgehalten wird – und werden dies auf die Bedürfnisse der jeweiligen Umgebung und den Einzugsbereich anpassen.“

Wenn man folgenden Hintergrund kennt, kann man erahnen, was Ameos unter „anpassen“ versteht: Der SANA-Konzern wollte die Kliniken Ostholstein schon länger loswerden. Da spielten wohl auch die Erfahrungen der Vergangenheit eine Rolle. Denn bereits 2017 hatte es mächtig Ärger gegeben, weil die SANA damals ankündigte, die sogenannte Regelversorgung durch die zu den SANA-Kliniken Ostholstein gehörende Klinik Oldenburg einzustellen. Die Begründung war: gescheiterte Verhandlungen mit dem Betriebsrat über Bereitschaftsdienstregelungen. Unmissverständlich wurde der Klinikbetreiber damals vom Gesundheitsministerium aufgefordert, die Regelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, denn eine Einstellung der Notfallversorgung widerspreche dem im Krankenhausplan ausgewiesenen Versorgungsauftrag der Klinik. Dem Klinikbetreiber wurde ferner nahegelegt, notfalls auch auf einen externen Personaldienstleister zurückzugreifen.

Ein weiteres Beispiel: Was der Helios-Konzern unter „Umstrukturierungen“ im Personalbereich versteht und wie diese umgesetzt werden, zeigen die Stellenstreichungen Anfang 2021 im ärztlichen Bereich. Es gab massive Kritik seitens der Ärzteschaft. „Der übermäßige Abbau ärztlicher Stellen bei Helios ist unverantwortlich“, kritisierte der Präsident des Verbandes leitender Krankenhausärzte Deutschlands, Michael Weber. „Er gefährdet nicht nur die Versorgung von Patienten, sondern er schränkt sie ein und macht daraus ein Geschäftsmodell.“ Und weiter meint er, dass das System Helios an einem Punkt angekommen sei, an dem die selbstregulierenden Kräfte des Krankenhausmarktes nicht mehr greifen. „Dort, wo die Gesundheit von Menschen durch EBIT-Vorgaben und dem Streben nach Gewinn gefährdet wird, muss der Gesetzgeber zum Schutz der Patienten und des ärztlichen Personals aktiv werden.“ Der Marburger Bund kritisierte, dass der Medizinkonzern Fresenius hohe Gewinne mit seinen Helios-Kliniken einfahre und seinen Aktionären Dividenden verteile, gleichzeitig jedoch Arztstellen streiche.

Helios selbst wehrt sich gegen die Kritik. Dem Konzern zufolge nützten ärztliche Interessenverbände und Gewerkschaften die Situation aus, um ihre Forderungen an die Politik zu untermauern. Bei Helios spricht man nicht vom „Abbau ärztlicher Stellen“, sondern von „Einzelfallprüfungen von Nach- und Neubesetzungen im ärztlichen Dienst“ und dass der Konzern in seinen Kliniken insgesamt 150 Stellen im ärztlichen Bereich identifiziert habe, deren „Nachbesetzung nicht erforderlich“ sei. Das klingt doch schon viel weniger dramatisch. Ausführlich erläutert Helios auf seiner Website, man habe die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken zwischen 2015 und 2019 um vier Prozent erhöht. Allerdings seien die stationären Behandlungsfälle in dieser Zeit ebenfalls um etwa vier Prozent angestiegen.

Zur Begründung der Stellenreduktion muss nun auch die Corona-Pandemie herhalten: 2020 seien 15 Prozent weniger Patienten in den Helios-Kliniken behandelt worden. Man habe auf eine Trendwende gehofft, die jedoch nicht eingetreten sei. Man geht also in der Konzernzentrale davon aus, dass dies dauerhaft auf diesem Niveau bleiben werde. Als weiterer wichtiger Grund wird genannt, dass zukünftig mehr Patienten im ambulanten Sektor behandelt würden, und der Konzern rechnet daher mit einem Wegfall von 120.000 Patienten. Es sei deshalb unternehmerisch geboten, über Stellennachbesetzungen im ärztlichen Dienst nachzudenken, um dauerhaft wirtschaftlich zu bleiben. Nur dadurch sei es möglich, Investitionen zu tätigen, die der hohen Qualität der Patientenversorgung zugutekommen, höchste Standards in der Medizintechnik und eine gute bauliche Infrastruktur garantieren.

Die Argumente klingen plausibel und sind aus unternehmerischer Sicht konsequent. Dahinter verbirgt sich aber eine klare Strategie: Man rechnet damit, dass der ambulante Bereich sich auf Kosten des stationären ausweiten wird. Also wird weniger Personal in Kliniken benötigt. Man geht davon aus, dass auch nach dem „Einbruch“ der stationären Patientenzahlen durch die Corona-Pandemie zukünftig, wegen der Verlagerung stationärer Leistungen in den ambulanten Sektor, nicht mehr das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreicht wird. Also bereitet man sich schon auf diese vermutete, keinesfalls aber gesicherte Entwicklung vor.

Die großen Klinikkonzerne spekulieren schon längst in diesem Wachstumsmarkt im ambulanten Sektor und forcieren deshalb ihre Aktivitäten zur Akquirierung von Marktanteilen. Medizinische Versorgungszentren und ambulante Einrichtungen stehen auf der Einkaufsliste. Hier besteht ein attraktiver Gesundheitsmarkt mit großem Entwicklungspotential und gewinnversprechender Zukunft. Zahlreiche medizinische Versorgungszentren gehören schon jetzt internationalen Konzernen. Man möchte den Shareholdern auch künftig etwas bieten. Dass die Privatisierung dann auch im ambulanten Versorgungsbereich Gewinner und Verlierer produzieren wird, ist vorhersagbar.

Klinikkonzerne versprechen auf ihren Werbeplattformen eine Medizin auf höchstem Niveau und die Reinvestition der Gewinne in modernste Techniken und Entwicklungen. Wortgewaltig werben sie für ihre Ziele. Weniger gern reden sie über die kaum noch überschaubaren Firmengeflechte, die internationalen Beteiligungen, über Renditen, Börsenspekulationen, Übernahmen insolventer Kliniken, über die Anhäufung von Milliardenvermögen in Immobilien und über die Zweckentfremdung des Krankenhaus- und Gesundheitswesens.

Nur bei genauem Hinsehen fällt die zweckorientierte Schönfärberei mit ihrer Verharmlosung auf. So zum Beispiel, wenn der Verwaltungspräsident der Porterhouse Group AG, Felix Happel, Sohn des in der Schweiz lebenden Industrieunternehmers und Multimilliardärs Otto Happel, zum Erwerb der Paracelsus-Kliniken sagt: „Gemeinsam wollen wir wieder Paracelsus zu einem stabilen und profitablen Unternehmen entwickeln, das aus eigener Kraft und auch durch Zukäufe wächst.“ Die Schweizer Porterhouse Group hatte den Bieterwettbewerb zweier Milliardäre um die insolvent gewordene private deutsche Klinikkette Paracelsus-Kliniken gewonnen. Kontrahent von Happel war Bernard große Broermann, Eigentümer des Asklepios-Konzerns. Die Paracelsus-Kette beschäftigt immerhin 5200 Menschen, die in über 40 Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen arbeiten.

Die zitierte Aussage von Happel zum Kauf von Paracelsus macht in Worten deutlich, was Triebfeder und Motivation der Investoren ist: ein stabiles und vor allem „profitables Unternehmen“, das durch „Zukäufe wachsen soll“. Kliniken dienen als Investitionsobjekte, sie werden als Wirtschaftsunternehmen eingestuft. Der Kampf der Klinikkonzerne um Marktanteile tobt im Hintergrund, oft wenig bemerkt vom Großteil der Bevölkerung. Verharmlosende Umschreibungen dieses harten Wettbewerbs um das Krankenhauswesen sind nichts anderes als das Schönreden einer realen Gefahr: nämlich der, dass Krankenhäuser ihrer eigentlichen Funktion – der Daseinsfürsorge für die Bevölkerung – enthoben werden.

Der Beitrag stammt aus dem vor wenigen Tagen erschienenen Buch „Krankenhaus im Ausverkauf. Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit“ von Thomas Stroschneider.

Thomas Strohschneider war selbst jahrelang als Chefarzt in einer privatwirtschaftlich geführten Klinik tätig. In seinem Buchzeigt er aus eigener Erfahrung und an zahlreichen Beispielen, welche erschreckenden Auswirkungen dieser Prozess auf Patienten, Ärzte und alle in Krankenhäusern Tätigen hat, wie diese Entwicklung die Medizin als Heilkunst abschafft und die ärztliche Profession bedroht.

 

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3 Kommentare

  1. Wo kommen diese Parasiten her? Aus den USA … die sind nicht unsere Partner und schon gar nicht unsere Freunde. Es ist Zeit, sich von dieser Geisel zu befreien.

  2. Passend dazu wird gerade diese Sau durch’s Dorf getrieben:
    https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/arztketten-monopolisierung-augenheilkunde-101.html

    Interessanterweise lautet die Überschrift in den Suchergebnisen: „Immer mehr Arztketten Schadet Monopolisierung der Augenheilkunde?“
    Und da kommt dann das Betteridge-law zur Geltung.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Betteridge%27s_law_of_headlines

    Die Privatisierung von Arztpraxen ist aber auch schon bei den Zahnärzten ein Thema. Wer sich damit beschäftigt und sich für das Thema interessiert, kann das alles Wissen. Nur in den privaten Medien wird das gerne als Fortschritt verkauft und mittlerweile auch bei den Medien die wir alle finanzieren.

    Das ist was mich daran auch so wundert, bei den Krankenkassen gibt es ja angeblich eine Mitbestimmung (Sozialwahl) der Versicherten und all das beschriebene kann nicht in deren Interesse sein. Aber wo bleiben die Stimmen derer die uns vertreten sollen dagegen?
    Oder sind das einfach nur irgendwelche (Gewerkschafts-) Funktionäre die sich über ihren Posten freuen?

    Ach – und gut das es noch Medien gibt, die darüber berichten und Verlage die solche Bücher veröffentlichen.

    Aber wer das schon länger verfolgt kann eigentlich nur verzweifeln. Wir erleben eine schleichende Privatisierung unseres Gesundheitssystem oder besser gesagt, warme Geldregen für Investoren aus dem Budget unserer Krankenversicherung und das wird durch die Coronakrise noch enorm forciert.

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