„Sozialisten-Pläne, politische Gegner abzuschießen, entehren hirntoten Sozialismus“

Bild: Thijs ter Haar/CC BY-2.0

Die Reaktionen fallen scharf aus, weil die spanische Sozialdemokratie mit ultrarechten Ultras gemeinsame Sache macht, um die Immunität von Puigdemont aufzuheben.

In einer denkwürdigen Entscheidung hat der Rechtsausschuss des Europaparlaments am Dienstag empfohlen, dem katalanischen Exil-Präsidenten Carles Puigdemont und seinen früheren Minister Antoni Comín und Clara Ponsatí die Immunität abzuerkennen. Die Reaktionen darauf fallen zum Teil sehr heftig aus. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses Sergey Lagodinsky twitterte: „Ich bin bei vielen Fragen nicht einer Meinung mit Puigdemont, aber seine Strafverfolgung ist politisiert und unverhältnismäßig!“ Der Abgeordnete, der für die Grünen-Fraktion im Ausschuss sitzt, hat deshalb „richtig (mit der Minderheit) gestimmt“. Darin habe ihn „die Freude von Rechtsaußen-Partei VOX“ über den Beschluss bestätigt.

Ganz ähnlich sieht das die Französin Manon Aubry, Mitglied der Linken-Fraktion im Ausschuss. Sie twitterte, dass es sich um einen „schwerwiegenden Präzedenzfall handelt“, wenn das Parlament vorschlägt, „Mitglieder der politischen Verfolgung eines Mitgliedstaates auszuliefern“. Sie  geht in ihrer Kritik noch weiter und erklärt, das Parlament sei deshalb „keine souveräne Versammlung, die Rechtsstaatlichkeit garantiert, sondern eine demokratische Parodie.“

Dass die Kritik nicht nur aus dem linken Lager kommt, macht der französische Historiker Sébastien Nadot deutlich, der als unabhängiger Kandidat für Macrons „La République en Marche“ in die Nationalversammlung gewählt wurde. Er schlägt einen noch härteren Ton dazu an, dass gemeinsame Sache mit rechten Ultras gemacht wird, denn das Vorgehen wird von der sozialdemokratischen spanischen Regierung vorangetrieben, die auch damit ihre Unterstützer weiter verprellt. „Die Pläne der Sozialisten, politische Gegner abzuschießen, entehren einen hirntoten Sozialismus“, twitterte Nadot. Er warnte die Parlamentarier im Plenum, die über die Frage am 8. März entscheiden müssen, dass sie „an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen“. Er erinnert daran, dass die Immunität ein „Schutz gegen politische Angriffe“ ist.

Die Liste der Kritiker an der Entscheidung eines Ausschusses ist lang. Allen voran sprach auch Puigdemont von einer „politischen Verfolgung“, die für ihn angesichts der Besetzung des Ausschusses „so vorhersehbar wie bedauerlich“ ist. Von den „Sozialdemokraten bis zu faschistischen VOX“ seien sich spanische Nationalisten im Ziel einig, ihn und seine Mitstreiter ins Gefängnis zu werfen.  Im Ausschuss fiel die Entscheidung allerdings nur mit einer in solchen Fragen ungewöhnlich knappen Zustimmung. 15 Abgeordnete stimmten für den Antrag, 8 dagegen und 2 enthielten sich.

Spanien ist im Rechtsausschuss mit 5 von 25 Mitgliedern deutlich überrepräsentiert, dessen Vorsitzender mit Adrián Vázquez Lázara zudem ein spanischer Ultranationalist der Ciudadanos-Partei ist. Und der Rechtsausschuss folgte zudem der Ansicht des ultra-konservativen Referenten der „Nationalen Bewegung Bulgariens“. Dieser Angel Dzhambazki ist auch für seine rassistischen Äußerungen bekannt. Der hatte auch seinem VOX-Freund im Parlament applaudiert, als der rief: „Puigdemont in den Knast“. Schon damit hatte er sich als Referent disqualifiziert.

 „Was ist eigentlich in den Rechtsausschuss gefahren?“

„Lost in EU“ fragt sich, „was eigentlich in den Rechtsausschuss gefahren ist“, der seit Monaten „die Entscheidung über das Schicksal von Puigdemont & Co.“ vor sich herschiebe.  Hingewiesen wird auf „schlechtes Timing“, da es in Spanien gerade zu Unruhen kommt, weil erneut mit Pablo Hasel ein Musiker inhaftiert wurde. Zudem werde allseits kritisiert, dass die „Meinungsfreiheit in Gefahr“ sei und die Justiz „als parteiisch und politisiert“ gelte. Und in diesem Augenblick falle es den EU-Abgeordneten ein, „genau dieser spanischen Justiz Folge zu leisten und frei gewählte Europaabgeordnete“ den Schutz der Immunität zu nehmen?

Der Artikel meint, der Ausschuss hätte sich näher mit dem Fall befassen müssen. „Es gibt nicht nur Zweifel an der Zuständigkeit des spanischen Gerichts, das die Auslieferung fordert, sondern auch am Straftatbestand und am Strafmaß.“ Tatsache ist, dass es Übersetzungsfehler in den begleitenden Dokumenten zum spanischen Antrag gab. Zudem wurden vom Ausschuss Urteile aus Deutschland und Belgien schlicht ignoriert. Auch das Oberlandesgericht in Schleswig konnte keine Hinweise auf einen angeblichen Aufruhr erkennen und lehnte deshalb die Auslieferung von Puigdemont für diesen Vorwurf ab.

Doch weiterhin fordert Spanien dafür die Auslieferungen von Belgien und hat deshalb im Europaparlament das Verfahren angestrengt. Klar ist, dass sich der Ausschuss wahrlich nicht ausführlich mit den Vorgängen beschäftigt hat. So wird in seinem Beschluss zum Beispiel von einer angeblichen Veruntreuung im Fall Ponsatí gesprochen. Doch das wirft ihr nicht einmal Spanien vor. Der Text musste daraufhin korrigiert werden. Das Plenum soll über die „korrigierte Fassung“ abstimmen. Für Puigdemont ist klar, dass das „kein Fehler“, sondern das „Resultat der Anomalien“ ist, die er immer wieder beklagt habe.

Hoffnungen darauf, dass das Plenum korrigierend eingreift, will sich Ponsatí angesichts der Kräfteverhältnisse nicht machen, auch wenn es eine geheime Wahl gibt. Sie schmerzt am meisten der „enorme Prestigeverlust, den das Europäische Parlament erleiden wird“. Sie bereitet sich auf die Schlacht vor belgischen Gerichten vor und „gibt sich nicht geschlagen“.

Tatsächlich haben Puigdemont, Ponsatí und Comín gute Gründe, auf die unabhängige Justiz in Belgien zu hoffen. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass die Richter die Auslieferungen nach Spanien ablehnen, womit sich das Parlament endgültig der Lächerlichkeit preisgeben würde, wenn es den drei Katalanen die Immunität aberkennt.

Die belgische Justiz hat die Auslieferung eines Puigdemont-Mitstreiters bereits definitiv abgelehnt

Eine Vorentscheidung ist längst gefallen, worüber Buchkomplizen berichtet hatte. Auch das vernichtende belgische Urteil wurde vom Rechtsausschuss ignoriert. Denn die belgische Justiz hat die Auslieferung eines Puigdemont-Mitstreiters definitiv abgelehnt. Das hatte verschiedene Gründe. So findet auch Belgien keine Beweise für einen angeblichen Aufruhr. Bemerkenswert an dem Urteil ist, in dem sich ein Tritt vor das Schienbein der spanischen Justiz an den anderen reiht, dass die Richter auch auf die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen verwiesen haben.

Denn diese fordert seit langem die Freilassung der Katalanen, die wie Raül Romeva zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden, mit dem wir kürzlich ein Interview führen konnten. Auch die UN-Arbeitsgruppe hatte argumentiert, dass der Oberste Gerichtshof in Spanien nicht für die Katalanen zuständig ist. Denn damit werden gleich zwei zentrale Rechtsgrundsätze verletzt. Doch der Gerichtshof in Madrid hat auch die Europäischen Haftbefehle gegen die drei Europaparlamentarier ausgestellt. Er will auch sie in Madrid vor Gericht stellen. Damit wird das Recht auf einen gesetzlichen Richter in Barcelona ausgehebelt wie das Berufungsrecht. Der Oberste Gerichtshof ist nämlich damit gleichzeitig die erste und letzte Instanz. Die belgischen Richter zweifelten sogar daran, dass Puig in Spanien ein fairer Prozess erwartet hätte. Auch in Belgien ist bekannt, dass der Straßburger Menschengerichtshof  spanische Urteile gegen baskische Politiker kassiert hat, die in unfairen Prozessen zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren.

In der Begründung drücken die Richter auch ihr Unverständnis darüber aus, dass Politikern wie Puig – und damit letztlich auch Puigdemont, Ponsatí und Comín – dem Vorwurf der „Korruption“ oder „Veruntreuung“ von Steuergeldern ausgesetzt sind, da Geld zur „Durchführung eines Referendums“ eingesetzt worden sei. Schließlich habe „die gesamte Bevölkerung, Befürworter und Gegner“, daran teilnehmen können. Der Gerichtshof in Brüssel verwies auch darauf, dass die „Durchführung eines Referendums auch nach spanischem Recht nicht strafbar ist“. Angesichts der Klarheit dieses Urteils, traute sich die Staatsanwaltschaft nicht, noch einmal zu versuchen, das Urteil vor der letzten Instanz anzufechten, weshalb es rechtskräftig ist.

Da die Fälle praktisch gleich sind, ist eigentlich klar, dass die Richter im Fall Puigdemont, Ponsatí und Comín kaum anders entscheiden können. Mit dem Puig-Urteil wurde das gesamte Verfahren im Europaparlament hinfällig. Es geht schließlich dort nur darum, nach der Aberkennung der Immunität die drei vor ein belgisches Gericht zu stellen. Doch das hat längst erklärt, wie es zu urteilen gedenkt, dass es auch Auslieferungsanträge gegen Puigdemont, Ponsatí und Comín ablehnen wird. So wäre vom Parlament längst ein geordneter Rückzug angesagt gewesen.

Der ist noch immer möglich, wenn genug Parlamentarier am 8. März gegen die Aufhebung der Immunität stimmen. Dass eine Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine schon erfreut titelt: „Niederlage für Puigdemont“  ist eher den Wünschen der Autoren als der realen Situation geschuldet. Wie der Rechtsausschuss ignoriert die FAZ einen Präzedenzfall. Kennen sie das Präjudiz im Fall Puig nicht oder blenden sie es bewusst aus, da darüber ein ganz anderes Bild entstehen würde? In beiden Fällen ist klar, dass man es mit Qualitätsjournalismus nicht zu tun hat.

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