Singapur: Dammbruch bei Corona-App

Werbung der Regierung für die Tracing-App

Die angeblich nur zur Covid-Kontaktverfolgung dienenden Tracing-Daten wurden zur Strafermittlung in einem Mordfall verwendet, jetzt erklärt die Regierung, die Polizei könne bei Strafermittlungen auf die Tracing-Daten zugreifen.

Im Rahmen des Programms TraceTogether hat Singapur eine auf Bluetooth basierende Kontaktverfolgungs-App und ein Token entwickelt. Damit können andere Benutzer ausgemacht werden werden, in deren Nähe sich der Träger aufgehalten hat. Telefonnummer und andere Identifizierungsdaten werden vom Gesundheitsministerium auf einem „sicheren“ Server gesammelt, Lokalisierungsdaten nicht. Wer dazu vom Gesundheitsministerium aufgefordert wird, muss sie aktiviert haben und auch weitere Daten wie Lokalisierungs-Timeline oder die von anderen Apps weitergeben. Ergänzt wird die App durch SafeEntry. Beim Betreten und Verlassen von Geschäften, Restaurants, Schulen, Büros, Fabriken, Einkaufszentren, Museen, Kirchen etc. (Liste) muss ein QR-Code zur Identifikation eingescannt werden. Alle Personen ab dem 7. Lebensalter müssen TraceTogether-only SafeEntry, seit kurzem ist SafeEntry in der App integriert, anwenden.

Versichert wurde: „Alle Daten, die mit dem Gesundheitsministerium geteilt werden, werden für die Kontaktnachverfolgung von Personen verwendet, die möglicherweise Covid-19 ausgesetzt waren. Nur berechtigte Mitarbeiter können diese Daten verwenden.“ Die App würde beendet, wenn die Epidemie beendet und das Nachverfolgen von Kontakter nicht mehr notwendig ist.

Ein Mord soll es möglich machen

Jetzt musste der Innenminister Desmond Tan einräumen, dass die Daten der App von der Polizei in einem Mordfall verwendet wurden. Das sei bislang nur ein einziges Mal geschehen, aber es ist ein Türöffner. Die Regierung hatte für die App zunächst geworben, dass die Daten nur zum Zwecke der Kontaktnachverfolgung im Rahmen der Covid-19-Bekämpfung verwendet würden.  Aber Kontaktnachverfolgung ist natürlich auch eine gute Methode, um zu sehen, mit wem sich ein Krimineller getroffen hat oder wer bei einem Opfer gewesen ist. Politisch noch brisanter ist, dass so auch Oppositionelle und ihre Kreise verfolgt und identifiziert werden können.

Kontaktnachverfolgung mit dem Zwang, bei vielen Orten seinen Besuch zu dokumentieren, schafft ein Panopticon. Michel Foucault hat in „Überwachen und Strafen“ gezeigt, wie solche Überwachungs- und Disziplinierungstechniken in der Neuzeit ebenfalls im Rahmen der Seuchenbekämpfung eingeführt und schließlich institutionalisiert wurden.

Nachträglich wurden die Datenschutzbestimmungen geändert

Justizminister Minister K Shanmugam rechtfertigte die Verwendung der App-Daten im Fall schwerer Verbrechen: „Wenn es sich um einen Mordfall handelt und Informationen auf TraceTogether verfügbar sind, aber sich die Polizei entscheidet, diese Information nicht zu suchen, dann können Sie sich vorstellen, wie die Familie des Opfers und der Rest von Singapur auf diese Situation reagiert.“ So lässt sich allerdings alles von Folter bis zur Todesstrafe rechtfertigen. Um auf der sicheren Seite zu stehen, wurden gleich die Datenschutzbestimmungen der App so verändert, dass nun explizit der Zugriff der Polizei legitimiert ist:

„Wir wollen Ihnen gegenüber transparent sein. TraceTogether-Daten können unter Umständen benutzt werden, wenn der Schutz und die Sicherheit betroffen ist oder war. Dazu berechtigte Polizeioffiziere können auf die Ermächtigungen des Criminal Procedure Code (CPC) zurückgreifen, um von Bürgern zu verlangen, ihre TraceTogether-Daten für Strafermittlungen hochzuladen. Die Polizei von Singapur ist unter dem CPC befugt, alle Daten, auch TraceTogether-Daten, für Strafermittlungen zu erhalten.“

Von schweren Verbrechen ist gar nicht mehr die Rede, die Formulierung einer Gefährdung der Sicherheit ist äußerst vage.

Dass die Regierung erst eher nebenbei die Verwendung der Daten zur Strafverfolgung einräumte, schürt natürlich Misstrauen in die Verlautbarungen und in die weitere Verwendung der App. Gestern versuchte die Regierung noch, vermutlich vergebens, die Menschen zu beruhigen, dass die Daten nur dann für Strafermittlungen verwendet werden können, wenn man von einer Person, die in den Fall verwickelt ist oder helfen will, verlangen kann, ihr Smartphone oder ihren Token der Polizei zu übergeben.

Das sagte  Singapurs Außenminister Vivian Balakrishnan, der auch für die Smart Nation Initiative zuständig ist. Er hatte noch im Juni bei der Einführung versichert: „Again I want to emphasise, there is no electronic tagging. There is no geolocation tracking. This is only purely focused on Bluetooth proximity data, and only used for contact tracing.“ Jetztb behauptet er, er habe damals nicht an das CPC gedacht. Schöne Entschuldigung. Man habe ansonsten ja alle Vorkehrungen zum Datenschutz vorgenommen. Die von der App gesammelten Daten würden nur lokal und verschlüsselt gespeichert und nach 25 Tagen gelöscht. Man werde die Daten nur bei „sehr schweren Verbrechen“ nutzen, was allerdings im Gesetz nicht vorgesehen ist.

 

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