Einen Silvaner habe ich mir heute eingeschenkt. Einen Verliererwein? Vielen gilt die Sorte als old-fashioned, ohne Charakter und geschmackliches Profil. Dabei führte der Silvaner noch in den 60er Jahren die Hitliste der hierzulande am meisten angebauten Rebsorten an. Gerade mal ein Viertel ist davon geblieben. Eine Sorte nach der anderen ist vorbeigezogen, zunächst Riesling und Müller-Thurgau, dann Spät-, Grau- und Weißburgunder und schließlich auch noch der Dornfelder.
Anders als Riesling oder Müller-Thurgau ist der Silvaner tatsächlich auf Anhieb schwer zu greifen. Mit seiner zurückhaltenden Aromatik bewegt sich abseits aktueller Trends hin zu Weißweinen mit hoher aromatischer Intensität. Aber genau darin liegt für mich der Schlüssel zur Identität dieser Sorte und zugleich die große Chance für eine erfolgreiche Renaissance.
Während ich meine Nase noch einmal Richtung Silvaner lenke, denke ich an jenes kraftvolle Statement, mit dem der Macher dieses Weins einmal für großes Aufsehen gesorgt hat: „Frucht ist Kitsch“, sagt Ulrich Luckert, dessen 2019er Gelbkalk ich gerade im Glase habe. Damit hat er im Grunde schon fast alles über den Silvaner gesagt.
Er, sein Bruder Wolfgang und dessen Sohn Philipp bewirtschaften gemeinsam insgesamt rund 17 Hektar Rebland rund ums fränkische Sulzfeld. In der Weinszene gilt dieses Trio als Referenz eines modernen zeitgenössischen Purismus: Sie reduzieren die Kellerwirtschaft auf ein Minimum, vergären spontan, haben für Enzyme, Präparate und Restzucker nichts übrig und kommen mit einem Minimum an Schwefel aus. Nur mit dem Faktor Zeit gehen sie verschwenderisch um: lange Maischestandzeiten, lange Hefelagerzeiten und bis die Weine dann gefüllt und in den Handel kommen, vergeht noch mal sehr viel Zeit.
Die drei sind überzeugt, dass der Boden dem Silvaner genug Geschmack mit auf den Weg gibt, eben den Geschmack des kargen, fränkischen Muschelkalks. Diesen möglichst unverfälscht in die Flasche zu bringen, das sei ihr Job und zugleich ihr höchstes Ziel. Uli Luckert forciert seine Argumentation sogar noch einmal: „Der Silvaner ist stärker als jede andere Sorte, sogar als der Riesling in der Lage, das Terroir sprechen zu lassen, weil er aromatisch zurückhaltender ist.“
Deshalb gilt dem Boden bei den Luckerts allergrößte Aufmerksamkeit. Alle Weinberge sind natürlich begrünt und werden seit mehr als zehn Jahren ökologisch bewirtschaftet, heute sogar nach den strengen Richtlinien des Naturland-Verbandes.
Von der dichten Bepflanzung ihrer Anlagen haben sie wieder Abstand genommen, dafür den Aufwand für den Humusaufbau und die Pflege der Laubwand deutlich erhöht. Qualitätsfördernd wirkt sich die vor rund 20 Jahren eingeführte Reberziehung nach dem „Cordon-System“ aus. Das bringt kleinere Erträge und kleinere Trauben mit dickeren Schalen und höherem Phenolgehalt.
Vom Basiswein bis zu den Großen Gewächsen zeichnen sich alle Luckert’schen Erzeugnisse durch eine ganz besonders feine, balancierte, ruhige und ausgewogene Art aus. Zugleich sind es immer auch ungemein dichte und mundfüllende Weine. Ihre Cremigkeit und ein gewisser burgundischer Touch sind Legende. Das sind Weine für Struktur-, nicht für Nasentrinker. Die Musik spielt am Gaumen.
Auch der Gelbkalk repräsentiert diese Stilistik par excellence: dezent würzig in der Nase, cremigdicht, fein und balanciert am Gaumen – wie alle guten Silvaner ein exzellenter Speisenbegleiter und bei Weitem vielseitiger einsetzbar als die meisten anderen Rebsorten. In angesagten Restaurants sind Silvaner dieser Güte längst wieder Kult.
Wein: Silvaner Gelbkalk 2019, Weingut Luckert (Sulzfeld/Franken)
Bezugsquelle: www.weinhalle.de; www.karl-kerler.de
Podcast-Episode zur Kolumne: www.wolfgangstaudt.com/blog/weingut-luckert