„Selenskij ist ein Verräter von Asow“

Heroisierung der Asow-Kämpfer in Asovstal

Um die in russischer Kriegsgefangenschaft befindlichen „Helden von Mariupol“ ist es still geworden. Sie werden weiter verklärt und es entstehen erneut Risse in der nationalen Einheit.

 

Nachdem sich die Asow-Kämpfer und Marinesoldaten, die sich wochenlang im Stahlwerk Asovstal verschanzt hatten, auf Befehl, wie sie sagten, ergeben und in russische Kriegsgefangenschaft begeben hatten, ist es ruhig um die „Helden von Mariupol“ im „Hauptquartier des europäischen Widerstands“ geworden. In der Ukraine wird immer noch von einer Evakuierung gesprochen, was eine bedingungslose Kapitulation war. Was zunächst als heroischer Widerstand gegen die russische Übermacht, stellvertretend für die gesamte Ukraine, verkauft wurde, ist zu einer Niederlage geworden.

In der „Volksrepublik Donezk“ (DNR) werden Prozesse vor allem gegen Mitglieder der Freiwilligenverbände Asow oder Aidar wegen Kriegsverbrechen geplant, die seit 2014 begangen worden sein sollen. Lugansk schließt sich an. In beiden „Volksrepubliken“, in denen sich angeblich mehr als 8000 ukrainische Kriegsgefangene befinden sollen, gibt es im Unterschied zu Russland die Todesstrafe. Offiziell hält sich Russland, das die Unabhängigkeit von DNR und LNR anerkannt hat, aus den Prozessen, aber auch aus der Zuständigkeit für die Haftbedingungen der Gefangenen heraus. Ausländische und Asow-Kämpfer gelten nicht als normale Kriegsgefangene, müssen also mit Haftstrafen rechnen, wenn sie nicht ausgetauscht werden. Geplant ist auch ein internationales Tribunal. Wie das zustande kommen  soll, ist fragwürdig, ebenso fragwürdig ist, ob die Prozesse fair geführt werden oder als Schauprozesse inszeniert werden. In der Ukraine fanden bereits Prozesse gegen angebliche russische Kriegsverbrecher, die in Gefangenschaft geraten waren, statt.

Frauen und Verwandte der Kriegsgefangenen aus Asovstal haben sich zusammengeschlossen, um Druck auszuüben. Schon vor der Kapitulation waren sie zu Erdogan oder dem Papst gereist, um die Kämpfer freizubekommen. Vergeblich. Jetzt versuchen sie weiterhin, die „Helden“, die bis zuletzt gekämpft und nur in Gehorsam gegenüber dem Militärkommando sich ergeben haben, zu befreien.

Katerina Prokopenko (rechts im Interview mit der ukrainischen Pravda

Katerina Prokopenko, die Frau des Asow-Kommandanten Denis Prokopenko, konnte letzte Woche kurz mit ihm telefonieren. Von anderen, die Kontakt hatten, sei bekannt, dass die Bedingungen der Kriegsgefangenschaften zufriedenstellend sein. Alle würden auf einen Gefangenenaustausch warten, der allerdings wohl von russischer Seite höchstens dann zustande käme, wenn umfassende Aussagen zur Nazi-Ideologie von Asow seit 2014, der Zusammenarbeit mit Kiew und Verbrechen des Regiments gemacht wurden. Katerina meinte in einem Interview am Sonntag, die Zellen seien überfüllt, es würde Verbesserungsbedarf beim Essen und Trinkwasser bestehen. Daraus lässt sich kein Drama herleiten, auch wenn sie Kritik am Roten Kreuz übt und eine dritte unabhängige Organisation zur Überprüfung der Bedingungen der Gefangenschaft fordert.

Sie sagte, sie wollte einen Mann haben, „der mutig ist, der ein Krieger ist“. Um was genauer geht, scheint nicht so wichtig zu sein. Jedenfalls macht sie deutlich, dass es Druck auf die ukrainische Regierung gibt: „Wenn etwas schief geht (und ich hoffe es nicht), wird es ein sehr beängstigendes Stück der Geschichte unseres Landes werden. Aber ich denke, dass alles gut wird, dass alle Vereinbarungen erfüllt und die Behörden alles tun werden, um sie nicht aufzugeben, und dass sie so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren. Sie haben alles getan – sie haben den Befehl befolgt, sie haben die Ukraine bis zuletzt verteidigt. Jetzt muss die Regierung ihr Versprechen halten, Leben zu retten.“

Der russische Außenminister Lawrow erklärte, Asovstal sei mit minimalen Verlusten eingenommen worden, die „berüchtigten Schurken vom Asow-Bataillon“ hätten sich ergeben, sie würden nun Beweise liefern und Interessantes darüber erzählen, „wie diese Neonazi-Theorie und -Praxis im täglichen Leben des ukrainischen Staates, auch unter Präsident Wolodymyr Selenskij, verankert wurde“.

Kiew hat auch wegen der Kriegsgefangenschaft und drohenden Verurteilungen der Asow-Kämpfer Probleme. Noch immer wird versprochen, dass man alles mache, um sie zu befreien. Aber das ist ein hohles Versprechen. Nationalistische Anhänger oder Sympathisanten der Asow-Miliz, die vor kurzem ihr Zeichen der Wolfsangel mit einem faschistoiden Aufmarsch gegen ein Zeichen mit drei Schwertern ausgetauscht hat, um sich vom Verdacht der von ihr gepflegten Nazi-Ideologie weißzuwaschen, werfen der Regierung in Kiew Verrat vor, weil sie nichts unternommen hat, die in Asovstal Eingeschlossenen durch eine militärische Aktion zu befreien. Das sei nach dem Asow-Kommandeur Mitte April  möglich gewesen (Wladimir Sergijenko: Warum auch Kiew nicht alles macht, um die „Verteidiger von Mariupol“ zu retten)

Natürlich wusste man in Kiew, dass der Kampf nach dem Rückzug ins Stahlwerk Asovstal verloren war. Oberbefehshaber Selenskij hatte bereits Ende März den Kämpfern freigestellt, ihre Stellungen zu verlassen, aber sie hätten dies damals abgelehnt, weil sie die Verletzten und Toten nicht zurücklassen wollten. Danach wurde die Heroisierung der Kämpfer verstärkt, die bis zum Letzten die Stadt, d.h. sich selbst, verteidigen, Asow idealisiert und weißgewaschen, mit Verweis auf die Eingeschlossenen mehr Waffen vom Westen gefordert, während die Eingeschlossenen internationalen Beistand suchten, indem sie von Chemiewaffeneinsatz sprachen und dann wegen der Zivilisten und den Verwundeten forderten, evakuiert zu werden oder in ein Drittland auszureisen.

Das Asow-Regiment besteht natürlich nicht nur aus den Einheiten, die sich in Mariupol befanden, wo das Hauptquartier war. Asow-Gründer Andriy Biletsky, ein ausgewiesener Rassist und Neonazi, hat weiterhin eine entscheidende Funktion. Und natürlich gibt es die Bestrebungen, Asow als wohl bekannteste nationalistische Freiwilligenmiliz zu verklären (Beispiel: Video), etwa als Superhelden oder als Miliz, die die Ukraine bereits seit 2014 verteidigt habe. Auch die mittlerweile Gefangenen aus Asovstal, die sich ergeben haben, werden von Anhängern als Helden  gefeiert. Gerne werden die „stahlharten“ Kämpfer auch mit Tieren gezeigt, zu denen sie liebevoll sind, während sonst ihre soldatischen männlichen Eigenschaften als Tötungsmaschinen gewürdigt werden. In erster Linie ist das Nationale Korps tätig, die von Biletsky gegründete Asow-Partei. Es tauchen auch immer mehr Wandmalereien auf. Das Verteidigungsministerium macht auch mit und übergab eine zerschlissene ukrainische Staatsflagge, die angeblich über Asovstal wehte, als eine Art Reliquie der der Ausstellung „Ukraine – Kreuzigung“ im Nationalmuseum.

Aber lauter werden auch die Rufe, die die ukrainische Regierung als Verräter bezeichnen, allen voran Selenskij und die stellvertretende Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. Und es sind bereits Poster auf den Straßen von Kiew aufgetaucht, auf denen steht: „Wolodymyr Selenskij ist ein Verräter von Asow. Er wird auch ein Verräter für dich werden.“

Dazu kommt, dass Selenskij nach dem Verbot vieler Medien und Parteien nun auch wieder mit dem festgesetzten Oligarchen Medwedschuk gegen seinen Hauptwidersacher Poroschenko sowie gegen Jazenuk und Turtschinow vorgeht. Die Entlassung der Menschenrechtskommissarin Ljudmila Denisowa ist auch Teil des Machtkampfs, der in der Ukraine 100 Tage nach Kriegsbeginnen wieder einsetzt. Das lässt auch die Frage entstehen, wen man unterstützt, wenn man bedingungslos hinter „der Ukraine“ steht und dieser Waffen liefert. Aber dazu demnächst.

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3 Kommentare

  1. Der Krieg könnte schon lange vorbei sein und die Ukraine würde es immer noch geben. Der Verrat ist also an anderer Stelle zu suchen, weil nicht im Interesse der Ukraine gehandelt wird.

  2. Die Frage, wen man wirklich unterstützt, ist gut.

    Ich glaube, man unterstützt nicht „die Ukrainer“, weil es „die Ukrainer“ für die hier rechtsradikalen Ukrainer gar nicht gibt. Diese Leute halten viele Ukrainer nämlich für Pseudoukrainer und solche, die eigentlich im Land nichts zu suchen haben und darum militärisch bekämpft werden müssen. Diesen Umstand wird eine demokratisch gesinnte Frau Baerbock allerdings nie verstehen.

    Wen man tatsächlich unterstützt, erklärt der freundliche, junge Mann in diesem Video:
    https://www.youtube.com/watch?v=0RRdxyIYOjk

    Die Territorialstreitkräfte, die eigentlich in ihren Städten für Ordnung sorgen sollten und jetzt an die Front gejagt werden, wo sie als Kanonenfutter dienen, sind es jedenfalls nicht. Nutzniesser sind die bekannten Helden aus Mariupol und eventuell indirekt ihre westlichen Unterstützer, die ihren Traum vom ukrainischen Sieg nicht begraben wollen.

  3. „Wolodymyr Selenskij ist ein Verräter von Asow“:
    Die Zukunft des Schauspielers scheint nicht besonders „rosig“ zu sein. Dazu bedarf es keinen Blick in die Glaskugel.
    Diese vermutlich heute bereits geplante Aktion lässt sich dann wunderbar einem russischen Geheimdienst in die Schuhe schieben. Wie ein billiges Paar Einlagen….
    Was für ein „Drecksstaat“, der da „unsere“ Freiheit verteidigt…..

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