Die Gewalt durch Schusswaffen in Schweden beunruhigt die Bewohner mehr als die Pandemie – in der Nacht zum Dienstag wurden zwei junge Männer in einem Stockholmer Vorort erschossen, der Schütze konnte mit einem Elektroroller entkommen. Zudem kam es am Montag zu Schießereien in drei Städten ohne Verletzungen. Am Sonntag starb im Krankenhaus Helsingborg eine männliche Person an ihren Schussverletzungen von Unbekannt.
Der schwedische Justizminister Morgan Johanson kündigte darum Anfang dieser Woche an, die Verjährungsfrist bei Gefängnisstrafen abzusetzen. „Das ist ein wichtiges Signal – es spielt nun keine Rolle mehr, wie lange Du untertauchst, Du wirst Deine Strafe absitzen, sobald wir Dich gekriegt haben“, wandte sich der Sozialdemokrat via „Sveriges Radio“ an die Hörfunkfreunde innerhalb der Unterwelt.
Die Kritiker der rotgrünen Regierung bleiben jedoch dabei: Die Verantwortlichen unter Premierminister Stefan Löfven sind mit den Taten krimineller Gangs überfordert. So denken die bürgerlichen Parteien wie die „Christdemokraten“, welche kürzlich eine Pressekonferenz mit Vorschlägen zur Strafverschärfung abhielten. So denken die „Moderaten“, welche am Dienstag via Twitter betonten, dass Johanson lediglich ihren Vorschlag übernommen habe. Zudem verlangen die Moderaten eine Rechtslage wie in Frankreich, um bei Verdacht abzuhören. Auch soll der Zeugenschutz verbessert werden.
Beide Parteien wollen mit den Rechtspopulisten „Schwedendemokraten“ kooperieren, um die Minderheitsregierung abzulösen. Diese setzen unter anderem auf Abschiebung krimineller Migranten. Als brisant gilt, dass die Mitglieder der Banden primär ausländische Wurzeln haben. Ein Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität gestand Stefan Löfven im Mai erstmals ein.
Das Land hat nach einer staatlichen Erhebung seit 2018 die höchste Rate an Toten durch Schusswaffen innerhalb Europas. Im vergangenen Jahr kamen 46 Menschen durch ein Projektil zu Tode, es wurden 109 Bombenanschläge verübt. Und es gibt Anzeichen für eine Eskalation. Sowohl Medien wie Oppositionspolitiker sprechen aktuell von einem „düsteren Sommer“.
Für Aufsehen sorgte der Auftritt des Polizisten Ulf Boström, der bei einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender in Tränen ausbrach. „Vollkommen chancenlos“ sei die Polizei angesichts der Erpressung von Geschäftsleuten, die mit dem Tode bedroht würden, sollten sie das Schutzgeld nicht zahlen.
Handelten die sich bekriegenden Gangs anfangs mit Cannabis-Produkten, seien sie nach einer Analyse der Zeitung „Svenska Dagbladet“ mittlerweile ins Kokaingeschäft eingestiegen, was den Gewaltdruck erhöht habe. Die Geschäfte würden nun direkt abgewickelt, nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens hätten die mexikanischen Kartelle bereits ihre Vertreter im Land, genannt wurde das Sinaloakartell, das als das einflussreichste gilt.
Aus Angst vor Gewalt und Rassismus-Vorwürfen werden aggressiv auftretende Migranten in einigen Kommunen bereits bevorzugt behandelt, ein Thema, das die liberale Zeitung „Göteborgs Posten“ pointiert aufgriff.
Auch die Tatorte verschieben sich aus den Brennpunkten der großen Städte in die Provinz oder in wohlhabendere Gegenden. So wurde der Tote vom Sonntag in dem noblen Viertel Vasatorp aufgefunden, eine Gegend, die bislang für ihren Golfplatz bekannt ist. Die Polizei erklärte, dass es im kriminellen Millieu von Helsingborg im Vorfeld „Unruhe“ gegeben habe.
Schwedens Sozialdemokraten setzten weiter auf staatliche Hilfsprogramme
Linda Staaf, die Chefin der NOA (Landesweite Kriminalpolizei) hält die bereits vierzig kriminellen Großfamilien für „systemgefährdend“, da sie versuchten, Behörden und Wirtschaft zu unterwandern. Und gestand kürzlich ein, dass die Polizei mit der Verbrechensbekämpfung aktuell überfordert sei. Dies ist bemerkenswert, da in Schweden weiterhin ein hohes Vertrauen in den Staat herrscht sowie eine Erwartungshaltung (auch bedingt durch die hohen Steuern), dass die Behörden Vertrauen vermitteln.
Im Herbst wurde ein 34-Punkte-Programm der Polizei zur Verbrechensbekämpfung ins Leben gerufen. Neben Strafverschärfungen, heimlicher Dateneinsicht waren dort viele sozialen Maßnahmen und Präventionsprogramme aufgelistet.
Denn Schwedens Sozialdemokraten setzten weiter auf staatliche Hilfsprogramme, um die Integration von Einwanderern und Asylsuchenden zu verbessern, eine klassisches Merkmal des Fürsorgestaates. Verbrechen seien demnach durch rückläufige Wohlfahrt und weitere sozioökonomische Faktoren zu erklären, wobei die Herkunftskultur der Täter kaum eine Rolle spiele. Dies ist die Theorie des Kriminologen Jerzy Sarnecki.
Problematisch ist, dass es in Schweden nicht gerade leicht ist, Jobs zu bekommen, und dass eine Alltagskultur in der Gesellschaft herrscht, so Erfahrungen bei Gesprächen, bei der Migranten wenig zugetraut wird.
In Schweden gibt es aber auch „Good News“. Als Erfolgsmodell gilt Malmö mit seinen international bekannten Brennpunkten. Dort habe man nach amerikanischen Vorbild mit dem Projekt „Schluss mit Schießen“ auf Abschreckung und das Zeigen von Auswegen gesetzt. Dabei seien die Schießereien innerhalb von drei Jahren auf ein Drittel zurück gegangen.
Zudem sollen mittlerweile 1000 Gangmitglieder in Haft sein. Denoch wird der Druck auf die Politik steigen, zumal nun die Sommerferien seit Dienstag zu Ende sind und die Ausrede „Urlaub“ bei den politischen Verantwortlichen nicht mehr greift. Der Justizminister soll nach Angabe des Radios auch weitere Maßnahmen für möglich halten, wie nicht näher erklärte „heimliche Druckmittel“ der Polizei.
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