Schützt eine hohe Impfrate vor der Ausbreitung von impmpfresistenten Varianten?

Sars-CoV-2-Viren. Bild: NIAID

Die Politik in Deutschland und anderswo setzt darauf, mit einer möglichst hohen Impfrate weitere Lockdowns vermeiden zu können. Das könnte ein Trugschluss sein, haben Wissenschaftler in einer Computersimulation gezeigt.

Auf dem Bund-Länder-Gipfel wurden wenig überraschend entschieden, dass die Bundesregierung weiter über Anordnungen regieren will, weswegen die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ noch einmal über die Bundestagswahl hinaus vom Parlament abgenickt werden soll. Ansonsten wird auf „impfen, impfen, impfen“ gesetzt, durch die Beendigung der kostenlosen Tests sollen die Impfunwilligen und -säumigen dazu gezwungen werden, im Hintergrund wird mit der Drohung gewedelt, nur noch Geimpfte und Genesene von Grundrechtseinschränkungen befreit zu halten, also neudeutsch 2G. Vorerst gilt noch die 3G-Regel. Und in öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkaufen soll weiterhin die Maskenpflicht bestehen.

Letztlich aber hoffen Bund und Länder darauf, mit der Erhöhung der Impfquote zumindest für die Geimpften und Genesenen einen weiteren Lockdown vermeiden zu können. Dass demnächst eine Herdenimmunität erreicht wird, ist unwahrscheinlich. Man kann eher damit rechnen, dass der Ärger über die Regierung weiter wächst und die Gewalt ansteigt, wie Wissenschaftler vom Peace Research Institute Oslo in einer gerade in Psychological Science veröffentlichten Studie dargelegt haben.

Sie hatten 2020 in zwei Wellen über 6000 Menschen in den USA, Dänemark, Italien und Ungarn befragt, wie sich die Pandemie auf ihr Leben ausgewirkt hat. Danach kommt es gar nicht darauf an, wie stark die Pandemie in einem Land war. Wer aus seiner Sicht psychisch stärker durch die Pandemie und die Maßnahmen, die den sozialen Ausschluss vertieften und das normale soziale Leben einschränkten, belastet wird, neigt auch stärker zum Misstrauen gegenüber der Regierung, zur Teilnahme an und auch zur Gewaltanwendung bei Protesten. Das war in den USA vor allem bei den Black Lives Matter-Protesten und Gegenprotesten  zu beobachten. Allerdings sei die durch die Pandemie-Belastung erzeugte „Antisystem-Einstellung“ nur bei einem kleinen Teil der Befragten vorhanden, die sich Ende 2020 weiter verstärkt hatte. Demonstrationen nahmen 2020 gegenüber 2019 um 7 Prozent zu, in den USA gab es 22.000 Demonstrationen. Die meisten waren friedlich. Aber, so die Wissenschaftler, mit der Belastung durch die Pandemie steigt die Tendenz zu sozialen Unruhen und zur Abwendung von der Regierung. Es sei dasher wichtig, nach dem Abklingen der Pandemie die Beziehungen zwischen dem politischen System und den Menschen zu reparieren. Während der Pandemie sei es wichtig, die Maßnahmen nicht härter als notwendig zu machen. Aber wer sagt schon objektiv, was notwendig ist?

Eine hohe Impfrate ohne Beibehaltung von Maßnahmen kann die Verbreitung von impfresistenten Virenstämmen fördern

Bund und Länder wollen nun Druck auf die Menschen ausüben, die sich noch nicht impfen haben lassen. Wissenschaftler vom Institute of Science and Technology Austria (IST) in Klosterneuburg bei Wien haben ein Computermodell entwickelt, um zu prüfen, inwieweit sich Impfkampagnen auf die Entstehung von neuen, ansteckenderen Varianten und impfresistenten Virenstämmen auswirken können. Danach ist es keineswegs so, dass die Risiken mit dem Anstieg der Impfrate schwinden müssen, sie könnten auch ansteigen. Die Studie wurde vorab in Nature Scientific Reports veröffentlicht.

Den Computermodellen legten die Wissenschaftler eine Bevölkerung von 10 Millionen Menschen zugrunde mit entsprechenden Anteilen von Infizierten, Kranken, Genesenen, Geimpften und Nicht-Geimpften, die sich noch anstecken können, und ließen diese drei Jahre laufen. Die Impfkampagne beginnt nach dem ersten Jahr. Um die Entstehung von resistenten Arten zu simulieren, konnten Geimpfte von der resistenten Virusvariante oder gleichzeitig geimpft und infiziert werden. Je nach Mutationsraten, Maßnahmen, Vorsicht der Menschen, Umweltveränderungen und anderen Faktoren verändern sich die Ansteckungsraten, die aber normalerweise in Wellen verlaufen. Das Aufkommen und die Verbreitung der  impfstoffresistenten Variante wurde zufällig simuliert. Klar ist, dass sie bei einer geringen Infektionsrate aussterben, aber sich bei einer hohen Infektionsrate durchsetzen könnte.

Ergebnis der Simulation ist wenig überraschend, dass resistente Varianten gefördert werden, wenn es viele Infizierte und wenig Geimpfte gibt. Bei vielen Infizierten nimmt die Wahrscheinlichkeit von Mutationen zu, also auch das Risiko der Entstehung von Impfresistenten Mutationen. Das höchste Risiko für eine Durchsetzung der resistenten Variante liegt allerdings dann vor, wenn ein hoher Anteil der Bevölkerung geimpft ist, aber die Ausbreitung nicht kontrolliert wird. Die impfresistente Variante hätte dann den evolutionären Vorteil, dass sich andere Varianten in dem geimpften Großteil der Bevölkerung nicht ausbreiten können, die nicht-resistenten sind beschränkt auf die Ungeimpften. Man müsste also in ein Wettrüsten bei der Impfstoffentwicklung mit der Entwicklung der resistenten Virusvarianten eintreten oder würde wieder in einem Lockdown landen.

Die Wissenschaftler empfehlen also, auch noch dann, wenn bereits viele geimpft sind, weiterhin „über beträchtliche Zeit“ Vorsichtsmaßnahmen wie Tests, Kontaktverfolgung und Reisebeschränkungen neben sozialer Distanzierung einzuhalten, um die Ansteckungsgefahr einzuschränken und so die Zahl der infizierten Menschen zu senken, wodurch sich das Risiko der möglichen Durchsetzung einer impfstoffresistenten Variante ebenso verringern ließe wie die Häufigkeit von Mutationen überhaupt, aus denen eine solche entstehen könnte. Die Geimpften sollten also nicht gleich wieder alle präpandemischen Freiheiten genießen können. Das Modell zeige aber auch, dass eine Verzögerung von Impfkampagnen in manchen Ländern  im Unterschied zu anderen die globale Entstehung von impfresistenten Varianten wahrscheinlicher macht. Es müsse also eine globale Koordination der Impfkampagnen geben.

In das Computermodell fließen viele Parameter und Bedingungen ein, die je nach Stärke und Zusammenspiel  das Ergebnis beeinflussen. Zudem wurde eine homogene Bevölkerung zugrundegelegt. Das Ergebnis ist also eine begründete Mutmaßung, die keineswegs zutreffen muss. Unklar bleibt vor allem, wie lange Maßnahmen dann weltweit aufrechterhalten werden müssten, um die Entstehung von impfresistenten Varianten möglichst zu verhindern oder deren Verbreitung einzuschränken. Die Wissenschaftler sprechen davon, dass Maßnahmen während der ganzen Impfkampagne aufrechterhalten werden müssten. Die kann sich aber lange hinziehen, wenn nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung sich nicht impfen lassen wollen. Und was ist eigentlich mit der Herdenimmunität?

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