Neuer Konflikt in der Arktis: Es geht um Gas, Öl, Fisch und das Austesten von Grenzen

Die russische Siedlung Barentsburg auf Spitzbergen. Bild: M_H.DE/CC BY-SA-3.0

Zwischen Norwegen und Russland droht ein neuer Territorialstreit. Die russische Duma will das sogenannte Trennlinien-Abkommen zwischen beiden Ländern neu überprüfen.

Es geht um ein Gebiet in der Barentssee und nördlich davon im Arktischen Ozean von insgesamt 175.000 Quadratkilometern. Hier hatten sich Russland und Norwegen 2010 auf eine Trennlinie geeinigt, die das Territorium in etwa zwei gleiche Teile teilt.

„Die Trennlinienvereinbarung enthält keine Aufkündigungsklausel“, meinte die Sprecherin des norwegischen Außenministeriums Ane Haavardsdatter Lunde recht diplomatisch zu dem russischen Ansinnen, den Vertrag in Frage zu stellen. „Nein und nochmals Nein“, so weit deutlicher der Kommentar von „Aftenposten“ der konservativen und auflagenstärksten Zeitung des skandinavischen Landes.

In dem Konflikt geht es um Erdöl- und Gasvorkommen, Fischereirechte, sowie um eine Retourkutsche auf die norwegischen Sanktionen.

Ende Juni ließ Norwegen keine russische LKWs über die Grenze, welche Lebensmittel für Arbeiter auf der Insel Spitzbergen über den Hafen der norwegischen Stadt Tromsö einschiffen sollten. Norwegen berief sich auf die Sanktionen, welche gegen Russland erlassen wurden, dort sah man den „Spitzbergen-Vertrag“ verletzt.

Die Insel im Arktischen Ozean ist norwegisches Staatsgebiet, anderen Nationen ist jedoch die Bewirtschaftung der Insel erlaubt; das russische Unternehmen Arktikugol baut dort seit Beginn der Dreißiger Jahre Schwarzkohle ab.

Reaktion auf den Spitzbergen-Konflikt

Die Mitte-Links-Regierung in Oslo hat diese Woche die Sperre für russische LKWs aufgehoben – vielleicht um zu verhindern, dass nun weitere Konflikte in der Arktis entstehen.

Offiziell hatte Mikhail Matvejew, ein Abgeordneter der Kommunistischen Partei in der russischen Duma, die Untersuchung des Abkommens durch den außenpolitischen Ausschuss angeregt. Der Parlamentarier hatte sich auf den Spitzbergenkonflikt bezogen und behauptet, dass Norwegen mehr Gebiet als Russland erhalten habe.

Der Unwille in Norwegen, das Packet noch einmal aufzuschnüren, ist verständlich – die Verhandlungen dauerten von 1970 bis 2010.

Lange blieben beide Seiten stur, was das Gebiet zwischen Spitzbergen und Franz-Josef-Land betrifft. Norwegen hatte darauf bestanden, dass die Grenze an der „Mittellinie“ gezogen werden sollte.

So wären alle Punkte gleich weit von der Grundlinie der Länder entfernt und die Grenze würde weiter nach Osten reichen. Die Sowjetunion und später Russland hatten auf der „Sektorlinie“ bestanden. Hier verläuft die Grenze entlang einer geraden Linie vom Grenzpunkt an Land bis zum Nordpol und würde somit weiter westlich verlaufen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Verhandlungen erst 2005 wieder aufgenommen. Schließlich einigte man sich auf eine Kompromisslinie in der Mitte beider Versionen.

Früher geregelt wurde das sogenannte „Grauzonenabkommen“ – eine Vereinbarung zur Fischerei für ein Gebiet von 60 000 Quadratkilometer, das seit 1978 jedes Jahr erneuert wird. Auch das kann nun nach norwegischen Medienberichten zur Disposition stehen. Diese Regelung und der Trennlinienvertrag wurden lange von Norwegen als  vorbildlich gepriesen, als ein Erfolg des bilateralen Dialogs.

Überhaupt pflegte Norwegen, NATO-Mitglied seit 1949, lange entspannte Beziehungen zum Nachbarn im Osten, mit dem es im Norden eine Landgrenze teilt.

Doch in dem Ukrainekrieg bezog Norwegen rasch Position – Antipanzerwaffen wurden zu Anfang geliefert, es folgten Haubitzen und Raketenwerfer.

Das Land, welches nicht zur EU gehört, schloss sich auch den Sanktionen gegen Russland weitgehend an, ließ jedoch den Bereich Fischerei aus.

Es geht um Öl und Gas

Durch den Krieg wachsen gleichzeitig  auch die Begehrlichkeiten bezüglich der Öl- und Gasvorkommen in den nördlichen Meeren.

Unter anderem Norwegen soll nun für den Ausfall der fossilen Brennstoffe aus Russland einspringen und viele europäische Länder versorgen. Die dortige Lobbyvereinigung „Norwegisches Öl und Gas“ wies im Mai darauf hin, dass der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) auch „für das Jahr 2050 einen noch erheblichen Bedarf an Öl und Gas sieht“. Anfang Juni wurden bei Probebohrungen erneut ein Vorkommen von Öl in der westlichen Barentssee entdeckt, was die kostspielige Ausbeutung der Vorkommen unter hoher See rentabler erscheinen lässt.

Das Abkommen, das Russlands Parlamentsausschuss eventuell in Frage stellen wird, regelt auch die Nutzung möglicher grenzüberschreitender Erdölvorkommen in diesen Meeresgebieten.

Mögliche Ressourcen sollten gemeinschaftlich abgebaut werden, was einen hohen Grad an Kooperationswille erfordert. In einem Bereich auf beiden Seiten der Trennlinie mit dem norwegischen Namen „Stangnestind“ werden Vorkommen von Öl- und Gasfeldern vermutet. Lange wurde von norwegischer Seite von Probebohrungen abgesehen. Im Juni vergangenen Jahres hat das norwegische Gas und Öl-Unternehmen Aker BP Interesse für das Gebiet angekündigt, im „Ministerium für Öl und Energie“ der damaligen konservativen Regierung war man dem Ansinnen gegenüber aufgeschlossen.

Nach dem norwegischen Privatsender habe Kremlsprecher Dmitry Peskov erklärt, das mögliche Hinterfragen des Abkommens sei nicht die offizielle Linie des Kremls. Dass Moskau Grenzen austesten könnte, in jeder Hinsicht, wird Oslo jedoch kaum ausschließen dürfen.

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