Nervöses Agieren Kreml des Kreml gegen Navalnys Initiative „Kluges Wählen“

Vor der Duma-Wahl demonstriert der Kreml Gelassenheit, zeigt aber gleichzeitig Nervosität. Die restriktiven Maßnahmen gegen oppositionelle Kandidaten finden selbst manche Kreml-Unterstützer „absurd und unmoralisch“.

 

Vom 17. bis zum 19. September wird in Russland ein neues Parlament gewählt. 14 Parteien stehen zur Wahl. Experten des Fonds für die Entwicklung der Zivilgesellschaft rechnen damit, dass die Regierungspartei Einiges Russland zwischen 42 und 46 Prozent der Stimmen bekommt und die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) zwischen 17 und 19 Prozent der Stimmen.

Ob außer Schirinowskis Liberaldemokraten und der Partei Gerechtes Russland noch weitere Parteien in der Duma vertreten sein werden, ist unklar. Auffällig ist, dass im staatlichen Fernsehen die im Dezember gegründete Partei „Neue Leute“ viel Raum bekommt. Bei dieser Partei handelt es sich um ein Projekt des Kreml-nahen Unternehmers Aleksej Netschajew, der mit russischen Kosmetik-Produkten zu einem reichen Mann geworden ist. Vertreter der KPRF und der Liberalen meinen, der Kreml versuche mit neuen Splitterparteien das oppositionelle Wählerpotential aufzuspalten. Diese Einschätzung erscheint dem Autor dieser Zeilen glaubwürdig.

Schlechte Ausgangsbedingungen für die Regierungspartei

Der Kreml demonstriert vor den Duma-Wahlen Gelassenheit, doch Vieles deutet darauf hin, dass das nur Fassade ist. Die Partei Einiges Russland hat extrem schlechte Startchancen. Sie hat wenig reale Erfolge vorzuweisen. Die Erhöhung des Rentenalters im Jahr 2018 hat viele Menschen empört. Die Wirtschaft ist in der Krise. Die Lebensmittelpreise und Wohnnebenkosten steigen. Die Einkommen der Menschen sinken schon seit acht Jahren. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze. Und das in einem Land, welches über die größten Bodenschätze der Welt verfügt.

In weiser Voraussicht, dass die Regierungspartei bei diesen Wahlen einen schweren Stand hat, arrangierte Putin, dass zwei in der Bevölkerung beliebte Politiker, die für Russlands Stärke und außenpolitische Reputation stehen, die Liste von Einiges Russland anführen. Auf Platz eins von Einiges Russland kandidiert Verteidigungsminister Sergej Schojgu, auf Platz zwei Außenminister Sergej Lawrow.

Nawalny, der im Gefängnis sitzt, mischt über sein Team, das aufgrund des Verbots des Antikorruptionsfonds vor allem vom Ausland aus agieren muss, bei den Wahlen mit.

Wie der Leiter des Nawalny-Teams, Leonid Wolkow, erklärte, werde man am 14. oder 15. September eine Liste mit Wahlempfehlungen für die Direktkandidaten bei der Duma-Wahl veröffentlichen. Auf welchem Wege die Liste veröffentlicht werden soll, ist unklar. Die Website „Kluges Wählen“ wurde am 6. September von der russischen Verbraucherschutzbehörde Roskomnadsor blockiert. Die Behörde begründete die Abschaltung damit, dass „Kluges Wählen“ ein Projekt des in Russland wegen Extremismus verbotenen Antikorruptionsfonds ist.

Mit dem im Herbst 2018 von Oppositionspolitiker Aleksej Nawalny entwickelten Konzept „Kluges Wählen“ will man das höchstmögliche Wählerpotential gegen Direktkandidaten von Einiges Russland mobilisieren. Auf der Liste mit den Wahlempfehlungen sollen Kandidaten der Kommunistischen Partei (KPRF), von Gerechtes Russland, der sozialliberalen Jabloko-Partei oder andere Kandidaten stehen, welche die größten Chancen gegen die Kandidaten der Partei Einiges Russland haben.

Anastasija Udalzowa von der Linken Front kandidiert für die KPRF im Süden Moskaus. Bild: Ulrich Heyden

Oppositionelle haben vor allem in Moskau Chancen

In den Moskauer Wahlkreisen Kunzewo und Tuschinskaja bekamen die Kandidaten von Einiges Russland bei den Parlamentswahlen 2016 weniger als 30 Prozent. Wenn also die Stimmen aller Wähler von KPRF, Gerechtes Russland und Jabloko für einen oppositionellen Kandidaten abgegeben werden, könne man – so der von Nawalny entwickelte Plan – einen Achtungserfolg oder sogar einen Sieg gegen Kandidaten der Regierungspartei erringen.

Wie die Nesawisimaja Gaseta berichtete,   bekamen Direktkandidaten der KPRF und Jabloko bereits Mails, in denen den Kandidaten mitgeteilt wurde, sie seien auf der Wahlempfehlungsliste „Kluges Wählen“ vermerkt. Man möge sich zwecks Absprache über Videokonferenzen mit dem Absender der Mail in Verbindung setzen.

Die angeschriebenen Kandidaten hätten auf dieser Aufforderung allerdings nicht reagiert, da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Mails von staatsnahen Stellen stammen, welche Kandidaten der Opposition der Mitarbeit beim verbotenen Projekt „Kluges Wählen“ überführen wollen, um sie dann von der Wahl auszuschließen.

Anweisungen an Google und Yandex

Die russischen Behörden reagierten auf die Taktik der Nawalny-Leute nicht gelassen und souverän, sondern merkwürdig aufgeregt. Am 3. September verbot das Moskauer Schiedsgericht den Suchmaschinen Google und Yandex den Suchbegriff „Kluges Wählen“ zu bedienen. Das Verbot scheint aber noch nicht zu wirken, denn als der Autor dieser Zeilen in der Suchmaschine Yandex den verbotenen Begriff eingab, wurden zahlreiche Ergebnisse angezeigt.

Am 6. September blockierte die russische Verbraucherbehörde Roskomnadsor die Website „Kluges Wählen“ und forderte von der russischsprachigen Suchmaschine Yandex, die Links zur Seite von „Kluges Wählen“ zu blockieren. Begründet wurde diese Aufforderung damit, dass „Kluges Wählen“ mit dem in Russland wegen Extremismus verbotenen Anti-Korruptions-Fond von Navalny verbunden ist.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte, die Initiative „Kluges Wählen“ sei mit den USA verbunden. Der Server stehe in den USA und „die ganze Mannschaft, die sich an der Ausarbeitung beteiligt hat, ist auf die eine oder andere Art mit dem Pentagon verbunden“.

Am Dienstag berichtete  der Kommersant unter Berufung auf einen Diplomaten, Autor der iPhone-Anwendungssoftware „Kluges Wählen“ sei Roman Rubanow, der frühere Direktor von Nawalnys in Russland jetzt verbotenen Antikorruptionsfonds. Rubanow arbeite zur Zeit als Direktor für spezielle Projekte im US-Luft- und Raumfahrtunternehmen Momentus Space Inc.. Er lebe in San Franzisco. Präsident von Momentus sei der frühere Pentagon-Mitarbeiter Fred Kennedy. Geschäftsführender Direktor sei der frühere stellvertretende US-Verteidigungsminister John Rood. Es sei eine große Menge von neuen Daten aufgetaucht, welche die Einmischung der USA in die russischen Wahlen belegen.

Russischer Politologe: „Absurd und unmoralisch“

Der russische Politologe Geworg Mirsajan, der in politischen Debatten meist auf der Seite der russischen Regierung steht, hat das Vorgehen der russischen Regierung und der Behörden gegen die Initiative „Kluges Wählen“ im Internetportal „Snob“ kritisiert. „Die Macht kämpft aus eigenem Interesse mit unmoralischen und sogar absurden Methoden gegen ein Projekt, welches äußerst gefährlich und schädlich für die russische Gesellschaft ist“, denn „Kluges Wählen“ führe dazu, dass „Freaks“ mit „antistaatlichen Anschauungen an die Macht kommen“. So würden beispielsweise „Freaks“ im Moskauer Stadtparlament Haushaltsdebatten mit langen Auftritten zu einer autofreien Stadt lahmlegen.

Mirsajan erklärte weiter, in Russland gäbe es eine „nicht ausreichend entwickelte Wahlkultur“. Das Bedürfnis nach Stabilität, welches Putin in den 2000er Jahren zur Macht verhalf und seine Position festigte, sei befriedigt. Es gäbe jetzt ein „ein Übermaß an Stabilität“:

„Heute müssen die Menschen lernen, selbst zu wählen und für ihre Wahlentscheidung persönlich Verantwortung zu übernehmen. Heute müssen die Menschen ihre Wahl nicht mit den Ohren oder Herzen, sondern mit dem Kopf machen, die Programme der Kandidaten lesen, sie auf ihren Realitätsgehalt prüfen und den Werdegang des Kandidaten kennenlernen. Das ist ‚Kluges Wählen‘.“

Wladimir Putin kündigte am Montag an, er werde demnächst in Quarantäne gehen, weil es in seiner Umgebung viele Corona-Infektionen gäbe. Am Dienstag wurde bekannt, dass der Kreml-Chef mit Verteidigungsminister Sergej Schojgu nach Sibirien fährt. In der Taiga hatten die beiden Politiker auch in den letzten Jahren schon kurze Erholungsurlaube eingelegt.

Die plötzliche „Quarantäne“ des Kreml-Chefs wirkt auf den ersten Blick merkwürdig. Doch offenbar will der russische Präsident sich aus der Wahl jetzt ganz heraushalten, um danach bei möglichen Streit über die Wahlergebnisse als Schlichter aufzutreten.

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Ein Kommentar

  1. Es mag so sein das ein Russe es als Unmoralisch betrachtet, unseriös ist allerdings es so hinzustellen als ob es mit Mitteleuropa zu vergleichen sei.
    Fast lustig, ein fünftel der Russen leben an der Armutsgrenze, obwohl sie Bodenschätze haben. Was sollen sie denn tun?
    Deutschland hat keine Bodenschätze und auch etwa ein fünftel an der Armutsgrenze, Tendenz nach mehr.
    Na klar lernen die Russen und mit den Splitterparteien ist es eine Möglichkeit. Warum nicht? Wie viel Geld braucht es um in Amerika Präsidentschaftswahlen zu bestreiten und welche „Tricks“ werden da angewandt?
    Es mag ja nicht gutgeheißen werden was die Russen machen, dennoch sollte es ehrlich betrachtet werden. Was ist mit den Sanktionen der EU und anderen Ländern. Es wehre schon ein Sümmchen mehr in der Kasse wenn Nordstream 2 letztes Jahr schon geliefert hätte. Mich würde eher interessieren was in deren Programmen steht und welche Zukunft sie sehen. Was soll da gegen Klimaverzerrung getan werden?
    Es geht auch um die Sicherheit des Landes, aber mal eine Struktur beschreiben und wohl-möglich Verständnis haben, ohne es zu tolerieren, ist nicht drin?

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