Nawalny-Proteste: Weniger Teilnehmer, aber mehr Inhaftierungen

Protest in St. Petersburg. Screenshot: Video von Nawalny-Team

Die Behörden versuchten vergeblich die Proteste zu verhindern. Nawalny hat kein politisches Programm, sein Team kann aber die Wut, die im seit 20 Jahren herrschenden Putinsystem gärt, zum Ausdruck bringen.

Die Versammlungen und Demonstrationen, zu denen Nawalny und sein Team aufgerufen hatten, waren nicht angemeldet und daher aus der Sicht der russischen Behörden verboten. Das berechtigte sie dazu, vehement einzuschreiten und eine Rekordzahl von 5400 Protestierenden nach OVD-Info  festzunehmen. Das bedeutet in der Regel, wenn keine Ermittlung aufgenommen wird, dass schlimmstenfalls Ordnungsstrafen verhängt werden und die in Gewahrsam Genommenen schnell wieder freikommen. So war dies auch bei Julia Navalnaya, die am Nachmittag wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsverbot festgenommen wurde und drei Stunden später wieder die Polizeistation verlassen konnte. Es droht eine Geldstrafe von 20.000 Rubel, etwas mehr als 200 Euro, und womöglich eine 15-tägige Inhaftierung.

Kremlkritische Medien berichten, dass die Polizei massiv und brutal gegen Protestierende eingeschritten sei, staatliche Medien betonen hingegen, dass sie zurückhaltender sei als die Polizei im Westen, dass keine Wasserwerfer und kein Tränengas eingesetzt werden. Allerdings sollen in St. Petersburg dennoch Tränengas und Elektroschocker verwendet worden sein, um die Versammlung aufzulösen. Und natürlich benutzten die Sicherheitskräfte auch die Corona-Lage, um Versammlungen aufzulösen.

Im Vorfeld wurden die Zentren in St. Petersburg und in Moskau abgeriegelt, wo auch einige U-Bahnstationen geschlossen waren. Verhindern konnte man die Proteste dennoch nicht, sie wurden nun ad hoc über Soziale Medien organisiert. Roskomnadzor versuchte, gegen die Nutzung von sozialen Medien zur Verbreitung von Informationen vorzugehen. Angedroht wurden gestern Geldstrafen und Sperren, wenn Falschinformationen über die verbotenen Versammlungen verbreitet werden, vor allem wenn zu hohe Teilnehmerzahlen genannt werden oder falsche Angaben über Gewalt der Polizei und Todesfälle gemacht werden.

Überdies warnt die russische Regierung die amerikanischen Internetplattformen – angeblich von „Washington kontrolliert“ – Falschinformationen über verbotene Demonstrationen zu verbreiten und sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen.

 

Wie viele Menschen in ganz Russland zu den Protesten für Nawalny und gegen die russische Regierung und Putin am zweiten Aktionstag mobilisiert werden konnten, ist nicht wirklich ausmachbar. Tass rechnet die Teilnehmerzahl wieder wie schon beim letzten Mal herunter. Es sollen in Moskau nur 2000 gewesen, am 23. Januar habe die Polizei 4000 angegeben. Nach OVD wurden alleine in Moskau 1800 Personen Ingewahrsam genommen.

Vermutlich wird es richtig sein, von einigen Zehntausend in ganz Russland zu sprechen. Ist das ein Erfolg von Nawalny, der als russisches Pendant zu Guaido für westliche Interessen fungiert? Es dürften dieses Mal weniger Teilnehmer gewesen sein, was erwarten lässt, dass die Mobilisierung bröckelt.

Der russische Guaido

Nawalny trifft mit seinen Videos und Aktionen sicher einen Nerv. Die russische Gesellschaft ist korrupt, was allerdings auch auf westliche Gesellschaften wie die USA zutrifft, wo zwar immer mal wieder sich die politische Führung zwischen Demokraten und Republikaner abwechselt, es aber auch eine ganze Menge an Oligarchen wie Zuckerberg, Musk, Bezos und viele andere gibt, die mit der einen oder der anderen Seite verbandelt sind. Nawalny kann mit seiner provokanten Art, wie auch immer richtig oder schlecht begründet Korruption und Vetternwirtschaft aufzudecken, punkten, er selbst ist aber nur wie der von der Trump-Regierung in Venezuela installierte Guaido ein Populist, dem wohl kaum jemand zutraut, ein Land wirklich führen zu können.

Auch für den Westen ist Nawalny, der sich nie von seinen rassistischen und nationalistischen Positionen verabschiedet hat, sie nur wohlweislich nicht mehr äußert, nicht gerade eine Lichtgestalt, sondern wahrscheinlich nur eine Person, die man aufwertet und unterstützt, um die russische Regierung zu untergraben. Er propagiert das europäische Modell irgendwie und sagt, in Russland mache es keinen Sinn, zwischen links und rechts zu unterscheiden, es gehe darum, jede Opposition gegen den Kreml und die herrschende Elite zu sammeln. Das ist auch das Konzept des „smart voting“, das Nawalny vertritt: Gut ist alles, was dagegen ist.

Im Machtsystem, an dessen Spitze Putin steht, geht sicherlich eine Angst um vor Protestbewegungen, die vom Westen gefördert Regierungen in Staaten der ehemaligen Sowjetunion stürzen konnten. Zuletzt erfolgreich in der Ukraine, in Weißrussland bahnt sich vielleicht ein Umsturz an. Die Angst ist berechtigt, schließlich lähmt die alternativenlose Putin-Präsidentschaft das Land. Über 20 Jahre ist Putin an der Macht, es gibt keine Aussicht auf eine Veränderung, wozu im Übrigen auch der transatlantische Druck auf Eindämmung und Isolierung Russlands beiträgt, und keine großen Fortschritte für die Unter- und Mittelschicht: das bringt die Stimmung zum Gären.

Es ist eher erstaunlich, dass sich nicht mehr an den Protesten beteiligen, die Nawalny nicht verkörpert, sondern nur kanalisiert. Er hat keine politische Botschaft, sondern lediglich wie die rechten und populistischen Bewegungen im Westen, inklusive Trump, nur das Versprechen, die Eliten abzusetzen.

 

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