MH17: Hat Max van der Werff für den russischen Geheimdienst GRU gearbeitet?

Exemplarischer Fall, wie mit Diffamierung und Desinformationsvorwürfen gearbeitet wird. Anlass: Durchsuchung der Wohnung von Roman Dobrochotow, Chefredakteur der „Nachrichtenwebseite“ The Insider, im Zuge einer Verleumdungsklage.

 

Das russische Online-Magazin The Insider mit Sitz in Riga wurde wie einige andere Online-Medien, die ihren Sitz teilweise im Ausland wie Meduza haben, vor kurzem zum „ausländischen Agenten“ erklärt. Vorbild für das russische Vorgehen sind die USA, die mit dem 1938 eingeführten und weiterhin gültigen Foreign Agents Registration Act (FARA) verlangen, dass Personen, die für ausländische Regierungen oder Organisationen handeln und sich politisch betätigen, sich registrieren müssen: „FARA is an important tool to identify foreign influence in the United States and address threats to national security.“ Den Auftakt zum Tit-for-Tat machten ebenso die USA, die 2017 von dem russischen Staatssender verlangten, sich als ausländischer Agent zu registrieren.

Die Tagesschau berichtete, The Insider, das wie Proekt mit der angeblich unabhängigen britischen „Rechercheplattform“ Bellingcat zusammenarbeitet, sei wie das russische Medium Proekt als unerwünschte Organisation eingestuft und verboten worden, was aber nicht stimmt. The Insider  wurde „nur“ zum ausländischen Agenten erklärt, was das Überleben erschweren kann, weil Firmen keine Werbung mehr schalten und weniger Spenden kommen können. Selbst Meduza, das als ausländischer Agent eingestuft wurde, schreibt hingegen, The Insider sei nur zum ausländischen Agenten erklärt worden, was nach dem Justizministerium auch zutreffend ist. Die Desinformation der Tagesschau ist kein Ruhmesblatt für deren angebliche objektive Berichterstattung. Bislang ist der Faktenchecker hier auch nicht aktiv geworden.

Die Tagesschau berichtete später immerhin als eines der wenigen deutschen Medien, dass am 28. Juli die Wohnung von Roman Dobrochotow, Chefredakteur der „Nachrichtenwebseite“ The Insider, durchsucht worden ist (auch die seiner Eltern wurde durchsucht). Wie Meduza berichtet, geschah die Hausdurchsuchung, bevor Dobrochotow ins Ausland zu reisen beabsichtigte. Er wurde nach einer Befragung freigelassen. Seine Computer, Smartphones und Reisedokumente wurden beschlagnahmt. Nebenbei, aber ohne Korrektur, wird im Tagesschau-Artikel erwähnt, dass The Insider zum ausländischen Agenten erklärt wurde. Was wie eine Schikane dargestellt wird, ist Folge einer Verleumdungsklage des niederländischen Journalisten Max van der Werff gegen Dobrochotow, der in einem inzwischen gelöschten Tweet behauptet hatte, dass der Journalist im Dienste des russischen Geheimdienstes GRU und bezahlt vom russischen Verteidigungsministerium falsche Informationen über den Absturz von MH17 verbreitet habe.

Das ist, wenn das nicht der Fall ist, eine klare Diffamierung. Das aber wird in dem Tagesschau-Beitrag nicht  einmal als Problem thematisiert. Die Klage, so die Tagesschau lediglich, gehe „auf einen Bericht von ‚The Insider‘ zurück, wonach der russische Militärgeheimdienst GRU ausländische Medienschaffende bei der Verbreitung von Desinformation über den Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine unterstütze“.

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns

Während ohne entsprechende Distanz oder Hinterfragung die Beschuldigung von The Insider nur weitergegeben wird, bekräftigt die Tagesschau ohne jede weitere Begründung, dass van der Werff Desinformation verbreitet habe. Christo Grozev von Bellingcat bezeichnete van der Werff als „mit GRU verbundenen niederländischen Desinformationskünstler“. Dieser hatte seine Verleumdungsklage bereits im Januar gestellt, im April war sie von der Staatsanwaltschaft aufgenommen worden. Medien wie die niederländische Tageszeitung NCR hatten seiner Zeit die diffamierende Behauptung von Bellingcat und The Insider als Tatsache übernommen und getitelt: „Niederländischer MH17-Blogger gesteuert von rusisschem Geheimdienst“. Bis in die Regierung ging die Diffamierung weiter, der Außenminister Stef Blok schrieb, Bellingcats Funde würden die Sorge der Regierung über die Verbreitung russischer Desinformation bestätigen. Der Zweck von Bellingcats „Recherchen“ wurde mithin erfüllt, van der Werff als Gehilfe des russischen Geheimdienstes zu diskreditieren.

In der aufgeladenen politischen Situation gibt es nur das prorussische und das antirussische Lager, eine Grauzone dazwischen darf es nicht mehr geben. Wer kritisch gegenüber der offiziellen Version des JIT und der niederländischen Staatsanwaltschaft ist, gilt als Verschwörungstheoretiker und Verbreiter russischer Desinformation, nachgeprüft wird nichts, auch die angeblichen Beweise von Bellingcat werden ungeprüft als Wahrheiten weitergegeben. Die Devise: Wer nicht für uns ist, steht auf der Seite des Feinds und ist gegen uns.

Wenn jemand wie van der Werff das herrschende Narrativ hinterfragt, steht er automatisch auf der Seite von Moskau, was dadurch bestätigt zu werden scheint, dass russische Staatsmedien die kritischen Stimmen im eigenen Interesse aufgreifen, während sie in den westlichen großen Medien höchstens als Wahrheitsverdreher auftauchen. So funktioniert die Maschinerie auf beiden Seiten, in der unabhängige Stimmen zerrieben und auf eine Seite getrieben werden. Das kremlkritische Online-Magazin Meduza, das auch als ausländischer Agent eingestuft wurde, bemüht sich oft um differenzierte kritische Berichterstattung, im Fall von van der Werff ging es aber gerade wieder ziemlich daneben.

Fabrikation der Beweise

The Insider hatte in einem Artikel zusammen mit Bellingcat im November 2020, nachdem Bonanza Media, ein Projekt von van der Werff und der früheren RT-Journalistin Yana Yerlashova, Dokumente des Gemeinsamen Ermittlungsteams (JIT) in die Hände bekommen und veröffentlich hatten, die von den Anwälten des im MH17-Prozess angeklagten Oleg Pulatov verwendet wurden und die ihn als Zeugen einladen wollten. Es ging beispielsweise um Gespräche mit angeblichen Augenzeugen, die zur Zeit des Abschusses Kampflugzeuge gesehen haben wollen, das JIT hatte solche Zeugen nicht aufgenommen, auch nicht, dass abgehörte Telefongespräche zwischen Separatisten zum Inhalt hatten, dass diese davon ausgingen, dass ukrainische Militärflugzeuge nahe an Passagierflugzeugen flogen, um von. Nach Bellingcat soll einer der Zeugen später gesagt haben, er habe nichts von einem weiteren Flugzeug berichtet, er stritt dies aber gegenüber  Yerlashova wiederum ab, er sei auch nicht von Bellingcat kontaktiert worden. Brisant waren Geheimdokumente des niederländischen Geheimdienstes, dass es keine Hinweise gab, dass die Separatisten ein funktionierendes Buk-System in ihrem Besitz hatten. Aufgelistet waren die ukrainischen und russischen Buksysteme, die alle aber außer Reichweite gewesen seien (Geleakte Dokumente nähren Zweifel am JIT, Neue Leaks vor dem MH-17-Prozess). Die Echtheit der Dokumente wurde von der niederländischen Staatsanwaltschaft bestätigt.

Max van der Werff, der mit Yerlashova den Film „MH17 – Call for Justice“ gemacht hat,  weist die Anschuldigung entschieden zurück, mit GRU zusammengearbeitet und je Geld erhalten zu haben. Bellingcat hätten schon mehr Desinformationen über ihn verbreitet, beispielsweise dass er sage, MH17 sei von einem Kampfflugzeug abgeschossen worden. Van der Werff hat allerdings nie behauptet, er wisse, wer für den Abschuss verantwortlich ist, er hatte auch Russland nicht ausgeschlossen, sondern er gehe Ungereimtheiten im vorherrschenden Narrativ und möglichen Alternativen nach. Die von Bellingcat als Beleg verwendete Kopie seines Reisepasses bei der GRU erkläre sich durch die notwendige Akkreditierung, um als Journalist von Russland in die „Volksrepubliken“ einreisen zu können. Allerdings wurde nach Metadaten des Fotos auf der Kopie das Foto des Reisepasses am 10. Januar angeblich in der Nähe des GRU-Hauptquartiers gemacht, was immer dies bedeuten soll. In einer gehackten Email-Korrespondenz mit einer Frau, zuständig für Public Relations der „Volksrepublik“, gab er auch mal Ratschläge, aber es ging ihm vor allem darum Informationen zu erhalten.

Die Behauptung, dass  Yerlashova GRU-Agenten vor jedem Erscheinen eines Bonanza-Artikels kontaktiert hatte, will van der Werff nicht widerlegen, er glaube dies aber nicht. Die „Belege“ für eine mögliche Zusammenarbeit mit GRU-Agenten beziehen sich überdies nur auf Yerlashova. Sie könnte mit dem Geheimdienst ohne Wissen von an der Werff kooperiert haben. Die Belege der Kommunikation mit GRU-Agenten werden aber nicht dargelegt, sondern nur behauptet, überhaupt finden sich eine Menge an spekulativen Interpretationen. Wenn die von Bellingcat/The Insider angeblich erlangten Kommunikationsdaten, die auf nicht legale Weise gekauft oder geleakt wurden, stimmen sollten, gäbe es einen berechtigten Verdacht der Zusammenarbeit von Yerlashova mit dem Geheimdienst, deswegen aber nicht notwendigerweise auch von van der Werff. Einen Beleg, dass er davon wissen musste, wird nicht vorgelegt.

Bis zum März 2020, als die Zusammenarbeit zwischen beiden endete, sei er voll verantwortlich für die Veröffentlichungen und stehe hundertprozentig hinter ihnen. Woher die beiden die Dokumente hatten, verrät er nicht, Bellingcat behauptet ohne Beleg, der russische Geheimdienst habe sie ihnen zugespielt. Das könnte tatsächlich der Fall sein, Bonanza hat natürlich seine Quellen nicht offengelegt, aber auch wenn die Dokumente vom russischen Geheimdienst stammten und echt sind, wäre gegen eine Veröffentlichung im Rahmen eines Falls mit großer politischer Bedeutung nichts einzuwenden, sondern sogar journalistische Pflicht.

Schlussbemerkung: Natürlich weiß ich auch nicht, was die Wahrheit ist. Möglicherweise könnte van der Werff tatsächlich wissentlich oder unwissentlich im Dienste des russischen Geheimdienstes gehandelt haben. Aber es handelt sich von Bellingcat/The Insider ziemlich offensichtlich um eine perfide Schmierenkampagne gegen den Niederländer, um den MH17-Prozess nicht durch kritisches Hinterfragen zu gefährden. Bewiesen ist nichts, vor einem unabhängigen Gericht hätte die Beschuldigung, van der Werff habe für den russischen Geheimdienst gearbeitet und sei dafür bezahlt worden, keinen Bestand. Für das Verstreuen von Diffamierungen scheint aber Bellingcat mit Partnern wie The Insider gute Dienste zu leisten – und viele Medien verzichten darauf, kritisch nachzufragen, weil man ja auf der richtigen Seite steht und das Böse eindeutig verortet ist.

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2 Kommentare

    1. Dort weiß man die Wahrheit und verteidigt natürlich auch seine Partner. Wenn der Befragte behauptet: „Wir hatten eine Recherche publiziert mit Beweisen, dass er für eine Desinformationskampagne benutzt wurde.“ Dann hätte man doch auch mal nach den Beweisen fragen können. Zudem sagt er hier, van der Werff sei für eine Desinformationskampagne – die die Veröffentlichung von authentischen JIT-Dokumenten einschloss – „benutzt“ worden. Ursprünglich hat er behauptet – was der Artikel des Insider nicht explizit machte -, van der Werff habe mit GRU kooperiert und Geld dafür bekommen. Es wird wahrscheinlich stimmen, dass die russischen Behörden den Journalisten mit Ausnutung der Verleumdungsklage drangsalieren wollen, das hat dieser mit van der Werff auch gemacht. Als Helfer des russischen Geheimdienstes bezeichnet zu werden, hat auch in Europa Folgen, die ähnlich wie die sind, in Russland als ausländischer Agent zu gelten. Aber das interessierte den Spiegel alles nicht. Und wenn Zeifel zu äußern schon auslangt, dem Kreml zu dienen, dann gute Nacht freie Presse.

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