In einer polarisierten, politisch zerrissenen Öffentlichkeit kann der Verweis auf Fakten oder auf einen Faktencheck nach einer Studie die Gräben nicht überbrücken, persönliche Erfahrungen, vor allem schlechte, würden hingegen für Akzeptanz der Position sorgen.
Es geht zunehmend um die Verteidigung oder die Einnahme der Köpfe in Herrschaftsbereichen. Seit Fake News zum Standardvorwurf geworden sind und nicht nur die westlichen Länder, sondern auch arabische Länder, der Iran, Venezuela, China und vor allem Russland Auslandssender in verschiedenen Sprachen besitzen, hört man aus dem Westen wenig von dem zuvor noch propagierten freien Fluss der Informationen. Jetzt muss die eigene Bevölkerung vor Informationsangriffen und Desinformationskampagnen geschützt werden und wurde Information zur Waffe erklärt. Natürlich haben “weaponized information” nur die Gegner, man selbst schickt die Wahrheit in die Welt, macht Faktenchecks bei den anderen und klärt auf. Das wurde bereits zum Geschäftszweig einer Art Gegenpropaganda.
Die Frage ist allerdings, wie sehr die Menschen von vermeintlichen Fakten und objektiver Wahrheit beeinflusst werden. Nicht besonders, sagt eine unlängst in PNAS veröffentlichte Studie. Überzeugungen werden vor allem von der Mitteilung persönlicher Erfahrungen mit einem Thema geprägt. Das präge die Öffentlichkeit besonders dann, wenn sie politisch und moralisch zerrissen ist. Dann würden die Menschen “subjektive Erfahrungen für wahrer halten als objektive Fakten”.
Für die Studie wurden Untersuchungen und Umfragen, eine Feldstudie über Schusswaffen, eine Analyse von Kommentaren auf YouTube zur Abtreibung und eine Analyse von 137 Interview-Transkripten von Fox News und CNN ausgewertet. Es ging den Sozialpsychologinnen um Emily Kubin allerdings vor allem darum, Wege aufzuzeigen, wie sich verhärtete Fronten aufbrechen und Gräben zwischen politischen und moralischen Antagonisten überwinden lassen. Wie lässt sich “Respekt über die politische Kluft hinweg” herstellen? Man müsse dazu die Wahrnehmung der Rationalität des politischen Gegners vermitteln. Das würde die Toleranz fördern.
Fakten und Wissenschaftler sind selbst zum Teil des Disputs geworden
Untersucht wurden zwei Strategien, wobei es dann aber schon um die Moral geht: die Beglaubigung der eigenen moralischen Überzeugungen durch Fakten und die durch Erfahrungen, also durch subjektive Anekdoten über erlebte Ereignisse.
Dabei kommt der rationale, auf Logik und Wahrheit basierende Diskurs schlecht weg, weil es immer schwieriger geworden sei, in einer Diskussion durch den Hinweis auf Fakten anerkannt zu werden. Das habe auch damit zu tun, dass Fakten heute selbst häufig aufgrund eines vielfältigen politischen Spektrums hinterfragt werden. “In den vergangenen Jahrzehnten”, so heißt es in der Studie, “hat Amerika eine Dezentralisierung von Nachrichten und Informationen gesehen, was den Menschen ermöglicht hat, ihre ‘eigenen Fakten’ (z.B. alternative Fakten) zu sammeln. In letzter Zeit haben Behauptungen von ‘Fake News’ den Menschen ermöglicht, allen Informationen zu misstrauen, die nicht mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmen.” Man klärt also nicht auf, wenn man angebliche Fake News, Desinformation oder Verschwörungstheorien im Namen einer vermeintlichen Wahrheit angreift, sondern vertieft das Misstrauen.
Man könnte auch hinzufügen, dass die Wissenschaftler selbst keine so per se anerkannte Klasse mehr sind, wie sie dies mal war, als es noch relativ wenige gab. In Gesellschaften, in denen die Hälfte oder mehr der jüngeren Generation Abitur gemacht haben und auch studieren – in manchen Ländern liegt die Akademikerquote bereits bei über 40 Prozent eines Jahresgangs -, haben eben mehr Menschen den Wissenschaftsbetrieb und die Produktion von Fakten in möglichst hoch gerankten Wissenschaftsjournalen zumindest ansatzweise auch von innen erlebt, was zum Schwund des Ansehens beigetragen haben dürfte.
“Leiden aus erster Hand ist relativ immun gegenüber Zweifel”
In einer Umfrage sagte die Mehrzahl, dass sie die gegnerische moralische Position besser durch Fakten respektieren könnten, in einer anderen, dass sie eher eine Position verstehen würde, wenn es um Fakten denn um persönliche Erfahrungen geht. Aber das ist Selbsttäuschung, sagen die Psychologen und verweisen etwa auf Kierkegaard, der sagte, dass Wahrheit nicht objektiv sei, sondern etwas subjektiv Erfahrenes. Just diese Subjektivität will zwar Wissenschaft ausschließen, die nun aber den Fakt ins Feld führen will, dass Fakten nicht überzeugen …
In mehreren Experimenten, die die Wissenschaftler mit umstrittenen Themen wie Abtreibung, Kohlepolitik, Steuerpolitik oder Kontrolle von Schusswaffen durchführten, wurden Argumente von den Versuchspersonen, deren Haltung vorher abgefragt wurde, eher anerkannt, wenn sie durch themenbezogene persönliche Erfahrungen – und vor allem durch schlechte – begründet oder gestützt werden. Wenn es um nicht-moralische Differenzen geht, schneiden Fakten genauso gut wie persönliche Erfahrungen ab.
Die Autoren sagen, indem sie wahr deklinieren und einen Komparativ von Wahrheit einführen, was selbst schon ein Eingeständnis ist, dass es Schwierigkeiten der Wahrheit gibt: “Weil persönliche Erfahrungen als wahrer als Fakten betrachtet werden, sorgen sie für das Aufscheinen von Rationalität bei Gegnern, was wiederum Respekt verstärkt. Wir sagen, dass dies deswegen so ist, weil persönliche Erfahrungen unbestreitbar sind. Leiden aus erster Hand ist relativ immun gegenüber Zweifel.” Also müsse man nur seine Wunden zeigen, um die Gegner versöhnlich zu stimmen und die Polarisierung zu überwinden. Das scheint naiv zu sein, schließlich ist es auch eine Masche, persönliche Erfahrungen ins Feld zu führen und in einen Wettstreit mit denen anderer zu treten. Es muss die Person überzeugen, um deren Erfahrungen als bedeutsam zu sehen, aber dann wird ihr schon Anerkennung zugestanden, was erst die Folge sein soll. Ansonsten blendet man den anderen Menschen und sein Leiden gerne aus. Das ist Alltagspraxis. Und letztlich ist die Personalisierung eine Methode der Polarisierung. Man kann um Fakten streiten und einen Konsens erzielen, aber kaum um persönliche Erfahrungen, die damit konfrontiert sind, dass wir uns zwar als Andere sehen, aber wir nicht in die Haut der Anderen schlüpfen können.
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