Mathematikstudent: Orientierung am bisherigen Inzidenzwert fragwürdig

Sars-CoV-2. BIld: NIAID

 

Es braucht einen Mathematikstudenten, um mal einen genaueren Blick auf den Aussagewert der Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner zu werfen, die derzeit als Grundlage dient, Corona-Maßnahmen zu lockern oder zu verschärfen – nicht nur in Deutschland.

Schon lange ist bekannt, dass die Zahl der positiv Getesteten eigentlich nur sinnvoll ist, wenn die Zahl der gesamten Tests und damit auch der Zahl der negativ Getesteten einbezogen wird. Überdies muss die Teststrategie transparent sein: Werden Menschen zufällig getestet oder nur solche, die Symptome haben oder mit einem positiv Getesteten zu tun hatten. Das spielt auch bei Vergleichen zwischen der Inzidenz in Städten, Landkreisen und Bundesländern eine Rolle (siehe zur Orientierung an Kenngrößen: „Die Politiker haben sich in eine Sackgasse hineinmanövriert“)

Jeden Mittwoch erfährt man durch das RKI Zahlen über die durchgeführten Tests. Eingeräumt wird am 17. März, dass es keine genauere Kenntnis über die wirkliche Zahl der durchgeführten Tests gibt: „Bei den erhobenen Daten handelt es sich um eine freiwillige und keine verpflichtende Angabe der Labore, sodass eine Vollerfassung der in Deutschland durchgeführten PCR-Tests auf SARS-CoV-2 zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorliegt.“ Überdies entspricht die Zahl der Tests nicht der Zahl der Getesteten, denn es kann durchaus vorkommen, dass Menschen mehrmals getestet werden.

Die Zahl der Tests ist seit Anfang 2021 in etwa gleich geblieben. In der 1. KW wurden beispielsweise 1.231.405 Tests durchgeführt, positiv getestet wurden 157.772, der Positivenanteil lag bei 12,8 Prozent. Ab der 2. KW ging der Positivenanteil zurück und stieg erst leicht wieder in KW 10 (08.03.2021 – 14.03.2021), wo 1.248.100 Tests durchgeführt wurden, 84.480 wurden positiv getestet, der Positivanteil lag bei 6,8 Prozent. Danach ist die Inzidenz seit Beginn des Jahres deutlich zurückgegangen. Beim RKI heißt es, ohne die Testzahlen zu  berücksichtigen: „Die Zahl der Übertragungen von COVID-19 in der Bevölkerung nimmt in Deutschland deutlich zu. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein.“

Der Mathematikstudent Patrick Schönherr aus Bayerisch Gmain erklärte in einem mittlerweile weit zirkulierenden Video, dass es keinen Sinn macht, nur auf die absoluten Zahlen der positiv Getesteten pro 100.000 zu schauen, um Maßnahmen danach scheinbar objektiv auszurichten. Zur objektiven Bewertung müsse die Gesamtzahl der Tests und die Zahl der negativ Getesteten einbezogen werden: „Wird mehr getestet, findet man logischerweise auch mehr positive Personen. Somit steigt der Inzidenzwert, obwohl uns vielleicht nicht schlechter geht. Rückschläge auf das Pandemiegeschehen lässt dieser Inzidenzwert derzeit nicht zu.“

 

Ihm ging es dabei um die Inzidenz des Berchtesgadener Landes im Vergleich zu anderen Landkreisen, wie das Traunsteiner Tagblatt berichtete. Die war in den vergangenen Wochen sehr hoch gewesen. In KW 9 hatte die Inzidenz 78,3 betragen. Berücksichtigt man aber die Testquote, dann kommt Schönherr auf einen Wert von nur 18. In KW 10 wären es nicht 89, sondern 29 gewesen. In Deutschland wurden seit Beginn des Jahres 1,52 Prozent der Bevölkerung pro Woche getestet, im Berchtesgardener Land aber mit 2,85 Prozent deutlich mehr, in der letzten Februarwoche waren es sogar 5,8 Prozent. Berücksichtigt man die Positivenquote dann würde der Inzidenzwert für das Berchtesgadener Landes deutlich gegenüber offiziellen Zahlen sinken: „Aufgrund der hohen Testzahlen stellt die aktuelle Inzidenzwertberechnung die Lage im Berchtesgadener Land stark verzerrt dar.“ Hier sei die Inzidenz besser als im deutschen Durchschnitt, weswegen man die Maßnahmen lockern müsste. Derzeit aber steigt der offizielle Inzidenzwert wieder an und lag am 20. März bei 152.

 

Am Dienstag, 16. März 2021, lag die Inzidenz den 3. Tag in Folge über dem Grenzwert von 100, ab Donnerstag trat daher im Landkreis die „Notbremse“ in Kraft – mit nächtlichen Ausgangssperren, Schließung von Geschäften und außerschulischer Bildung und Kontaktreduzierungen. Der Fall ist also akut, es kommt darauf an, wie man den Inzidenzwert berechnet.

 

Schönherr weist natürlich auch darauf hin, dass es kein genaues Wissen über die Zahl der durchgeführten Tests gibt, dass aber normalerweise positiv Getestete gemeldet und registriert werden. So würden Tests von österreichischen Pendlern mitgezählt, aber nicht diejenigen, die in Arztpraxen oder in Betrieben gemacht werden. Dazu werden jetzt auch immer Schnelltests gemacht, die bei negativen Ergebnissen nicht berücksichtigt werden. Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, die auch aus Bayerisch Gmain stammt, hat Schönherrs Berechnungen  an das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege „mit der Bitte um Bewertung“ weitergeleitet.

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