Wie die Ukraine diplomatischen Selbstmord begeht
Die diplomatische Strategie der Ukraine besteht schon seit Jahren darin, sich um jeden Preis in der internationalen Agenda präsent zu halten – damit man das Land in der schnelllebigen Welt „nicht vergisst“. So verhält es sich auch mit dem eigentlichen völlig aussichtslosen Plan, die Krim in die Ukraine zurückzuholen. So arbeitet die Ukraine schon seit einem Jahr Schritt für Schritt an der Strategie zur „Rückführung der Krim“. Mit diesem Hirngespinst ist ein komplettes Ministerium betraut (Die ukrainische Traumstrategie zur Beendigung der Besatzung der Krim).
Kernpunkt der Strategie sollte die „Krim-Plattform“ sein – ein Gipfeltreffen unter Teilnahme der westlichen Staaten und der Türkei. Bereits am 26. Februar hatte Präsident Wladimir Selenski ein Dekret „über die Deokkupation und Reintegration“ der Krim unterzeichnet, mit dem die Arbeit der „Krim-Plattform“ offiziell begonnen hatte.
Am 18. März, dem siebten Jahrestag des offiziellen Beitritts der Autonomen Republik Krim zur Russischen Föderation, teilte das Amt des ukrainischen Präsidenten mit, dass das Gipfeltreffen der „Krim-Plattform“ am ukrainischen Unabhängigkeitstag am 23. August stattfinden soll. Damit war der Termin allerdings schon zum zweiten Mal verschoben worden. Im Dezember waren zunächst März und danach Mai im Gespräch.
Noch im Februar kündigte Präsident Selenski die Teilnahme der USA, Kanadas, Großbritannien und der Türkei an der Krim-Plattform an. Um diesem außenpolitischen Projekt mehr Gewicht zu verleihen, bemüht sich Selenski vor allem darum, auch die EU als Ganzes oder zumindest große EU-Staaten wie Frankreich oder Deutschland zur aktiven Unterstützung der Krim-Plattform zu bewegen.
Soll Russland sich vor solcher diplomatischen Aktivität des Nachbarlandes eigentlich in Acht nehmen? Schließlich hat das russische Außenministerium die Initiative Kiews bereits als „Angriff auf die russische territoriale Integrität“ verurteilt. Russland sei „beunruhigt“, sagte man in Kiew, wo unterdessen immer schwerere Propaganda-Kaliber aufgefahren werden, um die einflussreichsten Staaten im Westen zur aktiven Unterstützung der Ukraine bei der „Reokkupation“ der Krim zu bewegen.
So rief am 16. März der ukrainische Botschafter in Berlin Andrei Melnyk in einem Artikel Deutschland direkt dazu auf. Grund sei die deutsche historische Schuld gegenüber der Ukraine im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die „barbarische“ und „brutale“ russische Krim-Politik verglich er mit Nazi-Herrschaft und appellierte gleichzeitig nicht nur an das schlechte Gewissen der Deutschen, sondern zugleich auch an deren Geltungsanspruch: Die Krim sei ein Lackmustest, ob die Deutschen wirklich bereit wären, mehr Verantwortung auf der Weltbühne zu übernehmen und für das Völkerrecht zu kämpfen.
Der Artikel wurde am siebten Jahrestag des Krim-Referendums veröffentlicht. 97 Prozent der Abstimmenden hatten 2014 für die Loslösung von der Ukraine und den Beitritt zu Russland gestimmt. Dass Melnyk in keinem einzigen deutschen Medium Erwähnung fand, zeigt, dass sein Aufruf, oder besser gesagt: der Akt seiner Verzweiflung, unbeachtet blieb.
Deutschland meldete sich dennoch zur Krim-Frage zu Wort – in einer gemeinsamen Erklärung der G7-Staaten am 18. März. In ihrem Statement haben die G7-Staaten zusammen mit der EU die „fortgesetzten Aktionen Russlands, die Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit der Ukraine zu untergraben“, verurteilt. Auch die Krim-Plattform fand eine Erwähnung:
„Wir begrüßen grundsätzlich die Initiative der Ukraine zur Einrichtung einer Internationalen Krim-Plattform, um die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um die Krim zu konsolidieren.“
Hier ist das Wort „grundsätzlich“ hervorzuheben. Die Erklärung blieb ein diplomatischer Schnörkel, der zu nichts verpflichtet. Nichtdestotrotz bewertete Selenski diesen Passus als „Geste der Konsolidierung der internationalen Gemeinschaft zur Etablierung der Krim-Plattform“.
Die EU winkt ab
Aber spätestens nach Selenskis Stipp-Visite in Paris letzte Woche ist es klar, dass für Präsident Emmanuel Macron die Teilnahme an dem Krim-Gipfel am Unabhängigkeitstag im kommenden August nicht einmal auf der Agenda steht: Gastgeber Macron hat Selenski nicht einmal mit einem gemeinsamen Presse-Auftritt im Anschluss an die Gespräche gewürdigt. Gleiches gilt natürlich auch für Deutschland, das seine diplomatische Arbeit zur Ukraine seit Beginn der Ukraine-Krise eng mit Frankreich abstimmt.
Ja, man könnte sagen, dass für Europa die Gefahr einer kriegerischen Eskalation im Donbass derzeit wichtiger ist als ein abgeschlossenes Kapitel in der Geschichte der Halbinsel Krim. Aber was ist mit den treuen „Partnern“ aus Washington? Auch von dort brachte die letzte Woche für die ukrainische Führung schlechte Nachrichten. Die Chargé d’affaires der USA in der Ukraine, Christina Queen, teilte mit, dass die USA „sicherlich hohe Vertreter“ zur Teilnahme „an diesen Maßnahmen“ schicken würden. „Aber ich kann noch nicht sagen, wer genau das sein wird.“ Die persönliche Einladung Selenskis an Präsident Joe Biden, den Tag der Unabhängigkeit mit seiner Anwesenheit zu würdigen, blieb damit unbeantwortet.
Auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hatte von Wladimir Selenski einen Brief mit persönlicher Einladung zur Teilnahme am Krim-Gipfel erhalten. Auch sie sagte durch ihren Kabinett-Chef ihre Teilnahme ab. Enge „Termingrafik“ sei der Grund.
Ukrainische Medien wiesen verbittert auf die Tatsache hin, dass Brüssel in dieser Zeit normalerweise Ferien hat. Auch die Antwort der Präsidentin durch ihren Assistenten sei für Selenski entwürdigend. Von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert sorgte später auf einer Presse-Konferenz für diplomatische Schadensbegrenzung. Natürlich sei die Nichtteilnahme an dem Gipfel kein Signal an Russland, sicherte er den Medien zu.
Die Türkei hat eigene Interessen
Es bleibt noch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der die Schaffung der Krim-Plattform im Zuge seines letzten Treffens mit Selenski in Ankara ausdrücklich unterstützt hatte. Immer wieder betont Erdoğan, dass er die „Annexion“ der Krim durch Russland nicht anerkenne. Aber die Türkei erhebt einen eigenen Anspruch auf das Territorium des ehemaligen Krim-Khanats, wo auch heute das Turkvolk der Krim-Tataren lebt. Mit den ukrainischen Interessen hat diese Position schon gar nichts zu tun.
Viele Experten gehen auch davon aus, dass die Türkei auch im Interesse Großbritanniens handele, das in der Region gegen Russland um die neue Auflage des alten „Great Game“ bemüht sei. Es ist bekannt, dass der Chef des britischen Geheimdienstes MI6, Richard Moore, über einen persönlichen Draht zum türkischen Präsidenten verfügt. Mit Moore traf sich auch Selenski bei seinem Besuch in London Ende letztes Jahres.
Russland hat schon signalisiert, dass es die Position der Türkei in Krim-Frage „nicht richtig“ findet. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow äußerte am Freitag die Hoffnung, dass Moskau eines Tages Ankara umstimmen könne. „Wir hoffen, dass unsere konsequente Linie unsere türkischen Partner davon überzeugen wird, dass ihre derzeitige Position zur Krim völlig falsch ist“, sagte er.
Es lässt sich nur mutmaßen, mit welchen Argumenten Russland die Türkei überzeugen könnte. Die Türkei ist das einzige Land, das Russland aus eigener Initiative mit Sanktionen belegt hat – nachdem ein türkischer Militärjet einen russischen Ende 2015 im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen hatte. Es ist jedenfalls bezeichnend, dass es Russland letzte Woche gelang, die USA von der Entsendung zweier zusätzlicher Kriegsschiffe ins Schwarze Meer abzubringen. „Wir warnen die USA, dass sie sich besser von der Krim, von unserer Schwarzmeerküste, fernhalten sollten. Es wäre zu ihrem eigenen Wohl“, hatte der russische Vize-Außenminister Sergei Rjabkow verkündet. Am nächsten Tag gaben die USA bekannt, vorerst doch keine Schiffe ins Schwarze Meer entsenden zu wollen.
Ukrainische Regierung erhöht die Einsätze, um Beachtung zu finden
Die Einsicht, dass die Perspektiven der Krim-Plattform wenig Aussichten auf Erfolg haben, müsste inzwischen auch in Kiew angekommen sein. Außerdem machte die NATO in der Vorwoche klar, dass die Militärallianz, ebenso wie die EU, trotz rhetorisch immer wieder betonter uneingeschränkter Solidarität keine Anstalten mache, der Ukraine eine Perspektive für einen nahen Beitritt zu geben.
Und was tut Kiew in dieser Situation? Es erhöht die Einsätze – und schickt wieder den Botschafter Melnyk in die Schlacht. Aber Moment mal, ist er eigentlich nicht schon verbrannt nach all seinen absurden Forderungen, die in diesem Artikel gar nicht alle aufgezählt werden konnten? Nein, ausgerechnet er passt wie die Faust aufs Auge zum ukrainischen Maidan-Narzissmus, wonach die ganze Welt sich um die Ukraine drehen müsse, weil sie ja „die freie Welt gegen Russlands Barbarei“ an der vordersten Front verteidige.
Dieser Botschafter kann diesen Wahnsinn am besten zum Ausdruck bringen. Diesmal betonte Melnyk im Deutschlandfunk am Mittwoch, man brauche vom Westen nicht nur Solidaritätsbekundungen, sondern modernste Waffensysteme, um „sich verteidigen zu können“. Vielleicht müsse man auch über einen nuklearen Status der Ukraine nachdenken, fügte er hinzu.
Man darf gespannt sein, welche Wünsche Kiew als nächstes äußern wird, um ganz oben auf der internationalen Agenda zu bleiben.
Zum Thema siehe auch das Gespräch mit Ulrich Heyden, Korrespondent in Moskau: Kampagne gegen Russland wird schärfer
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