Kasachstan. Rätselraten um die Drahtzieher hinter den Unruhen

In Brand gesetztes Regierungsgebäude in Almaty

Es werden viele Vermutungen geäußert, die kasachische Regierung verweist auf islamistische Kämpfer und ein koordinierendes Zentrum. Die verantwortlich gemachten ausländischen Kräfte werden aber nicht genannt.

 

Noch immer ist unklar, was in Kasachstan hinter den Protesten, die in gewalttätige Aktionen umgeschlagen sind, steht. Zwar heißt es von der Regierung, das Land sei weitgehend unter Kontrolle, „Recht und Gesetz“ seien wiederhergestellt, aber eben trotz der militärischen Hilfe von Russland und anderen Staaten des Militärbündnisses CSTO offenbar nicht ganz. Mindestens 160 Tote soll es gegeben haben, wahrscheinlich waren es mehr, es gibt Bilder, die Dutzende von Leichen in Leichensäcken zeigen. Präsident Tokajew hat den Sicherheitskräften erlaubt, ohne Warnung zu schießen. Tausende wurden verletzt. Fast 8000 Personen wurden festgenommen. Regierungsgebäude und Militäreinrichtungen wurden angesteckt und verwüstet, viele Geschäfte und Einkaufszentren geplündert. Man sollte meinen, dass da auch klarer werden könnte, wer dahintersteckt. Die Regierung spricht von Dschihadisten und Kriminellen.

Waren es spontane Proteste wegen der Gaspreiserhöhungen im Westen des Landes, die sich auf das ganze riesige Land in Windeseile ausgebreitet haben, weil die Unzufriedenheit der Menschen in dem autoritär regierten Land sich immer weiter aufgestaut hat? Rufe wie „Großvater hau ab“ scheinen dem zu entsprechen, die Wut richtete sich auf Nasarbajew, der mit seiner Familie noch immer Macht hatte und das Land ausbeutete. Oder waren diese Proteste möglicherweise inszeniert als Fanal für einen von wem auch immer geplanten Aufstand?

Haben gewalttätige und bewaffnete Gruppen die friedliche Protestierenden instrumentalisiert? Sind das einzelne Gruppen oder eine zusammenhängende Organisation? Gab es den Versuch einer neuen bunten Revolution und steckten ausländische Geheimdienste und Organisatoren dahinter? Es wurde auch vermutet, dass die Regierung selbst oder Russland die Gewalttäter gewissermaßen als Provokateure vorgeschickt haben, um hart gegen die Proteste vorzugehen und russische Truppen ins Land zu holen. Seltsam ist jedenfalls, dass die CSTO-„Friedenstruppen“ so schnell nach Kasachstan geschickt werden konnten, als wären sie darauf vorbereitet gewesen.

Kam der Aufstand aus Machtzirkeln, die nur Tokajew stürzen wollten? Dafür würde sprechen, dass die Sicherheitskräfte zu Beginn kaum gegen die Protestierenden vorgingen und dass Tokajew Nasabarjew, der noch dem Sicherheitsrat vorstand, das Amt entzogen hat und den Geheimdienstchef mit dem Vorwurf des Hochverrats verhaften ließ. Er sagte, es sei ein Putsch geplant gewesen. Der Geheimdienstchef war ein Geschäftspartner von Hunter Biden und ist auch Joe Biden zumindest bekannt.

„Terroristische, extremistische und kriminelle Gruppen“

Aber Tokajew hat am 5. Januar, als er den Notstand ausrief auch eine Antiterror-Operation gestartet, wie das Kiew auch 2014 gegen die Protestierenden in der Ostukraine begonnen hatte. Offizielle Lesart ist, wie das kasachische Außenministerium erklärte, dass es in der Region Mangystau und in allen größeren Städten zunächst friedliche Kundgebungen stattgefunden hätten. Man habe die Forderungen der Demonstranten erfüllt, die Regierung wurde entlassen, Nasarbajew entthront, die Gaserhöhung zurückgenommen und soziale und ökonomische Reformen beschlossen. Aber die friedlichen Proteste seien „von terroristischen, extremistischen und kriminellen Gruppen“ ausgebeutet worden, um den Konflikt zu schüren. Die Mitteilung des Außenministeriums weiter:

„Wie die Ereignisse in Almaty und mehreren anderen Regionen des Landes gezeigt haben, ist Kasachstan bewaffneten Angriffen durch gut koordinierte, im Ausland ausgebildete terroristische Gruppen ausgesetzt. Nach vorläufigen Angaben handelt es sich bei den Angreifern um Personen, die in den Reihen radikaler islamistischer Gruppen über Erfahrungen in militärischen Kampfgebieten verfügen. Gegenwärtig haben es die Strafverfolgungsbehörden und die Streitkräfte Kasachstans mit Terroristen zu tun und nicht mit ‚friedlichen Demonstranten‘, wie es in einigen ausländischen Medien falsch dargestellt wird.“

Irgendwie bleiben die Akteure in dem Narrativ sehr unbestimmt, es würde sich um „religiöse Radikale, Kriminelle, Schurken, Plünderer und kleine Rowdies“ handeln, die sich um die wirtschaftlichen und politischen Forderungen nicht kümmerten. Es sei „offenkundig“, dass die „bewaffneten Aktivitäten von einem einzigen Zentrum koordiniert“ worden waren. Wenn es sich um islamistische Kämpfer handelt, würde der Verdacht womöglich auf die Türkei fallen, die offen mit islamistischen Milizen in Syrien kooperiert. Die Türkei mischt sich stärker in die Region ein, nicht nur in der Ukraine und in Aserbeidschan, sie will unter Erdogan ihren geopolitischen Einfluss ausdehnen, zumindest auf die Länder, in denen Turkmenen leben. Es gibt allerdings auch einige kasachischen Oligarchen, die im Ausland leben und Fäden ziehen können.

Die CSTO wurde von Tokajew um Militärhilfe gebeten. Die etwa 2500 Soldaten des Bündnisses würden aber nicht in Kämpfe eingreifen, sondern wichtige Infrastruktur sichern und das Land auf Wunsch der kasachischen Regierung verlassen. Betont wird, dass friedlich Protestierende nicht verfolgt würden. Es sei eine umfassende Untersuchung über die Gründe der Unruhen angeordnet worden, deren Ergebnisse der internationalen Öffentlichkeit vorgelegt würden. Die Frage wird sein, ob man dem Narrativ Glauben schenken wird.

Bislang gibt es allerdings keine Hinweise, dass Islamisten, die etwa aus Syrien gekommen sind, hinter den Unruhen stehen. Tokajew, der vielleicht auch gegenüber Russland das Narrativ islamistischer Terroristen verfolgt, hat dafür die Erklärung, wie er auf dem virtuellen CSTO-Treffen sagte: „Die Pläne werden angepasst, um die fliehenden Kämpfer aufzuspüren, die eine neue Strategie der Tarnung, des Wechsels in Zivilkleidung, des Rasierens ihrer Bärte usw. anwenden. Es steht eine enorme intensive Arbeit bevor, an der sogar Veteranen der Strafverfolgungsbehörden und des Militärs beteiligt sind.“

Virtuelles CSTO-Treffen, links oben Tokajew. Bild: Kreml

Verschwörungstheorie

Und Tokajew strickt an einer Verschwörungstheorie, nämlich dass schon seit Jahren von nicht näher genannten „zerstörerischen Kräften“ daran gearbeitet wurde, das Land in die Instabilität zu treiben:

„Nachdem ich mir ein umfassendes Bild von diesen Ereignissen gemacht habe, kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass alle Ereignisse, die seit Anfang dieses Jahres stattgefunden haben, Glieder derselben Kette sind. Sie sind Teil eines einzigen zerstörerischen Szenarios, das schon seit langem vorbereitet wurde. Die Untersuchung wird zeigen, ob diese Vorbereitungen über ein, zwei oder drei Jahre hinweg getroffen wurden. Die zerstörerischen Kräfte haben zahlreiche Versuche unternommen, die Stabilität zu untergraben und einen Amoklauf zu starten. Der Staat wurde auf seine Stabilität und Widerstandsfähigkeit geprüft. “

Es gab tatsächlich gleichzeitige Angriffe auf Gebäude der Regierung, Gefängnissen, Banken und Fernsehsender, es wurden Flughäfen besetzt und Autobahnen blockiert. Bei Angriffen auf Militär und Polizei wurde versucht, Waffen und militärische Ausrüstung zu erbeuten. Es seien auch „Scharfschützen mit Spezialgewehren“ eingesetzt worden: „Die Terroristen benutzten spezielle Kommunikationsmittel und trugen Militär- und Polizeiuniformen. Zynischerweise benutzten sie die Demonstranten als menschliche Schutzschilde. Unter Ausnutzung ihrer fünffachen zahlenmäßigen Überlegenheit griffen die Schläger unsere Polizei- und Militärangehörigen an und schlugen sie mit äußerster Brutalität zusammen, wobei zwei von ihnen enthauptet wurden. Es gab barbarische Angriffe auf Krankenhäuser.“

Teilweise wird diese Darstellung durch Bilder und Videos bestätigt. Tokajew sagte, dass die Kriminellen oder „ausländischen Kämpfer“ auch in der Nacht Leichenhäuser angegriffen  und die Leichen ihrer Mitkämpfer mitgenommen hätten. Das hätten sie auch bei den Kämpfen.  Man wisse, welche „internationalen Terroristen“ dies machen, meinte er. Man sollte allerdings meinen, dass zumindest einige dieser „Terroristen“ auch festgenommen werden konnten. Davon sprach er aber nicht. Seltsam mutet auch an, dass die angeblichen Dschihadisten auch ihre Allzweckwaffe, also Selbstmordanschläge, nicht praktizierten.

Putin: „Die „Maidan“-Technologien zur bewaffneten und informationellen Unterstützung der Proteste wurden aktiv genutzt

Lukaschenko unterstützte die Darstellung, dass irgendwelche äußeren Kräfte dafür verantwortlich seien und verglich die Unruhen in Kasachstan diesbezüglich mit den Protesten gegen ihn in Belarus. Auch Putin sprach von „destruktiven inneren und äußeren Kräften“, die die sponaten Proteste instrumentalisiert hätten. Er verwies hingegen auf die Ukraine: „Die „Maidan“-Technologien zur bewaffneten und informationellen Unterstützung der Proteste wurden aktiv genutzt. Es gab organisierte und kontrollierte Gruppen von Kämpfern, wie Präsident Tokajew soeben dargelegt hat, darunter auch Personen, die offenbar in Terroristenlagern im Ausland ausgebildet worden waren, und ihr Angriff auf Kasachstan kommt einem Akt der Aggression gleich.“

Der Präsident von Tadschikistan, Emomali Rahmon, lenkt auch den Blick auf Islamisten, die die zentralasiatischen Staaten bedrohen, vor allem der Islamische Staat. Man bekämpfe die religiösen Extremisten seit Jahren, die „extrem destruktive Ideologie“, werde in allen CSTO-Ländern verbreitet und Menschen rekrutiert. Ohne dies explizit zu sagen, wird der Islamismus als Instrument anderer Mächte  betrachtet: „Eine äußerst zerstörerische Ideologie des religiösen Radikalismus wird in unseren Ländern mit Nachdruck gefördert; sie ist heute eine der wichtigsten Waffen in den Händen unserer Feinde. All dies erhöht das religiös-extremistische Potenzial dramatisch und schafft die Gefahr einer Destabilisierung in unseren Staaten.“

Natürlich sieht Rahmon das Taliban-Afghanistan als Problem an. Dort gebe es zahlreiche Terroristencamps mit mehr als 6000 Militanten. Die Taliban hätten Tausende von islamistischen Kämpfern aus den Gefängnissen entlastet, darunter auch Kämpfer aus den CSTO-Ländern. An der Grenze zu Tadschikistan würden sich auch Taliban-Kämpfer gegenseitig bekämpfen. Man müsse einen „Sicherheitsgürtel“ um Afghanistan einrichten. Der Sicherheitsgürtel für Russland ist Kasachstan, mit dem es eine über 7000 km lange Grenze hat, die kaum zu kontrollieren ist.

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