Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört?

Bild: Pixhere.com/CC0

Die neue liberale Koalition in Frankfurt bringt das Selbstverständnis der Grünen zum Ausdruck – lieber FDP als die LINKE

 

Frankfurt war in der alten Bundesrepublik und darüber hinaus gemeinsam mit Berlin immer ein gesellschaftspolitisches Labor. Hier wurde experimentiert, protestiert, kritisiert. Das Spiel Geld gegen Geist in der Stadt von Goethe, Adorno auf der einen, Deutsche Bank, Abs und Deutscher Börse auf der anderen Seite wurde mit offenen Karten „all in“ gespielt. Hausbesetzungen im Westend, Gründung der Grünen und ihr Konflikt zwischen sogenannten Realos und Fundis, 1989 das Rot-Grüne Projekt, aber auch eine phasenweise liberale, moderne CDU-Oberbürgermeisterin, am Main ging es spannend zu.

Die Kommunalwahl im März 2020 schlug dann ein neues Kapitel auf. Erstmals wurden die Grünen stärkste Fraktion im altehrwürdigen Römer. Die SPD geschwächt durch den AWO-Skandal und ihren eigenen OB, der zwei Jahre zuvor noch die Direktwahl gewann, dann jedoch zu den konzeptionellen und strategischen Fragen der Metropole nichts mehr beizutragen hatte. Die neue Volkspartei strahlt grün und ein wenig violett. Mit der europafreundlichen liberalen Voltpartei kam eine neue Playerin hinzu. Nicht überragend, aber überraschend für die bestehenden Parteien.

Das Wahlergebnis gab ein Bündnis her, dass für die Bundestagswahl, also weit über Frankfurt hinaus, ein Signal hätte sein können. Grün-Rot-Rot wäre trotz der großen Verluste der SPD möglich. Die Partei die LINKE war offen und, wie man so schön und falsch zugleich sagt oder fordert, kompromissbereit. Viele soziale, ökologische und kulturelle Initiativen und Verbände setzten sich für ein solches Bündnis ein. Die SPD war dafür offen. Volt war bereit zu tolerieren oder richtig mitzumachen.

Doch die Grünen haben sich verändert. Zwar sind viele junge, engagierte Neumitglieder bereit, ein progressives Bündnis zu wagen. Die Funktionäre und Etablierten, die teilweise sogar lieber mit der CDU koaliert hätten, hatten jedoch nicht Angst vor dem Arbeiterbündnis SPD/LINKE, wie ihre Spitzenkandidatin meinte. Das war vorgeschoben. Jeder hat es gemerkt. Im Kern ging es in der Entscheidung für eine andere Farbenlehre um die Richtung, um das Selbstverständnis einer grünen Partei, die bürgerliche Volkspartei der Mitte sein will.

Der tonangebende Flügel, der in Frankfurt gut mit der CDU von 2006 bis 2014 regierte, wollte alles, nur keine radikale, schon gar keine linke Reformpolitik.

Daher dürften die Korken im Nordend, Westend, Dornbusch etc. geknallt haben, als feststand, dass die grüne Mitgliederversammlung beschlossen hatte, eine liberale Koalition mit FDP, Volt und SPD zu bilden. Es wurde wohl das eine oder andere Bionade-Fläschchen geköpft und ein leckerer verganer Mohnkuchen verzehrt. Nach dem Motto: „Sollen die Marginalisierten in Sossenheim oder Fechenheim doch ihren Kuchen bei Aldi kaufen.“

Bei der FDP dürfte auch das eine oder andere Champagner Glas geschwenkt worden sein.

Mit dem „Linke Mitte Bündnis“ herrscht die Lifestyle-Linken-Wirklichkeit in Frankfurt

Der „Progressive Neoliberalismus“ wird künftig die Geschicke der freien Reichsstadt lenken. Die FDP ist den Grünen näher als die LINKE. Auch wenn sie bei den 50 Investigativfragen in der Sondierung vielleicht nur zwei richtig beantwortet hat. Während es mit der Linken große Übereinstimmung inhaltlich gab (die Linke veröffentlichte den Fragebogen, nachdem Funktionäre der Grünen behaupteten, es hätte nicht genug Schnittstellen gegeben – gerade mal 95%).

Die Grüne Martina Feldmayer, nicht gerade bekannt für progressive politische Alternativen, hat es auf folgenden Punkt gebracht: Mit SPD und Linken hätte die Gefahr bestanden, dass die Arbeiter*innenparteien sich gegen Grün zusammentun. Hmmm, das bedarf nun schon einer gewissen Fantasie, zeigt aber, wessen Kinder an der Macht sind und wohin sie wollen.

Fast wirkt das alles wie eine Hegelsche List der „Vernunft“. Ausgerechnet in Frankfurt wird das selbsternannte „Linke Mitte Bündnis“, das de facto ein liberales ist, eine Lifestyle Linken Wirklichkeit.

Auf eigentümliche Art und Weise bestätigt sich die (verbitterte) Analyse von Sahra Wagenknecht anschaulich. Man wird im Koalitionsvertrag sicher viel von Klima, Best Practice, Toleranz, Respekt, Ethik, aber weniger von sozialen Leistungen und sozialer Sicherheit lesen, allenfalls stehen diese unter Finanzvorbehalt.

Die Rolle der SPD mag man sich gar nicht vorstellen, ohne dass man als demokratische Sozialistin sehr traurig wird.

Klar, es winken drei Dezernate. Da ist das Machtkalkül dann doch größer als linke Schwüre und Beschlüsse. Die überwältigende Zustimmung der SPD-Fraktion und der Partei für diese liberale Koalitions-Option sind halt jetzt die Zustimmung für einen Liberalismus mit „klimatisch-emissionsfreiem Anstrich“.

Die Jusos scheinen immer noch im Osterurlaub zu sein. Ein Protest ist nicht zu hören oder zu lesen.

Der eigene OB wird dafür auf das Abstellgleis geschoben und darf in der Koalition nicht mitreden. Für die meisten kein Verlust. Er kann jedoch, aufgrund seiner letzten Amtsperiode, in der man nicht mehr so viel Rücksicht nehmen muss, mit Alleingängen überraschen..

Die LINKE ist enttäuscht. Aber muss sie das sein? Eigentlich nicht, denn der Vorhang wird spätestens beim Haushalt hochgezogen. Dann kommt nicht nur der Rasenmäher, sondern dann kommen auch die harten Einschnitte. „Die sich leider wegen der Krise nicht vermeiden lassen „- vorgezogenes Zitat im November des neuen grünen Finanzdezernenten.

Wenn die LINKE nicht beleidigt, sondern schlau ist, nimmt sie die Rolle der „Sozialen Opposition“ an und verbündet sich mit der progressiven Zivilgesellschaft und deren Bewegungen. Denn diese werden gebraucht.

Ein Gutes hat das Ergebnis gleichwohl. Die Stadt wird endlich einmal ohne CDU regiert und so mancher Dezernent wird sich in der realen Arbeitswelt umschauen müssen . Obwohl – na ja – vielleicht auch nicht. Ein Ersatzjob findet sich immer.

Frankfurt war immer auch eine Impulsgeberin der Republik. Dieser liberale Impuls macht keine Hoffnung. Man kann ihn eher wahlweise schrecklich oder langweilig finden.

Für die politische Linke ist die Koaltion ein Fingerzeig für die Bundestagswahl

Wer Grün wählt, weil er Klima retten, Zusammenhalt stärken und Natur schützen will, kann mit Christian Lindner morgens aufwachen. Diese gruselige Perspektive ist real. Nicht nur wegen den „neuen Frankfurter Verhältnissen“, die wohl ab Juli auch in Dezernate gegossen werden.

Auch die Bundes-Sozialdemokrat*innen würden wohl lieber eine Ampel als ein progressives Bündnis GRR nach der Bundestagswahl machen. Das ständige Aufrufen dieser Ampel-Koalition nervt ja schon seit einiger Zeit.

Das ist die Lehre, die man aus Frankfurt ziehen kann. Für das gesellschaftliche progressive Milieu sowie für die politische Linke in den drei Parteien sind das keine tollen Aussichten. Zumal die gesellschaftlichen Herausforderungen, von Klima bis Corona Mut und nicht Markt(gläubigkeit) erfordern würden.

Aber klar ist auch, Wahlkämpfe haben ihre eigene Dynamik, verloren ist noch nichts. Bis zum September ist noch Zeit. Zeit, um den progressiven Reformdruck aufzubauen.

Ähnliche Beiträge:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert