Bei seinem Versuch, sein Image als Staatsmann aufzubauen, bedient sich Lapid der in Israel üblichen Instrumentalisierung des Holocaust-Gedenkens.
Yair Lapid ist Nachfolger des gerade abgetretenen Naftali Bennett, mit dem er in der letzten Koalition ein Rotationsabkommen hatte, das nun in Kraft getreten ist. Neue Premiers pflegen in Israel am Tag ihrer Nominierung entweder zur Klagemauer oder nach Yad Vashem zu fahren. Man verpflichtet sich zum Amt gleichsam mit symbolischer Geste – religiös (Klagemauer) oder säkular (Yad Vashem). Lapid ging nach Yad Vashem. Das mag familiär mit dem Andenken an seinen Vater zusammenhängen, dem ehemaligen Justizminister und Publizisten Tommy Lapid, der die Shoah-überlebt hat und 2008 gestorben ist. Das mag aber auch andere Gründe gehabt haben, die eher etwas mit ideologischem politischen Kapital zu tun haben. Das bleibe hier unerörtert.
Mir kam aber ein Ereignis aus dem Jahr 2018 in den Sinn, die Kippa-Aktion in Berlin, bei der anlässlich eines antisemitischen Vorfalls Berliner Bürger und Bürgerinnen aufgerufen wurden, aus Solidarität mit „den Juden“ eine Kippa zu tragen. Die Bild-Zeitung lieferte in einer ihrer Ausgaben sogar eine Papier-Kippa zu Ausschneiden. Ich habe diese Aktion in meinem Buch „Der allgegenwärtige Antisemit“ beschrieben und kommentiert. Hier der Ausschnitt, der den damals in der Opposition weilenden und heute zum israelischen Premier avancierten Yair Lapid betrifft.
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„Es gab sogar eine ‚offizielle‘ politische Vertretung aus Israel, die sich an der Kippa-Aktion beteiligte. Yair Lapid, Vorsitzender der Partei ‚Yesh Atid‘, der sich gerade anlässlich eines politischen Besuchs in Berlin aufhielt, beschloss, ‚sich mit der jüdischen Gemeinde Berlins zu solidarisieren, eine Kippa zu tragen und erhobenen Hauptes mit den Demonstrierenden zu marschieren‘. Im Verlauf der Demonstration sagte Lapid: ‚[…] in dem Moment, als ich hörte, dass der hiesige Gemeindevorstand den Juden anempfiehlt, nicht mit Kippa auf der Straße zu gehen, weil sie sich vor Antisemiten fürchten, habe ich die größte Kippa, die in Berlin zu finden ist, gekauft, habe sie aufgesetzt und kam zu einer Demonstration gegen den Antisemitismus mit Hunderten von Juden und Nichtjuden, die alle eine Kippa trugen und den Antisemiten sagten: ‘Fürchtet ihr euch vor uns, nicht wir uns vor euch’.‘ Er fügte sodann hinzu: ‚Es geht nicht an, dass Juden im Jahre 2018 Angst haben sollten, in Deutschland mit Kippa rumzulaufen. Ich will es nicht hinnehmen, dass wir und unsere Kinder Angst haben, wie unsere Eltern und Großeltern Angst hatten. Antisemitismus hat es immer gegeben und wird es immer geben. Die Frage ist, was die Juden tun werden. Wir haben einen Staat, daher haben wir ein Militär, daher kann ich heute in Berlin marschieren und den Antisemiten sagen, dass sie mich mal kreuzweise können.‘
Wie oft, verstanden auch in diesem Fall die deutschen Medien nicht, was Deutschen da von einem israelischen Politiker untergejubelt wurde. Lapid firmiert in Israel als ein zur rechten Mitte zählender Politiker (dass er zuweilen den Linken zugezählt wird, darf als ein schlechter Witz gelten), ein mit Machtmonopol ausgestatteter Vorsitzender einer Partei, von der trotz steigender Popularität niemand recht weiß, was sie eigentlich will, außer an die Macht zu gelangen. Man weiß es nicht, weil Lapid es selbst nicht weiß, beziehungsweise sich darin auszeichnet, in ungezügeltem Opportunismus seine Meinung immer wieder zu ändern, je nachdem, wie der politische Wind gerade weht. Seine Reden sind hohl, seine Aussagen zumeist inhaltslos, aber er findet als ehemaliger Journalist und beliebter TV-Moderator immer wieder ‚beeindruckende‘ rhetorische Formulierungen für die Leere seiner Aussagen.
Aber darum geht es hier nicht. Wenn ein israelischer Politiker zu Unterredungen nach Deutschland kommt, wird ihn selbstverständlich niemand von offizieller deutscher Seite der Kritik seines politischen Profils aussetzen wollen. Dass er sich aber derart selbstherrlich und großkotzig in die Berliner Kippa-Demonstration eingemischt hat, bedarf der kritischen Erörterung.
Nur nebenbei sei erwähnt, dass Lapid sich vor nicht allzu langer Zeit als israelischer Orthodoxen-Gegner hervorgetan hat, populistisch auf dem Ressentiment von orthodoxiefeindlichen, säkularen Israelis reitend. Als er dann aber begriff, dass ihm dies bei künftigen Koalitionsverhandlungen schaden könnte, vollführte er eine peinliche 180-Grad-Wende und begann (familiär), gewisse religiöse Riten (am Wochenende) medienwirksam einzuhalten. Verlogener geht es kaum. Er wäre freilich nicht der erste Politiker, der Verlogenheit als gängiges Mittel der Macht und des Machterhalts zu verwenden pflegt. Einzig die Unverfrorenheit der dabei vollführten Politpirouetten ist bei gewissen Politikern bemerkenswert. Yair Lapid gehört zu ihnen […].
Was enthielt nun seine Rhetorik auf der Berliner Demonstration, an welcher er teilnahm, um auch dieses Politikum für sich verbuchen zu dürfen? Lapid sieht sich als selbsternannten Außenminister Israels, reist viel in der Welt herum und betreibt Hasbara, um politisches Kapital zu generieren und sein Image als weltläufiger Staatsmann aufzubauen. Sein ‚Patriotismus‘ kennt dabei keine Grenzen. Da geht er also und kauft sich ‚die größte Kippa, die in Berlin zu finden ist‘, so als hätte die Größe der Kippa irgendeine Relevanz für den religiösen Akt der Kopfbedeckung im Judentum. Hat sie nicht. Aber die Bedeutung des Kippa-Tragens erweist sich für ihn darin, dass man es den Antisemiten zeigt: ‚Fürchtet ihr euch vor uns, nicht wir uns vor euch.‘
Antisemiten sollen sich also vor Kippa tragenden Juden fürchten? Wie denn das? Wie ist der Akt der Solidaritätsbezeugung zur Bedrohungsgeste geronnen? Die Antwort darauf liegt in einem altbekannten Muster israelischer Ideologiepraxis: Lapid analogisiert die heutige ‚Angst‘ von Juden außerhalb Israels mit der Angst diasporischer Juden zur Zeit vergangener Verfolgungen (er hat offenbar die Nazizeit im Sinn, mithin die Shoah). Den Antisemitismus begreift er als eine transhistorische, anthropologische Konstante; relevant sei einzig, was Juden machen (er bezieht sich dabei auf David Ben-Gurions Diktum ‚Wichtig ist nicht so sehr, was die Gojim sagen, sondern was die Juden tun‘ – und gleicht sich somit mutatis mutandis dem Rang des zionistischen Titanen an). Und dann kommt es, wie aus der Pistole geschossen: ‚Wir haben einen Staat, daher haben wir ein Militär, daher kann ich heute in Berlin marschieren und den Antisemiten sagen, dass sie mich mal kreuzweise können.‘
Es sei dahingestellt, ob sich Antisemiten allzu sehr vom israelischen Militär beeindrucken lassen (es tut hier letztlich auch nichts zur Sache). Was der israelische Politiker den armen, antisemitisch ‚bedrohten‘ Juden im Deutschland des Jahres 2018 anzubieten hat, ist Israel (und sein Militär), mithin den latenten Vorschlag, nach Israel auszuwandern – ein Angebot im Übrigen, das Deutschlands Antisemiten mit Begeisterung begrüßen dürften. Antisemiten sind zuweilen ausgepichte Zionisten, wie denn Zionisten oft den Antisemitismus in der Welt begrüßen, ja herbeiwünschen mögen.
Was also Lapid, der vom rigiden Orthodoxen-Bekämpfer zum Kippa tragenden Opportunisten mutierte Politiker, seinen Berliner Zuhörern zu vermitteln trachtete, war nichts anderes, als ein (in der Berliner Situation völlig unangemessener) zionistischer Sermon, der seinen rhetorischen Kulminationspunkt in einem primitiven Kraftausdruck fand. Die anwesenden Juden dürfte er beglückt und gestärkt haben – sollte sie künftig ein Antisemit anzupöbeln wagen, werden sie ihm die israelische Armee entgegenhalten und ihm dabei mit der größten Kippa in Berlin eine adäquate zionistische Antwort zu verpassen verstehen. Auch die anwesenden nichtjüdischen Deutschen dürften ob der überzeugenden israelischen Politperformance auf ihre Kosten gekommen sein: Ihre Solidarität mit ‚den Juden‘ basiert ja weitgehend auf der Matrix ihres Schuldgefühls (Juden-als-Opfer = Auschwitz) und “wiedergutmachender” Kompensation (Israel = militärische Wehrhaftigkeit). Beides lieferte ihnen Lapid in der demagogischen Rhetorik gängiger Instrumentalisierung des Shoah-Andenkens.
Ich kann da kein Problem sehen…. Deutschland, seine Bürger und seine Regierungen lassen keine Zeifel daran, dass das Herschafts Verhältnis zwischen Israel und Palästinensern völlig in Ordnung ist. Dass jede Kritik an Israel immer ein Beweis für Anti-Semiztismus ist, und daher strafbar.
Warum sich ein normaler Mensch mit den speziellen Persönlichkeiten jeden Clowns auseinandersetzen soll, nur weil der gerade mal eine Zeit lang zu Israels Premier gemacht worden wird, erschliesst sich mir auch nach dem Lesen dieses Artikels nicht. Erwartet irgendein Kasperle ernsthaft einen israelische Politiker als Premier, der isarels Verbrechen nicht länger unterstützen will?
Warum sollte man solchen Leuten keine Geschäfte oder Kriege machen? Der Werte-Westen war doch schon immer gut Freund mit Leuten die Al jazeera Journalisten erschiessen oder andere in ihren Botschaften zerstückeln lassen? Warum also nicht auch Israel?