Kann LNG russisches Pipeline-Gas in Europa ersetzen? Streitpunkt Energiesicherheit (Teil II)
Nach der Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Regionen durch Russland am 21. Februar 2022 hatte die Bundesregierung neue Sanktionsmaßnahmen eingeleitet und etwa die Zertifizierung der Ostseepipeline “Nord Stream 2” ausgesetzt. Diesbezüglich und wegen der russischen Militärintervention in der Ukraine am 24. Februar wird in Deutschland und Europa erneut verstärkt darüber diskutiert, wie eine europäische Energiesicherheit künftig gewährleistet werden kann. Für die Europäische Union kommt verflüssigtes Erdgas als eine Alternative zum Pipeline-Gas aus Russland durchaus in Frage, allerdings verweisen Experten darauf, dass die Möglichkeiten in puncto LNG begrenzt seien.
Ungeachtet der Klarstellung Russlands, Europa weiterhin vertragskonform mit Gas zu beliefern, gibt es Befürchtungen in der EU, die Russen könnten ihre Gaslieferungen trotzdem einstellen. Denn man interpretiert die zuletzt niedrigen russischen Lieferungen als Druckmittel Moskaus gegen Berlin und Brüssel im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise.
Für die Europäische Union kommt verflüssigtes Erdgas als Alternative zum Pipeline-Gas aus Russland durchaus in Frage, allerdings verweisen Experten darauf, dass die Möglichkeiten in puncto LNG begrenzt seien.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Hauptgrund – wie im ersten Teil des Artikels “Streitpunkt Energiesicherheit: Kann LNG kann russisches Pipeline-Gas in Europa ersetzen?’‘ dargelegt – ist der Umstand, dass die globale Nachfrage nach Flüssiggas das Angebot weit übersteigt. D.h. es fehlen physisch einfach große zusätzliche LNG-Kontingente, die theoretisch auf dem Weltmarkt gekauft werden könnten.
Als weitere Ursache gilt die unzureichende Infrastruktur in der EU, um größere LNG-Lieferungen aufzunehmen, sowie das Fehlen von LNG-Terminals in Deutschland.
Nicht ausreichende Terminal-Kapazitäten in Europa
In Europa liegt der Engpass vor allem bei der Anzahl der Flüssiggas-Terminals. Diese sind notwendig, um das Erdgas in den Förderländern bei Temperaturen von minus 160 Grad Celsius zu verflüssigen, weil das Volumen dadurch um das 600-fache verringert wird und deshalb sehr große Mengen des verflüssigten Energieträgers gelagert und transportiert werden können. In den Exportländern wird das LNG dann durch eine Verdampfungsanlage in seinen ursprünglichen gasförmigen Zustand zurückversetzt und in das Gasleitungssystem eingespeist.
Die europäischen Länder konnten die Anzahl ihrer Terminals in den vergangenen Jahren deutlich steigern und verfügen laut Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gegenwärtig über insgesamt 37 Terminals (26 davon in den EU-Ländern). Zusätzlich sollen 27 Terminals in Planung sein.
Allerdings verfügt man damit über eine gemeinsame Regasifizierungskapazität von etwa 243 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Das entspricht mehr als 40 Prozent des jährlichen europäischen Erdgasbedarfs und immerhin rund 25 Prozent des Bedarfs in der EU.
Nicht zu vergessen ist der Auslastungsgrad der europäischen LNG-Terminals, der in diesem Jahr bei etwa 70 Prozent liegt und damit ungewöhnlich hoch ist. In den Jahren zuvor sollen die Kapazitäten durchschnittlich nicht einmal zur Hälfte ausgelastet gewesen sein.
Außerdem könnten verstärkte Importe von Flüssiggas den Experten der Commerzbank zufolge mögliche Ausfälle russischer Lieferungen sowieso nicht kompensieren, da Russland aktuell neben seinen umfangreichen Pipeline-Lieferungen auch rund ein Fünftel der LNG-Importe der EU stellt, schreibt das Portal Finanzmarktwelt. Demnach müssten diese Volumina bei einem eventuellen vollständigen Lieferembargo zusätzlich kompensiert werden.
Keine LNG-Infrastruktur in Deutschland
Hinzu kommt, dass Deutschland, anders als diverse EU-Staaten, gegenwärtig kein eigenes LNG-Terminal besitzt, weshalb ein direkter Import des Flüssiggases aus Ländern wie den USA und Katar für die Bundesrepublik darum bislang nicht möglich ist. Stattdessen müssen die benötigten Kontingente beispielsweise über Terminals in Belgien, Frankreich oder den Niederlanden eingeführt und dann in das europäische Gasnetz eingespeist werden.
Dabei ist dieses Problem allen längst bekannt. So hatte schon die Regierung von Ex-Kanzlerin Angela Merkel den Aufbau einer LNG-Infrastruktur in Deutschland 2018 als Ziel in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Geplant waren Investitionen in den Bau von LNG-Anlagen an den Standorten Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven.
Lange Zeit ist in dieser Frage jedoch wenig passiert, weil es bei den Planungen unzureichende Rahmenbedingungen für Investitionen gab. Nach Berichten stand das in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) geplante LNG-Terminal bereits sogar kurz vor dem Aus, nachdem sich der Hauptinvestor von dem Bauvorhaben zurückgezogen und die Stadtverwaltung ein Verfahren zur Änderung des Bebaungsplans gestoppt hatte.
Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine aber hat Bundeskanzler Olaf Scholz dem Bau von den Flüssiggas-Terminals in Brunsbüttel und im niedersächsischen Wilhelmshaven offenbar nun fest zugesagt, wie das Portal der Tagesschau am 27. Februar berichtete. Zudem kündigte Scholz an, kurzfristig zwei Milliarden Kubikmeter Gas über staatlich abgesicherte sogenannte Long-Term-Options zu beschaffen und im EU-Verbund weiteres Erdgas auf den Weltmärkten zu kaufen.
Zuvor hatten sich außerdem die Pläne für das ersts deutsche Flüssiggas-Terminal im niedersächsischen Stade konkretisiert. Trotzdem wird das Genehmigungsverfahren wohl mindestens ein Jahr dauern. Erst dann wird man mit dem Bau beginnen können.
Wie die Deutsche Verkehrs-Zeitung dazu schreibt, werden vermutlich noch weitere Jahre vergehen, bis diese Anlage dann einsatzbereit ist. In der Zeit kann Deutschland nicht an der LNG-Anlandung in Europa mitwirken und deutsche Energieversorger müssen für die Anlieferung von Flüssiggas weiterhin die Terminals in den Nachbarländern nutzen.
Der Artikel ist zuerst in EuroBRICS.de erschienen.