Im neuen Nato-Strategiekonzept wird illegale Einwanderung zur hybriden Bedrohung und zum Verteidigungsfall

Strategie der Unmenschlichkeit. Demnächst unter Nato-Regie? Screenshot von YouTube-Video

Spanien hat sich durchgesetzt, Migration wird zur Bedrohung und die nordafrikanischen Exklaven zum Nato-Gebiet. Gerade war in Melilla deutlich geworden, mit welcher Brutalität gegen Flüchtlinge vorgegangen wird, die über den 6 Meter hohen Zaun zu klettern versuchten, um in die Festung Europa zu gelangen.

 

Auf dem NATO-Gipfel in Madrid wurde ein neues strategisches Konzept verabschiedet. Die NATO weitet sich jetzt aus in den pazifischen Raum. Da wird also nun auch der Nordatlantikpakt verteidigt, ebenso in Nordafrika, in der  Sahelzone und im Mittleren Osten. Die NATO ist eigentlich fast überall aufgestellt und verteidigt alles gegen alle. Und es gibt keine Gefahren, die nicht mehr abgewehrt werden. Wie NATO-Generalsekretär Stoltenberg auf die Frage eines spanischen Journalisten antwortete, fallen nun auch die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla unter den Schutz der NATO, die sich zudem mit der Abwehr hybrider Bedrohungen beschäftigt, wozu auch Migration zählt. Ist also zu erwarten, dass NATO-Soldaten vielleicht nach Artikel 5 auch gegen Immigranten vorgehen.

Ralf Streck: Wahrscheinlich nicht so, dass US-amerikanische Soldaten oder Soldaten aus anderen Länder da stationiert werden, aber es in der neuen NATO-Doktrin wird von Einwanderung als Bedrohung gesprochen. Das ist neu. Was die Spanier in der NATO-Doktrin da verankert haben, gibt quasi der NATO und damit Spanien das Heft in die Hand, um zu sagen: Ihr dürft euch entsprechend dagegen verteidigen. Am Samstag vor zwei Wochen versuchten geschätzt 2000 Migranten über die Zäune von Melilla zu klettern. Dabei kam es zu mindestens 37 Toten. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez, ein Sozialdemokrat, hat plötzlich von einem Angriff auf die territoriale Integrität gesprochen. Und das hat er natürlich im Hinblick auf die neue NATO-Doktrin gesagt, nach der die NATO die nationale Territorialität von Staaten verteidigt. Laut Stoltenberg soll jeder Zentimeter des Bündnisgebietes verteidigt werden.

Der Ansatz war schon durch Polen und die baltischen Staaten im Streit mit Belarus vorgebildet worden, wo die Migranten auch schon als hybride Bedrohung und als militärisch bedrohlich aufgebaut wurden, weil sie als Waffen galten.

Ralf Streck: Nur mit dem kleinen Unterschied, dass ausgerechnet Ceuta und Melilla in den Verträgen bisher ausgeschlossen waren. Das waren auch Gebiete Europas und Nordamerikas wie Inseln südlich des Wendekreises des Krebses, zum Beispiel die Kanarischen Inseln und die Exklaven auch auf afrikanischem Gebiet. Melilla und Ceuta werden zwar nicht definitiv benannt, aber so, wie das jetzt da steht, hofft zumindest Spanien, dass sie in den Nato-Schutz eingeschlossen sind.

Stoltenberg hat das ja explizit gesagt.

Ralf Streck: Ja, gut, Stoltenberg kann das natürlich als seine Meinung sagen. Letztlich zählt, was in den Verträgen und in der Doktrin real verankert wurde. Und da wird es nicht benannt. Aber das ist nicht so wichtig, man kann es ja entsprechend auslegen. Jedenfalls hat Spanien durchgesetzt, dass die Einwanderung als Bedrohung gesehen wird und Melilla und Ceuta vor Einwanderern geschützt werden, weil  sie angeblich die territoriale Integrität angreifen. Gerade kamen 37 Menschen ums Leben.

Was wird in der folgenden Zeit passieren, wenn die Enklaven quasi zum Kriegsgebiet erklärt werden? Jetzt schon wurden unbewaffnete Menschen, die über die Zäune zu klettern versuchten, auch von spanischer Seite mit Gummigeschossen und Gasgranaten angegriffen. Es ist ja nicht nur die marokkanische Gendarmerie äußerst brutal vorgegangen, sondern das geschah unter den wohlwollenden Blicken der spanischen Guardia Civil und der Nationalpolizei und ihrer wohlwollenden Unterstützung durch Gummigeschossen, Tränengas und Knüppel. Die marokkanische Gendarmerie durfte auch auf der spanischen Seite Jagd auf die Leute machen, die sie dann wieder über die Grenze getrieben hat. Das alles geschah mit einer unglaublichen Unmenschlichkeit. Die Leute wurden geprügelt, dass sie von 6 Meter hohen Zäunen runterfielen, dann ließ man sie entweder halbtot oder ganz tot stundenlang in der Sonne in  einem Menschenhaufen daliegen. Es gab keinerlei Unterstützung, keinerlei Hilfeleistung. Das ist wahrscheinlich sogar nach Tierschutzgesetz verboten.

Auf den kursierenden Videos konnte man auch Tote sehen, also Leute, die sich nicht mehr bewegt haben.

Ralf Streck: Man kann schwer sagen, wer da jetzt tot war und wer nicht. Die Marokkaner machen das natürlich mit dem Plazet von Spanien, das muss man sich auch vorstellen. Das ist ein sozialdemokratischer Regierungschef, der angetreten war, eigentlich für eine humanere Flüchtlingspolitik oder Einwanderungspolitik zu sorgen. Und der stellt sich jetzt hin und und lobt angesichts von 37 Toten die gute Arbeit sowohl der spanischen als der marokkanischen Sicherheitskräfte. Dieser Zynismus ist schon Menschenverachtung. Darin steckt auch eine ganze Menge Rassismus, weil man mit ukrainischen Flüchtlingen natürlich nicht so umgeht, die sind weiß und blond und was weiß ich.  Das ist so wie früher auf den Sklavenschiffen, das ist einfach nur Vieh, das man zusammen oder wieder zurück treibt. Nach diesen Ausfällen gab es eine halbgare Rücknahme, nach Tagen wurde dann doch Bedauern ausgesprochen, aber bis heute  stellt er sich hinter das Vorgehen der Sicherheitskräfte.

Gab es denn von anderen EU-Mitgliedsländern Kritik?

Ralf Streck: Natürlich nicht. Die Afrikanische Union fordert eine klare Untersuchung,  auch der UN-Generalsekretär fordert Aufklärung, es sei unsäglich, dass so mit Menschen umgegangen wird. Der Aufschrei weltweit ist schon groß, und es ist eigentlich nur peinlich für die EU, dass niemand Kritik übt. Aber das ist ja auch nicht neu. 2014 versuchten Flüchtlinge oder Immigranten bei Ebbe um den Zaun in Ceuta, der am Strand ins Meer geht, herum zu schwimmen. Auf die schwimmenden Menschen wurde mit Gummigeschossen und mit Gasgranaten geschossen. Dabei sind 15 Menschen ertrunken. Das wurde nie untersucht, die Totschläger wurden nie zur Rechenschaft gezogen.

In dem NATO-Konzept werden ja auch immer die demokratischen Werte und überhaupt die Werte beschwör. Es geht ja nicht nur um die spanischen Enklaven. Man könnte sich auch vorstellen, dass dann, wenn Migranten an der italienischen Küste ankommen, das nun auch in den Bereich der NATO fallen könnte. Die Türkei ist ja auch NATO-Mitglied. Wenn dort syrische Flüchtlinge ankommen, die der Türkei nicht angenehm sind, dann könnte möglicherweise die NATO zur Hilfe gerufen werden, um sie abzuwehren. Man müsste das weiterdenken.

Ralf Streck: Genau ist leider zu befürchten, dass man das sogar dann zum NATO-Problem machen könnte. Der für meine Begriffe unsägliche EU-Außenbeauftragte Josep Borrell will eine schnelle Eingreiftruppe aufbauen, die man dann, wenn man einen Bedrohungsfall kreiert, dass Menschen über den Zaun klettern, natürlich da hinschicken könnte. Demnächst schickt man vielleicht bewaffnete Truppen an die EU-Außengrenzen, um Flüchtlinge abzuwehren.

Auf der einen Seite gibt man sich mit Blick auf die Ukraine als der große Rächer der Menschenrechte und ist offenherzig für die Flüchtlinge, weil es ja Kriegsflüchtlinge sind. Aber zum Beispiel geschieht mit Menschen aus der Westsahara, wo seit anderthalb Jahren ein Krieg herrscht, der von Marokko ausgeht, das Gegenteil. Mit dem Abkommen, das Spanien mit Marokko geschlossen hat, wurde die Westsahara verschachert. Spanien erkennt quasi die Souveränität Marokkos über ein illegal besetztes Gebiet an, wozu es im Sicherheitsrat Beschlüsse ohne Ende und Resolutionen gibt. Es heißt, Spanien habe dafür eine Garantie von Marokko für den Bestand von Ceuta und Melilla bekommen.

Bekanntlich hat Marokko immer wieder Forderungen erhoben, Ceuta und Melilla zurückzubekommen. Und jetzt sichert sich Spanien quasi auch gegen Marokko über diese NATO-Doktrin ab. Dabei hatte Spanien doch gerade vor ein paar Wochen den Pakt mit Marokko geschlossen und die Westsahara verschachert. Das versteht kein Mensch mehr.

Algerien hat als Schutzmachtnder Westsahara schon angedroht, dass es wie Marokko im Zweifelsfall auch die Flüchtlingskarte ziehen würde. Seit Tagen kommen bereits verstärkt Flüchtlingsboote in Spanien aus Algerien an. Algerien spielt offensichtlich dieselbe Karte wie Marokko. Wenn sich die EU und Spanien erfolgreich erpressen lassen haben,  können wir das auch.

Dann könnte man doch sagen, genau das ist es, worauf jetzt die NATO reagiert, also dass Migration zum Erpressungsmittel wird?

Ralf Streck: Interessant ist, dass Spanien gegen Algerien weiter eskaliert. Algerien hatte ja angekündigt, dass man Spanien den Gashahn abdrehen wird, wenn Spanien Gas nach Marokko über die Europa Maghreb Pipeline liefert, um die Energieknappheit in Marokko zu beenden. Jetzt hat Spanien angefangen, Marokko zu beliefern, und man darf gespannt sein, was in den nächsten Tagen da passiert. Eine Ausweitung der Konfliktzone ist schon absehbar.

https://www.youtube.com/watch?v=c5CMePinSFY

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Ein Kommentar

  1. „Gab es denn von anderen EU-Mitgliedsländern Kritik?
    Ralf Streck: Natürlich nicht.“
    Das alles geschieht demnach im vollen Interesse von Bärbock, Habeck & Co.
    Natürlich auch im Interesse derer WählerInnen (Repräsentative Demokratie).
    Wozu eigentlich noch die sogenannte „AfD“ wählen?
    Fazit: die olivgrünen werden wohl auch weiterhin zulegen. Aufschlussreich künftige Statistiken „Wählerwanderung“….

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