Im Labyrinth von Wahrheit und Lüge, Fakt und Desinformation

Fridays for Future München, 2019. Bild: Hennig Schlottmann/CC BY-SA-4.0

Vertrauen in die Wissenschaft könnte die Anziehungskraft wissenschaftlich drapierter Falschbehauptungen fördern, sagen Wissenschaftler, fordern eine kompetente kritische Einstellung, aber vergessen die Selbstreflexion.

Spätestens im Laufe der Corona-Pandemie wurde „die Wissenschaft“ entmystifiziert. Die Politik gab vor, der Wissenschaft als vertrauenswürdiger Instanz zur Feststellung der Wirklichkeit zu folgen, ignorierte aber die Vielheit der sich auch widersprechenden Stimmen und Studien, weil sie Eindeutigkeit zum Handeln benötigte. Wissenschaftler ließen sich zur Unterstützung politischer Entscheidungen benutzen, auch wenn sie fehlende Daten und Ungewissheit aufmerksam machten. Zunächst einmal wurde vor allem Epidemiologinnen, Virologinnen und Medizinerinnen die Bühne bereitet, auch wenn „die Wissenschaft“ ebenso Geistes- und Sozialwissenschaften umfasst. Und kritische oder ungläubige Wissenschaftler wurden schnell ins Abseits von Leugnern und „Verschwörungstheoretikern“ verbannt. Wissenschaft, das ist für die Laien deutlich geworden, ist vielstimmig, Ergebnisse sind vorläufig, der Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern, hinter Studien können Interessen stehen.

Dazu kam, dass die Wissenschaftler weltweit fast schon in Echtzeit eine wahre Flut von Studien, meist auch ohne Peer Review, veröffentlichten, um die Gelegenheit des großen, Aufmerksamkeit erheischenden Themas für die eigene Profilierung zu nutzen. Die Flut war und ist so groß, dass eine Überprüfung alleine an der Quantität scheitert. Aber auch Peer Review garantiert keine wirkliche Selektion. Dabei wurde nur das zuvor schon bestehende Problem verstärkt, dass eine wachsende Schar von Wissenschaftlern unter zunehmenden Veröffentlichungszwang immer mehr fragwürdige, methodisch schlampige Studien bei Wissenschaftsmagazinen mit einem möglichst hohen Ranking unterbringen müssen, was den Verlagen neue Einkommensquellen erschließt, indem sie die Zahl der Wissenschaftsmagazine vergrößern. Überdies haben sich Fake-Verlage eingerichtet, die ungeprüft alles veröffentlichen und damit der Pseudowissenschaft Auftrieb geben. Veröffentlicht werden in der Regel sowieso nur Artikel, die neue Erkenntnisse versprechen, nicht aber solche, die die Studien durch Reproduktion überprüfen, so dass im Normalfall die wissenschaftliche Falsifizierung ausfällt, auch wenn gelegentlich Artikel zurückgezogen werden müssen.

Es ist mithin schwieriger geworden, sich auf „die Wissenschaft“ oder auch auf den Konsens der wissenschaftlichen Mehrheit als von subjektiven Bedingungen oder Interessen unabhängige Institution mit einem direkten Draht zu den „Fakten“ zu stützen, um eine Position bzw. Forderungen zu legitimieren, wie das etwa Fridays for Future machen: „Wir fordern von der Politik nicht mehr als die Berücksichtigung wissenschaftlicher Fakten.“ Wie wissenschaftliche Fakten zustandekommen und wie man sie bewerten muss, wird nicht näher untersucht, da scheint man auf den wissenschaftlichen Konsens zu vertrauen.

Zu dem Thema haben Sozialpsychologen von der University of Illinois at Urbana-Champaign eine Studie im Journal of Experimental Social Psychology veröffentlicht. Das Ergebnis: Vertrauen in die Wissenschaft, fördert die Bereitschaft, auch Pseudowissenschaft zu vertrauen, also Veröffentlichungen, die den Anschein erwecken, wissenschaftlich fundierte Fakten oder Erkenntnisse zu enthalten. Anders ausgedrückt: Menschen, die der Wissenschaft ohne Skepsis einfach vertrauen, glauben und verbreiten eher falsche Behauptungen, die wissenschaftliche Bezüge enthalten, als solche, die der Wissenschaft nicht vertrauen.

Für ihre Studie führten die Psychologen vier Experimente online mit jeweils einigen hundert Versuchsteilnehmern durch. Dazu erfanden sie zwei fiktive Geschichten: eine über einen Virus als Biowaffe, was auf Mutmaßungen über Covid-19 anspielt, und eine über krebsauslösende Wirkungen von genetisch modifizierten Organismen (GMO). Die Texte wurden entweder auf wissenschaftliche  Konzepte und Wissenschaftler bezogen, die über das Thema gearbeitet haben, oder wurden als Darstellungen von Aktivisten gekennzeichnet. Die Versuchsteilnehmer wurden ausgewählt, um entweder die wissenschaftliche oder nicht-wissenschaftliche Version vorgelegt zu bekommen.

 

Bei Menschen, so das Ergebnis, die der Wissenschaft nicht vertrauen, verursacht ein wissenschaftlicher Bezug keine signifikante Veränderung. Wer der Wissenschaft hingegen mehr vertraut, glaubt auch eher an Geschichte mit scheinbar wissenschaftlicher Begründung und verbreitet sie auch mehr. Für das vierte Experiment wurden die Versuchsteilnehmer so beeinflusst, dass das Vertrauen in Wissenschaft oder eine kritische Überprüfung hohen Wert genießt. Letztere glaubten die beiden Geschichten eher nicht, unabhängig davon, ob wissenschaftliche Bezüge vorkamen oder nicht.

Die Psychologen schreiben, ihre Ergebnisse hätten „Implikationen für die Wissenschaften im Allgemeinen und die Anwendung von psychologischer Wissenschaft zur Eindämmung von Desinformation während der Covid-19-Pandemie“. Die Autoren glauben also nicht nur herausgefunden zu haben, dass Vertrauen in Wissenschaft keineswegs vor falschen Behauptungen schützt, wenn sie im wissenschaftlichen Gewand daherkommen, vielmehr so tun, als wären sie wissenschaftlich belegt. Sie suggerieren auch, dass deswegen Psychologen in der Wissenschaftskommunikation auch eine Rolle bei der Bekämpfung von Desinformation spielen sollten, weil sie auf der übergeordneten Position stehen.

Bei der Studie geht es eher um ein blindes Vertrauen in „die Wissenschaft“. Wer das hat, das ist nachvollziehbar, lässt sich auch von pseudowissenschaftlichen Darstellungen, die dem Leser/Hörer zusagen oder als möglich erscheinen, überzeugen, wenn da Veröffentlichungen in irgendwelchen Publikationen oder Wissenschaftler, am besten Professoren oder Doktoren, dahinterzustehen scheinen. Es kann dabei nur um Leser von Geschichten gehen, die Quellen nicht einsehen können oder wollen und Versuchsaufbau, Methoden und Ergebnisse nicht beurteilen können. Wer hingegen von sich selbst glaubt, kritisch auch der Wissenschaft gegenüberzustehen, wird vielleicht auch scheinbar wissenschaftlich begründeten Behauptungen skeptischer gegenüberstehen, die ja auch ex cathedra verkündet oder in wissenschaftlichen Magazinen veröffentlicht werden.

Wissenschaftlichkeit als Falle – selbstreflexiv

Als Beispiel für Desinformation werden falsche Behauptungen über Covid-19-Impfstoffe angeführt, die angeblich Verunreinigungen oder gefährliche Inhaltsstoffe enthalten: „Das ist Täuschung, aber sie gibt vor, wissenschaftlich zu sein. Menschen, die gelernt haben, Wissenschaft zu vertrauen, und normalerweise Wissenschaft vertrauen, können auch getäuscht werden.“

Aber das ist nicht nur eine Verschwörungstheorie. So haben Wissenschaftler von der Universität Ulm kürzlich ihre Untersuchungsergebnisse des Impfstoffs von Astra-Zeneca veröffentlicht, allerdings nur als Pre-Print. Hier fanden sich deutlich mehr Proteine, als vom Adenovirus und den Zusatzstoffen zu erwarten war. Je nach untersuchter Charge war unter den mehr als 1000 Proteinen ein Großteil überschüssige virale und menschliche Proteine. Die meisten seien unschädlich, aber die gefundenen Hitzeschockproteine könnten Autoimmunreaktionen auslösen oder Entzündungsreaktionen verstärken, also Nebenwirkungen der Impfung oder auch den geringeren Schutz erklären. Die Psychologen haben die Selbstreflexion vergessen, denn sie sind selbst Wissenschaftler und versuchen in der Mitteilung der Universität, aus ihren wissenschaftlich begründeten Erkenntnissen Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Fall der Impfstoffe stehen sie aber auf einem Standpunkt, der Desinformation nur behauptet.

Trotzdem oder eher deswegen kann man Mitautorin Dolores Albarracín, Professorin für Sozialpsychologie, zustimmen, wenn sie sagt: „Wir brauchen Menschen, die auch gegenüber Information kritisch sein können.“ Eine kritische Einstellung könne einen weniger empfänglich für Verschwörungstheorien machen.  Aber die könnten eben auch manchmal einen Kern an Wahrheit enthalten. Und andere Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass Anhänger von Verschwörungstheorien gerade von sich glauben, besonders kritisch zu sein, weil sie ja nicht der Masse folgen, sie würden aber nicht wirklich kritisch denken können. Aussagekräftig war aber diese Studie nicht gerade: Können Verschwörungstheoretiker nicht kritisch denken?

Albarracín ist sich natürlich klar, dass die Fahrt durch das Labyrinth von Wahrheit und Lüge nicht einfach ist. Ein kritischer Kopf reicht nicht, man müsse schon verstehen wie Wissenschaft verfährt und zu ihren Schlüssen kommt. Aber dann sagt sie aber auch wieder, dass „Menschen beigebracht werden kann, welchen Informationsquellen sie vertrauen und wie sie die Information bewerten sollen“. Aber nein, muss man sagen, das sollte man auch gar nicht lehren, weil das wieder ähnlich wäre wie das Vertrauen in „die Wissenschaft“. Vielmehr ginge es um das Erlernen einer kritischen Urteilskraft gegenüber allen Informationen und Informationsquellen. Aber dafür fehlen oft nicht nur die Zeit und der Wille. Das wäre ein Schritt in die Selbstreflexion, die auch den Lehrenden einschließt. Das könnte dann in Schule oder Universität, auch in den Medien, zu subversiv sein, würde es doch das blinde Vertrauen und damit die Autorität in Frage stellen.

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3 Kommentare

  1. „Und kritische oder ungläubige Wissenschaftler wurden schnell ins Abseits von Leugnern und Verschwörern verbannt.“

    Den Begriff des Verschwörers besser mal im Lexikon nachschlagen. Gemeint ist hier wohl sozusagen „das Gegenteil“: Verschwörungstheoretiker.

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