Ideologien und Extremismus sollen Ausdruck kognitiver und psychologischer Strukturen sein

Bild: Giovanni_cg/Pixabay.com

Psychologen wollen eine Methode gefunden haben, um präventiv für Ideologien und Extremismus anfällige Menschen zu erkennen. Ein weiterer Beitrag zur Entpolitisierung.

Extremistische Ansichten gleichen psychischen Krankheiten. Dabei geht es nicht um die Inhalte, sondern um die psychische Verfassung der Extremisten, die anhand von „psychologischen Merkmalen“ erkannt werden können, sagen britische Psychologen. Der Ansatz geht letztlich dahin, dass man sich mit radikal anderen Meinungen und Positionen nicht mehr diskursiv auseinandersetzen muss, sondern sie therapeutisch behandeln sollte. Regimekritiker hatte man früher in der Sowjetunion auch gerne mal in der Psychiatrie weggeschlossen.

In ihrer „datengestützten“  Studie, die in den Philosophical Transactions of the Royal Society B erschienen ist, sagen die Psychologen, es sei bislang wenig über die Beziehungen zwischen ideologischen Haltungen und psychologischen Merkmalen bekannt. Man habe dies vor allem sozialpsychologisch, aber nicht psychologisch untersucht. Unterstellt wird, dass kognitive Eigenheiten, wie Informationen wahrgenommen und verarbeitet werden, die ideologische Weltsicht der Menschen prägen und damit auch „extremistische Überzeugungen und Widerstand (oder Aufnahme) von Tatsachen“. Behauptet wird also, dass es eine „kognitive Anatomie von Ideologien“ gebe.

Die Studie beruht auf der Auswertung von kognitiven Tests, die 334 über Amazon Mechanical Turk gefundene Versuchsteilnehmer ausführten, um ihr Arbeitsgedächtnis, ihre Informationsverarbeitung, ihr Lernverhalten oder ihre Aufmerksamkeit einzuschätzen, woraus Persönlichkeitseigenschaften und Selbstkontrolle abgeleitet wurden. Dazu wurden die Ergebnisse von Umfragen zur Persönlichkeit ausgewertet. Beides war nicht auf die Frage nach extremistischen Ideologien ausgerichtet. Für die aktuelle Studie wurde zusätzlich ein Experiment mit 334 amerikanischen Teilnehmern ausgeführt, die Fragen nach ihren persönlichen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Überzeugungen sowie nach Dogmatismus und „intellektuellen Demut“ beantworteten.

Daraus würden sich durch 12 Persönlichkeitsstrukturen und 7 kognitive Faktoren die „spezifischen Kennzeichen politischer, nationalistischer, religiöser und dogmatischer Überzeugungen“ erkennen lassen. Eigenschaften der Kognition und Persönlichkeit hätten sich als viel aussagekräftiger erwiesen als demografische Aspekte. Überdies habe sich anhand von Analysen gezeigt, dass ideologische Einstellungen mit kognitiven Entscheidungsstrategien verbunden seien. Konservatismus und Nationalismus seien mit größerer Vorsicht bei Entscheidungsaufgaben und einer eingeschränkten strategischen Informationsverarbeitung verbunden, Dogmatismus hingegen mit erhöhter Impulsivität, langsamerer Beweisaufnahme, geringerer sozialer Risikobereitschaft und Liebenswürdigkeit. Religiosität sei mit höherer Liebeswürdigkeit und Risikowahrnehmung verbunden.

Was die Psychologen natürlich bestenfalls sehen konnten, waren Korrelationen, die aber keine Kausalerklärung erlauben, wie sie in der Studie suggeriert wird. Es könnten so nicht die psychischen oder kognitiven Strukturen die Ausbildung von Ideologien erklären, sondern umgekehrt könnten diese sich kognitiv niederschlagen. Dogmatiker gleich welcher Couleur von links über neoliberal bis völkisch-nationalistisch dürften erst einmal irritierende Fakten abwehren und dafür eher gegen Andersdenkende aggressiv werden. Ideologien der Schmalspurart verblöden.

Extremisten sollen Probleme beim Lösen komplexer mentaler Aufgaben haben

Die Psychologen wollen noch mehr aus den Daten herausgefunden oder in sie hineingelesen haben. So seien extreme Einstellungen für eine Gruppe, also etwa nationalistische Einstellungen, die Gewalt gegen andere Gruppen unterstützen, mit „geringerem Arbeitsgedächtnis, langsameren Wahrnehmungsstrategien und einer Tendenz zur Impulsivität und Sensationssuche“ gekennzeichnet, was sich teilweise mit Konservatismus und Dogmatismus überschneide. Überdies will man kognitive und Persönlichkeitsmerkmale etwa auch für Systemrechtfertigung, soziale Dominanz oder Patriotismus gefunden haben und kommt zu dem Schluss, „dass ideologische Weltbilder geringe perzeptuelle und kognitive Funktionen reflektieren“.

Extremisten hätten Probleme beim Lösen komplexer mentaler Aufgaben, schreibt Mitautorin Leor Zmigrod, die an der University of Cambridge über die Psychologie von Ideologien forscht. In der Studie wird allerdings nicht erläutert, was unter Extremismus oder auch Ideologie näher verstanden wird. Man gewinnt den Eindruck, keine ausgeprägte Meinung zu haben, wäre dann das Ideal der Ideologiefreiheit. Da vermisst man aber dann auch, welche kognitiven Eigenschaften die Menschen der ideologiefreien oder ideologisch flexiblen Mitte haben sollen – oder ist diese Normalität auch eine Ideologie, etwa der Systemerhaltung?

Zmigrod meint jedenfalls, dass es bei all dem nicht um Politik oder das Verständnis von Wirklichkeit und Gesellschaft geht, sondern nur um wie auch immer entstandene unterschiedliche kognitive Einstellungen, was aber auch Ausdruck einer Ideologie ist, alles zu psychologisieren:

„Subtile Schwierigkeiten mit komplexer mentaler Verarbeitung kann Menschen unbewusst zu extremen Lehren führen, die deutlichere, stärker definierte Welterklärungen bieten, was sie empfänglich für toxische Formen von dogmatischen und autoritären Ideologien macht.“ (Zmigrod)

Versprochen wird, mit der hier praktizierten Methode künftig psychologische Tests entwickeln zu können, um präventiv Menschen zu identifizieren, die sich radikalisieren und extremistische Vorstellungen annehmen könnten. Im Hintergrund geht es offenbar darum, Menschen im Sinne einer Normalität besser steuern und Anomalien erkennen zu können. Der Ansatz ist auch deswegen bedenklich, weil er letztlich zu einer Entpolitisierung beiträgt, die aber immer in Dienste einer Politik oder von Interessen steht, die Normalität und Abweichung justieren. Die Pathologisierung politischer Einstellungen geht Hand in Hand mit den Versuchen im Westen, mittels der angeblichen Bekämpfung von feindlicher Desinformation die Menschen vor gegnerischer Beeinflussung zu schützen, was aber nur eine andere Form der Beeinflussung und Propaganda ist (Im „Desinformationskrieg“ wird nach „Beeinflussungs-Artilleriemunition“ gesucht).

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