Hybride Kriegsführung statt Staatsterrorismus: Lukaschenko dreht das Narrativ um

Lukaschenko spricht vor dem Parlam,ent von hybrider Kriegsführung gegen Belarus. Bild: belta.by

Offen bleibt die Frage, ob Russland bei dem Flugzeug-Vorfall seine Finger im Spiel hatte oder ob der in seiner Macht gefährdete Lukaschenko Moskau weiter an sich binden will

Für Moskau kam die Bekanntgabe des Treffens von Joe Biden und Wladimir Putin am 16. Juni in Genf gerade zur richtigen Zeit. Das war fast zeitgleich mit der dreisten Aktion von Weißrussland, ein Ryanair-Flugzeug, unterstützt durch ein Kampfflugzeug,  auf dem Flug von Athen nach Vilnius wegen einer angeblichen Bombendrohung fast an der litauischen Grenze zur Umkehr und zur Landung in Minsk zu zwingen.

Die im Grunde stümperhaft inszenierte Aktion wurde vollends durchsichtig, weil in Minsk der Oppositionsjournalist und Aktivist Roman Protasevich (Protasewitsch) mit seiner Freundin Sofia Sapega, einer Russin, festgenommen wurde, womit man auch Smartphone und Notebook mit für den Geheimdienst interessanten Daten in die Hände bekam, sondern auch durch den schon fast satirischen Versuch, die Bombendrohung auf Hamas zu schieben. Die haben natürlich schnell die abstruse Unterstellung zurückgewiesen.

Heute sagte Lukaschenko, die Email mit der Bombendrohung sei aus der Schweiz gekommen. Ob sie von Hamas kam oder nicht, spiele keine Rolle. Das Flugzeug sei in der Nähe des weißrussischen AKWs gewesen, man habe ein zweites Tschnernobyl verhindern wollen, der Kampfjet sollte nur aufpassen, dass das Flugzeug auf Kurs bleibt. Der Pilot habe sich nach der Mitteilung der Bombendrohung selbst entschieden zu landen, er habe 15 Minuten lang gebraucht und sich mit der Fluggesellschaft und mit dem Flughafen in Vilnius abgestimmt. Lukaschenko stellt es nun so hin, dass gar nicht Absicht bestand, das Flugzeug in Minsk landen zu lassen, die Entscheidung des Piloten sei unlogisch gewesen. Lukaschenko versucht, die Argumentation umzudrehen und die Schuld Litauen und Polen zuzuschieben:

„Nach Zögern und längeren Absprachen entschieden sie sich für Minsk, obwohl Vilnius nur 70 km entfernt war. Nach dem Präsidenten erwartete die weißrussische Seite nicht, dass das Flugzeug eine Kehrtwende macht. ‚Jetzt ist die Hauptfrage: Warum wollte niemand das Flugzeug aufnehmen? Weder Vilnius, wohin es flog, noch Warschau, Lviv oder Kiew. Warum haben diejenigen, die sich jetzt beschweren, nicht das Flugzeug aufgenommen? Hatten sie Angst vor der Verantwortung? Oder wollte hjemand, dass es in Minsk landet.“

Er warf dem Westen vor, dass der Vorfall mit dem Flugzeug ein Ergebnis hybrider Kriegsführung sei. Man erprobe an Weißrussland neue Taktiken, die über die Organisation von Unruhen hinausgehen. Dann werde man weiter damit Richtung Osten gehen, sagte er und meinte damit natürlich Russland. Immerhin wurde die Kommunikation mit dem Piloten veröffentlicht, Ryanair oder Litauen hat dies nicht gemacht.

 

Ob Protasevich das primäre Ziel der Aktion war, ist zweifelhaft, er dürfte jedenfalls ein gerne gesehener Beifang gewesen sein. Schließlich macht das Regime Jagd auf alle Journalisten, mitunter auch auf ausländische, viele Journalisten wurden seit den Protesten des letzten Jahres meist vorübergehend festgenommen, manche misshandelt oder gefoltert, manche zu längeren Haftstrafen verurteilt. Erst vor wenigen Tagen wurde die einzige verbliebene unabhängige Nachrichtenplattform Tut.by vom Netz genommen, mindestens Mitarbeiter, darunter die Chefredakteurin, wurden inhaftiert. Tut.by erhielt keine Gelder aus dem Ausland wie Belsat oder Charter97.

Protasewitsch ist Aktivist schon seit seiner Jugend, eine Art Berufsoppositioneller, der auch für amerikanische Auslandssender gearbeitet und eine Neigung zu Rechten zu haben scheint. So war er mit dem Asow-Bataillon verbandelt, ob nur als Journalist oder auch als Kämpfer ist nicht klar. Von Weißrussland wird Protasewitsch vorgeworfen, mit dem Telegram-Kanal NEXTA Massendemonstrationen organisiert haben. NEXTA gilt als terroristisches Medium. Protasewitsch steht auf der Terrorliste von Belarus.

 

Die russische Regierung hat die Aktion nicht kritisiert, sondern sich hinter Lukaschenko gestellt und mehr oder weniger erklärt, das sei alles ein ganz normaler Vorgang gewesen. In den Medien wird vor allem die Festnahme von Sapega, die einen Telegram-Kanal betrieb, auf dem Infos über Polizisten veröffentlicht werden, behandelt. Das russische Außenministerium bestritt, dass Russland etwas mit der Landung zu tun hatte. Es seien in Minsk auch keine russischen Bürger ausgestiegen. Es kursierten Vermutungen, dass es sich um Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes gehandelt haben könnte, die nicht weiter nach Vilnius flogen. Herausgehoben wird die Verbindung von Protasewitsch mit dem Asow-Bataillon und der Hinweis auf die Aktion der USA, die das Flugzeug des ehemaligen bolivarischen Präsidenten Evo Morales 2013 zur Landung in Wien durch Sperrung des französischen und portugiesischen Luftraum zwangen, weil vermutet wurde, dass Edward Snowden aus Russland nach Bolivien gebracht werden sollte.

In der Tat ist fraglich, ob Moskau an der Aktion beteiligt war. Man kann vermuten, dass Lukaschenko sie inszenierte, um Moskau noch stärker ins Boot zu holen und vom Westen zu isolieren. Die Aktion fand unmittelbar vor dem EU-Gipfel in Brüssel und kurz vor dem vereinbarten Treffen am 28. Mai von Lukaschenko mit Putin. Es wird als Arbeitstreffen ausgegeben, Erklärungen soll es dazu keine geben.

Und dazu kommt noch das Treffen von Biden und Putin am 16. Juni in Genf. Biden hatte bekanntlich Putin einen „Killer“ genannt, daraufhin hatte Putin Biden zu einem öffentlichen Gespräch aufgefordert, was als Versuch galt, den mitunter greis wirkenden Biden zu übertölpeln. Sollte jetzt die Intention beider Seiten daran bestehen, die Beziehungen, die auf einem Tiefstand ist, zu verbessern, wofür auch die Duldung von Nord Stream 2 sprechen würde, könnte die Aktion von Lukaschenko dies schwierig machen, wenn Putin an ihm festhält. Russische Staatsmedien machen sich weiterhin über Biden lustig und zitieren Kommentare, die Putins Überlegenheit darstellen.

Siehe dazu auch das Gespräch mit Ulrich Heyden in Moskau: Ist Protasewitsch ein weißrussischer Nationalist?

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