Grüner Kapitalismus – wirklich?

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An den Produktionsmethoden, geschweige denn Verhältnissen wird nicht gerührt. Die Klimakrise lässt sich auch  nicht allein wissenschaftlich lösen. Es fehlt eine reale Utopie.

Es ist das dominante Thema: die Klimakrise, egal ob in den Medien, den Parteien, unter Freund*innen. Im Wahlkampf versprechen alle Parteien, dass sie nun endlich etwas gegen die Klimakrise tun (wollen). Das geschieht nicht immer freiwillig. Die Gerichte haben gesprochen und der Druck nimmt zu. Nicht nur auf der Straße. Nur die  Rechtsaußen AfD und ihren Anhänger*innen sind immer noch der Meinung, dass es eigentlich gar keinen Klimawandel gibt, oder wenn, dann ist er doch nicht menschengemacht.

Es ist schon richtig, dass es einen Wandel und eine Veränderung, teilweise radikal, des globalen Klimas auf unserem Planeten schon immer gab. Eiszeiten, Vulkanausbrüche, tektonische Verschiebungen der Erdplatten haben in Millionen Jahren immer wieder zu radikalen Temperatur-und Naturveränderungen geführt.

Doch das geschah meist ohne großes menschliches Zutun. Darin liegt der Unterschied. Heute leben ca. 9 Milliarden Menschen auf der Erde. In den letzten 250 Jahren hat der fossile Kapitalismus nicht nur alle Lebens-, sondern auch die Naturverhältnisse radikal umgewälzt. Das ist inzwischen unbestritten.

Eigentümlich an der aktuellen Debatte ist allerdings, dass sie zum einen so tut, als wüsste man das im Grunde erst seit Greta Thunberg. Man gibt sich fast schon überrascht. Als hätte es den Bericht des „Club of Rome“ Anfang der siebziger Jahre nicht gegeben. Als hätte man nicht bereits in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den damaligen Volksparteien SPD und CDU nicht schon über Umwelt-Industrie und Ökologie debattiert.

Wer das Berliner Grundsatzprogramm der SPD von 1989 aus dem Giftschrank holt, wird Erstaunliches finden. Da ist vom sozial-ökologischen Umbau der Industriegesellschaft die Rede. Da wurde gemeinsam mit der IG Metall Gewerkschaft vom Wandel der Automobil- zur Mobilitätsgesellschaft geschwärmt. Die Grünen waren zu dieser Zeit noch radikal.  Sie wollten, verkürzt gesagt, das, was man heute mit „DeGrowth“ bezeichnet.

Gleichzeitig haben sich 30 Jahre danach offensichtlich die Ansätze, Methoden und Instrumente, um diese jetzt verschärfte Krise zu regulieren, kaum verändert. Die Beschwörungen gleichen sich. CDU/FDP setzen auf die Innovationsfähigkeit des Kapitalismus und darauf, dass neue Technologien und der Markt die Krise überwinden. Die Sozialdemokratie, inzwischen weit hinter den eigenen Programmen und Erkenntnissen zurückgefallen, will etwas mehr Staat, mehr Steuerung und Investition in eine modernisierte und dann hoffentlich nachhaltigere Infrastruktur. Die LINKEN wollen ökologischen Umbau, aber ohne soziale Kürzungen.

Die politischen Hauptprofiteure der Krise, die Grünen, versprechen einerseits einen radikalen Wandel und die Einhaltung der Klimaziele, andererseits findet sich in ihrem Wahlprogramm geradezu inflationär das Versprechen auf Wohlstand. Als hätte Ludwig Ehrhard in der Programmkommission gesessen und die Vorgaben gemacht.

Schwächen des ökologischen Kapitalismus

Umso mehr lohnt es, sich die verschiedenen Ansätze und Instrumente anzuschauen. Denn eine Frage wird besonders bei den klassischen Parteien CDU/SPD/Grüne vorgegeben: Ein „grüner Kapitalismus“ ist machbar und etwas Besseres gibt es schon gleich gar nicht. Wirklich?

 

Dieser ökologische Kapitalismus geht davon aus, dass alles seinen Preis hat. Auch die Natur. Insofern werden konsequent CO2-Ausstoß, Emissionen jedweder Art, die verschmutzen, vergiften oder schaden entweder besteuert oder für den Finanzmarkt optimiert. Auf Letzterem kann man Zertifikate kaufen, die die Verschmutzung nach Mengengerüsten erlauben. Die heftige Debatte über die Preiserhöhung der Kraftstoffe, der aktuell den Bundestagswahlkampf begleitet, ist Beleg dafür. Soziale Folgekosten, insbesondere für die einkommensschwachen Klassen, wollen die Grünen mit einem Energiegeld abfedern. Die aktuelle Empörung in der Debatte um die Erhöhung der Benzinpreise zeigt im Besonderen, um was es im Allgemeinen geht.

Noch immer konnten im Kapitalismus die Naturkosten externalisiert werden. Die Unternehmen wälzten sie auf die Gesellschaften ab, insbesondere in die der ärmeren Länder des globalen Südens, die für die Aufnahme unseres Abfalls ein Entgelt bekommen. Schon in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschrieb William Kapp in seinem Klassiker: „Die Sozialen Kosten der Marktwirtschaft“ diesen Free Lunch auf Kosten der Allgemeinheit. In den 80er und 90er Jahren bei der ersten großen Ökowelle, bei der das   Waldsterben und Industrieabgase im Vordergrund standen, wurde dieser Ansatz in der Debatte wieder virulent.

Während die Marktökologen der Bepreisung der Natur wie heute den Vorrang gaben, setzten Programm-Keynesianer und Teile der Marxschen Theoretiker*innen auf Investitionen in den Umweltschutz. Die Ergebnisse sind bekannt. Die mit viel Aplomb von Rot-Grün 1998 nach der gewonnenen Bundestagswahl eingeführte Ökosteuer, die zunächst das Benzin verteuerte, entfaltete entgegen aller Prognosen kaum eine Lenkungswirkung. Gebote oder Verbote waren auch unter Rot-Grün nicht gewünscht. Die Einnahmen dieser Steuer wurden nicht etwa für einen sozial-ökologischen Umbau verwendet. Sie flossen in die Rentenkassen. Den Rentner*innen sei es gegönnt. Die Umwelt und Natur darbten aber weiter. Der öffentliche Nah-und Fernverkehr wurde ausgeblutet. Schließlich wollte man mit der Deutschen Bahn einen profitablen ICE-Konzern und keine Bimmelbahn an die Börse bringen. Nur die Finanzkrise verhinderte, dass es dazu kam. Wenn heute der Fingerzeig auf die vernachlässigte Infrastruktur erfolgt, zeigen einige Finger zurück auf die Koalitionen aus CDU/FDP/SPD und Grüne. Keine der vier Parteien hat auch nur versucht, wesentliches anzugehen. Selbst der Atomausstieg war nur möglich nach der schrecklichen Katastrophe von Fukushima.

Ein 16-jähriges Mädchen musste streiken, um ein Bewusstsein zu schaffen, dass es nicht fünf vor, sondern eher fünf nach zwölf ist.

Wer wirklich ein anderes Verhältnis, gar einer „Versöhnung von Mensch und Natur“, von der Ernst Bloch einst träumte, möchte, wird grundsätzlicher und tiefgreifender denken und handeln müssen. Nämlich die Diskussion um eine sozial-ökologische und damit auch kulturelle Transformation beginnen und aushalten müssen, bei der es nicht um einzelne Stellschrauben geht, sondern ums Ganze.

Danach sieht es jedoch nicht aus. Man braucht gar nicht von urbanen Milieus oder Lifestyle-Linken zu schwadronieren. Es genügt, die tatsächlichen Konzepte und Versprechungen sich anzuschauen.

Egal ob Steuer- oder Technikkonzepte, oder an den Investitionen orientierte Umweltpolitik, am Ende wird den Bürger*innen versprochen, dass es keine grundlegenden Verhaltensänderungen bedarf. Klar, es wird schon mal mahnend der Finger gehoben. Zu viele SUV sind nicht gut, zu viel Fliegen schadet der Umwelt. Zu viel Fleisch ist nicht nur ungesund, die Produktion in der Massentierhaltung ist Gift für die Umwelt. Sicher ist das Bewusstsein sensibilisiert. Unternehmen und Konzerne engagieren Influencer und Agenturen für ihr Greenwashing.

Aber an den Produktionsmethoden, geschweige denn Verhältnissen wird nicht gerührt. Dabei wissen wir seit Marxens Kritik am Gothaer Programm, „dass der Kapitalismus die Springquellen allen Reichtums untergräbt, die Erde und die Arbeiter“.

Idealisierung der Wissenschaft

Max Horkheimer schrieb, dass die Ölbilder mit unberührten Landschaften nur die Hieroglyphen für rauchenden Schlote der Industriefabriken sind. Diese Kritik verweist uns auch heute darauf, dass weder mit einer romantischen noch technisch-fortschrittsgläubigen Weltanschauung die Fragen zu lösen sind. Genauso wenig wie mit einer  Idealisierung der Wissenschaften.

Der Schlachtruf der Fridays for Future  Bewegung, „Follow the science” ist richtig, wenn es um Erkenntnis und die Fakten  geht, die die Zerstörung  der Erde belegen.  Er greift zu kurz, wenn damit insinuiert werden soll, man könne die Krise wissenschaftlich lösen. Das würde zwar radikale Einschnitte erfordern, aber grundsätzlich am System nichts ändern.  Der Glaube, dass die Wissenschaft die Lösungen bereit hält, blendet aus, dass auch in der Wissenschaft wirtschaftliche Interessen und Verwertungszwänge eine Rolle spielen. Drittmittel fallen nicht vom Himmel. Die Unternehmen wollen davon profitieren. Forschung muss sich lohnen. Klimawissenschaftler*innen sind ebenso wie aktuell die Virolog*innen oder andere wissenschaftliche Disziplinen zunächst Fachwissenschaftler*innen, die mit eigenen Modellen operieren und ceteris paribus, die Welt erklären.

So wie die Modulationen in der Pandemie die sozialen, psychologischen und kulturellen Folgen der Lockdowns  weitgehend ausblenden, wird auch die Klimakrise nicht  nur mit einem Wissenschaftsansatz, Daten und Hochrechnungen zu bewältigen sein.

Ökologie, richtig verstanden, bedarf der universellen Sicht und Analyse, weil sie selbst universell ist und wirkt. Es geht deshalb um Grundsätzliches, um das Verhältnis von Mensch und Natur.

Der sich formierende grüne oder ökologische Kapitalismus wird diese Frage nicht lösen. Unterschätzen sollte man seine Energie und Möglichkeiten zur Umwälzung jedoch nicht. Schon heute werden die Energieriesen, ob Exxon, Shell oder Chevron, nicht nur moralisch an den Pranger gestellt. Ihr Geschäftsmodell steht zur Disposition. Der „schöpferische Kapitalismus“ kennt da keine Gnade. Er vernichtet alte Industrien, um neue zu schaffen. Schon wird Wasserstoff als der neue Energie-Heilsbringer gehypt und Unternehmen, die kaum Umsätze machen, werden mit utopischen Marktkapitalisierungen gehandelt. Auch die Ökologie kann und muss  sich rentieren.

Eine politische und gesellschaftliche Linke, die jedoch diese Zusammenhänge ignoriert, wird nur den Trends hinterherlaufen. Für die Grünen ist das kein Problem, für die klassischen Arbeiter*innenparteien schon. Letztere waren schon mal weiter, wie oben beschrieben. Aktuell fallen sie in alte Schemata zurück, anstatt den Mut zu einer realen Utopie (E.O.Wright) aufzubringen.

Ökologie bedeutet zum Beispiel auch, wie und wo der Mensch wohnt. Es atmet sich im Tessin nun mal besser als in Berlin Neukölln im Mietshaus. Es bedeutet auch, ob Menschen Nähe zur Natur und zur Muße finden. Ökologisch sind auch Beziehungen, die autoritär oder emanzipatorisch sein können. Die emphatisch oder kalt sind. Es ist bedeutsam, für wen soziale und kulturelle Teilhabe möglich ist und welche Grundversorgung zur Verfügung steht.

Eine Linke, die es ernst meint mit einem sozial-ökologischen Transformationsprozess, sollte deshalb öffentlich Gesellschaftsanalyse und -kritik (wieder) wagen und ihre kleinen Karos verlassen. Denn nur aus Analyse und Kritik und einer sich daraus entwickelnden realen Utopie entsteht die Hoffnung, dass es mehr geben kann als einen ökologischen Kapitalismus, der an den Verhältnissen nicht rütteln wird.

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