Wassilis Aswestopoulos über die weitere Einschränkung der Arbeitsrechte und die Eröffnung der Tourismussaison bei einer relativ geringen Impfquote
Die griechische Regierung benutzt offenbar die Corona-Pandemie und vielleicht auch den Start der Tourismussaison, um die Arbeitsgesetze zu flexibilisieren. Es soll der 8-Stunden-Arbeitstag abgeschafft werden. Um was geht es genau?
Die griechische Regierung nutzt schon seit langem die Covid-Pandemie, um Gesetze durch das Parlament zu bringen, die sie ansonsten nicht so leicht durchsetzen könnte, weil es zu Protesten auf den Straßen käme und die Bürger auch mehr interessiert wären an anderen Themen außer Covid. Jetzt also soll der 8-Stunden-Tag gekippt werden. Es heißt, das sei freiwillig für den Arbeitnehmer, aber es ist klar, dass der Arbeitgeber der stärkere ist. Die Griechen können ab jetzt, ohne Überstunden bezahlt zu bekommen, 10-Stunden-Arbeitstage haben, die Überstunden könnten dann irgendwann vielleicht abgefeiert werden.
Das ist eine große Einschränkung des Arbeitsrechts, zumal wenn man sich die wirtschaftlichen Kennzahlen ansieht. 55 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind in Lohn und Brot, in Deutschland sind es 75 Prozent. In Griechenland gibt es sehr viele Selbständige. Das bedeutet, dass weniger Menschen mehr Arbeit leisten. Bei einer gerechteren Umverteilung sollte man eigentlich denken, dass die Begrenzung der Arbeitszeit ein Weg wäre, um die Verarmung der Langzeitarbeitslosen aufzuhalten. Aber das ist nicht im Sinn der Industrie, die aus ihren Arbeitnehmern möglichst viel und möglichst flexibel herausholen möchte.
Wir haben gesehen, dass die sogenannten Halbtagsverträge bedeuten, dass die Menschen oft nicht vier, sondern acht Stunden arbeiten. Im günstigsten Fall bekamen sie den Lohnzuschlag schwarz, eingespart wurden Steuern und Sozialbeiträge. Das ist der Regierung offensichtlich egal. Sie kann nicht kontrollieren, wenn jetzt die Arbeitszeit aufgeweicht wird. Die Regierung will damit entgegensteuern, dass jeder Arbeitnehmer zu Arbeitsbeginn online angemeldet im staatlichen System werden muss. Damit soll dem Missbrauch Einhalt geboten werden könnte. Noch ist unklar, wie das funktionieren soll, klar ist nur, dass es dann einen gläsernen Arbeitnehmer gibt, der weniger Rechte auf Freizeit hat. Die Sonntagruhe ist bereits weggefallen, weil wirtschaftlich schädlich. Seltsamerweise hat sich dagegen nicht einmal die Kirche gewehrt.
Und wo bleibt die Linke dabei?
Die Linke versucht zu protestieren, doch blöderweise sind viele der Gesetze, die jetzt umgesetzt werden, durch die Tsipras-Regierung initiiert worden, als er den Schwenk zum Sparkurs vollzog. Unter Tsipras wurden die Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechte eingeschränkt. Wenn Tsipras die Gesetze kritisiert, wird ihm vorgeworfen, er habe doch selbst dem zugestimmt. Es ist eine schwierige Situation.
Es gibt doch neben Syriza auch noch andere linke Parteien. Haben die jeden Einfluss verloren?
Das ist richtig. Von Varoufakis und von der Kommunistischen Partei kommt ein Sturm der Entrüstung. Die Kommunistische Partei ist in der günstigen Lage, dass die ihr nahestehende Gewerkschaft PAME, in der nicht alle Mitglieder Kommunisten sind, gegenwärtig die einzige Kraft ist, die die Menschen zu Demonstrationen mobilisieren kann. Es gab im Mai am 4. und am 6. Streiks. Am 4. Mai streikte die früher größte Gewerkschaft des Landes GSEE, die mittlerweile auf Regierungskurs eingeknickt ist, und die Straßen waren leer, am 6. Mai streikte die PAME und die Straßen waren trotz Corona voll.
Es kann also demonstriert werden?
Ja, sie finden unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen mit Abstand und Masken statt.
Gerade wurde die Tourismussaison eröffnet. Wie steht es da mit den Corona-Maßnahmen?
Jetzt muss keine SMS mehr an das staatliche System abgeschickt werden, wenn man das Haus verlassen will. Wenn man das Haus verlassen durfte, bekam man eine Antwort, die dann von der Polizei kontrolliert werden konnte. Das ist aus dem einfachen Grund weggefallen, weil Touristen diese SMS nicht abschicken können, weil dieser Dienst an einen griechischen Netzbetreiber gebunden ist. Die Daten gingen übrigens auch an Palantir, es ist eine riesige Datensammlung dadurch entstanden.
Die Griechen müssen das auch nicht mehr machen?
Nein, sie können jetzt auch von Ort zu Ort fahren. Es gibt aber die Einschränkung, dass die griechischen Inseln mit Ausnahme von zwei Inseln nur mit einem negativen Testergebnis, einer Impfung oder einem Nachweis einer überstandenen Covid-Erkrankung bereisbar sind, die nicht länger als 9 Monate her ist. Wer im März 2020 erkrankt war, kommt da nicht durch.
Wie ist das für Touristen?
Die können sich mit einem Impfzeugnis, einer überstandenen Covid-Erkrankung oder einem negativen Testergebnis relativ frei bewegen und auch auf die Inseln fahren. Zwei Inseln sind ausgenommen. Einmal Euböa, die zweitgrößte Insel, zu der zwei Brücken führen. Hier kann man den Verkehr nicht auf der Brücke kontrollieren, zumal die Hauptstadt Chalkida halb auf der Insel und halb auf dem Festland liegt. Und zu Lefkada führt ein Tunnel. Daher gibt es auch hier keine Beschränkung.
Es war doch Absicht, einige Inseln durch Impfung aller Bewohner covid-frei zu machen. Wurde das denn gemacht? Die Impfquote Griechenlands ist allgemein ja noch ziemlich niedrig.
Es hat bei vielen kleineren Inseln geklappt, bei den größeren nicht. Der Tourismusminister Harry Theoharis hatte sich aber in einem BBC-Interview eine Blöße gegeben, als er sagte, Griechenland sei sicher. Ihm wurde entgegengehalten, dass Griechenland bei der Impfquote zu den fünf schlechtesten EU-Staaten gehört. Mittlerweile ist Griechenland eine Stufe besser geworden und hat Irland überholt. Theoharis hat versucht, sich herauszureden, und gesagt, das stimme nicht. Er hätte sagen sollen, dass Griechenland eines der besten Impfzentren-Systeme hat, aber es gab nicht genügend Impfstoff. Deutschland hat eine bessere Impfquote, weil es mehr Impfstoff gibt. Jetzt versucht Griechenland, aggressiv durchzuimpfen. Astra-Zeneca wurde für die jüngeren Menschen freigegeben und man setzt darauf, möglichst viele Erstimpfungen vorzunehmen, was die Impfquote erhöht. Die Regierung hofft, dass sich, wenn es einen weiteren Ausbruch geben sollte, die Intensivstationen nicht füllen und die Menschen nicht sterben werden.
Die Situation in den Krankenhäusern hat sich wieder beruhigt?
Sie ist eigentlich noch am Anschlag, aber es werden weniger intubierte Patienten. Die Infektionszahlen haben sich leicht vermindert, wobei noch gefürchtet wird, dass nach dem Osterfest, das in Griechenland Anfang Mai war, die Inzidenz wieder steigen könnte, weil sich viele Menschen, auch unkontrolliert, bewegt haben. Der Tourismus wurde vor ein paar Tagen von Theoharis vor dem Tempel des Poseidon eröffnet. Man hofft darauf, dass ab Juni/Juli die Touristen kommen werden, ab September die eher noch zögerlichen Deutschen. Man hat Abstriche hinsichtlich der erwarteten Tourismuszahlen gemacht. Bis vor kurzem hieß es noch, dass 60 Prozent der Touristen von 2019 kommen werden, jetzt ist die Rede von 40 Prozent und es wird auf qualitativen Tourismus gesetzt. Man bietet den Touristen mehr und nimmt ihnen auch mehr Geld ab. All-Inclusive und billig, billig, billig ist kein Geschäftsmodell für ein Land, sondern nur für einen Touristenkonzern. Das hat man offenbar in der Krise nun auch eingesehen.
Ein Fünftel der Wirtschaftsleistung Griechenlands kommt aus dem Tourismus. Wenn nun wieder nur ein Teil des Umsatzes früherer Jahre gemacht werden kann, welche Folgen wird das haben? Wird es Pleiten geben?
Momentan steigen die Staatsschulden und liegen bei dem Rekordwert von 205 Prozent. Das haut keinen mehr vom Stuhl, auch wenn es damals bei nur 120 Prozent das Memorandum und diesen Sparkurs gegeben hat. Es wird weiter subventioniert, und solange das gemacht wird, werden Pleiten vermieden. Vom Tourismus leben nicht nur die in der Branche unmittelbar Beschäftigten, nicht nur die Taxi- und Busfahrer und Animateure, sondern auch die Bauwirtschaft und die Agrarindustrie, die die Hotels und Restaurants beliefert. Das sind oft Produkte, die EU-Normen nicht entsprechen, aber exquisit sind, also etwa Tomaten, die nach Tomaten schmecken. Die Bauern konnten letztes Jahr ihre Produkte nicht verkaufen und konnten nun keine Saatgüter kaufen. Wenn das sich fortsetzt, haben wir nicht nur bei den Bauern, sondern auch bei den Zulieferern Probleme.
Wie will denn Griechenland die Gelder investieren, die aus dem EU-Topf als Corona-Hilfen kommen werden. Das werden mehr als 30 Milliarden sein.
Das ist alles noch sehr theoretisch. Bislang gehen die gesamten Gelder in den Erhalt der Wirtschaftsstrukturen, so dass nicht alles erodiert. Die Unternehmer und die Arbeitnehmer werden so gut wie möglich subventioniert. Auch die Kulturschaffenden werden besser als in Deutschland und weniger bürokratisch gefördert, allerdings mit weniger Geld. Das reicht oft hinten und vorne nicht. Der Staat versucht, seine Infrastruktur zu erhalten, wozu auch die Kulturschaffenden gehören. Bei der Eröffnungsfeier für den Tourismus – es kamen die ersten Touristen aus Israel -, gab es Live-Musik und die Installationen mit Wasserwerfern für die ersten Flugzeuge. Es ist auch ein Teil des Tourismus, dass Tavernen Musiker haben.
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