Griechenland. Neonazis hinter Gitter, der Kampf gegen ihre Ideen geht weiter …!

Am 7. Oktober 2020 wurde in Griechenland Geschichte geschrieben. Nach fast fünfeinhalb Jahren ist eine der wichtigsten Gerichtsverhandlungen Griechenlands zu Ende gegangen. Die Neonazipartei Goldene Morgenröte ist als kriminelle Vereinigung verurteilt worden und Ihre Führungsspitze wird 13 Jahre oder länger hinter Gittern bleiben. – Giorgos Chondros* berichtet.

In Europa und international wurde diese Banditen-Organisation erst im September 2013 bekannt, als eines ihrer Mitglieder den bekannten jungen Rap-Musiker Pavlos Fyssas durch mehrere Messerstiche auf offener Straße in Nikäa – Stadtteil in Piräus – ermordet hat. Fyssas war jedoch nicht ihr erstes Opfer. Schon am 17. Januar 2013 wurde Sahzat Loukman, Immigrant aus Pakistan, von zwei Mitgliedern der Goldenen Morgenröte auf offener Straße erstochen. Ein Jahr zuvor greift ein Angriffsbataillon dieser Kriminellen eine Gruppe von ägyptischen Hafenarbeitern an. Mehrere schwerverletzt mussten im Krankenhaus behandelt werden. Ende September 2013 wurden Mitglieder der kommunistischen Gewerkschaft PAME im Werftgelände von Perama ebenfalls von Bataillonen der Naziorganisation angegriffen und schwerverletzt. Dieser Vorfall hat eine besondere Bedeutung, denn, wie später bekannt wurde, arbeitete die Goldene Morgenröte mit Redereien zusammen, um das Gelände von den Gewerkschaften zu räumen. 

Gegründet wurde die Goldene Morgenröte (GM) 1980 von Nikos Michaloliakos, ein damals schon bekannter rechtsextremer Aktivist. Im Jahre 1984 wird er von Georgios Papadopoulos, dem schon seit 1974 inhaftierten griechischen Diktator, zum Anführer der EPEN – einer von ihm gegründete nationalistische Organisation – nominiert. Sein Nachfolger war damals Makis Voridis, der jetzt Minister für Landwirtschaftspolitik ist, was ein starkes Indiz für die Vereinnahmung ehemaliger Rechtsextremer durch die jetzige Regierungspartei Nea Dimokratia ist. 

Als Partei gründete sich die Goldene Morgenröte erst im Jahre 1993. Der Einzug ins griechische Parlament gelang ihr bei den Parlamentswahlen von 2012, mit circa 7 Prozent. Mit etwas weniger Stimmen bliebt sie Parlamentspartei bei den Wahlen im Januar und im September 2015.

Schon seit dem Beginn der großen kapitalistischen Finanzkrise von 2008 – von de Griechenland und andere südeuropäische Staaten stark betroffen waren – versucht die Goldene Morgenröte aus der Krise politisches Kapital zu schlagen. Ihre Erzählung ist plausibel und stark populistisch. Für das von großen Teilen der Bevölkerung spürbare Elend, werden die kapitalistische Globalisierung und die Immigrant*innen verantwortlich gemacht. Nach 2010, als das Land schon tief in der Krise steckte, machte sich die Goldene Morgenröte in den armen Stadtteilen aber auch auf dem Land bemerkbar. Ihre Angriffsbataillone terrorisieren Geflüchtete und Immigrant*innen. Sie gründen „solidarische Hilfsorganisationen“ und verteilen Lebensmittel sowie Blutspenden, aber ausdrücklich nur an Griech*innen. 

Obwohl ihre kriminellen Taten und vor allem ihr rechtsextremer Charakter total offensichtlich waren, genossen und genießen sie eine provokativ offene Unterstützung der Medien, eine verdächtige Duldung der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Bezeichnend ist, dass auf der Anklagebank auch eine Polizistin saß, welche die kriminelle Bande immer vor bevorstehenden Polizeikontrollen informiert hatte. Nicht zu übersehen ist auch das Plädoyer der Staatsanwältin vor Gericht. Sie hat einen Freispruch für alle gefordert, Fyssas Mörder ausgenommen. Nicht selten haben Polizeikräfte zusammen mit Mitgliedern der Goldenen Morgenröte antifaschistische Kundgebungen und Demonstrationen angegriffen. Es wurde ausgerechnet, dass bei den Wahlen im Juni 2012 über 50 Prozent der Polizist*innen für die Goldene Morgenröte gestimmt haben. Dies geht aus den Ergebnissen bei den Wahllokalen der Polizei hervor. 

Diese alarmierende Tatsache wurde damals weder analysiert noch kommentiert. Ganz im Gegenteil. Medien und die alte politische Ordnung hätten lieber eine starke Goldene Morgenröte als eine linke Radikalisierung der Bevölkerung. „Eine starke und seriöse Goldene Morgenröte ist wichtig für eine konservative Allianz“ sagte der ehemalige Journalist und jetzige Parlamentsabgeordnete der regierenden Nea Dimokratia, Babis Papadimitriou. 

Die kriminelle Vereinigung wurde leider auch von der griechischen Staatskirche, der Orthodoxie, warm umarmt. Das kirchliche Oberhaupt und viele Despoten, haben oft die Führung der Goldenen Morgenröte empfangen und ihre Erzählung unterstützt. Bei den nationalistischen Kundgebungen angesichts der „Mazedonienfrage“, haben sich die Neonazis und Teile des Klerus unter dem Motto „Vaterland, Orthodoxie, Familie“ sehr gern vereint. Nea Dimokratia und Medien haben es nicht versäumt, dieses vergiftete Klima auszunutzen, um ein Anti-SYRIZA Syndrom bei der Bevölkerung zu evozieren. 

Die wichtigste Frage bleibt jedoch: Was war der Nährboden für das Gedeihen einer solch rechtsextremen und zugleich kriminellen Neonaziorganisation, gerade in Griechenland? Ohne die historischen Gründe zu übersehen, stellt die kapitalistische Systemkrise die Hauptursache dar. Die aus der USA und den kapitalistischen Metropolen Europas exportierte Finanzkrise hat ohne jegliche Vorwarnung weite Teile der Griech*innen getroffen. Eine drastische Verarmungswelle ist durch die Bevölkerung gegangen. Das Einkommen der Haushalte ist um bis zu 45 Prozent gesunken, das Bruttoinlandsprodukt um 15 Prozent eingestürzt. Dazu erreichte die Arbeitslosigkeit fast 30 Prozent. Begleitet von einer starken sozialen Ungerechtigkeit und Umweltbeeinträchtigung. Die gebildete Jugend wanderte aus, die Perspektivlosigkeit breitete sich aus. Die Eurorettungsprogramme der EU und der Troika wurden in Form der Memoranden Griechenland aufoktroyiert, was ein großer Teil der Griech*innen als eine von außen diktierte Anpassungspolitik empfanden.

Wolfgang Schäuble wurde in Griechenland zum Feindbild gemacht, die Griech*innen wurden in Deutschland als ein marodes und korruptes Volk dargestellt. So treffen zwei Populismen aufeinander, welche die eigentlichen Tatsachen und Ursachen der Krise verdunkeln. In Griechenland wurde „übersehen“, dass die eigenen Regierungen der letzten Jahrzehnte – PASOK und Nea Dimokratia – für die Krise mitverantwortlich sind, in Deutschland wurde die Eurokrise als eine Staatsschuldenkrise Südeuropas dargestellt. Die Umwälzung der Verluste auf die breite Bevölkerung erhöhte das Gefühl der Ungerechtigkeit und schüttete Wasser auf die Mühle der Populist*innen. Trotz alledem radikalisierte sich die Mehrheit der Griech*innen nicht nach rechts, sondern nach links. Die linksradikale Partei SYRIZA wurde 2012 zur Oppositionspartei und gewann 2015 die Wahlen. Dies versetzte die griechischen Eliten in Panik, die europäischen Eliten hielten ebenfalls den Atem an, aus Angst eines Übergreifens linker Radikalisierung auf den wohlhabenden Norden. Um dies zu vermeiden, gaben die Medien und das politische System den Populist*innen im eigenen Land viel Raum. Ein breiter Rechtsruck machte sich in ganz Europa bemerkbar.

Zur selben Zeit, 2015, gab es eine weitere Krisensituation. Die „Flüchtlingswelle“ rollte nach Europa. Kriege, Hunger und Klimawandel vertrieben Millionen Menschen aus ihrem Lebensraum. Ein kleiner Bruchteil davon – weniger als 10 Prozent – machte sich auf den Weg nach Europa. In Griechenland sammelten sich über eine Million Menschen, viele schafften es nicht, das Mittelmeer wird zu ihrem Verhängnis. Die Willkommenspolitik der deutschen Regierung wird von der Grenzschließung der Visegrád-Staaten eingeholt. Die EU der 500 Millionen Einwohner*innen und des Wohlstands schafft es nicht, ein paar hunderttausend Menschen aufzunehmen. Sie zieht einen Deal mit der Türkei vor, was zu einer verheerenden Situation auf den griechischen Inseln führte. Moria wurde das Bild des Menschenelends und des Versagens gemeinsamer europäischer Politik. 

Die Populist*innen in Deutschland ergriffen Ihre Chance. Die AFD profiliert sich anhand beider Krisen: Euro- und sogenannte Flüchtlingskrise. Sie machte sich zu einer bedeutenden Parlamentspartei und verschob dadurch die gesamte politische Achse nach rechts. Gleichzeitig entstand eine bemerkenswerte Zusammenarbeit der deutschen extrem Rechten mit den griechischen Neonazis. Griechenland, vor allem Lesbos, wurde zum bevorzugten Reiseziel der deutschen Nazis, wo sie gemeinsam mit ihren griechischen Gesinnungsgleichen die dort lebenden Flüchtlinge terrorisierten. 

Die Flüchtlingskrise wurde von Nea Dimokratia Griechenlands politisch ausgenutzt, um quasi SYRIZA dafür verantwortlich zu machen, ungeachtet der Tatsache, dass dieses Narrativ die Neonazis stärkte. Als diese Partei die Wahlen 2019 gewann, setzte sie teile der Neonazipolitik um. Bezeichnend dafür ist die sofortige Abschaffung des Ministeriums für Migration. Was, angesichts der großen Anforderungen, nach sechs Monaten wieder rückgängig gemacht wurde. 

Zurück zu Gerichtsverhandlung: Die antifaschistische Bewegung und die große Öffentlichkeitsarbeit haben dazu beigetragen, dass die Neonaziorganisation als eine kriminelle Vereinigung verurteilt wurde. Mehr als 40.000 Antifaschist*innen haben vor dem Gericht am 7. Oktober bei der Urteilverkündung gejubelt. Die Goldene Morgenröte ist zerschlagen worden, ihre Führung ist bereits im Gefängnis. 

Sind ihre Ideen Tod? Leider nicht. Dafür ist ein vehementer unaufhörlicher Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit, die Kriege, die Ausbeutung der Menschen und der Natur und der Fluchtursachen nötig. 

 

*Giorgos Chondros, Jahrgang 1958, ist Ethnologe und Umweltpolitiker. Als Gründungsmitglied der griechischen Regierungspartei Syriza hat Chondros die Schuldenkrise seines Landes und die Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern von Anfang an begleitet. Aus erster Hand kann er berichten, wie eine entwickelte Industrienation binnen weniger Jahre an den Rand des Ruins getrieben wurde.

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