Griechenland: „Es tut weh!”

Archivbild. Foto: W. Aswestopoulos

Polizei gegen Bürger, die sich gegenübermäßige Polizeigewalt beschweren, während Polizei und Regierung mit Desinformationsversuchen diese zu rechtfertigen suchen.

Das vergangene Wochenende hat den Griechen ein neues Crescendo der Polizeigewalt beschert. Der mehrfache Ausruf „Es tut weh“ eines von Polizisten brutal zusammengeschlagenen Bürgers entwickelte sich zum Trend in den griechischen Medien. Anders als sonst spielte sich das Geschehen nicht in Exarchia, sondern im gut bürgerlichen Athener Vorort Nea Smyrni ab. Regierung und Polizei machen im Krisenmanagement nach dem Eklat alles andere als eine gute Figur.

Weil wir es so wollen!

Alles begann am Sonntagmittag um kurz nach 14 h auf dem zentralen Platz von Nea Smyrni. Zwei Mütter, Schwägerinnen, waren mit ihren achtjährigen Kindern auf dem Platz unterwegs. Sie hatten vollkommen korrekt mit dem Code 6 eine SMS an die Nummer 13033 vom zentralen Server des Staats geschickt. Mit diesem Code ist es trotz der Ausgangssperre und bis 19 h abends erlaubt, sich im Umkreis von zwei Kilometern von der eigenen Wohnung zum Zwecke der körperlichen Ertüchtigung außen aufzuhalten. Die Mütter hatten ihren Kindern die Fahrräder mitgebracht, mit denen diese einige Runden auf dem Platz drehen sollten. Genau dies ist der Sinn des Codes 6.

Die beiden Frauen waren kaum auf dem wie eine Parkanlage gestalteten Platz, als Polizisten der DIAS Einheit ankamen. Die Polizisten verlangten die Ausweise der Frauen sowie die Aushändigung der Mobiltelefone. Sie sahen den Code und die Übereinstimmung der Namen und erteilten einen Platzverweis. Die Damen widersprachen. Denn gemäß den Regeln hatten sie nichts Verbotenes getan.

„Hast Du den Platz gekauft?“, fragte einer der Polizisten in harschem Ton. „Können wir vernünftig reden?“, antwortete eine der Frauen. Sofort zückten die Polizisten den Block für die Strafzettel und verpassten beiden Frauen einen Bußgeldbescheid über 300 Euro. Sie belehrten die beiden, dass sie schlicht den Platz hätten verlassen müssen, nun aber Bußgeld zahlen müssten. „Aber warum?“ – „Weil wir es so wollen.“

Ebenfalls auf dem Platz, aber auf einer den Frauen gegenüberliegenden Seite, war eine Gruppe von Jugendlichen. Sie hatten sich ebenfalls mit dem Code 6 außer Hauses begeben und auf dem Platz getroffen. Einer der Jugendlichen eilte zu den Polizisten, die der Frau den Strafzettel ausstellten. Er fragte sie, warum sie den Frauen mit Kindern Strafzettel ausstellen würden.

Das goutierten die Polizisten überhaupt nicht. Sie teilten dem jungen Mann mit, dass er nun festgenommen sei. Er versuchte daraufhin, den Ort zu verlassen, wurde überwältigt und von mehreren Beamten zusammengeschlagen. Dabei setzten die Beamten auch metallene Schlagstöcke ein, deren Einsatz in Griechenland eigentlich verboten ist.

Der junge Mann wehrte sich nicht, er schrie, dass er Schmerzen habe. Dies schien die Beamten nur zu noch mehr Gewalt zu animieren. Das Geschehen wurde von zahlreichen Anwohnern beobachtet und mit Mobiltelefonen gefilmt. Die Beamten hatten per Funk Verstärkung angefordert und dabei von einer Gruppe von 40 Chaoten gesprochen, welche sie angeblich angegriffen hätten. Binnen weniger Minuten wurde der zentrale Platz der ruhigen Wohngegend zum Schauplatz eines polizeilichen Großeinsatzes gegen alles und jeden. Die Beamten drohten den Bürgern, dass sie sie bei Veröffentlichung von Videos wegen eines Kapitalverbrechens verhaften würden.

Der offizielle Polizeibericht an die Medien sprach von der Gruppe der vierzig Chaoten, welche bei ihrem Angriff zwei Beamte verletzt hätten. Dies wurde durch die in sozialen Netzwerken kursierenden Videos vom Geschehen eindeutig widerlegt. Die Videos fanden ihren Weg auch in die regierungsnahen Fernsehstationen und wurden selbst im staatlichen Rundfunk mehrfach gezeigt.

Die vierzig, offenbar nur in der Fantasie der Polizisten existierenden Chaoten wurden selbst mit Großeinsatz und intensiver Fahndung nicht aufgefunden. Zwischenzeitlich hatten Regierungspolitiker im Fernsehen die Zahl der Chaoten auf sechzig erhöht. Es half nichts, denn immer mehr Bürger, aber auch Journalisten beschwerten sich über die übermäßige Polizeigewalt.

Missglücktes Krisenmanagement

Polizeigewerkschaftler versuchten in Livesendungen, die Gewalt mit abenteuerlichen Geschichten zu entschuldigen. Nachdem die Mär der vierzig Chaoten nicht mehr haltbar war, wurde die Gewalt mit einem angeblichen Versuch des Jugendlichen, den Beamten die Waffen zu entreißen, begründet. Dies sei, so hieß es zunächst, auf den zahlreichen Videos nicht sichtbar, weil der Vorfall einige Minuten vorher stattgefunden hätte. Auch diese Geschichte konnte nicht schlüssig erklärt werden. Denn selbst wenn der junge Mann Minuten vor dem Vorfall den Beamten die Waffen abnehmen wollte, warum wandten sich die Beamten dann den beiden Frauen zu, während der Jugendliche nur etwas weiter weg, in Sichtweite, ruhig mit seinen Freunden herumstand?

Später wurden die vom verprügelten Opfer zum Schutz ausgestreckten Hände nicht als Abwehrversuch, sondern als bewusstes Greifen nach der Waffe eines der prügelnden Polizisten gedeutet. Auch dies half nicht, die öffentliche Meinung umzustimmen.

Aristia Peloni konnte bei der Pressekonferenz der Regierung die kritischen Fragen von Journalisten nicht beantworten. Sie verweigerte die Auskunft über die eigentlich gesetzlich nicht zulässigen Schlagstöcke und weitere Details. Im Rahmen der Berichterstattung über den Gewaltexzess von Nea Smyrni, der am Sonntagabend ein weiteres Nachspiel hatte, wurde in weiteres Detail der Regierungspolitik bekannt.

Heimlich, still und leise hatte diese eine von ihr eingesetzte Kommission zur Überprüfung von übermäßiger Polizeigewalt auf Eis gelegt. Die Kommission unter dem Vorsitz des Universitätsprofessors Nikos Alevizatos war im Dezember 2019 einberufen worden, um im Auftrag der Regierung die Vorwürfe übermäßiger Polizeigewalt zu untersuchen. Der Jurist Alevizatos hatte sich bislang nicht zu Wort gemeldet. Am Montag erklärte er gegenüber den Medien, dass die Kommission von der Regierung nicht mehr beachtet wurde und ihre Arbeit eingestellt hatte.

Alevizatos erwähnte, dass er im Mai 2020 eine Akte mit rund zwanzig Fällen übermäßiger Polizeigewalt übergeben und seitdem nichts mehr von der Regierung gehört habe. Regierungssprecherin Peloni erklärte hingegen, die von der Kommission übergebenen Fälle würden zügig bearbeitet.

Datenschutz? Nicht, wenn die politische Einstellung nicht stimmt!

Für Aufsehen sorgte der Parlamentsabgeordnete der regierenden Nea Dimokratia, Konstantinos Kyranakis. Er lieferte am Montagmorgen in einer Fernsehsendung die persönlichen Daten und den politischen Hintergrund des Verprügelten. Dieser sei, so Kyranakis, keineswegs ein harmloses Opfer. Er nannte den Namen des Mannes und wurde sofort vom Moderator der Sendung unterbrochen.

Kyranakis ließ sich nicht beirren und fuhr mit seinem Victim-Blaming fort. Der Verprügelte habe an Demonstrationen zur Unterstützung des im Hungerstreik befindlichen Dimitris Koufontinas teilgenommen und war laut den Angaben des Parlamentariers an einer Flugblattaktion vor dem Gesundheitsministerium beteiligt. Die Flugblattaktion bezeichnete der Politiker als Angriff. Schließlich nannte Kyranakis auch eine autonome Gruppe, welcher der Verprügelte angehören soll.

Die Regierungssprecherin wurde auch zu diesem Vorfall befragt. Sie sollte kommentieren, wie der gesetzliche Schutz persönlicher Daten aufrechterhalten werden könne, wenn Parlamentarier die Namen von Bürgern, samt persönlicher Daten, im Fernsehen verbreiten würden. Pelonis Statement war, dass die Daten der Person öffentlich seien, weil das Gesicht im Fernsehen gezeigt wurde. Die Regierung habe keine Verantwortung für das Video, welches den jungen Mann als Prügelopfer zeigt. Eine Meinung, welche der studierte Jurist Kyranakis auch in den abendlichen Hauptnachrichten des Senders Mega TV wiederholte.

Tatsächlich ist Kyranakis offenbar nicht für das Datenleak verantwortlich. Denn sämtliche Daten über den jungen Mann wurden allen Parlamentariern von der Nea Dimokratia als „non paper“ übergeben. Die Parlamentarier sollten in der Folge bei öffentlichen Auftritten die Reputation des Prügelopfers schädigen und so die Gewalt entschuldigen.

Bereits am Montagabend gab es den nächsten Vorfall. Diesmal sollen sich an der Metro Station Panormou im Athener Viertel Ampelokipoi laut Polizeibericht 100 Personen aggressiv auf eine Polizeistreife zubewegt haben. Daraufhin habe diese Verstärkung gerufen, weil in der Nähe die Gebäude der Polizeidirektion sind. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd fuhren Motorradpolizisten durch die Straßen und beschädigten mit Absicht mit ihren Schlagstöcken parkende Autos.

Ob sich die Besitzer der Autos in der Vergangenheit etwas zuschulden haben kommen lassen, ist noch nicht bekannt.

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