Gegen den Trend befeuert die Pandemie in Finnland einen Babyboom

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In Finnland sind derzeit nicht die Intensivstationen überlastet, sondern die gynäkologischen Abteilungen der Krankenhäuser. Über die Gründe des Geburtenwachstums wird gerätselt.

„Die Maschine läuft Tag und Nacht“, sagt Katja Koskinen, Oberschwester eines Krankenhauses in Helsinki unverblümt gegenüber den finnischen Medien.

Von einem Babyboom wird dort schon seit Anfang des Jahres gesprochen, nun beweist auch eine aktuelle Studie der Universität Wien, dass das nordeuropäische Land im Vergleich mit 30 westlichen Ländern Spitzenreiter in Sachen Geburtenwachstum ist. In den meisten dieser Staaten hat sich die Pandemie negativ auf das Kinderzeugen ausgewirkt, wie sich seit Oktober letzten Jahres zeigt.

Laut dem Demographen Tomas Sobotka habe die Pandemie „massive Auswirkungen“ auf die Geburtenentwicklungen in den jeweiligen Ländern, wie er auf einer Online-Präsentation Anfang dieser Woche erklärte. Während in dem gebeutelten Italien die Rate um über 20 Prozent zurückging, kamen in Finnland von Januar bis Mai sechs Prozent  mehr als in der vergleichbaren Zeit von 2020 auf die Welt. Auch im Sommer melden Krankenhäuser in Helsinki wie in der Provinz Rekordwerte.

Wieso die Trendwende? Bekannt war Finnland vor allem als die am meisten überalterte Gesellschaft und für Geburtenrückgang – noch im Jahr 2010 lag die Geburtenrate statistisch bei 1,87 Kinder pro Frau, im Jahr 2020 nur noch bei 1,37 Kindern. Im Jahr 2016 wurden erstmals weniger Menschen geboren als Menschen starben.

Als Gründe gelten die hohen Immobilienpreise und die hohe Scheidungsrate von rund 50 Prozent. Und während rund 10 Prozent der Frauen einkommensschwach seien, so wären es unter den Männern bereits 18 Prozent. Viele Finnen würden daher in einen „Zeugungsstreik“ treten. Wie auch der finnische Männerrechtsverein  die Jungen schon im Schulalter durch ein Schulsystem benachteiligt sieht, was sich im Berufsleben und in der Familienpolitik fortsetzen soll. Folgen der profeministischen Politik, die in Finnland umgesetzt und reklamiert werde.

Festgestellt kann jedenfalls eine offensichtliche Verweigerungshaltung, was das Gründen eine Familie betrifft. Im Familienbarometer 2015 hielten fast 15 Prozent der Finninnen im gebärfähigen Alter die Null für ihre ideale Kinderzahl. In früheren Studien machten diese Frauen nur einen  Anteil von zwei bis vier Prozent aus.

Die finnischen Medien weisen darauf hin, dass die geringe Anzahl der Covid-19-Toten (487) und der recht gelungene Schutz der vielen alten Menschen einen Vertrauensbonus gegenüber dem Staat geschaffen habe. Auch das Arbeiten zu Hause gilt nicht als wirklicher Kulturschock in dem Land mit einer weit entwickelten Digitalisierung.

Laut Kimmo Jokinen, Professor für Familienforschung, hätten die meisten finnischen Familien die Pandemie bislang gut überstanden und sogar teils positiv erlebt. Die Soziologin Anna Rotkirch sieht in Finnland eine Werteveränderung. Es seien Ausreden weggefallen, wie Reisen und Hobbys, um das Zeugen eines Kindes zu verschieben. Auch glaubt sie, dass das Wohlfahrtssystem die Frauen absichert, in anderen skandinavischen Ländern gingen die Raten auch nicht radikal zurück. Eine Erklärung für das Anwachsen der Geburtenrate ausgerechnet in dem Land, wo sie massiv zurück ging, hat sie jedoch auch nicht.

Dabei ist das Gebären in Zeiten von Covid-19 auch in Finnland nicht ungefährlich. Aufgrund des Geburtenrückgangs wurden kleinere Entbindungsstationen geschlossen, so dass Hebammen bereits im Frühjahr über Personalmangel und Überlastung klagten. Das dadurch vernachlässigte Testen führte zu Corona-Wellen in den finnischen gynäkologischen Abteilungen.

Die finnische Geburtenrate gibt schon seit langem Rätsel auf

In den Nuller Jahren stiegen die Geburten zwischenzeitlich wieder an, die sich seit 1989 im Abwärtstrend befanden. Im Jahr 2002 waren es noch 1,72 Kinder pro Frau; 2010 waren es bereits 1,87. Damit näherte sich das Land der Rate von 2,1, wo sich eine Gesellschaft ohne Einwanderung reproduzieren kann. Finnland wurde von japanischen Wissenschaftlern besucht, um dieses Phänomen näher zu verstehen. Das asiatische Land leidet seit langem unter Stagnation – in der Wirtschaft wie im Kreißsaal. Allerdings sank die Geburtenrate dann nach 2010 wieder.

Im Herbst will die finnische Regierung dem Rätsel von Geburtenrückgang und –wachstum auf die Spur kommen und mit einer aufwendigen Erhebung junge Finninnen und wohl auch Finnen befragen. Vielleicht finden sie auch heraus, warum sich das Land, in dem Pessimismus zur nationalen Grundhaltung gehört, die Geburtenrate in dieser Krise gestiegen ist.

Das Problem des – auf längere Perspektive herrschenden – Geburtenrückgangs wird auch von einem seit 2020 aktiven Netzwerk von finnischen Geburten- und Fruchtbarkeitsforschern angepackt. Kontakte wurden bereits zu anderen skandinavischen Forschern und internationalen Organisationen geknüpft, Webinare werden in Zukunft angeboten. Gleichzeitig wollen sie das Thema mehr in die Medien bringen und finnische Paare bei der Familienplanung helfen. Durch die Verschiebung des Kinderwunsches in das höhere Alter ergeben sich Probleme mit der Fruchtbarkeit.

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