Frauke Petry: „Die Opportunisten in der AfD dienen sich den Extremisten an“

Frauke Petry im Bundestag. Bild: Achim Meld/Deutscher Bundestag

Die ehemalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry im Interview über Lehren aus der Vergangenheit und darüber, was sie aus der Geschichte gelernt hat.

 

Die sächsische Chemikerin und ausgebildete Organistin und Chorleiterin Dr. Frauke Petry wurde als Unternehmerin vielfach, unter anderem mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik, ausgezeichnet, 2011 erhielt sie für ihre „erfolgreiche Existenzgründung in einer männerdominierten Branche“ den Gründerinnenpreis des Landes Sachsen. Von Anfang 2013 bis zur Bundestagswahl 2017 war sie Bundessprecherin der AfD, zuerst auch mit dessen Gründer Bernd Lucke. Petry galt zunächst als Wortführerin des nationalkonservativen Flügels, nach Machtkämpfen geriet sie eher zur Kritikerin dieses Flügels und vertrat extrem wirtschaftsliberale Positionen. Sie war auch langjährige Fraktionsvorsitzende der AfD im sächsischen Landtag und wurde 2017 als Direktkandidatin des Wahlkreises Sächsische Schweiz/Osterzgebirge in den Bundestag gewählt, dessen Abgeordnete sie bis jetzt ist. Kurz nach der Bundestagswahl 2017 trat sie aus der AfD aus. Internationale Bekanntheit erreichte sie durch ihre gemeinsamen Auftritte und die Zusammenarbeit mit Marine LePen, Geert Wilders und Matteo Salvini (Lega), der heute wieder Innenminister Italiens ist. Nach diversen Skandalen in der AfD enthüllte sie 2021 unter anderem gegenüber ARD und ZDF Interna aus der AfD.

 

„Andere in der AfD waren mit der lukrativen Versorgung im Parteiensystem zufrieden“

Was ist denn Ihr Fazit nach den letzten Jahren in der Politik allgemein und persönlich?

Frauke Petry: Als ich mich im Herbst 2012 mehr zufällig im Gründungsteam der AfD wiederfand, war ich Feuer und Flamme für die Idee einer neuen bürgerlichen Partei, die Deutschland so dringend brauchte und die weiterhin fehlt. Aus heutiger Sicht war ich aber bezüglich der strukturellen Defizite aller Parteien und folglich des politischen Systems zu unerfahren. Diese Fehler finden sich sogar im viel gelobten Grundgesetz.

Wo ich den politischen Aufbruch wollte, waren andere in der AfD schon früh mit der dauerhaften lukrativen Versorgung im Parteiensystem zufrieden, die das schlimmste Gift auf allen parlamentarischen Ebenen darstellt. So wurde aus einer riesigen politischen Chance in einem Zeitfenster bis Mitte 2017 ein gigantischer Rückschlag für alle freiheitlichen Kräfte dieses Landes, der unvermindert anhält und seit 2020 zudem von einer irrationalen Corona-Panik beflügelt wird. Mit Ausnahme weiter Teile Ostdeutschlands akzeptieren viele Bürger autoritäre sozialistische Strukturen, als hätte es die DDR und den Nationalsozialismus auf deutschem Boden nicht gegeben.

In der AfD scheinen sich aber nun komplett die völkischen, antisemitischen und verschwörungstheoretischen Kräfte durchgesetzt zu haben? Gemäßigte Verbände der Hamburger unterliegen den rechtsextremistischen …

Frauke Petry: Durchgesetzt haben sich – wie in allen anderen Parteien – die Opportunisten. Diese dienen sich seit 2017 in immer stärkerem Maß den Extremisten an.

Hören Sie denn etwas aus der AfD, wie dort so die Stimmung ist?

Frauke Petry: So schlecht, dass im Jahr nach der Bundestagswahl ein Abgang Dutzender Abgeordneter und Funktionäre auf allen Ebenen stattfinden wird.

Was man so hört, soll Jörg Meuthen abgesägt werden?

Frauke Petry: Ja.

„Wir waren kurz davor, die politische Landschaft dieses Landes neu zu ordnen“

Wird es dort weitere Skandale geben?

Frauke Petry: Das spielt aus meiner Sicht keine große Rolle mehr. Zu viele Medienkanäle haben sich seit 2013 an der AfD auf eine Weise abgearbeitet, dass es inzwischen für den normalen Zuschauer unmöglich ist, zwischen echt und aufgebauscht zu unterscheiden. Außerdem haben in all den Jahren nur die Extremisten wie Höcke und andere von diesen Skandalen medial profitiert, während die bürgerlichen Teile daran zugrunde gegangen sind.

Aber hat denn nicht die Agitation, welche die AfD mitverantwortet, die Taten von Halle und Hanau mit ausgelöst?

Frauke Petry: Das ist eine wichtige Frage, die ich gern erweitern möchte: Wo liegt die Verantwortung für die gesellschaftliche Spaltung im gesamten Westen, für den wieder auflebenden Antisemitismus, religiösen Fanatismus, für Extremisten von rechts und links, die wehrlose Bürger mit oder ohne Parteibuch, Migranten oder Staatsbürger, Frauen und Männer, zusammenschlagen oder versuchen umzubringen?

Bei allem Widerwillen, den ich gegenüber der heutigen AfD empfinde, wäre es kurzsichtig, in ihr den alleinigen Sündenbock zu suchen. Der gesellschaftliche Zerfall des Westens erinnert an spätrömische Zustände: Der innere Zusammenhalt einer bürgerlichen Gesellschaft und der persönliche Einsatz für die Verteidigung der Freiheit gegen äußere und innere Feinde sind seit Jahrzehnten der Sucht nach staatlicher Fürsorge und Betreuung gewichen. Damit einhergegangen ist die völlige Politisierung des Privatlebens bis hin zur Abfrage des individuellen Gesundheitsstatus, was bis vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Verantwortlich dafür sind alle Parteien, aber auch alle Bürger, die durch ihre Wahl diese Parteien seit Jahrzehnten erst dazu ermächtigt haben.

Aber wo sehen Sie denn die AfD in Zukunft?

Frauke Petry: In meinem kürzlich erschienenen Buch „Requiem für die AfD“ gehe ich dieser Frage nach und erzähle ihre Geschichte seit 2013, wie man sie nirgends in den Medien lesen kann. Eines kann man abseits der spannenden Details aber schon jetzt sagen: Die AfD verdankt ihre Entstehung und auch Teile ihres Erfolges dem Versagen der anderen Parteien, allen voran dem der CDU und der FDP. Deren andauernde Schwäche, die sich auch durch den Bundestagswahlkampf 2021 zieht, ermöglicht der AfD mehr Mandate, als sie aus eigener Kraft noch erringen könnte.

„Unsere deutsche Geschichte verlangt mehr Sorgfalt und Abgrenzung gegenüber Extremisten“

Und hätten Sie aus heutiger Sicht einiges anders gemacht in Ihrer AfD-Zeit?

Frauke Petry: Im Rückblick ist es immer viel leichter, Entscheidungen differenzierter zu bewerten und emotionale Momente rational zu analysieren. Das gilt auch für mich; auch hierzu nehme ich in meinem Buch ausführlich Stellung. Fakt ist, dass wir mit der AfD zwischen 2015 und 2016 kurz davor waren, erhebliche Teile des bürgerlichen Umfelds von CDU und FDP für uns zu gewinnen und damit die politische Landschaft dieses Landes neu zu ordnen. Dass diese Strategie nicht nur von außen, sondern mindestens so stark aus den eigenen Reihen torpediert wurde, verhalf nicht nur den Extremisten zu innerparteilicher Macht, sondern begründet auch den Niedergang der AfD.

Ist denn eine konservative oder gemäßigt rechte Politik in Deutschland ohne Antisemitismus überhaupt möglich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte? Zugleich ist Antisemitismus auch in der Linken sehr stark verbreitet?

Frauke Petry: Unsere Geschichte verlangt von Parteien rechts der Mitte zweifellos mehr Sorgfalt und Abgrenzung gegenüber Extremisten als in anderen Ländern. Das gilt auch für das Problem des Antisemitismus, der verstärkt am rechten und linken Rand und unter Migranten auftritt.

Umso wichtiger ist die Existenz von gemäßigt rechten Kräften, wenn wir den Wettbewerb zwischen politischen Ideen für unsere Gesellschaft für notwendig halten. Die Balance zwischen staatlicher Betreuung und Freiheit, zwischen Wettbewerb und Regulierung, Meinungsfreiheit und Moral, Ideologie und Wissenschaft oder Vernunft und Gendersternchen kann nur gelingen, wenn es Debatten zwischen links und rechts auf Augenhöhe gibt und wenn Medien sich nicht politisch so eindeutig verorten, wie es der öffentlich-rechtliche Rundfunk und viele Medienhäuser derzeit tun, nämlich mit rot-grüner Schlagseite.

Aber was ist überhaupt heute noch konservativ oder rechts oder links? Gibt es das überhaupt noch?

Frauke Petry: Tatsächlich sind diese Begrifflichkeiten für die meisten Menschen völlig vernebelt, so wie sie mit Politik und ihren überwiegend unehrlichen Debatten verständlicherweise am liebsten nichts zu tun hätten. Als mein zehnjähriger Sohn mir vor wenigen Tagen genau diese Frage stellte, gab ich folgende Antwort:

Traditionell sind links die Sozialisten, die staatliche Autorität und Fürsorge bis hin zur staatlichen Wirtschaftslenkung befürworten. Rechts verortet werden dagegen bürgerliche Kräfte, die Föderalismus, individuelle Freiheit und Verantwortung im Wirtschafts- und Privatleben für die Garanten des gesellschaftlichen Wohlstands halten. Außerhalb Europas kann man diese Unterschiede vor allem in den USA noch gut erkennen, während hierzulande die sozialistische Versuchung des Sozialstaats politische Unterschiede zwischen den Parteien längst verschüttet hat.

„Mein Heimatland wird mir von Jahr zu Jahr fremder“

Das ist aber sehr schematisch, zumal in den USA traditionell die Linken als die „Liberalen“ gelten … Und von Sozialismus ist in Deutschland nicht viel zu erkennen. Sind Sie denn eigentlich Feministin?

Frauke Petry: Urteilen Sie selbst: Ich bin Mutter von sechs eigenen Kindern und zusätzlich „Stiefmütterchen“ von vier Kindern meines zweiten Ehemanns, Wissenschaftlerin und ehemalige Unternehmerin. Ich möchte, dass alle unsere Kinder starke und zufriedene Erwachsene werden und sich ihrer Natur – ob Frau oder Mann – auf positive Weise bewusst sind. Bei uns zu Hause müssen sich alle in Mathematik Mühe geben, aber wenn die Jungs lieber mit Stöcken spielen als die Mädchen, halte ich das für völlig in Ordnung.

Sie halten nichts von politischer Korrektheit?

Frauke Petry: Nichts!

Sie sind sicherlich auch nicht antideutsch, aber gibt es Dinge, die Sie nicht mögen an Deutschland?

Frauke Petry: Ich bedauere zutiefst, dass Freiheit und Eigenverantwortung in Deutschland schon immer einen zu geringen Stellenwert haben. Zwar würden Bürger zu Recht dem Staat nicht freiwillig ihre Ersparnisse anvertrauen, rufen aber gleichzeitig nach einer umfänglichen Staatsrente. Hier leben zu viele Untertanen, die anfällig für ideologische Verführungen sozialistischer Blütenträume sind. Seitdem Corona-Maßnahmen dazu genutzt werden, selbst Kinder unnatürlich zu konditionieren …

… wir sind aber in einer pandemischen Lage und eine Maske ist ein Kleidungsstück, das dagegen schützt …

Frauke Petry: … und ein mir allzu bekanntes Denunziantentum unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes zu fördern, wird mir mein Heimatland von Jahr zu Jahr fremder.

Ist denn nicht vielmehr das größte Problem der Gesellschaft, dass fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland, gleich welcher Herkunft und welchen Hintergrundes, – nämlich die Ärmeren – im öffentlichen Leben nicht vorkommt, quasi unsichtbar ist und in einer Schattenwelt der Verzweiflung fern der Mehrheitsgesellschaft des Wohlstandes lebt? In diesen Stadtteilen machen ja die großen Parteien auch keinerlei Wahlkampf mehr …

Frauke Petry: Die Spaltung der Gesellschaft zeigt sich an diversen Bruchlinien: wirtschaftlich wie hier angesprochen, aber auch beim Bildungsniveau und politischen Ansichten. Tatsächlich hat die Umverteilung von Steuergeld durch die Politik gigantische Ausmaße erreicht und erdrosselt die öffentlichen Haushalte, ohne dass den ärmeren Bürgern dadurch viel geholfen würde. Hier gilt wie überall, dass dauerhafte Geldtransfers nur zur Verstetigung von Armut führen, anstatt aus dieser herauszuhelfen. Die unangenehme Wahrheit ist, dass der vielgelobte Sozialstaat Probleme verursacht, die er vorgibt zu lösen. Und klar ist auch, dass bildungsferne ärmere Bürger anfällig sind für materielle Versprechungen jeglicher Couleur.

Reichere mit formaler Bildung aber auch … Und Geldtransfers finden in Deutschland faktisch eigentlich eher von unten nach oben und an den Staat statt als andersherum. Und bei allen strukturellen Mängeln: Armut entsteht eher durch die Defizite eines Sozialstaates, nicht durch seine Existenz. Wen wählen Sie denn nun?

Frauke Petry: Das ist die schwerste Frage des Interviews, die ich Stand heute nicht beantworten kann. Dürfte ich eine vertrauenswürdige Gruppierung wählen, die glaubhaft dafür einsteht, nicht mehr einseitig über das Einkommen und das Leben ihrer Bürger zu verfügen und sich stattdessen ausschließlich um die Sicherheit an den Grenzen und auf öffentlichen Plätzen kümmert, dann wäre meine Stimme ihr sicher.

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