Im Innen- und Justizministerium wurden erneut Akten über Neonazis und V-Leute gelöscht – Aufklärung kann so nicht stattfinden
Die Sabotage des Landtagsgremiums, das fünf NSU-Morde und einen Sprengstoffanschlag in Bayern untersuchen soll, geht nach der Sommerpause weiter wie davor. Im Innen- sowie im Justizministerium des Freistaats sind erneut Akten zu dem Terrorkomplex gelöscht worden.
Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Justiz (StMJ) handelt es sich um 20 Akten zu 7 Personen, wie der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (Grüne) bekanntgab. Sechs Verfahren beträfen die Person Kai Dalek. Akten, die das StMJ für den ersten NSU-Ausschuss von 2012/2013 zur Verfügung gestellt hatte, habe das Ministerium zurückgeholt und dann vernichtet. Da es sich dabei um Papierakten handelte, sind sie verloren. Im Landtag sind sie jedenfalls nicht mehr vorhanden. Lediglich in einem Fall sollen es digitale Kopien gewesen sein, so Schuberl, die möglicherweise wieder herstellbar seien. Die anderen 14 Fälle betreffen zum Teil “prominente Neonazis” der rechtsextremen Gruppierungen Blood and Honour oder Fränkische Aktionsfront, darunter Leute wie der mehrfach verurteilte Anführer Martin Wiese. Diese Akten seien im Zeitraum des offiziellen Löschmoratoriums der Landesregierung gelöscht worden. Der Vorsitzende des U-Ausschusses warf deshalb die Frage auf, ob außerhalb des Löschmoratoriums vielleicht erst Recht und noch mehr Personenakten gelöscht wurden.
Sechs Aktenordner aus Papier zu vernichten, kann nicht etwa mit einem falschen Klick am PC erklärt werden. Dabei muss es sich um eine planmäßige Aktion gehandelt haben, die einen bestimmten Aufwand erforderte und eine bestimmte Zeitdauer in Anspruch genommen hat.
Das Justizministerium war zuständig, weil es um Ermittlungs- und Strafverfahren zu den betreffenden Personen ging, also um Unterlagen der Staatsanwaltschaft. Das betraf auch Kai Dalek.
Einigermaßen diffus sind die Vorgänge, für die das Staatsministerium des Innern (StMI) verantwortlich ist. Bei den Löschungen soll es angeblich lediglich um “Bereinigungen von Doppelungen” gegangen sein, es seien aber keine Datenverluste zu verzeichnen. Der Ausschuss bleibt skeptisch und verlangt vom Ministerium eine Erklärung zu allen Personen, die im Untersuchungsauftrag genannt werden, 169 an der Zahl, ob es bei ihnen weitere Löschungen gegeben habe.
Die neuerlichen Vernichtungsvorgänge sind umso bemerkenswerter, als erst im Juli bekannt geworden war, dass im bayerischen Landeskriminalamt nicht weniger als 565.000 Daten “versehentlich” gelöscht worden waren, darunter welche mit NSU-Bezug. Die Löschungen umfassten 29.000 Personendaten, unter denen wiederum mindestens eine zentrale Person war, die dem NSU-Umfeld zuzurechnen ist.
Weil der U-Ausschuss bisher keine Antwort bekommen hat, wie es zu den 20 aktuellen Fällen von Aktenvernichtungen im Justizbereich kam, will er nun beim Justizministerium jene Unterlagen anfordern, die zu den Vernichtungsvorgängen angelegt wurden. Außerdem verlangt er Auskunft über den Inhalt der vernichteten Akten.
Angesichts des bisherigen rücksichtslosen Verhaltens der Landesregierung im Umgang mit dem NSU-Ausschuss No. 2 kommt einem dieses Verlangen allerdings wie eine etwas ohnmächtige Verzweiflungstat vor. Obendrein wird dadurch die eigentliche Aufklärungsarbeit immer weiter nach hinten geschoben. Auf diese Weise kann ein Parlament von seinem Auftrag abgehalten werden.
Eine Front, an der die Abgeordneten regelmäßig mit den Sicherheitsbehörden zusammenprallen, betrifft auch den Umgang mit Akten in digitaler Form. Weil sie leicht kopierbar sind, geben die Behörden sie ungern heraus. Für aufklärungswillige Parlamentarier wiederum stellt die digitale Akte eine unverzichtbare Erleichterung der Recherchearbeit dar. Wo man sonst stundenlang in Papierakten blättern muss, um Namen und Begriffe zu finden, geht das in digitalen Akten in Sekundenschnelle.
Eine digitale Datei mit 200.000 Seiten gilt als “besonders geheimhaltungsbedürftig”
Jetzt erfuhr man aber, dass es bei einer dieser umstrittenen digitalen Akten um eine Datei gehe, die 200.000 Seiten (!) umfasse und die als “besonders geheimhaltungsbedürftig” eingestuft ist. Wohl gemerkt mit “NSU-Relevanz”. Darin mag der wahre Grund liegen, warum die Datei dem Ausschuss vorenthalten werden soll. Die digitale Form erscheint wie ein Vorwand für diese Vorenthaltung. Der Ausschuss hat in seinen Verhandlungen lediglich erreicht, dass ihm einzelne Teile, die herabgestuft werden, zur Verfügung stehen.
200.000 geheime Seiten, das erscheint wie das Schrifttum einer verborgenen Parallelwelt. Und eine der Personen, die in dieser Parallelwelt immer wieder auftaucht, ist jener Kai Dalek, zu dem nun sechs Akten vernichtet wurden. Nach allem, was man heute über Dalek weiß, war er nicht etwa nur ein einfacher Spitzel in der rechtsextremen Szene. Eher agierte hier ein V-Mann mit besonderem Auftrag, möglicherweise auch ein hauptamtlicher Staatsschützer, der in der Szene eine Anführerschaft eingenommen hatte. Im Zschäpe-Prozess vor dem Oberlandesgericht München legte Dalek einen bemerkenswerten Zeugenauftritt hin, indem er deutlich machte, dass er sich weniger als Neonazi sah, sondern sich mit dem Staat und dem Sicherheitsapparat identifizierte.
An Dalek knüpfen sich zahlreiche Fragen des Untersuchungsausschusses, wie: Liegen dem bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse vor, die Dalek übermittelt hat und die Personen sowie den Umgang mit Waffen betreffen, die später zum NSU-Kerntrio, zu dessen Unterstützern oder zu deren Umfeld gehört haben? Falls ja, welche konkreten Maßnahmen wurden daraufhin von den Behörden ergriffen? Oder: Dalek hat in einer Zeugenaussage die Einschätzung vertreten, dass die vom „Thüringer Heimatschutz“ an den Tag gelegten Militarisierungstendenzen mit dem thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz abgestimmt gewesen seien. Hat er diese Einschätzung auch dem bayerischen Verfassungsschutz gemeldet und falls ja, welche konkreten Maßnahmen wurden daraufhin von der Behörde ergriffen?
Brisante Fragen. Allerdings hat der U-Ausschuss des Landtags den Fragenkatalog zu Dalek gegenüber dem ursprünglichen Einsetzungsantrag für einen UA ausgedünnt.
Jetzt ist erneut ein Sitzungstag verloren gegangen, weil sich das Gremium damit beschäftigen musste, überhaupt das Material zu bekommen, das es braucht. Es hat für sein Arbeitsprogramm nur etwa ein Jahr Zeit, dann endet die Legislatur. Doch seit das Gremium im Juni 2022 mit seiner Arbeit begann, scheint es auf der Stelle zu treten. Zum Sand, den die Behörden ins Ausschussgetriebe werfen, kommt ein interner Streit. Die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler haben mehrere Beweisanträge der Opposition abgelehnt. Wie es mit diesen weitergeht, ist offen. Der angekündigte Zug der Ausschussminderheit vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof würde ebenfalls Zeit kosten.
Als ob das alles nicht schon Hindernis genug wäre, ist obendrein der geladene Zeuge nicht zur Vernehmung im Ausschuss erschienen. Warum, weiß man nicht, es kam keinerlei Rückmeldung von dem Zeugen.
Myteriöses Taschenlampenattentat
Dabei handelt es sich um Riza B., einen ehemaligen Pächter der Gaststätte Sonnenschein in Nürnberg, wo sich eine wenig bekannte Tat der NSU-Geschichte ereignete. Am 23. Juni 1999 ging in dem Lokal eine als Taschenlampe getarnte Sprengfalle hoch und verletzte einen Angestellten. Es war der erste von drei Sprengstoffanschlägen, er wird heute ebenfalls dem NSU zugerechnet. Das kam aber erst im Juni 2013 während des NSU-Prozesses in München durch die Aussage eines Angeklagten heraus. Dass die Gaststätte mit dem Namen “Sonnenschein” von jemandem mit “türkischer” Abstammung geführt wurde, konnten Ortsfremde, die einen Anschlag auf Migranten verüben wollten, nicht unbedingt wissen. Eine Parallele zur Sprengfalle in der Kölner Probsteigasse von 2001, in einem Lebensmittelgeschäft, das außen den Namen “Simon” stehen hatte, jedoch von einer iranischen Familie betrieben wurde.
Im Untersuchungsauftrag des Landtags ist dem sogenannten “Taschenlampenattentat” ein eigener Abschnitt mit Fragen gewidmet. Die erste lautet: “Liegen den bayerischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie dem LfV Erkenntnisse darüber vor, wer den NSU-Sprengstoffanschlag am 23. Juni 1999 in Nürnberg in der Gaststätte Sonnenschein begangen hat und von wem die Tat vorbereitet wurde?” Mit anderen Worten: Der Ausschuss geht nicht davon aus, dass die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos klar ist. Er benutzt eine offene Fragestellung, die es ermöglicht, in alle Richtungen nach Täter oder Tätern, Helfern oder Mitwissern zu suchen. Der “Nationalsozialistische Untergrund” könnte also mehr als das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe gewesen sein. Zugleich verlässt der Ausschuss damit auch das bisherige (Mehrheits-)Narrativ, das gerade auch von den zentralen Ermittlungsorganen getragen wird.
Vielleicht erklärt das, warum dieser Untersuchungsausschuss derart attackiert und behindert wird, selbst vier Jahre nach Ende des Prozesses noch. Der Schlussstrich, den die Bundesanwaltschaft begonnen hat, als sie Mitte September die Ermittlungsverfahren von fünf der neun weiteren Beschuldigten einstellte, ist Teil des großen nationalen Widerspruchs in Sachen NSU: Aufgeklärt und abgeschlossen – oder eben nicht?
Auf der Zeugenliste des bayerischen NSU-Ausschusses II steht demnächst der ehemalige Innenminister und Ministerpräsident Günther Beckstein.
Was erlauben sich eigentlich die sogenannten Abgeordneten, nach Gusto alle möglichen Akten einzufordern? Als ob nicht klar ist, wer im Staat bestimmt und wer der Clown ist.
Warum erscheint Moser und einige andere nicht mehr auf TP? Zu aufdringlich? Stören sie die Geschäftsinteressen? Nicht umsonst erscheint TP immer öfter als konforme Seite im Google-Nachrichten-Überblick.
Man könnte denken, nachdem TP eine bestimmte Leserzahl überschritten hatte, wurde es wichtig, dieses in das geltende Regierungsnarrativ einzugliedern. Daher wurde dort wohl nicht nur bei den linksorientierten Forenten “durchgekärchert”. Die von manchem unterstellte Funktion als Honigtopf für linke Meinungen und Forenten wurde wohl unwichtiger (wenn es sie je gab).
Steht womöglich ein Honigtopf jetzt woanders?
Aber TP geht ja auch gut mit Tante Gugl zusammen. Man lese zur Erinnerung immer mal wieder die Datenschutzerklärung … und auch den abzunickenden Hinweis auf Datentransfer nach Übersee bei Nutzung der Seite…
Und wer bezahlt eigentlich Overton?
“Der „Nationalsozialistische Untergrund“ könnte also mehr als das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe gewesen sein.”
Wie üblich müssen die fleißigen V-Engel¹ im Hintergrund bleiben. Auch ungenannt bleiben muss der vorausschauende Sachbearbeiter in der Beschaffungsabteilung² des Verfassungsschutzes, der bei den Aktenschreddern auf hochwertiger Qualitätsware statt billigem China-Schrott bestand, so dass die Schredder auch mal eine ganze Nacht durchlaufen können, wenn es das Staatswohl erfordert.
Dass einzelne Parlamentarier ernsthaft³ versuchen, dem Tiefen Staat per Untersuchungsausschuss auf die Spur zu kommen, ähnelt dem Versuch einen Banksafe mit einem kleinem Kreuzschlitzschraubenzieher aus dem 1-Euro-Shop aufzubohren.
¹Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mit einer Zusatzausbildung als Schutzengel; Dürfen leider nur im Inland tätig werden, was Anis Amri wohl nicht begriffen hatte
²Kein Zusammenhang mit Beschaffungskriminalität
³An der Stelle lasse ich mal den äußeren Schein gelten
Belastendes Beweismittel “aus Versehen” vernichten bzw. für 120 Jahre unter Verschluss legen oder wie bei Scholz einfach als geheim einstufen.
Von “Ermittlungspannen” usw. alleine rund um NSU, Amri, Wirecard etc. ganz abgesehen.
Die Kungelei zwischen Judikative und Legislative funzt super.
Demokratie und Rechtstaatlichkeit befinden sich in D in einem erschreckenden und nur noch begrifflich vorhandenen Zustand.
Wenn man bedenkt, dass selbiger Staat diese “Werteordnung” in der faschistischen Ukraine gerade mit deutscher Kriegsbeteiligung, Waffen und durch Kriegsopfer verteidigt, wird ein Schuh draus.