Flüchtlinge aus Belarus: Europäische Scheinheiligkeit

Flüchtlinge von Belarus, die nach Litauen wollen. Bild: Frontex-Video

 

Litauen und Polen sagen, Weißrussland würde einen hybriden Krieg mit Flüchtlingen aus dem Nahes Osten führen. Das dienst als Vorwand um die Grenzen zu schließen und die Flüchtlinge abzuschieben, wenn sie nicht aus der Ukraine oder Belarus selbst kommen.

 

Es ist menschenverachtend und übel, Flüchtlinge als politisches Erpressungsmittel einzusetzen, wie dies der türkische Präsident Erdogan vorgeführt und jetzt offenbar der weißrussische Präsident Lukaschenko als Reaktion auf Sanktionen imitiert hat. Angeblich werden Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien, Afghanistan etc., also aus den Kriegsgebieten, in denen die Nato engagiert war oder noch ist, mit Direktflügen aus dem Irak (Bagdad, Sulaymaniyah) und der Türkei (Antalya, Istanbul, Izmir) nach Minsk geflogen und von dort aus mit Fahrzeugen an die Grenze von Litauen und zuletzt auch von Polen nach der Aufnahme von Kristina Timanowskaja gebracht. Litauen und Polen dichten die Grenzen ab, um zu verhindern, dass Flüchtlinge ins Land gelangen. Frontex ist mit dabei. Umgekehrt schließt auch Belarus die Grenze, um eine Abschiebung der Flüchtlinge zu verhindern. Minsk behauptet, dass abgeschobene Flüchtlinge Verletzungen hatten, ein fast zu Tode geprügelter Iraker hätte es noch über die Grenze geschafft und sei in Belarus gestorben. Litauen bestreitet dies.

 

Allgemeine Stimmung im Westen ist, dass Belarus böse ist. Tatsächlich ist die gegen Litauen und Polen auf dem Rücken von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten ausgetragene Racheaktion verabscheuungswürdig, wenn die Vorwürfe stimmen. Der polnische Vize-Innenminister Maciej Wasik warf Minsk vor, einen hybriden Krieg gegen die EU mit den Flüchtlingen zu führen. Belarus würde die Einwanderer als „lebendige Waffen“ benützen. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki und Litauens Ministerpräsidentin Ingrida Simonytr spitzen die Beschreibung in einer gemeinsamen Erklärung noch weiter zu: „Wir verurteilen, dass die irreguläre Migration vom Lukaschenko-Regime zur Waffe gemacht wird mit dem Ziel, politischen Druck auf die EU und ihre Mitgliedsstaaten auszuüben.“

Die Flüchtlinge werden also als „Waffen“ des Lukaschenko-Regimes dargestellt, die man dann natürlich abwehren muss, anstatt sie als Asylbewerber aufzunehmen. Litauen setzt dazu auch Soldaten ein. Man muss hinzufügen, dass Litauen und Polen keineswegs von Flüchtlingen überschwemmt werden. Es sind ein paar Tausend, die ihr Heil in den beiden Ländern suchen und vermutlich dort sowieso nicht bleiben wollen, in Litauen sollen es in diesem Jahr bislang um die 4000 gewesen sein, in Polen 870. Polen wies 2020 von 2800 Asylanträgen 84% zurück, vor allem Russen, Ukrainer, Kirgisen, Armenier und Georgier, allerdings nur 20 Prozent der Weißrussen. Litauen hat wegen der unerwünschten Einwanderung eine „Extremsituation“ für das Land erklärt und Abschiebungsaktionen organisiert. Erwogen wird die Ausrufung des Notstands.

Vollends scheinheilig wird die von Litauen und Polen gleichfalls betriebene Instrumentalisierung der Flüchtlinge, wenn man sieht, dass sie zu den Ländern zählen, die sich besonders gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten stellten, weil sie aus einer anderen Kultur stammen, während sie viele Migranten aus der Ukraine und aus Belarus aufnahmen und aufnehmen. Man richte für weißrussische Flüchtlinge einen „humanitären Korridor“ ein, sagte Litauens Innenministerin Agne Bilotaite im Juni. Wer aus Belarus fliehe, werde immer Schutz in Litauen finden. Praktiziert wird eine Zwei-Klassen-Politik mit dem Unterschied zwischen erwünschten Einwanderern und „illegalen“ aus dem Nahen Osten. Dafür waren gerade die Asylgesetze verschärft worden, um die Asylverfahren in wenigen Tagen über die Bühne zu bringen, während die Rechte der Asylbewerber, die illegal über die Grenzen gekommen sind, beschnitten wurden. Seit 3. August darf bei der Abschiebung Gewalt angewendet werden.

Litauens Regierung fordert, dass Irak die Flüge nach Minsk einstellt, der Außenminister Gabrielius Landsbergis betonte, die Iraker würden gerne aus Minsk zurückfliegen, es sei hier entsprechend ein irakisches Flugzeug leer gelandet. Und die Innenministerin Agne Bilotaite erklärt, Menschenrechtsprobleme gebe es zuallerst in Belarus, wo die Flüchtlinge schlecht und unmenschlich behandelt würden, aber wohin Litauen diese gleichwohl abschiebt. Nur 56 von 700 zwischen letzten Dienstag und Freitag ergriffenen Flüchtlingen durften ins Land. Die letzten Tage kam kein Flüchtling mehr, mehr Soldaten sichern die Grenze, die mit Stacheldraht-Zäunen befestigt wurde. Jetzt soll jeder Flüchtling 300 Euro erhalten, wenn er in den Irak zurückkehrt. Wegen der Flüchtlinge kam es bereits zu Protesten der litauischen Bürger, die keine Migranten aufnehmen wollen. Dazu kommen Proteste gegen den geplanten Covid-Pass. Am Dienstag demonstrierten mehrere tausend Menschen vor dem Parlament in Vilnius.

Anatoly Glaz, Sprecher des weißrussischen Außenministeriums,  wies die Beschuldigungen zurück. Weißrussland würde wie andere europäische Staaten einen Anstieg der Flüchtlingszahlen feststellen, nur Litauen beklage sich. Man wolle Belarus die Schuld in die Schuhe schieben. Aber hinter den „Phrasen über Menschenrechte und Solidarität der hohen EU-Vertreter verbergen sich offensichtliche Fakten der ‚demokratischen‘ Auflösung von friedlichen Protesten und der Vertreibung von Migranten, auch von Schwangeren und Kindern, aus Litauen mit Waffeneinsatz.“ Aleksandr Volfovich vom Sicherheitsrat sagt, man müsse auf die Gründe der Flucht schauen, der Westen habe im Nahes Osten Kriege angezettelt: „Sie stürzten die Führer, zerstörten Städte und ruinierten die Wirtschaft. Das Ergebnis sind Hunger, Armut, Trauer und Bombenexplosionen auf dem Gebiet dieser Länder. Natürlich versucht die Zivilbevölkerung in Länder zu fliehen, in denen es so etwas nicht gibt, in denen gute demokratische Werte herrschen, wie dies die europäischen Staaten heute propagieren.“

Zumindest instrumentalisiert Litauen unter dem Schutz der EU die Flüchtlinge und legitimiert unter Verweis auf Belarus die Schließung der Grenzen und das Abschieben – und das in ein Land, das eigentlich nach den Beschreibungen nicht als sicher gelten sollte. Unmissverständlich machte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis schon am 19. Juli in einer Botschaft an Flüchtlinge auf Facebook die Haltung deutlich, die jede Beachtung von Humanität und Menschenrechte vermissen lässt: „Weil ihr an einem hinterlistigen Verbrechen beteiligt seid, wird praktisch niemand von euch Asyl erhalten und als Flüchtling anerkannt werden. Ihr werdet in dem Zeltlager leben müssen, bis wir eine Möglichkeit finden, euch heimzuschicken. Und ihr werdet nach Hause gehen.“ Litauen hatte ebenso wie Polen von Beginn an am völkerrechtswidrigen und mit Lügen legitimierten amerikanischen Irak-Krieg 2003 teilgenommen. Und beide Länder stellten sich auch stur, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufzunehmen, als diese verteilt werden sollten.

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